Freitag, 1. Februar 2019

Hartz-IV-Empfänger können im ländlichen Raum leichter umziehen


    BSG verwirft Mietobergrenzen zahlreicher Jobcenter

    Mit neuen Vorgaben für die Berechnung der Mietobergrenzen für Hartz-IV-Empfänger hat das Bundessozialgericht (BSG) Arbeitslosen insbesondere in ländlichen Regionen Umzüge erleichtert. Konkret verwarfen die Kasseler Richter die Berechnung der Obergrenzen des Jobcenters Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein (Az.: B 14 AS 41/18) sowie der Jobcenter Landkreis Harz (Az.: B 14 AS 12/18), Salzlandkreis (Az.: B 14 AS 11/18) und Börde (Az.: B 14 AS 24/18) in Sachsen-Anhalt.
    Um den regional unterschiedlichen Mietkosten gerecht zu werden, werden die Mietobergrenzen für Hartz-IV-Empfänger getrennt für sogenannte Vergleichsräume berechnet. Hierzu urteilte nun das BSG, dass in einem Vergleichsraum dann auch nur eine einheitliche Obergrenze für die „angemessenen Mietkosten” gelten muss. Die Aufteilung eines Vergleichsraums in Bereiche mit verschiedenen Mietobergrenzen sei unzulässig.
    Hintergrund sind die Regelungen, wonach Arbeitslosen mit zu hohen Wohnkosten ein Umzug innerhalb desselben Vergleichsraums immer als zumutbar gilt. Hartz-IV-Empfänger, die aus eigenen Stücken innerhalb eines Vergleichsraums umziehen wollen, dürfen für die neue Wohnung nicht mehr ausgeben als bislang.
    Grund und Voraussetzung hierfür sind laut BSG, dass ein Vergleichsraum „aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet”. Dabei könne es „im Zuständigkeitsbereich eines Jobcenters mehr als einen Vergleichsraum geben”.
    In den nun entschiedenen Fällen waren die Jobcenter dem Konzept einer Hamburger Beratungsfirma gefolgt und hatten jeweils das gesamte Kreisgebiet als einen Vergleichsraum ausgewiesen. Unterschiedlichen Lebensverhältnissen und Mietkosten trugen die Jobcenter durch die Aufteilung des Kreises in verschiedene „Wohnungsmarkttypen” Rechnung, in denen jeweils unterschiedliche Mietobergrenzen galten.
    So liegt ganz im Süden des Kreises Segeberg die Stadt Norderstedt. Deren Bebauung grenzt direkt an die von Hamburg an, sogar an das U-Bahn-Netz der Hansestadt ist Norderstedt angebunden. Die Mieten liegen daher erheblich höher als in den ländlichen Regionen im selben Landkreis 50 Kilometer nördlich.
    Durch die Bildung von „Wohnungsmarkttypen” blieben die Mietkosten von Norderstedt bei der Berechnung der angemessenen Mietkosten im restlichen Landkreis außen vor. Gleichzeitig hat das Jobcenter faktisch verhindert, dass Hartz-IV-Empfänger aus anderen Teilen des Kreises nach Norderstedt umziehen können. Denn bei einer Umzugsaufforderung durch das Jobcenter galten die niedrigeren Obergrenzen des bisherigen Wohnbereichs. Bei einem Umzug aus eigenen Stücken waren Arbeitslose an ihre bisherigen „angemessenen” Mietkosten gebunden, weil sie ja innerhalb desselben Vergleichsraums umzogen. Bei einem Umzug in einen anderen Vergleichsraum würden stattdessen die dortigen Obergrenzen gelten.
    Entsprechendes gilt auch für die Landkreise Börde und Salzlandkreis, die beide an Magdeburg angrenzen.
    Wie nun das BSG entschied, gibt es für die Aufteilung eines Vergleichsraums in mehrere „Wohnungsmarkttypen” keine rechtliche Grundlage. Stattdessen müssen Jobcenter mehrere Vergleichsräume bilden, wenn die Lebensverhältnisse sich stark unterscheiden. Soweit möglich sollen sie dabei auch die Bildung sozialer Brennpunkte vermeiden.
    Gegen den Salzlandkreis urteilte das BSG zudem, dass Jobcenter eine Umzugsaufforderung zur Senkung der Mietkosten nicht nachträglich dadurch rechtfertigen können, dass sie ein erst später fertig gewordenes Konzept zur Berechnung der Mietobergrenze auf frühere Jahre zurückrechnen.
    In allen vier und vermutlich zahlreichen weiteren Landkreisen sind die derzeitigen Mietobergrenzen für Hartz-IV-Empfänger ungültig, urteilte das BSG. Die Jobcenter müssen die Aufteilung in „Wohnungsmarkttypen” aufheben und gegebenenfalls mehrere Vergleichsräume bilden. Für diese müssen sie die Mietobergrenzen dann neu berechnen.
    In anhängigen Streitfällen dürfen sich die Gerichte bis dahin nicht eigene Vergleichsräume und Rechenkonzepte ausdenken. Um „angemessene” Wohnkosten zu bestimmen, sollen sie wo möglich auf qualifizierte Mietspiegel zurückgreifen, hilfsweise auf die Wohngeldtabellen mit einem Zuschlag von zehn Prozent.
    Bislang hatte das BSG vorrangig zu den „angemessenen Mietkosten” in Städten entschieden. So dürfen die Jobcenter die Städte München (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 10. September 2013, Az.: B 4 AS 77/12) und Berlin als einheitliche Vergleichsräume ansehen, weil sie durch durchgehende S- und U-Bahn-Netze erschlossen sind, so dass Arbeitslose auch nach einem Umzug in einen anderen Stadtteil ihre bisherigen sozialen Kontakte beibehalten können. Gleiches gilt nach einem Urteil des dortigen Landessozialgerichts auch für Hamburg. mwo/fle

    Keine Kommentare:

    Kommentar veröffentlichen