In
den 1970er Jahren zählte Herbert Schui, später Mitglied des
Bundestages, Fraktion der Linken, mit den sozialdemokratischen
Professoren Zinn, Tjaden, Paech, Albers und Hickel zu den
»wissenschaftlichen Paten« des Sozialdemokratischen Hochschulbunds und
des Stamokap-Flügels bei den Jungsozialisten. Erstmals nach dem
Godesberger Programm und dem Parteiausschluss Wolfgang Abendroths und
des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) trat in der SPD
wieder eine marxistische Linke hervor.
Hilferding (»Das Finanzkapital«) und Lenin (»Imperialismus – Das höchste Stadium des Kapitalismus«) hatten da weiter geschrieben, wo Marx den vierten Band des »Kapital« nicht mehr hatte schreiben können: über Staat und Monopolisierung. Die Ostberliner Heininger und Binus sprachen vom Monopol zuallererst als einem »Enteignungsverhältnis« – nicht nur gegen die Arbeiterklasse gerichtet, sondern auch gegen Bauern und andere, kleinere Unternehmerschichten.
Die Umhegung der Konzerne und Großbanken durch einzelne staatliche Strukturen, vor allem durch Geld- und Zinspolitik, wurde zu Herbert Schuis selbstgewähltem Forschungsauftrag, wobei er immer auf praktisches Eingreifen der Theorie bedacht war, zum Beispiel mit der »Memorandum-Gruppe«, an deren aufsehenerregenden Wirtschaftsgutachten neben den genannten Sozialdemokraten auch der weitsichtige Kommunist Jörg Hufschmid mitarbeitete.
Für Schui zerfiel die Abstraktion »Staat« in Einzelstrukturen, deren Widersprüchlichkeit Ansatzpunkte für erfolgreiche Reformeingriffe lieferte. So untersuchte er auch die Staatsstrukturen zur Unterdrückung der organisierten Arbeiterbewegung oder zu Kriegs- und Rüstungsaufträgen oder die Strukturen, die wir »Sozialstaat« nennen, mit ihren Akteuren.
Für uns marxistische Sozialdemokraten war das Proletariat zwar als kostbare Verallgemeinerung nur international zu fassen, aber laut »Kommunistischem Manifest« trat es zunächst national verfasst in Erscheinung, in der Bundesrepublik vorzugsweise in den Gewerkschaften des DGB. Eine antikapitalistische Reformagenda, will sie wirkungsmächtig, also bewegend sein, muss sich auch an konkreten Bewusstseinsständen orientieren. Für dieses Konkrete standen Herbert und seine wissenschaftlichen Mitstreiter.
Beide Hauptklassen der Akkumulationsgeschichte treten nie blütenrein auf; sondern immer nur in Bündniskonstellationen. Wo ihnen diese abhandenkamen, geschah das meist kurz vor ihrem Untergang. Und im Sinne eines antimonopolistischen Volksbündnisses um die Arbeiterklasse referierte Herbert Schui eben auch vor linken Unternehmerinnen, vor Handwerkern und Milchbauern.
Ohne dem Reformismus kleingläubig Schritt für Schritt auf den Leim zu gehen, schrieben wir von revolutionären »Übergängen«, schrieben für eine »antimonopolistische Demokratie«, in der zunächst die Hauptgiftzähne des imperialistischen Geschäftsbetriebs, zum Beispiel seine Rüstungskonzerne und Großbanken, vergesellschaftet werden müssten, wie es Artikel 15 gebietet, ohne den die SPD dem Grundgesetz nicht zugestimmt hätte. Damals!
Es ist noch viel aus jenem Fundus zu schöpfen, der an der Nahtstelle undogmatischer SozialdemokratInnen und KommunistInnen angelegt wurde – vor '89, dem großen Schlaganfall des Vergessens. Mit dem Krefelder Appell sind da auch Schuis Schriften zu nennen. Von seinem damaligen Klassiker »Ökonomische Grundprobleme des entwickelten Kapitalismus« bis 2014 »Politische Mythen«. Allein schon wegen ihrer empirischen Fülle lesen sich seine Schriften heute noch so frisch wie damals.
In vielen Universitäten gab es gewerkschaftsorientierte Bündnisse aus dem sozialdemokratischen Sozialistischen Hochschulbund und dem DKP-nahen Marxistischen Studentenbund Spartakus; auch kleinbürgerliche Intellektuelle lernten und lehrten dort die Orientierung aufs reale Proletariat. Schui war in Outfit und Auftritt lautstark lebendiger Gegenentwurf zu jenen Typen, die Brecht verächtlich »TUIs« genannt hatte. Die sich und ihr Wissen den Eliten verpachten und sich prostituieren, heute rosagrünliche Kriegspropagandisten, die Hassprediger des Monopolkapitals in Nachfolge der Milton Friedmans, denen Schuis unnachahmlich sarkastische Pointen galten und deren wirtschaftlich-politische Trümmer jetzt zügig auszukehren sind. Ohne Schui – er starb vergangenen Monat mit 76 Jahren. Aber mit seinen Erkenntnissen, Bescheidenheit und Herzlichkeit.
Herbert Schui hat nie viel Wind um sich gemacht. Aber da ist jetzt eine Windstille, wo er war und wirkte.
Diether Dehm (MdB) ist Schatzmeister der Europäischen Linkspartei.
Hilferding (»Das Finanzkapital«) und Lenin (»Imperialismus – Das höchste Stadium des Kapitalismus«) hatten da weiter geschrieben, wo Marx den vierten Band des »Kapital« nicht mehr hatte schreiben können: über Staat und Monopolisierung. Die Ostberliner Heininger und Binus sprachen vom Monopol zuallererst als einem »Enteignungsverhältnis« – nicht nur gegen die Arbeiterklasse gerichtet, sondern auch gegen Bauern und andere, kleinere Unternehmerschichten.
Die Umhegung der Konzerne und Großbanken durch einzelne staatliche Strukturen, vor allem durch Geld- und Zinspolitik, wurde zu Herbert Schuis selbstgewähltem Forschungsauftrag, wobei er immer auf praktisches Eingreifen der Theorie bedacht war, zum Beispiel mit der »Memorandum-Gruppe«, an deren aufsehenerregenden Wirtschaftsgutachten neben den genannten Sozialdemokraten auch der weitsichtige Kommunist Jörg Hufschmid mitarbeitete.
Für Schui zerfiel die Abstraktion »Staat« in Einzelstrukturen, deren Widersprüchlichkeit Ansatzpunkte für erfolgreiche Reformeingriffe lieferte. So untersuchte er auch die Staatsstrukturen zur Unterdrückung der organisierten Arbeiterbewegung oder zu Kriegs- und Rüstungsaufträgen oder die Strukturen, die wir »Sozialstaat« nennen, mit ihren Akteuren.
Für uns marxistische Sozialdemokraten war das Proletariat zwar als kostbare Verallgemeinerung nur international zu fassen, aber laut »Kommunistischem Manifest« trat es zunächst national verfasst in Erscheinung, in der Bundesrepublik vorzugsweise in den Gewerkschaften des DGB. Eine antikapitalistische Reformagenda, will sie wirkungsmächtig, also bewegend sein, muss sich auch an konkreten Bewusstseinsständen orientieren. Für dieses Konkrete standen Herbert und seine wissenschaftlichen Mitstreiter.
Beide Hauptklassen der Akkumulationsgeschichte treten nie blütenrein auf; sondern immer nur in Bündniskonstellationen. Wo ihnen diese abhandenkamen, geschah das meist kurz vor ihrem Untergang. Und im Sinne eines antimonopolistischen Volksbündnisses um die Arbeiterklasse referierte Herbert Schui eben auch vor linken Unternehmerinnen, vor Handwerkern und Milchbauern.
Ohne dem Reformismus kleingläubig Schritt für Schritt auf den Leim zu gehen, schrieben wir von revolutionären »Übergängen«, schrieben für eine »antimonopolistische Demokratie«, in der zunächst die Hauptgiftzähne des imperialistischen Geschäftsbetriebs, zum Beispiel seine Rüstungskonzerne und Großbanken, vergesellschaftet werden müssten, wie es Artikel 15 gebietet, ohne den die SPD dem Grundgesetz nicht zugestimmt hätte. Damals!
Es ist noch viel aus jenem Fundus zu schöpfen, der an der Nahtstelle undogmatischer SozialdemokratInnen und KommunistInnen angelegt wurde – vor '89, dem großen Schlaganfall des Vergessens. Mit dem Krefelder Appell sind da auch Schuis Schriften zu nennen. Von seinem damaligen Klassiker »Ökonomische Grundprobleme des entwickelten Kapitalismus« bis 2014 »Politische Mythen«. Allein schon wegen ihrer empirischen Fülle lesen sich seine Schriften heute noch so frisch wie damals.
In vielen Universitäten gab es gewerkschaftsorientierte Bündnisse aus dem sozialdemokratischen Sozialistischen Hochschulbund und dem DKP-nahen Marxistischen Studentenbund Spartakus; auch kleinbürgerliche Intellektuelle lernten und lehrten dort die Orientierung aufs reale Proletariat. Schui war in Outfit und Auftritt lautstark lebendiger Gegenentwurf zu jenen Typen, die Brecht verächtlich »TUIs« genannt hatte. Die sich und ihr Wissen den Eliten verpachten und sich prostituieren, heute rosagrünliche Kriegspropagandisten, die Hassprediger des Monopolkapitals in Nachfolge der Milton Friedmans, denen Schuis unnachahmlich sarkastische Pointen galten und deren wirtschaftlich-politische Trümmer jetzt zügig auszukehren sind. Ohne Schui – er starb vergangenen Monat mit 76 Jahren. Aber mit seinen Erkenntnissen, Bescheidenheit und Herzlichkeit.
Herbert Schui hat nie viel Wind um sich gemacht. Aber da ist jetzt eine Windstille, wo er war und wirkte.
Diether Dehm (MdB) ist Schatzmeister der Europäischen Linkspartei.
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