Donnerstag, 22. September 2016

Kampf dem Zentrismus, die versteckte und darum besonders gefährliche Abart des Opportunismus II

Die Zentristen gaben sich als Hüter der „Einheit der Partei“ aus und bedienten sich dabei eines heuchlerischen Pseudomarxismus und Scheinradikalismus.


Quelle: Sachwörterbuch der Geschichte (2 Bd.), Dietz Verlag Berlin, 1970, Bd.2, S.859f

Kampf dem Zentrismus, die versteckte und darum besonders gefährliche Abart des Opportunismus; die Zentristen bekannten sich in Worten zum Marxismus (Marxismus-Leninismus), betrieben jedoch opportunistische Politik.

„Mittels offenkundiger Sophismen wird der Marxismus seiner lebendigen revolutionären Seele beraubt, man akzeptiert vom Marxismus alles, ausgenommen die revolutionären Kampfmittel. ihre Propagierung und Vorbereitung, die Erziehung der Massen gerade in dieser Richtung.“ (Lenin.)

Der Z. war eine internationale Erscheinung. In der dt. Arbeiterbewegung bildete er sich ab 1905/1906 heraus. Er entstand neben dem Revisionismus als zweite opportunistische Strömung, als sich die Auseinandersetzungen zwischen den Marxisten und den Revisionisten über Grundfragen der Strategie und Taktik der Arbeiterpartei in der imperialistischen Epoche in Auswirkung der Revolution in Russland 1905-1907 zuspitzten. Erste Anzeichen für den Übergang führender Partei- und Gewerkschaftsvertreter auf eine zentristische Position äußerten sich in Zugeständnissen an die Revisionisten und Reformisten (Reformismus) während der Massenstreikdebatte dieser Jahre, die dem Revisionismus mit der Massenstreikresolution des Mannheimer Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1906 einen Sieg über die revolutionären Kräfte ermöglichten.
Als Ideologie der Versöhnung und der Verschleierung der prinzipiellen Gegensätze zwischen der proletarischen und der bürgerlichen Klassenlinie in der Arbeiterbewegung verdeckte der Z. viele Jahre die Krise, die sich in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands seit dem Übergang zum Imperialismus zu entwickeln begonnen hatte. Die Zentristen gaben sich als Hüter der „Einheit der Partei“ aus und bedienten sich dabei eines heuchlerischen Pseudomarxismus und Scheinradikalismus. Objektiv unterstützten sie damit die offenen Opportunisten, ebneten ihnen den Weg zur Beherrschung der dt. Sozialdemokratie und verhinderten lange Zeit die Herausbildung einer marxistisch-leninistischen Partei in Dtschl.
Der Z. äußerte sich zunächst hauptsächlich in der Praxis des Klassenkampfes. Im Jahre 1910, als sich im Prozess des Heranreifens einer politischen Krise in Dtschl. die Gegensätze zwischen den beiden Klassenlinien in der dc. Arbeiterbewegung verschärften, erfuhr der Z. durch Karl Kautskys Abkehr vom Marxismus in Gestalt der sog. Ermattungsstrategie seine erste theoretische Ausprägung. In den folgenden Jahren entwickelte Kautsky weitere „Theorien“, z.B. die des Ultraimperialismus, die seine völlige Absage an den revolutionären Klassenkampf, die Verneinung der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats bezeugten.
Der Opportunismus Kautskys wurde zuerst von Rosa Luxemburg erkannt und sofort ideologisch bekämpft. In den folgenden Jahren breitete sich der Z. in der dt. und in der internationalen Arbeiterbewegung weiter aus. Er war eine der wesentlichen Ursachen dafür, dass sich die dt. Sozialdemokratie aus einer revolutionären Massenpartei mit einem marxistischen Parteiprogramm in eine reformistische Arbeiterpartei verwandelte und die meisten Parteien der II. Internationale. Zu jenem überlebten Typus einer sozialistischen Partei wurden, „die in ihrer Mitte einen Opportunismus duldete, der sich in den Jahrzehnten einer ‘friedlichen’ Periode immer mehr ausbreitete, aber im Verborgenen blühte, der sich den revolutionären Arbeitern anpasste, von ihnen ihre marxistische Terminologie übernahm und jeder klaren, prinzipiellen Abgrenzung aus dem Wege ging.“ (Lenin)
Neben Kautsky als dem theoretischen Hauptvertreter des Z. entwickelten sich zu Zentristen:
  • in Dtschl. Hugo Haase, Georg Ledebour u.a. Vertreter der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft;
  • in Frankreich Jean Longuet, Adrien Pressemane und die sog. Minoritaires (Minderheitler);
  • in England Pbilip Snoioden, James Ramsay MacDonald u. a. Führer der Unabhängigen Arbeiterpartei und der Britischen Sozialistischen Partei;
  • in Amerika Morris Hillquit und viele andere;
  • in Italien Filippo Turati, Claudio Treoes, Vittorio Emanuele Modigliani;
  • in der Schweiz Robert Grimm u.a.;
  • in Österreich Victor Adler u.a.;
  • in Russland die Partei des Organisationskomitees, P. B. Axelrod, L. Martow, N. S. Tscbeidse, J. G. Zereteli u.a.
Während des ersten Weltkrieges wurde der Z. zum Sozialpazifismus. Mit der Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1917 konstituierte sich der Z. zum ersten Mal in der internationalen Arbeiterbewegung als Partei. Nachdem sich die revolutionären Arbeitermitgl. der in der internationalen Arbeiterbewegung entstandenen zentristischen Parteien und Gruppen während der revolutionären Nachkriegskrise großenteils den neugegründeten kommunistischen Parteien angeschlossen hatten (in Dtschl. im Dez. 1920). vereinigten sich die Reste der zentristischen Gruppierungen um 1922/1923 wieder mit den offen reformistischen Arbeiterorganisationen.
Quelle: Sachwörterbuch der Geschichte (2 Bd.), Dietz Verlag Berlin, 1970, Bd.2, S.859f.

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