Donnerstag, 22. September 2016

Bereitet der Westen einen Krieg gegen Russland vor?

Nach dem gewalttätigen Putsch in Kiew und der Einsetzung der US-Marionetten Jazenjuk und Poroschenko hat sich die Krim von der Ukraine abgespalten. Das ist verständlich, denn den Krim-Bewohnern hat das Gleiche bevorgestanden wie der Bevölkerung in der Ostukraine.

natozug

Jens Wernicke im Gespräch mit Wolfgang Bittner 

Quelle: NachDenkSeiten – Die kritische Website

Herr Bittner, im Internet kursieren inzwischen massenweise Videos, die mit hunderten Panzern beladene Züge zeigen, die durch Deutschland in Richtung Russland fahren. Die Medien spielen die Geschehnisse herunter und haben offenbar die Devise ausgegeben, dass „unsere Freiheit“ inzwischen auch auf der Krim verteidigt wird; die Politik leugnet und behauptet, es geschähe nichts, was nicht schon immer geschehen sei. Was geschieht hier genau?
Seit 1989, der sogenannten Wiedervereinigung Deutschlands, die wir bekanntlich der Entspannungspolitik Gorbatschows zu verdanken haben, waren wir mehrere Jahre lang auf einem guten Wege der Verständigung mit Russland. Es begann damals eine Zeit gutnachbarlicher Beziehungen wirtschaftlicher und kultureller Art. Gorbatschow hatte die Zusage, dass sich die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnen würde. Im Gespräch war nach der Auflösung des Warschauer Pakts sogar ein gesamteuropäisches Verteidigungsbündnis unter Einbeziehung Russlands. Und man glaubt es kaum: 2001 hielt der russische Präsident Wladimir Putin eine Rede im deutschen Bundestag, in der er vom Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigen Staaten sprach, zugleich aber auch von einem gemeinsamen europäischen Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungsraum. Auf diese Vision – nennen wird das mal so – sind die europäischen Politiker nicht eingegangen, das haben die USA verhindert. Man muss sich mal in Erinnerung rufen: Wladimir Putin sprach von Goethe, Schiller und Kant, er konstatierte, Deutschland sei der wichtigste Wirtschaftspartner Russlands, einer der Hauptinvestoren und ein maßgeblicher außenpolitischer Gesprächspartner. Er bekam sehr viel Beifall.
Wenn wir nun die heutige politische Situation betrachten, kann es einem nur grausen: Tausende Soldaten, Panzerbataillone, Kampfjets, Bomber, Raketen- und Radarstellungen an den russischen Grenzen. Das hat doch nichts mit Verteidigung zu tun, wie man uns weismachen will. Ganz offensichtlich rüsten die westlichen Politiker und ihre Militärs, unterstützt von den Journalisten der großen Medien, zum Krieg. Dahinter stehen die Hardliner und Lobbyisten des militärisch-industriellen Komplexes – wie man das nennt – in den USA und in der NATO sowie zahlreiche Propagandisten einer imperialen US-Politik.
Der Vorwand für das Vorgehen gegen Russland ist dabei die angebliche Annexion der Krim – in Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine Sezession, und das ist ein wesentlicher Unterschied. Nach dem gewalttätigen Putsch in Kiew und der Einsetzung der US-Marionetten Jazenjuk und Poroschenko hat sich die Krim von der Ukraine abgespalten. Das ist verständlich, denn den Krim-Bewohnern hat das Gleiche bevorgestanden wie der Bevölkerung in der Ostukraine. Es wurde ein Referendum abgehalten, und bei einer Wahlbeteiligung von 83 Prozent sprachen sich 96 Prozent für den Anschluss der Autonomen Republik Krim an die Russische Föderation aus. Das ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden.
Nicht erst seit diesem Zeitpunkt wird Putin als intriganter, kriegslüsterner Diktator hingestellt, als der Leibhaftige in Person, der die alte UdSSR wiederherstellen wolle. Tatsächlich spricht er aber in all seinen Reden, die ich bisher gelesen habe, beständig von der Notwendigkeit guter Beziehungen mit Westeuropa und den USA und wirbt für einen gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturraum von Wladiwostok bis Lissabon.
Was meinen Sie: Warum sind die westlichen Politiker nicht auf das Angebot Putins eingegangen?
Das werden die USA, denen offensichtlich nicht an einem friedlichen, prosperierenden Gesamteuropa liegt, durchkreuzt haben. Ich war ziemlich erschüttert, nachdem ich mir die Rede des seinerzeitigen Direktors eines einflussreichen US-Think Tanks, George Friedman, angehört habe. Er ist einer der Bellizisten der Republikaner und sagte im Februar 2015 in Chicago: Ziel der US-Politik seit einem Jahrhundert sei gewesen, ein Bündnis zwischen Russland und Deutschland zu verhindern. Denn wenn sich deutsches Kapital und deutsche Technologie mit russischen Rohstoff-Ressourcen und russischer Arbeitskraft verbänden, wäre das eine Bedrohung für die USA. Um diese Kooperation zu verhindern, habe man einen „Sicherheitsgürtel“, einen „Cordon Sanitaire“, wie Friedman das nennt, um Russland herum angelegt.
Und es gibt weitere alarmierende Aussagen: Nach Auffassung des amerikanischen Politikwissenschaftlers und Regierungsberaters Zbigniew Brzezinski ist Eurasien für die USA das Schachbrett, auf dem sich der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird. Das hat Brzezinski schon 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ geschrieben. Um Weltmacht Nummer 1 zu bleiben – ein durch nichts gerechtfertigter Anspruch –, werden die USA also ein Zusammengehen der westeuropäischen Staaten mit Russland mit allen Mitteln verhindern.
Der US-amerikanische Russlandexperte Professor Stephen Cohen äußerte kürzlich die Überzeugung, dass die USA auf einen militärischen Konflikt mit Russland zusteuerten. Dass die baltischen Staaten bedroht würden, ist nach seiner Ansicht nichts als Kriegspropaganda; die Ausweitung der NATO diene – so Cohen – den Interessen der US-Militärindustrie, die dadurch Milliarden und Abermilliarden Dollar einnehmen werde.
Darüber wird also in den USA offen gesprochen, nur nicht bei uns. Hier wird die Bevölkerung mit einer selbstverschuldeten Flüchtlingskrise, deren Ursachen und Verursacher nicht genannt werden, und mit irgendwelchen Albernheiten in Atem gehalten. Während die Olympia-Begeisterung Wellen schlug, wurden so ganz nebenbei die Zivilverteidigung und der mögliche Einsatz der Bundeswehr im Inland ins Gespräch gebracht; die Weichen für eine erhebliche Erhöhung des Militärhaushalts wurden vorher bereits gestellt.
Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Vizepräsident der OSZE, Willy Wimmer, ist der Meinung, Deutschland werde immer mehr zu einem kolonialen Vorfeld der Vereinigten Staaten, und Bundeskanzlerin Merkel bereite die Mobilisierung Deutschlands militärisch und auch innenpolitisch vor.
Worauf führen Sie die Verteufelung Putins und die Wende zu dieser hochaggressiven Politik des Westens zurück? Wieso sollte der Westen ein Interesse daran haben, Russland anzugreifen?
Der russische Präsident soll als Machtfaktor in der internationalen Politik ausgeschaltet und das Land den westlichen Kapitalinteressen geöffnet werden. Da Putin sich querstellt, beabsichtigen die USA, Russland durch Wirtschaftssanktionen, die Manipulation der Energie- und Kapitalmärkte sowie die aufgezwungenen Nachrüstungskosten zu ruinieren.
US-Vizepräsident Joe Biden hat im Oktober 2014 in einer Rede in Cambridge gesagt, dass der amerikanische Präsident die europäischen Politiker habe nötigen müssen, gegen die Interessen ihrer Länder an den Wirtschaftssanktionen teilzunehmen und dass daraufhin die beabsichtigten Folgen eingetreten sind: eine massive Kapitalflucht aus Russland, Einfrieren von ausländischen Direktinvestitionen, der Rubel auf einem historischen Tiefststand und die russische Wirtschaft auf der Kippe zu einer Rezession.
Nimmt man weitere Stimmen dieser Art hinzu, wird überdeutlich, was da abläuft: Entweder öffnet sich Russland den Begehrlichkeiten und strategischen Interessen des Westens – da kommt dann letzten Endes auch China ins Spiel – oder das Land wird ruiniert, womöglich gebombt. Drohungen, Hetze, Aufrüstung bestimmen das Klima – und die Mainstream-Medien versagen völlig, was notwendige Aufklärung angeht, ganz im Gegenteil: sie hetzen mit.
Nun ist es bisher nicht gelungen, Russland in die Knie zu zwingen. Wie wird es weitergehen?
Wie ich schon sagte, haben wir es nach meiner Einschätzung mit Kriegsvorbereitungen zu tun. Russland wird sich nicht ohne weiteres unterwerfen, und wenn es bei uns nicht bald zu einem grundlegenden Politikwechsel kommt, stehen uns schlimme Zeiten bevor – ich mag das jetzt gar nicht weiter ausführen.
Es ist ein Horrorszenario, das sich da auftut. Aber wenn wir dazu westliche Politiker und Journalisten der sogenannten Leitmedien hören, dann sieht das ganz anders aus. Angeblich ist Russland der Aggressor, gegen den sich der Westen rüsten muss.
Auch ich komme nicht umhin, die Verlegung schwerer Kriegswaffen gen Russland als das Gegenteil eines humanen oder pazifistischen Aktes und am allerwenigsten als „Verteidigungsreaktion“ zu interpretieren. Vor allem in Anbetracht der Tatsachen, dass die NATO, die ohnehin seit einiger Zeit für imperiale Angriffskriege steht, ihre Einflusssphäre in den letzten Jahren soweit ausgedehnt hat, dass sie Russland inzwischen regelrecht umzingelt hat, und zuletzt sowohl Großbritannien als auch die USA ganz unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen gegen Russland drohten…
Dass der Einsatz von Atomwaffen gegen Russland erwogen wird, lässt sich unter anderem in meinem Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“ nachlesen. In einem Report des Washingtoner Center for Strategic and International Studies heißt es, begrenzte taktische Atomschläge seien möglich, ohne die amerikanische Heimat zu gefährden – eine neue Stufe der von den USA betriebenen Eskalation.
Dem entsprechen auch die Stationierung neuer Atomraketen in Büchel in Rheinland-Pfalz, die atomare Bewaffnung der B-52-Bomber, die an den Grenzen Russlands patrouillieren sowie die Errichtung von Raketenstellungen und Radarstationen rund um Russland. Beängstigend sind dabei besonders die Provokationen gegen Russland in der Ukraine, den baltischen Staaten und in Polen.
Nun behaupten ja aber alle westlichen Politiker, es gäbe gar keine relevanten Truppenbewegungen, was sich da heute bewege, das hätte sich immer bewegt. „Nichts Neues also“, lautet die Botschaft, lautet der Spin…
Ich staune immer wieder aufs Neue über diese Berichte und Verlautbarungen, die für mich großenteils in die Kategorie „Lügenpropaganda“ gehören. Seit ich mich mit der US-Imperialpolitik näher befasse, die ja alles andere als nur Russland betrifft, läuft mir ein Schauer nach dem anderen über den Rücken. Manchmal ist mir, als befände ich mich in einem Albtraum, der sich nach und nach realisiert.
In meiner Lokalzeitung lese ich etwa vor Kurzem zum Frühstück die Vertuschungen und Verdrehungen der Verteidigungsministerin von der Leyen. Da heißt es, in Europa sei man sich seit Langem einig gewesen, dass die bestehenden Grenzen respektiert würden. Aber Russland habe mit der „Annexion“ der Krim diese Regel gebrochen, sodass eine tiefe Ernüchterung eingetreten sei. Auch der Konflikt in der Ukraine werde immer wieder angeheizt und das russische Vorgehen in Syrien an der Seite Assads sei eine Herausforderung.
Es ist unglaublich! Der Westen hat über Jahre die Ukraine destabilisiert, den Regimewechsel inszeniert und das Land aus dem Wirtschaftsverbund mit Russland herausgelöst. Der Westen baut eine ungeheure Militärmaschinerie an den Grenzen zu Russland auf. Aber behauptet wird, Russland sei der Verursacher der Krise. Das Gleiche läuft jetzt auch mit Syrien.
Bereits 2014 bin ich in einem Artikel mit dem Titel „Wirtschaftskrieg gegen Russland“ auf die akute Kriegsgefahr in Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in der Ukraine eingegangen. Dort stehen sich bis heute zwei Atommächte gegenüber, dort brennt eine Lunte, und die ständige Kriegshetze des Kiewer Präsidenten Poroschenko ist nur im Einvernehmen mit der US-Regierung möglich. Der dortige Krisenherd kann sich jederzeit zu einem Flächenbrand ausweiten.
Hinzu kommen die massiven Wirtschaftssanktionen, die nicht nur Russland, sondern in erheblichem Maße auch die europäischen Staaten, insbesondere Deutschland treffen. Russland ist gezwungen, sich umzuorientieren, das geschieht seit etwa zwei Jahren. Wir verzeichnen bereits jetzt schwerwiegende Folgen, nicht allein für unsere Volkswirtschaft, sondern für sämtliche gesellschaftlichen Bereiche. Auch militärstrategisch hat sich da einiges verschoben, auch darüber wird kaum berichtet.
Inzwischen hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Für mich kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass die westliche Allianz unter Führung der USA und der von ihr dominierten NATO Kriegsvorbereitungen gegen Russland trifft. Die Frage ist: Kann Russland das so einfach hinnehmen? Das ist für uns eine Existenzfrage. Denn wenn sich in der SPD und in der LINKEN nicht ein grundlegender Wandel vollzieht, wenn sich die deutsche Regierung nicht von der Aggressionspolitik der USA und der NATO distanziert, stehen uns schlimme Zeiten bevor.
Und ich staune, dass die Bevölkerung immer noch nicht gegen diese verheerende Politik aufsteht. Vielleicht kommt das noch zeitig genug. Hoffnung gibt mir, dass ich nicht der Einzige bin, der sich darum bemüht. Am 1. Oktober findet in Berlin vor dem Kanzleramt eine Friedensdemonstration statt, der viele Teilnehmer zu wünschen sind, ebenso der Friedensdemonstration „Die Waffen nieder“ am 8. Oktober.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
bittnerbuchWolfgang Bittner, geboren 1941 in Gleiwitz (Gliwice), lebt als Schriftsteller in Göttingen. Der promovierte Jurist war freier Mitarbeiter bei Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen. Bis 1974 ging er verschiedenen Berufstätigkeiten nach, u.a. als Verwaltungsbeamter und Rechtsanwalt. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko, Kanada und Neuseeland, Gastprofessuren 2004 und 2006 nach Polen. Von 1996 bis 1998 gehörte er dem WDR-Rundfunkrat an. Er ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (1997-2001 im Bundesvorstand) und im PEN, erhielt mehrere Auszeichnungen und Preise und hat über 60 Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder veröffentlicht, darunter Romane, Erzählungen, Gedichtbände und Sachbücher. Sein letztes Buch trägt den Titel »Die Eroberung Europas durch die USA. Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung am Beispiel der Ereignisse in der Ukraine«
. Website:wolfgangbittner.de.

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