Mittwoch, 31. August 2016

Wie man Jihadisten fördert

Darüber hinaus weiten deutsche Rüstungskonzerne ihre Kooperation mit der Militärindustrie der Türkei systematisch aus.


leo

BERLIN/ANKARA/DAMASKUS

german-foreign-policy vom 29.08.2016 – Unter Nutzung deutscher „Leopard“-Panzer und begleitet von erklärten „Sympathien“ der Bundesregierung setzt Deutschlands NATO-Verbündeter Türkei seinen Krieg auf syrischem Territorium fort. Bereits der Einmarsch türkischer Truppen am vergangenen Mittwoch ist Berichten zufolge mit deutschen Kampfpanzern erfolgt. Die Bundesregierung drückt ausdrücklich ihre Zustimmung zu den türkischen Operationen aus. Diese zielen weniger auf die Ausschaltung des „Islamischen Staats“ (IS/Daesh) als vielmehr darauf, mit der Errichtung der schon lange geplanten „Schutzzone“ auf syrischem Territorium das Entstehen eines zusammenhängenden Gebietes „Westkurdistan“ zu verhindern. Berlin unterstützt Ankara, obwohl die türkische Regierung auch bei ihren aktuellen Operationen in Nordsyrien insbesondere islamistische, teils sogar jihadistische Milizen fördert und ihnen damit zum Aufbau entsprechender Herrschaftssysteme verhilft.
Mit deutschen Panzern einmarschiert
Bereits bei ihrem Einmarsch in Syrien am vergangenen Mittwoch hatten die türkischen Streitkräfte „Leopard“-Panzer aus deutscher Produktion genutzt.[1] Der Einmarsch diente offiziell dazu, dem „Islamischen Staat“ (IS/Daesh) die Grenzstadt Jarabulus zu entreißen. Über Jarabulus hatte der IS mit Duldung der Türkei mehrere Jahre lang ausländische Kämpfer und Unterstützer in das von ihm kontrollierte Gebiet geschleust, Nachschub bezogen und Erdöl verkauft. Während er bereits am Mittwoch aus der Stadt vertrieben wurde – Berichten zufolge ohne besonderen Widerstand -, haben die türkischen Streitkräfte in Verbindung mit syrischen Milizen ihre Operationen südlich von Jarabulus am Wochenende fortgesetzt. Ziel sind Stellungen nicht des IS, sondern der Syrian Democratic Forces (SDF), einer unter führendem Einfluss der kurdischsprachigen YPG (Yekîneyên Parastina Gel‎, Volksverteidigungseinheiten) stehenden Truppe, die recht erfolgreich gegen den IS kämpft und dabei auf US-amerikanische Unterstützung zählen kann. Konkreter Auslöser des türkischen Einmarschs war die Eroberung des syrischen IS-Stützpunkts Manbij durch die SDF, die es denkbar erscheinen ließ, dass die SDF den IS entlang der syrisch-türkischen Grenze weiter nach Westen zurückdrängt. Damit wäre die Chance für die kurdischsprachige YPG verbunden gewesen, die Lücke zwischen den von ihr kontrollierten Gebieten Kobanê und Cizîrê (im Osten) sowie Efrîn (im Westen) zu schließen – und so ein zusammenhängendes Herrschaftsgebiet Rojava (Westkurdistan) zu schaffen. Ankara will das seit je um jeden Preis verhindern und sucht nun die YPG wieder in Richtung Osten über den Euphrat zurückzuschlagen.
Umgruppierungen
Der türkische Einmarsch in Nordsyrien ist Teil schwer zu durchschauender aktueller Umgruppierungen im Syrien-Krieg. Faktisch schafft die Türkei sich mit ihm die „Schutzzone“, die sie bereits seit Jahren erstrebt, um das Entstehen eines zusammenhängenden „Westkurdistan“ zu verhindern. Beobachter stellen fest, dass Damaskus kurz zuvor erstmals Angriffe auf die YPG geflogen hat, woraufhin in Ankara zu hören war, man schließe die Bildung einer Übergangsregierung unter Einschluss von Bashar al Assad nicht mehr grundsätzlich aus. Dies wird als ein vorsichtiger Annäherungsschritt zwischen Ankara, das bislang kompromisslos auf Assads Sturz setzte, und Damaskus interpretiert.[2] Das strategische Umfeld des Schrittes ist zum einen durch die erneute Annäherung zwischen Russland und der Türkei, zum anderen durch Fortschritte in den Verhandlungen zwischen Moskau und Washington bestimmt. Demnach könnte Ankaras Bereitschaft, den IS von seinem Drehkreuz Jarabulus abzuschneiden, durch Zugeständnisse bei der Errichtung der gegen die YPG gerichteten „Schutzzone“ in Nordsyrien gefördert worden sein.
Deutsche Sympathien
Die Bundesregierung befürwortet den türkischen Einmarsch in Nordsyrien ausdrücklich. Sie habe „Sympathien, wenn sich die Türkei am militärischen Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat“ beteilige, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am vergangenen Freitag mit.[3] Mit den Operationen in Nordsyrien handle Ankara nicht nur „im Einklang mit den Zielen und Absichten der Anti-IS-Koalition“, wird der Sprecher zitiert; es sei darüber hinaus „das legitime Recht der Türkei, gegen terroristische Umtriebe vorzugehen“. Das Ministerium erklärt: „Deutschland unterstützt die Türkei dabei.“
Im Bündnis mit Islamisten
Dem steht offenkundig nicht entgegen, dass Ankara sich bei seinen aktuellen Operationen in Nordsyrien – ganz wie auch anderswo – als Förderer verschiedenster islamistischer, teilweise sogar jihadistischer Organisationen erweist. Während es offiziell heißt, die Free Syrian Army (FSA), mit der gemeinsam die türkischen Streitkräfte gegen den IS, vor allem aber gegen die YPG kämpfen, sei nicht-islamistisch orientiert, ist zumindest für relevante Teile der Truppe das Gegenteil der Fall. So gehört nach Auskunft des Syrien-Experten Charles Lister vom Washingtoner Middle East Institute dem FSA-Milizenbündnis neben der islamistischen Mutassim-Brigade unter anderem die jihadistische Miliz Ahrar al Sham an. Auch die Miliz Nur al Din al Zinki nimmt demnach zur Zeit unter dem Label FSA an den Operationen gegen die YPG teil. Nur al Din al Zinki erhielt einst von den Vereinigten Staaten Panzerabwehrraketen; die Miliz wird ebenfalls als jihadistisch eingestuft. Im Juli machte sie Schlagzeilen, als sie einen kleinen Jungen enthauptete, von dem sie behauptete, er gehöre einer auf Seiten der syrischen Regierung kämpfenden Miliz an. „Fast alle der Milizen, die Erdogan für seine Offensive eingespannt hat, haben eine islamistische Färbung“, heißt es in einem Bericht.[4] Demnach steht den Gebieten, aus denen die türkischen Truppen nun die YPG vertreiben, erneut der Übergang in eine islamistische, teils sogar jihadistische Herrschaft bevor.
Strategischer Stützpunkt
Die deutsche Zusammenarbeit mit der Türkei ist – ungeachtet deren Islamismus- bzw. Jihadismus-Förderung – auch weiterhin strategisch angelegt. Dies zeigen nicht nur die Bemühungen der Bundesregierung, aktuellen Beschwerden aus dem Bundestag bezüglich der Stationierung von Bundeswehreinheiten auf dem NATO-Stützpunkt Incirlik bei Adana den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ankara verweigert Abgeordneten des Bundestags seit der Verabschiedung der Parlamentsresolution zum Armenier-Genozid [5] den Zutritt zu der Luftwaffenbasis und damit jeglichen Truppenbesuch; daher verlangt unter anderem der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, Berlin müsse „jetzt umgehend andere Standorte für die deutschen Soldaten abklären“.[6] Kanzlerin Angela Merkel hingegen dringt darauf, Incirlik weiter zu nutzen: Der Stützpunkt gilt für den Krieg in Syrien und im Irak als strategisch optimal.[7]
Exportplattform
Darüber hinaus weiten deutsche Rüstungskonzerne ihre Kooperation mit der Militärindustrie der Türkei systematisch aus. Nachdem zuletzt der Airbus-Konzern, der bereits gemeinsam mit Turkish Aerospace Industries (TAI) Militärflugzeuge produziert, eine engere Zusammenarbeit mit der türkischen Rüstungsfirma Roketsan vereinbart hat [8], will auch Rheinmetall die Geschäfte in der Türkei ausweiten. Die Waffenschmiede, die längst eine Tochterfirma in der Türkei unterhält und im vergangenen Jahr ein Joint Venture mit dem staatlichen Rüstungskonzern MKEK zur Herstellung von Munition angekündigt hat, will nun gemeinsam mit dem türkischen Lkw-Produzenten BMC und der malaysischen Rüstungsfirma Etika ein Joint Venture zum Bau gepanzerter Fahrzeuge gründen. Der Eigentümer von BMC, Ethem Sancak, soll dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nahestehen. Bei dem Projekt geht es um die Herstellung des neuen Panzers Altay, der mit einem Dieselmotor von MTU Friedrichshafen ausgestattet ist und eine 120-Millimeter-Glattrohrkanone erhalten soll, wie sie Rheinmetall für den deutschen „Leopard“ herstellt.[9] Dabei gilt die Türkei ungeachtet ihrer Islamismus-Förderung nicht nur als wichtiger Abnehmer, sondern auch als günstige Plattform für den Weiterverkauf des Kriegsgeräts in andere Staaten vor allem der islamischen Welt – zum Nutzen der deutschen Rüstungsindustrie. Wer den Schaden hat, kann man exemplarisch den aktuellen türkischen Operationen in Nordsyrien entnehmen.
Mehr zum Thema: Ordnungsmacht im Krisengürtel.
[1] Paul McLeary, Dan De Luce: Turkey Is Finally Bombing Syria, But It’s Not Hitting Who the U.S. Wants. foreignpolicy.com 24.08.2016.
[2] Anne Barnard: Kurds Close to Control of Northeast Syria Province, Portending a Shift in the War. www.nytimes.com 23.08.2016.
[3] Erfolge im Kampf gegen die IS-Miliz. www.bundesregierung.de 26.08.2016.
[4] Christoph Ehrhardt: Die Trennlinien verschwimmen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.08.2016.
[5] S. dazu Der deutsche Beitrag zum Genozid.
[6] SPD-Politiker fordert Abzug der Bundeswehr aus der Türkei. www.zeit.de 25.08.2016.
[7] Merkel hofft auf Lösung im Streit um Incirlik. www.sueddeutsche.de 25.08.2016.
[8] S. dazu Operationsstützpunkt Türkei (II).
[9] Gerhard Hegmann: Rheinmetall möchte für Erdogan Panzer bauen. www.welt.de 04.08.2016

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