Sonntag, 8. März 2015

Europas Alptraum (Arno Klönne)

Tolerant wie sie sind, sagten die in Deutschland Regierenden, das Ergebnis einer Wahl in Griechenland sei »zu respektieren«. Nur dürfe die neue Regierung dort nicht das in die Tat umsetzen, was sie ihren Wählerinnen und Wählern versprochen habe. »Troika bleibe hart« heißt die Devise der Berliner Politik. In diesem Sinne mit dem Ministerpräsidenten in Athen »Tacheles reden« wollte der deutsch-sozialdemokratische Präsident des Europäischen Parlaments, offenbar verging ihm dort der rhetorische Übermut. Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erlaubt sich eher als Martin Schulz einen Blick auf die Realität: Eine »glänzende Zukunft« will er der Troika nicht attestieren. Was eigentlich verbindet sich mit jenem Dreiergespann, dessen Name (derzeit peinlicherweise) dem Russischen entlehnt ist? Um die Finessen dieser oder jener »Schuldenschnitte« geht es da nicht, sondern um ein gesellschaftspolitisches Programm, das nicht nur für Griechenland als Diktat gedacht ist: Dem europäischen Industrie- und Bankenkapital soll in der Weltmarktkonkurrenz ein Wettbewerbsvorteil politisch garantiert werden, durch planmäßige Verarmung von Unter- und kleinen Mittelschichten. Also mittels Absenkung des Lohnniveaus, Ausweitung der »Reservearmee« im Arbeitsmarkt, Abbau staatlicher Sozialleistungen. Kommissare im Auftrag von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) sollen in den betroffenen Ländern bei den »Reformen« das Kommando führen. In diesem Projekt stecken Exekutionsprobleme. Keineswegs haben die Inhaber von Kapitalmacht und Regierungsgewalt in den einzelnen EU-Staaten stets dieselben Interessen. Und US-amerikanische Finanzeliten, beim IWF tonangebend, haben möglicherweise andere Wünsche als ihre Partner in Europa; nicht aus einer Laune heraus hat Barack Obama angedeutet, er könne sich für Griechenland eine andere Lösung vorstellen als das bisherige Troika-Programm. Zudem geht es im politischen System der EU-Länder immer noch wählerisch zu; was tun, wenn aufsässige Parteien an die Regierung kommen, so wie jetzt in Griechenland, vielleicht demnächst in Spanien? Sie einfach von außen her absetzen? So simpel läßt sich »Verläßlichkeit« (wie sie besonders heftig die deutsche Regierung einklagt) nicht herstellen. Einen Putsch oder eine Revolution in den unruhestiftenden Staaten inszenieren? Im Euro-Terrain wäre das zu auffällig. Widerborstige regierende Politiker bestechen durch das Angebot besserer Jobs? Das funktioniert auch nicht überall. Ein ökonomisches Dilemma kommt hinzu: Wenn ein auferlegtes »Spar«-Programm den Binnenkonsum allzusehr abstürzen läßt, ist das nicht mehr gewinnträchtig. Nur über den Export lassen sich die gewünschten Erlöse nicht erzielen. Zu berücksichtigen sind auch die Börsen: Wenn ein Euro-Staat in Konkurs gehen muß, entstehen zu viele Turbulenzen auf dem Finanzmarkt ... Und so wird der Fall Syriza mit seinen »Ansteckungsgefahren« zum Alptraum für die Erfinder der Troika-Politik. Noch hoffen sie, die griechische Regierung werde zu Kreuze kriechen und dann das Vertrauen beim Wahlvolk verlieren. Aber die Hellenen sind, wie der deutsche Mediennutzer ja jeden Tag erfahren kann, zu Geisterfahrten neigende Gefühlsmenschen; deshalb weiß man nicht, ob sie sich so verhalten, wie es die europolitische Policey möchte.

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