Sonntag, 8. März 2015
Dir Aas kenn’ ick ... (Wolf Gauer)
Diplomatische Beziehungen zwischen Kuba und den USA! Zwischen einer kleinen Nation (11 Millionen Einwohner), die mittlerweile zwei Generationen sozialistisch erzogen und kostenlos ausgebildet hat, deren Lehrer und Ärzte in 40 Ländern tätig sind, und einer übermächtigen, kapitalgesteuerten Klassengesellschaft (318 Millionen Einwohner), die in 74 Ländern Krieg führt, weltweit nach neuesten Schätzungen rund 1100 Militärbasen unterhält und unseren Planeten als ihr rechtens zustehenden Zulieferer betrachtet.
Zuerst hatten wir uns in São Paulo richtig gefreut, mit den Kubanern in Brasilien, mit ganz Lateinamerika – ein guter Anfang. Dabei auch ein bißchen gegrübelt – »na ja, Obama will halt vor Ladenschluß noch rasch ins Geschichtsbuch« – und schließlich verhalten gezweifelt. Fidel war so unheimlich stumm geblieben und die Granma so offiziell ...
Aber bald fiel der Groschen: Schon am 23. Januar, am Tag nach der ersten Verhandlungsrunde, brach Roberta S. Jacobson, US-Ministerialdirektorin für die westliche Hemisphäre und Chefunterhändlerin, ihre Frühstücksbrötchen mit sieben kubanischen »Dissidenten«. US-Diplomatie vom Feinsten. Jacobson: »Wir meinen, daß wir Entscheidungen in unserem eigenen Interesse treffen müssen ..., Entscheidungen, die das kubanische Volk stärken« (Miami Herald, 23.1.14, Ü: W. G.). Was »stärken« auch immer heißen soll in einem Land, das 53 Jahre US-amerikanischer Nachstellungen und Attentate überstanden hat, dessen Kindersterblichkeit (4,2 von Tausend) weit unter derjenigen der USA (6,2) liegt, ganz zu schweigen von seinem überlegenen Erziehungswesen und der Tatsache, daß Kuba zum genannten Zeitpunkt schon 53 US-erkorene »Politische« entlassen beziehungsweise ausgetauscht hatte.
Beim stärkenden Frühstück fehlten etliche längst in die USA verpflanzte Hiwis für den künftigen Tropen-Maidan, unter anderem die weltweit ausgepfiffene Haßbloggerin Yoani Sánchez und die Redeminuten-Performatikerin Tania Bruguera. Sánchez darf ein 60.000-Dollar-Stipendium in Washingtons Georgetown University absitzen, dort, wo ehemals hochkarätige Friedensfreunde wie George Tenet (CIA), Edgar Hoover (FBI) oder der unschätzbare Henry Kissinger gepäppelt wurden. Entgegen US-amerikanischer Darstellung fehlten auch die medienwirksamen »Damen in Weiß«. Jacobsons Mitesserauswahl war ihnen angeblich nicht repräsentativ genug für die kubanische Dissidentenszene.
Yoani Sánchez hatte Obamas Ranschmiß schon im Dezember als »Sieg des Castrismus« bejammert (UOL Notícias, 17.12.14). Eher kurzsichtig für eine Berufsdissidentin, die nicht umsonst akademisch aufgemöbelt wird. Präsident Raúl Castro Ruz konstatierte beim dritten Gipfeltreffen der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC) in Costa Rica am 28. Januar allerdings weniger castristischen Sieg als eher schweres Wetter: »Wir werden uns nicht provozieren lassen, und wir werden auch keine Ratschläge oder Druck in Sachen unserer inneren Angelegenheiten akzeptieren.« Und ahnungsvoll: »Wie wird von nun an das Verhalten der US-Diplomaten in Havanna in bezug auf die Einhaltung der in der Internationalen Konvention für diplomatische und konsularische Beziehungen festgelegten Normen sein? ... Die Gegenseite sollte ihr Vorhaben aufgeben, mit der kubanischen Gesellschaft in Verbindung treten zu wollen, so als ob es dort keine souveräne Regierung gäbe.« (Granma, 29.1.15, Ü: W. G.)
Der CELAC-Gipfel bot neben dem Leitthema »Bekämpfung der Armut Lateinamerikas« die Chance zu gemeinsamer Kritik, und zwar unisono, an der fortdauernden Wirtschaftsblockade gegen Kuba, seinem Verbleib auf der Terrorismusliste und an der abgelehnten Schließung und Rückgabe der US-Folterkolonie Guantanamo. Auch Erfahrungen mit US-amerikanischer »Anhänglichkeit« wurden ausgetauscht.
Boliviens indigener Regierungschef Juan Evo Morales Ayma, der im Frühjahr hofierter Staatsgast bei Bundeskanzlerin Angela Merkel sein wird und den noch im Juli 2013 US-hörige EU-Chargen zu einer Notlandung in Wien mit anschließender Durchsuchung seiner Maschine durch US-Personal gezwungen hatten, versteht die Annäherung Washingtons nüchtern als »Antwort und Anerkennung, daß der Rest des Kontinents in die Karibikinsel investiert hat, da wollten sie [die USA] nicht draußen bleiben« (Swissinfo, 29.1.15, Ü: W. G.). Morales kennt die »Gegenseite« (wie sie Raúl Castro nennt). Nach seinem ersten Amtsantritt (2006) mußte er erst einmal eine Büroflucht im Präsidentenpalast räumen lassen, die eine Filiale der CIA beherbergt hatte. 2008 wies er den US-Botschafter Philipp Goldberg aus, der zusammen mit den »Entwicklungshelfern« von USAID und der bolivianischen Reaktion an einem Staatsstreich bastelte (vgl. Ossietzky 19/2008). Seither sind die USA in La Paz nur durch Geschäftsträger mit beschränkter Vollmacht vertreten. Und auch sie mußten in knapp sieben Jahren sechsmal abgelöst werden. Dennoch beklagt der äußerst populäre Präsident eine neuerliche, systematische CIA-Infiltrierung in seiner Partei.
Wer ist – und die Frage sei riskiert – besser dran? Kuba ohne diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu den USA und EU oder diejenigen Staaten, die sich eine US-Botschaft aufdrängen lassen und damit eine Zeitbombe unvorhersehbarer Brisanz? Ein Blick auf zwei wesentlich gewichtigere Länder mit diplomatischen Beziehungen – gewichtiger, soweit man von dem beispiellosen historischen, ideellen und emotionalen Vermächtnis Kubas absieht und lediglich wirtschafts- und geopolitische Aspekte in Betracht zieht – mag weiterhelfen:
Nach Hinweisen »benachbarter Regierungen« rief der Präsident Venezuelas, Nicolás Maduro Moros, am 1. Februar zu äußerster Wachsamkeit gegen einen drohenden Staatsstreich auf. Seit Hugo Chávez’ Amtsantritt (1999) ist das sozialistische Ölland Ziel aller schmutzigen Tricks der USA, Mordanschläge eingeschlossen, seit 20.12.14 leidet es unter den gleichen Sanktionen wie Rußland. Venezuelas politischer Alltag ist trotz erheblicher sozialer Fortschritte ein verzweifelter Kampf gegen außengesteuerte Opposition, Sabotage und Korruption und das resultierende wirtschaftliche Chaos. Die US-saudische Ölpreismanipulation trifft Rußland schwer, Venezuela möglicherweise tödlich. Daniel Ortega, Staatschef von Nikaragua erkennt da dasselbe US-amerikanische Drehbuch wie 1973 in Chile: zuerst der Wirtschaftsboykott, dann der Putsch.
Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner flog am 31. Januar überraschend nach China. Sie reagierte damit auf Versuche, ihren Staat mit einer zynischen Spekulationskampagne der Wallstreet-Piratentruppe AFTA (American Task Force Argentina) in die Insolvenz zu treiben, sowie auf juristische Anschläge des US-republikanischen Geierfonds-Magnaten Paul Singer, der Argentiniens Umschuldungsregelung kippen will. Die zweitwichtigste Volkswirtschaft Südamerikas soll dem US-Kapitalinteresse unterworfen werden. Dazu paßt eine mutmaßliche, medial unterstütze False-Flag-Aktion mit dem Ziel einer Farbenrevolution oder Maidanisierung: Der jüdische Staatsanwalt Alberto Nisman, Ankläger beim Attentat auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA (1994), wurde am 18. Januar erschossen aufgefunden und die Regierung Kirchner des Mordes und antisemitischer Komplizenschaft mit dem Iran und Rußland bezichtigt – Staaten, mit denen Argentinien trotz US-Mißfallens wirtschaftliche Beziehungen unterhält.
Kuba sehe sich vor. Uruguays pfiffiger Präsident José Mujica meinte zu Obamas Kuba-Offerte: »Wir haben nicht mal groß geguckt, wäre ja nicht gerade der Griff nach den Sternen ...« (Prensa Latina, 22.1.15, Ü: W. G.). Sein Minenspiel sagte mehr, nämlich »Dir Aas kenn’ ick!«
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