Montag, 5. November 2012

JAMES PETRAS UND SEINE EMPFEHLUNGEN AN HUGO CHÁVEZ

Eine aus marxistisch-leninistischer Sicht notwendige Kritik von Jens-Torsten Bohlke, Lateinamerikawissenschaftler Kommunisten-online am 3. November 2012 – Der nordamerikanische Soziologieprofessor James Petras legte auf seiner Homepage am 26. Oktober 2012 in Form des Essays „Sozialismus in einem Rentier-Staatswesen“ eine Einschätzung der Wiederwahl von Hugo Chávez in Venezuela vor. Zugleich erteilte der zweifellos politisch links stehende Intellektuelle, welcher schon wegen seiner entlarvenden Schriften über die „zionistische Finanzloge“ an Wallstreet und im Bilderberger Club über ein gewisses Ansehen verfügt, dem venezolanischen Präsidenten und Revolutionsführer Chávez oft recht merkwürdige und wissenschaftlich haltlose Ratschläge für die weitere gesellschaftliche Entwicklung Venezuelas im Rahmen der Bolivarischen Revolution und insbesondere bei dem, was Hugo Chávez als „sozialistischen Übergang“ bezeichnet und für seine nächsten Regierungsjahre auf die Tagesordnung des Landes gesetzt wissen will. DIE MERKWÜRDIGEN ANSICHTEN VON JAMES PETRAS James Petras geißelt die Wirtschaft, die Gesellschaft und selbst die Arbeiterklasse und die seiner Kategorisierung nach entweder „radikalen“ oder „gemäßigten“ Sozialisten Venezuelas als tiefgreifend geprägt vom Rentier-Dasein. Aus seiner Sicht ist diese Rentier-Prägung Venezuelas die Besonderheit, die er über alle anderen gesellschaftlichen Merkmale der kapitalistischen sozialökonomischen Verhältnisse Venezuelas stellt. James Petras versteigt sich sogar zu der irrsinnig zu nennenden Behauptung, dass es besonders kompliziert wäre, eine Rentier-Gesellschaft wie Venezuela in den Sozialismus zu überführen („sozialistischer Übergang“, wie es Hugo Chávez formuliert). 1. HAT KUBA ES LEICHTER BEIM SOZIALISTISCHEN AUFBAU ALS VENEZUELA? Warum bitte soll es von den inneren Bedingungen her leichter gewesen sein, beispielsweise im von der Monokultur Zuckerrohr geprägten Kuba seinerzeit die alte bürgerliche Ordnung zu zerschlagen und dort eine sozialistische Gesellschaft bzw. zumindest den Übergang zum Sozialismus zu schaffen? Kuba ist nie eine Rentier-Gesellschaft gewesen, oder vielleicht doch, durch das Zuckerrohr und die Abhängigkeit von den Zucker-Exporten? Jedenfalls hatten die kubanischen Revolutionäre nach dem Verstaatlichen der Zuckerwirtschaft bekanntlich keine großen Erlöse aus dem Zuckergeschäft zur Verfügung, sondern sie mussten sich der Wirtschafts- und Handelsblockade des weltweit agierenden Imperialismus mit den USA an der Spitze stellen. Kuba verfügte über Revolutionskader, jedoch nicht über Fachkräfte zur Leitung staatlicher und genossenschaftlicher Betriebe. Diese Fachkräfte mussten sich unter schwierigen Bedingungen selbst qualifizieren, oftmals nur durch „learning by doing“ bzw. Selbsterarbeitung von Wissen und Erkenntnissen für die Planung und Leitung von Produktionsprozessen, was immer noch nicht die sehr großen Defizite beim Bereitstellen von Ersatzteilen, Kühl-, Lager- und Transportkapazitäten usw. wettmachen konnte. Kein geringerer Revolutionär als Ernesto „Che“ Guevara war es, welcher mit der von ihm selbst praktizierten Einführung der kubanischen Subbotniks, der „Sonntage der freiwilligen unentgeltlichen Arbeitseinsätze“, die schöpferische Massenaktivität der Volksmassen in mehr Wirtschaftskraft zum Gedeihen der antiimperialistisch-demokratischen Revolution transformierte. Das Volk hatte den Sieg der kubanischen Revolution erkämpft, konnte hinterher nicht nur die Früchte dieses Sieges verzehren, sondern musste die revolutionären Errungenschaften verteidigen und zugleich durch bewusste schöpferische Massenaktivität festigen und mehren. Kubas Gesundheits- und Bildungswesen setzen seit mindestens 40 Jahren Maßstäbe, und zusehends nicht nur in Kuba. Darüber verliert Herr Professor James Petras kein Wort. Im Vergleich zu Kuba verfügt Venezuela über einen enormen Reichtum an auf dem Weltmarkt hoch begehrten Rohstoffen und Bodenschätzen. Kubas Zuckerexporte konnten vom Imperialismus schlagartig blockiert werden, weil Rohrzucker auch anderswo hinreichend produziert wird und auf dem Weltmarkt gekauft werden kann. Auch das Nickel Kubas als einziges nennenswertes Erzvorkommen konnte vom Imperialismus auf dem Weltmarkt blockiert werden. Kubas wirtschaftliche Verluste durch die imperialistische Handels- und Wirtschaftsblockade sind riesig. Dies hat seit 1960 unvermeidlich schwerwiegende Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung Kubas mit Waren des täglichen Bedarfes und Konsumgütern, was wiederum vom Imperialismus im Rahmen seiner Destabilisierungsbestrebungen gegenüber Kuba gerne gesehen und gefördert wird. Die kubanische Revolutionsführung musste einen gewaltigen Aderlass an bürgerlichen Fachkräften wie Ärzten und Ingenieuren verkraften, die sich bekanntlich vor allem Richtung USA nach Miami zu Beginn der 1960er Jahre massenhaft absetzten und von dort politisch konterrevolutionär organisiert wurden und nicht selten aktiv gegen die kubanische Revolution agierten. Die UDSSR leistete Kuba vom Sieg der Revolutionäre an den dort am dringendsten benötigten Beistand. Kuba erhielt von den sozialistischen Ländern mit der UDSSR an der Spitze den Brenn- und Kraftstoff Erdöl, Maschinen für seine Industrie und Landwirtschaft, Ausbildungskapazitäten für Fachkräfte, Waffen für die Landesverteidigung und weitere umfangreiche materielle und ideelle Hilfe. Der revolutionäre Demokrat Fidel Castro bekannte sich unter dem Eindruck dieser großartigen Hilfeleistung durch insbesondere die UDSSR als Anhänger des Kommunismus. Was nicht hieß, dass in Moskau die Drehbuchautoren für eine ferngesteuerte Entwicklung Kubas zum Sozialismus saßen. Jedoch machten sich die kubanischen Revolutionäre und Kommunisten die an der Parteihochschule in Moskau gelehrten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Anwendung der marxistisch-leninistischen Revolutions- und Staatstheorie in der UDSSR zu eigen und befähigten sich dadurch, den Marxismus-Leninismus schöpferisch auf die Bedingungen Kubas für den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft dort anzuwenden. James Petras blendet all dies schlicht aus. Er versteigt sich dazu, Hugo Chávez abzuraten, auf die Lehrbücher der einstigen UDSSR zurückzugreifen. Eine nähere Begründung für diesen Rat gibt er nicht, jedoch nennt er bezeichnenderweise die „Handbücher aus der Sowjetunion“ in einem Atemzug äh Satz mit den „Handbüchern des Neoliberalismus“, was schon an die Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus durch die verlogene imperialistische Totalitarismusdoktrin erinnert und einen Angriff auf das Herzstück einer sozialistischen Revolution darstellt. James Petras überbetont die Besonderheit, dass Venezuela nun mal zu den weltweit größten Erdölexporteuren gehört und die Regierung Chávez nach erfolgreicher Verstaatlichung der Erdölwirtschaft bei der Führung radikaldemokratischer antiimperialistisch-demokratischer Prozesse keinesfalls mit leeren Dollarkonten dasteht, sondern auf die Erlöse aus dem Erdölgeschäft rechnen kann. Dies erleichtert der Regierung Chávez die Finanzierung der umfangreichen staatlichen Sozialprogramme zugunsten der armen und bildungsschwachen Volksmassen, führte jedoch auch zu von James Petras in seinem og. Artikel ausgeblendeten Investitionen der Abteilung 1, der Produktion, zum Beispiel in Gestalt der mit Hilfe Irans gebauten und jetzt florierend produzierenden Fahrzeugwerke, der Kalaschnikow-Fabriken, der für den Wohnungsbau neu errichteten Großbetriebe usw. Warum blendet James Petras diese wirtschaftlichen Errungenschaften der antiimperialistisch-demokratischen Revolutionäre Venezuelas aus? Was bezweckt James Petras mit der verabsolutierenden Versteifung auf seine Lieblingsvokabel bezüglich Venezuela heute, den „Rentier“? -2- DIE UDSSR FUSSTE AUF LENIN UND STALIN, NICHT AUF TROTZKI Darauf gibt es eine klare Antwort, die er in seinem Essay auch selbst gibt. Er fordert von Chávez in trotzkistisch anmutender Manier die „Revolution in der Revolution“, eine Räterepublik, mit unausgesprochener ideologischer Anleihe bei J. B. Tito in Jugoslawiens „Sozialismus“. Hat er sich jemals mit der Räterepublik zu Lenins Zeiten namens Sowjetrussland dahingehend beschäftigt, dass er auch die Ursachen für das immer wieder auch harte Scheitern bzw. letztlich die Grenzen des Rätekonzepts mitbekam? Lenin war ein starker Verfechter der Räterepublik, denn schließlich bildeten die Arbeiter- und Soldatenräte die Zellen der organisiert sich für den revolutionären Sturz des Zarenregimes und später der bürgerlichen Kerenski-Regierung erhebenden Volksmassen. In jeder Fabrik, in jedem Wohnviertel, in jedem Dorf, in jedem Regiment, in jedem Gebiet usw. sollten Räte aus gewählten Deputierten als neue Machtorgane anstelle des alten bürgerlichen Staatsapparates, welcher durch die revolutionäre Bewegung letztlich zerschlagen wurde, die Macht vor Ort und alle leitenden Funktionen ausüben. Bei Trotzkisten wird dieses Rätekonzept bis heute als Ideal einer sozialistischen Gesellschaftsordnung verabsolutiert. Doch stellte sich in Sowjetrussland sehr rasch heraus, dass die institutionalisierten Räte in ihrem bürgerlich-demokratischen Wesen nicht mit den spontan von Aufständischen und militanten Interessenvertretern der Arbeiter und Soldaten sich bildenden Räten des Jahres 1917 gleichgesetzt werden konnten, was ihre ideologische Qualität anging. Im Klartext: Um 1922 drohten kleinbürgerlich-opportunistische Kräfte Oberhand durch ihre Wahlfunktionen in den Räten zu gewinnen, begannen an vielen Stellen die vorhandenen Räte das Tempo der revolutionären Veränderungen auf dem Weg von der Zerschlagung des bürgerlichen Staates hin zum Aufbau des revolutionären proletarischen Staates zu verlangsamen und zu bremsen, wurden etliche Räte immer häufiger zu Hindernissen für den erfolgreichen Fortgang der proletarischen Revolution mit ihrer Zielsetzung, dem Aufbau eines sozialistischen Sowjetrusslands bzw. letztlich der UDSSR, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Lenin erkannte dies sehr wohl und ließ nicht zu, dass anstelle der Diktatur des Proletariats als Grundlage der sozialistischen Gesellschaft ein sich verbürgerlichender Rätestaat entstand. Lenin schaffte die Räte nicht ab, sondern er festigte und stärkte die führende Rolle der kommunistischen Partei, der Bolschewiki, in und gegenüber den Räten. Später setzte J. W. Stalin konsequent diese Politik Lenins fort. Aus dem verheerenden Erbe des rückständigen und völlig kriegszerrütteten zaristischen bäuerlich geprägten Russlands wurde unter Führung der kommunistischen Partei mit Lenin und Stalin an der Spitze die Weltmacht UDSSR, welche 1950 vor dem Tod Stalins das strategische Kräftegleichgewicht zwischen dem sozialistischen Weltsystem und dem kapitalistischen Weltsystem hergestellt hatte. Lenin hinterließ eine proletarisch geführte sozialistische Revolution in einem territorial riesengroßen Sowjetrussland, die etwas wert war, weil sie sich zu verteidigen verstand und sich gegen die imperialistischen Räuber auch militärisch in den auf den 1. Weltkrieg bis 1922 folgenden Interventionskriegen behauptete. In den von Stalins Führung geprägten nahezu drei Jahrzehnten schufen die Völker der UDSSR auf der Grundlage reicher Vorkommen an Bodenschätzen eine gigantische staatliche Schwerindustrie sowie eine von Kolchosen (Genossenschaften) und Sowchosen (Staatsgütern) geprägte Landwirtschaft. Die Volkswirtschaft der UDSSR war eine auf die sozialistischen Eigentumsformen des genossenschaftlichen und staatlichen Eigentums an den Produktionsmitteln gegründete Volkswirtschaft. Im Unterschied zu den trotzkistischen Vorstellungen einer „relativen Selbständigkeit der produzierenden Betriebe“, wie James Petras es nachäfft und in Jugoslawien praktiziert wurde, setzten die Kommunisten Sowjetrusslands und später der UDSSR Lenins Lehren von der unabdingbaren Notwendigkeit der zentralen landesweiten Planwirtschaft für den erfolgreichen Aufbau der sozialistischen Wirtschaft um. Dies geschah unter den Bedingungen härtesten Klassenkampfes im Weltmaßstab wie auch innerhalb des Landes. Die Geschichte beweist, dass die schöpferische Anwendung des Marxismus-Leninismus in der UDSSR richtig war, denn anders hätte sich aus dem Erbe des zaristischen Russlands niemals das sozialistische Weltsystem entwickeln können. -3- DER SOZIALISMUS IST AN KEIN JAHRHUNDERT GEBUNDEN Bürgerliche Kritiker der sozialistischen Gesellschaft, wie sie in der UDSSR und DDR bestand, machen es sich gerne aus einem Wolkenkuckucksheim heraus zu einem leichten Spiel, auf etliche Mängel und Schwächen der bisherigen sozialistischen Gesellschaften zu zeigen. Sind deswegen nun diese bürgerlichen Kritiker frei von Fehlern und Schwächen? Ist die Bourgeoisie oder die bürgerliche Gesellschaft frei von Fehlern und Schwächen? Hat es jemals eine bürgerliche oder proletarische Revolution gegeben, welche frei war von Fehlern und Schwächen? Nicht, dass wir Kommunisten Fehler und Schwächen als gottgegebene immerwährende Tatsachen einfach hinnehmen würden. Wir setzen uns sehr wohl damit auseinander, auch die einstigen sozialistischen Gesellschaften in der UDSSR und DDR waren keinesfalls frei von harten inneren Auseinandersetzungen. Bertolt Brecht ist zuzustimmen: „Sozialismus ist das Einfache, was schwer zu machen ist.“ Denn es reicht nicht, wie beispielsweise von einigen Kommunisten in der DDR versucht, einfach nur die UDSSR zu kopieren, dortiges auf hiesiges schematisch unter Missachtung der vorhandenen Bedingungen zu übertragen. Ebenso falsch ist jedoch, James Petras zu folgen und den reichen Erfahrungsschatz der kommunistischen Bewegung auszublenden, um einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ neu zu erfinden oder anzupreisen, wie es u.a. den Trotzkisten, aber auch James Petras vorschwebt. Ist Petras ein Trotzkist? Zumindest lehnt er sich deutlich an trotzkistische ach so revolutionär klingende Phrasen an. Jeglicher Antisowjetismus und Antikommunismus sind unvereinbar mit Sozialismus, mit der Diktatur des Proletariats und dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, die im Interesse der Arbeiterklasse und letztlich des gesamten Volkes in einem historischen Zeitraum zum Kommunismus, zur klassenlosen Gesellschaft, wo die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafft ist, führt, und die an kein Jahrhundert wie beim trotzkistischen Schlagwort „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ gebunden ist. Es ist schon eine merkwürdige Ansicht des James Petras, wenn er die „relative Selbständigkeit der Betriebe im Sozialismus“ propagiert. War denn jegliche Selbständigkeit beispielsweise in den volkseigenen Betrieben der DDR, den großen staatlichen Kombinaten, aufgehoben? Keinesfalls. Es gab den sozialistischen Wettbewerb, den täglichen Appell an die Arbeiter zur Höchstleistung unter der Losung „Mein Arbeitsplatz ist mein Kampfplatz für Frieden und Sozialismus“. Es gab gute und schlechte Arbeiter, gute und schlechte Brigadiere, Abteilungs- und Betriebsleiter. Es gab in den 1950er Jahren gewaltige Kaderprobleme in den sozialistischen Staatsbetrieben, die sozialistische Revolution in der DDR war zu ihrem Beginn ab 1952 schwierig, komplex, teils fehlerhaft und zugleich erfolgreich. Fehler wie Gleichmacherei, die „Rinderoffenställe“ und die Maiskampagne verschweigt niemand von uns Kommunisten, sie taten uns weh und erzwangen rasch Einsichten und Korrekturen, beendeten aber nicht den revolutionären Kampf für die bessere und den Frieden sowie das Wohl des Volkes sichernde Gesellschaft namens Sozialismus. Es gab auch Fehler beim Praktizieren des demokratischen Zentralismus, der Beschlussfassung in Form von erst breiter Volksaussprache und anschließend bestmöglicher Umsetzung des Volkswillens durch Direktiven seitens der Leitungs- und Führungsgremien. Aber dies macht aus dem Prinzip des demokratischen Zentralismus, wie es Bestandteil des Statuts der kommunistischen Partei leninschen Typus ist, keinen Fehler. Keine gesellschaftliche Entwicklung erfolgt harmonisch und frei von Widersprüchen, solange es Klassen und Klassengesellschaften geben wird. Widersprüche sind die Triebkraft der Entwicklung, so lehren es uns die Klassiker des Marxismus-Leninismus. Als handelnde Subjekte, nicht als geknechtete und getretene Objekte, stellen wir uns diesen Widersprüchen, wir analysieren sie und alle Faktoren der uns umgebenden gesellschaftlichen Realität und leiten daraus unsere Strategie und Taktik in der kommunistischen Partei ab, die die revolutionäre Avantgarde des Proletariats, der Arbeiterklasse, ist. Wer die Dialektik der Widersprüche, wie sie von den Klassikern des Marxismus-Leninismus entdeckt und gelehrt wird, nicht begreift, negiert die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung und verfügt über kein wissenschaftlich begründetes Konzept für den gesellschaftlichen Fortschritt. -4- DIE MERKWÜRDIGE ANSICHT VON DER RENTIER-MENTALITÄT DER ARBEITERKLASSE IN VENEZUELA Hugo Chávez verharrt derzeit in den Grenzen der bürgerlich-demokratischen Verhältnisse. Er spricht von Sozialismus, er macht Sozialismus zu einem populären Begriff im Volk, wo Sozialismus zumindest mit besserem Leben, Zugang für alle zu Bildung und gesundheitlicher Betreuung, gesicherter Zukunft assoziiert wird. James Petras prangert das ökonomistische Massenbewusstsein der Arbeiterklasse Venezuelas an. Niemand könnte seriös bestreiten, dass es dieses ökonomistische Massenbewusstsein gibt. Wir Marxisten-Leninisten jedoch bestreiten vehement, dass ökonomistisches Massenbewusstsein etwas mit Rentier-Mentalität zu tun hat, wie es James Petras unterstellt. Ein Rentier ist ein Kapitalist, der von den Zinsen seines Kapitals lebt und nicht produktiv für seinen Lebensunterhalt arbeitet. Ein Arbeiter auch in Venezuela arbeitet seine Arbeitszeit lang gegen Lohn und bestreitet mit dem erarbeiteten Lohn seinen Lebensunterhalt. Dies ist geradezu eine Binsenweisheit, die Kommunisten wie wir ohne Professorentitel nun einem Professor James Petras und seiner merkwürdigen Ansicht von der Rentier-Mentalität der Arbeiterklasse Venezuelas entgegenstellen. Auf welchem Planet lebt James Petras, wenn er den Arbeitern Venezuelas diese Rentier-Mentalität vorwirft? Als Professor für Soziologie dürfte er wissen oder leicht das Wissen erlangen können, dass in den letzten 50 Jahren des 20. Jahrhunderts viele arme Bauern in Venezuela von den Großgrundbesitzern gelegt wurden und der halbfeudalen Knechtschaft nur dadurch entrannen, dass sie in die nach Arbeitskräften dürstenden Erdölfelder abwanderten, wo sie als Lohnarbeiter zumindest ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten und nicht weiterhin nur subsistierten, in bitterster Armut überlebten. Diese Arbeiterklasse Venezuelas heute ist also eine recht junge und nicht in Generationen gereifte und von einem hohen Organisationsgrad in den Gewerkschaften durch langjährige gewerkschaftliche Kämpfe geprägte Arbeiterklasse. Das verbreitete Massenbewusstsein der Arbeiterklasse in Venezuela ist zweifellos ökonomistisch geprägt, denn es ging in den gewerkschaftlich geführten Kämpfen dort stets um Lohn, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzerhaltung. Dies ist keinesfalls ungewöhnlich und auch keine Besonderheit Venezuelas, sondern Realität in vielen kapitalistischen Ländern heute. Es hat absolut nichts mit Rentier-Mentalität des Kapitalisten zu tun. Auch James Petras dürfte nicht entgangen sein, dass nirgendwo eine Revolution von einer Gewerkschaft geführt worden ist. An der Spitze proletarischer Revolutionen standen vor allem Kommunisten. In revolutionären Situationen kam es stets auch zum raschen Anstieg der gesellschaftlichen Massenaktivität, laut Lenin eines der drei Merkmale einer revolutionären Situation. Der politische Generalstreik gehört sehr wohl zu den Bestandteilen gesellschaftlicher Massenaktivität auf dem Siedepunkt, so mancher Diktator bekam dies eindrucksvoll bei seinem revolutionären Sturz zu spüren. Dass aber eine Gewerkschaft die Revolutionsführung bildet, ist historisch nicht bewiesen und daher unzutreffend. Gewerkschaften organisieren die Arbeiterklasse und unterscheiden sich von der politischen Ausrichtung her beträchtlich, denn sie können unter opportunistischer Führung oder anarchistischer Führung oder unter revolutionär-demokratischer oder gar kommunistischer Führung stehen. An die Spitze der proletarischen Revolution gehört jedoch die kommunistische Partei und keine Gewerkschaft. Nur die kommunistische Partei mit ihrem Jugendverband und ihren Basisorganisationen kann der Arbeiterklasse die notwendigen revolutionären und wissenschaftlichen Bewusstseinsinhalte vermitteln, die es der organisierten Arbeiterklasse im Bündnis mit allen antiimperialistisch-demokratischen Kräften ermöglichen, in einer objektiv vorhandenen revolutionären Situation die politische Macht in einem Land zu erkämpfen. In Venezuela liegt die politische Macht nicht in den Händen der Arbeiterklasse, auch wenn die kommunistische Partei den PSUV-Vorsitzenden Hugo Chávez bei der Vertiefung der antiimperialistisch-demokratischen Bolivarischen Revolution unterstützt. Dass in Venezuela der Sozialismus als Gesellschaftsordnung besteht, behauptet kein Kommunist. Und wenn Hugo Chávez von „sozialistischem Übergang“ auf der Tagesordnung seiner jetzt begonnenen Amtszeit als Präsident spricht, dann dürfte die KP Venezuelas sehr intensiv analysieren, was Genosse Chávez wohl konkret meint. Und wir Marxisten-Leninisten orientieren uns gleichfalls an den Taten, nicht an den Worten von Hugo Chávez. Wie die Beschlüsse und Verlautbarungen der KP Venezuelas im letzten Jahrzehnt eindrucksvoll beweisen, hat die Parteispitze für alle Kommunisten die Tätigkeit innerhalb der Arbeiterklasse zum zentralen Schwerpunkt der politischen revolutionären Massenarbeit der Partei erklärt. Die venezolanischen Kommunisten sind sich der Schwäche und Zurückgebliebenheit des subjektiven Faktors der Revolution, des Massenbewusstseins eines Großteils der Arbeiterklasse Venezuelas, sehr wohl bewusst. Zugleich zog die KP Venezuelas daraus stets die richtige Schlussfolgerung, alles in ihren Kräften Stehende zu unternehmen, um diese Tatsache zu verändern und der Arbeiterklasse Venezuelas zum Schritt von der „Klasse an sich“ zur „Klasse für sich“ zu verhelfen. So baute die KP Venezuelas maßgeblich die klassenkämpferische Gewerkschaftskomponente des heutigen Venezuelas auf und setzt die Partei sich immer wieder auch sehr selbstkritisch mit ihrer politischen revolutionären Massenarbeit innerhalb der Arbeiterklasse auseinander. Wie das Ergebnis der Wahl im Oktober 2012 auch zeigt, bestätigt der Erfolg der KP Venezuelas die Richtigkeit ihrer Politik. Was andererseits nicht bedeutet, dass die Arbeiterklasse Venezuelas den höchst notwendigen Qualitätssprung vom ökonomistischen Bewusstsein zum Klassenbewusstsein bereits in ausreichendem Maß geschafft hat. James Petras verschließt vor all dem die Augen. Er kennt den Marxismus-Leninismus, steht ihm aber weit distanziert bis ablehnend gegenüber, was die Anwendung seiner wissenschaftlichen Lehren und Erkenntnisse auf den gesellschaftlichen Umgestaltungsprozess in Venezuela angeht. Er erwähnt die KP Venezuelas, laut ihrem Vorsitzenden Jerónomo Carrera „ein Kind Lenins“, mit keinem Wort, auch wenn er Lenin mal am Rande gerne zitiert. Mehr noch, auf alles, was aus dem „Sowjetblock“ stammt, sollte Hugo Chávez beim Übergang zu einem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ doch bitte bloß nicht zurückgreifen ...es könnte offenkundig auch Stalin drinstecken und eine Sowjetunion als sozialistische Weltmacht, und dies will offenbar kein James Petras haben! -5- MERKWÜRDIGE ANSICHTEN AUCH ZUR BEDEUTUNG DER ROLLE KUBAS In Kuba entwickelte sich das Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse und im Volke bereits durch die blutigen Auseinandersetzungen mit dem Batista-Regime und später die gescheiterte konterrevolutionäre Invasion in der Schweinebucht, wo sich jeweils deutlich zeigte, wer Freund und wer Feind der kubanischen Arbeiterklasse und des kubanischen Volkes ist. Venezuelas Arbeiterklasse und Volk musste die antiimperialistisch-demokratische Bolivarische Revolution bisher nicht gegen eine konterrevolutionäre militärische Invasion von außen etwa durch US-Söldner oder von ihnen gestützte Banden verteidigen, sondern ähnlich der DDR in den 1950er Jahren „melkt“ der US-Imperialismus mit seinem zionistischen Bruder Israel per Wirtschaftskrieg und Diversion die venezolanische Volkswirtschaft. So werden dort illegal geförderte Rohstoffe wie Gold außer Landes geschmuggelt, blüht eine Schattenwirtschaft voller illegaler Geldwäsche und hochprofitablen Schmuggelgeschäften, wird die Korruption ständig angeheizt. Auch aus dem ökonomistisch geprägten Teil des arbeitenden Volkes werden sich so einige an diesen einträglichen kriminellen Machenschaften beteiligen, die von CIA und Mossad, gestützt auf die Basis der inneren Konterrevolution, in Venezuela ständig forciert werden. Präsident Chávez agiert dagegen mit Armee und Geheimdienst, ohne diese Erscheinungen des imperialistischen Wirtschaftskriegs gegen Venezuela damit endgültig beseitigen zu können. Die DDR setzte dem gegen sie mit teils ähnlichen Mitteln geführten imperialistischen Wirtschaftskrieg dadurch ein Ende, dass die Staatsgrenze an der Nahtstelle der damaligen beiden Weltsysteme militärisch geschlossen und gesichert wurde (Bau der „Mauer“ am 13. August 1961). Dabei ging es der DDR vor allem um die Verhinderung des weiteren wirtschaftlichen Ausblutens durch die immer massenhafter gewordene Abwerbung von Fachkräften („brain drain“). Die Grenzschließung erfolgte jedoch erst in einem Moment, in welchem der Imperialismus NATO-Truppen an der Grenze zur DDR zusammenzog und eine akute Weltkriegsgefahr sich anbahnte, denn beiderseits der Nahtstelle der beiden Weltsysteme standen sich auch die atomar hochgerüsteten Armeen der USA und der UDSSR gegenüber. Stärkster und wichtigster Verbündeter der DDR war die UDSSR, stärkster und wichtigster Verbündeter der Regierung Chávez in Venezuela ist das revolutionär-demokratische und sozialistische Kuba. James Petras vermeidet es, die umfangreiche Unterstützung Kubas für die Bolivarische Revolution zu würdigen. Er verliert kein Wort über die große Zahl kubanischer Ärzte und Fachkräfte in Venezuela und will somit die Rolle und Bedeutung Kubas als bester Verbündeter der antiimperialistisch-demokratischen Bewegung Venezuelas mit Hugo Chávez an der Spitze herunterspielen, möglicherweise bei Hugo Chávez bestehende Vorurteile gegenüber Kuba und dessen revolutionären Umgestaltungen bewusst verfestigen. Dies hilft Hugo Chávez nicht, dies könnte ihn höchstens schwächen. James Petras ist kein Kommunist, kein Marxist-Leninist. Auch wenn er mal eine Anleihe bei Lenin und dann wieder mehrere bei Trotzki aufgreift, so ist er ideologisch irgendwo zwischen radikalem Demokratismus und revolutionärem Demokratismus im kleinbürgerlichen Spektrum angesiedelt, was ihm keinesfalls abspricht, ein konsequenter Antiimperialist und entschiedener Gegner des Finanzkapitals zu sein. Als Revolutionstheoretiker für die sozialistische Revolution oder Staatstheoretiker für den sozialistischen Staat ist er aus marxistisch-leninistischer Sicht nicht zu gebrauchen, sondern kontraproduktiv. James Petras ist ein linker nordamerikanischer Intellektueller, mit offenbar keiner bis wenig Verbindung zur Arbeiterklasse. Jemand im Elfenbeinturm, wie die Klassiker des Marxismus-Leninismus die bürgerlichen Gelehrten zuweilen spöttisch charakterisierten. Einen Teil an Fakten berücksichtigt James Petras, einen anderen für das Thema ebenso notwendigen Teil an Fakten berücksichtigt er allerdings nicht, weshalb seine Ansichten doch merkwürdig und verkorkst, wenn auch nicht in jedem Fall falsch sind.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen