Mittwoch, 28. August 2019

Der Umgang mit dem "Raubtier" hat in Sachsen und Brandenburg politische Brisanz

Die Wähler und der Wolf

Auf den ersten Blick zeigen die Bilder: Idylle. Ein Fluss, von Bäumen gesäumt; ein See, hinter dem Dampftürme eines Kraftwerks in den Himmel steigen. Doch die Fotografien, die Hannes Jung in der Ausstellung »Die Anderen sind Wir« im Dieselkraftwerk Cottbus zeigt, haben einen unsichtbaren Protagonisten: Den Wolf. An den Orten, die der Berliner Künstler zeigt, wurden Wölfe gesichtet, haben getötet oder kamen selbst ums Leben. »The wolf is present«, hat Jung seine Bilderserie genannt: »Der Wolf ist da«. Ein Satz, der nüchterner kaum klingen könnte, aber Sprengstoff enthält – gerade im Wahlkampf.
In Deutschland gibt es derzeit 73 Wolfsrudel, dazu fünf Paare und zehn Einzeltiere. Das teilt die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf mit. Auf ihrer Internetseite zeigt eine Karte, wo die Rudel ansässig sind. Allein in Brandenburg sind es 17, meist im Süden; in Sachsen 18, vorwiegend im Osten. Bemerkenswert daran ist: Die Dichte der Punkte korreliert stark mit Wahlergebnissen der AfD.
Derzeit ist es in Sachsen die FDP, die mit dem Wolf Wahlkampf betreibt: »Naturschutz – so nicht«, steht überall in der Lausitz auf Plakaten, von denen fellumrahmte Augen blicken. Großstädter mögen das Thema für abseitig halten – jedenfalls für deutlich weniger relevant als Bildung, gut bezahlte Arbeit oder Schutz vor Einbrechern. In den Dörfern aber ist das Erregungspotenzial gewaltig – so gewaltig, dass der Görlitzer CDU-Landrat Bernd Lange prophezeite: »Der Wolf entscheidet die Wahl«.

Rational ist das nur schwer zu erklären. Seit dem Abschuss eines Tieres im Jahr 1904 in der Lausitz, das »Tiger von Sabrodt« genannt wurde, hatte der Wolf als in Deutschland ausgerottet gegolten. Doch vor 20 Jahren kehrte er zurück – anfangs auf Truppenübungsplätze, dann in weitere Reviere. Ein Übergriff auf Menschen wurde seither nicht bekannt. Sicher: Schäfern bereitet der Wolf Sorgen. 2018 wurden in Sachsen 240 Tiere gerissen. Das mutet nicht viel an im Vergleich zur Zahl von allein 67 000 Schafen, die in Betrieben mit über 20 Tieren gehalten werden. Aber der zusätzliche Arbeitsaufwand zum Schutz der Herden belastet die ohnehin darbende Branche stark. Zudem sei, wie ein Bauernvertreter sagte, zwar der wirtschaftliche Schaden nicht dramatisch, der psychologische »und politische« aber um so größer.
Dazu kommt, was Hannes Jung bei seinen Recherchen für das Cottbusser Ausstellungsprojekt beobachtete. Er war in Dörfern in der Lausitz und Prignitz unterwegs, besuchte Mahnfeuer, wie sie beispielsweise die »Blaue Partei« von Ex-AfD-Chefin Frauke Petry veranstaltet, und stellte dort fest, dass der Wolf längst nicht nur Schäfer in Rage versetzt: »Viele, die auf das Thema einsteigen, haben nicht direkt mit dem Wolf zu tun.« Das belegt auch der Zuspruch für eine Petition an den sächsischen Landtag, mit der Anfang 2018 eine Bürgerinitiative aus der Region nördlich von Bautzen die »Begrenzung der Wolfspopulation« forderte. Sie fand 18 590 Unterstützer.
Manchen von diesen mögen Erlebnisse verstören, wie sie der Initiator Georg Lebsa, ein Zahnarzt aus Neschwitz, schildert: Wölfe, die man »während des Frühstücks vom Zaun verscheuchen« müsse und die dafür sorgten, dass Pilzesuchen im Wald als »Sicherheits-Panik-Risiko« empfunden werde. Dass die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Petition lapidar feststellt, man könne »alle bekannten Freizeitaktivitäten auch weiterhin durchführen«, lässt Lebsa von »realitätsfernen Politikern« sprechen.
Dabei zeigt sich ein Problem, das auch bei Handtaschendiebstahl oder Autoklau im Grenzgebiet zutrifft: Statistiken decken sich nicht unbedingt mit dem, was Bürger fühlen – im konkreten Fall: die »Landbevölkerung«, die Lebsa einem unzumutbaren »Alltagsrisiko« ausgesetzt sieht.
Die Formulierung ist aufschlussreich. Denn auch Hannes Jung hat bei seinen Recherchen den Eindruck gewonnen, dass es im erbitterten Streit über den Wolf um viel mehr geht: um Konflikte zwischen Stadt und Land, zwischen Naturschützern und Politikern und jenen, die in der Provinz mit den Folgen deren Entscheidungen leben müssen. Wenn der Wolf im Wald bliebe, sagt Jung, »würde er niemanden interessieren«. Wenn er in Städten auftauchte, »würde er abgeschossen«. Noch aber lebt er »nur« in abgelegenen Regionen wie der Lausitz; ihn zu jagen ist strikt untersagt. Die Population sei »stark gefährdet«, begründet Sachsens Regierung. Lebsa erwidert, so werde eine 150 Jahre gewachsene Kulturlandschaft zerstört: »Dieser Zustand ist unnatürlich.«
Freilich: Die so beschworene Kulturlandschaft erfährt auch andere Bedrohungen; durch industrielle Landwirtschaft, Klimawandel, die globalisierte Wirtschaft. Schaffleisch etwa, das heute in der Lausitz verkauft wird, kommt oft aus Neuseeland. Die Globalisierung aber ist ein Gegner, der viel diffuser und schwerer zu greifen ist als jene Vierbeiner, die über offene Grenzen zugewandert sind, jetzt nachts im Wald hinter dem Dorf heulen und über die ausgerechnet die in Sachsens Provinz eher ungeliebten Grünen ihre Hand halten.
Hannes Jung hält übrigens andere Tiere für bedrohlicher: Zecken. Er fing sich bei der Recherche eine Borreliose ein. Zecken aber taugen nicht als Stoff für Politik und Wahlkampf.
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