Freitag, 30. August 2019

Polizei und Justiz in Chemnitz haben die Messerattacke auf den Deutsch-Kubaner Daniel H. noch längst nicht aufgeklärt

Fragwürdiges Urteil

Am vorigen Donnerstag wurde in Dresden der syrische Bürgerkriegsflüchtling Alaa S. (24) wegen »gemeinschaftlichen Totschlags und schwerer Körperverletzung« zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Weil er laut Anklage in der Nacht zum 24. August 2018 am Rande des Chemnitzer Stadtfests den Deutsch-Kubaner Daniel H. (35) mit drei Messerstichen getötet habe. Der Angeklagte bestreitet das. Objektive Beweise für seine Schuld gibt es nicht. Das Gericht stützt sein Urteil entscheidend auf die Aussage eines Augenzeugen, die dieser aber im Prozess selbst als missverstanden oder falsch übersetzt bestritten hat.
Wie ist das möglich, wird sich jeder fragen, dem die politische Brisanz dieser Straftat bewusst ist. Nicht nur Prozess und Urteil gegen Alaa S. sind fragwürdig, mehr noch die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft nach der Bluttat. Auf brisante Fragen gibt es bislang öffentlich keine, unbefriedigende oder unglaubwürdige Antworten: Warum fand der Prozess nicht in Chemnitz, dem Tatort, sondern in einem Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden statt? Aus Sicherheitsgründen, hieß es lakonisch. Gab es Gefahren für die Beteiligten? Vermutlich hatten Justiz und Politik vor Protesten, von wem auch immer, im Saal oder vorm Gerichtsgebäude Angst. Warum stand nur ein Angeklagter vor Gericht, obwohl »gemeinsamer Totschlag« angeklagt war? Es gibt einen zweiten »Tatverdächtigen«, Farhad A., (22) der laut Zeugen äußerst aggressiv war und Daniel H. angegriffen habe. Ihm wird auch die fremde DNA auf dem Messer sowie dem Körper und der Kleidung des Opfers zugeordnet. Doch als die Polizei acht Tage nach der Tat die Fahndung begann, hatte der sich nach Irak abgesetzt und tauchte nicht wieder auf.
Hat deshalb der Prozess erst so spät begonnen? Möglich, dass man hoffte, auch Farhad A. im selben Verfahren anzuklagen. Aber offenbar fehlte es vor allem an einer tragfähigen Anklage. Denn im Unterschied zum flüchtigen A. fand sich vom nun verurteilten Alaa S. keine DNA an Opfer oder Tatwaffe. Auch keiner der Freunde des Getöteten, die ihn bei der gewalttätigen Auseinandersetzung umringten, ist sich sicher, dass sie dabei Alaa S. zustechen gesehen haben.
Allein der Koch eines 56 Meter vom Tatort entfernten Döner-Restaurants, Younis Al-N. (30), hat laut Protokoll ausgesagt, er habe gesehen, wie der Syrer das Opfer mit der linken Hand am Hals gepackt und mit der rechten auf ihn mit Armbewegungen eingewirkt habe, wie man sie nur macht, wenn man mit einem Messer zusticht. Schon im Dezember 2018 dementierte er vorm Untersuchungsrichter diese Aussage. Er sei falsch verstanden worden. Er habe nur Schläge gesehen. Und im Prozess bestritt er auch, dass er den Angeklagten und den flüchtigen Verdächtigen mit blutigen Händen weglaufen sah. Er sei »falsch übersetzt« worden.
Prozessbeobachter bezweifeln, ob man aus über 50 Metern Entfernung bei schlechtem Licht in einem Menschengewühl solch detaillierte Beobachtungen machen kann. Der »Ortstermin« fand an einem abgesperrtem Tatort statt, der außer fünf Polizeischülern menschenleer war.
In ihrer Urteilsbegründung sprach die Vorsitzende Richterin Simone Herberger den protokollierten Aussagen des verängstigten Kochs dennoch »Glaubwürdigkeit« zu. Sie ergäben zusammen mit den Berichten weiterer Zeugen ein »eindeutiges Bild«. Etwa dem jenes Polizisten, der erzählte, der Angeklagte sei mit Blut an Händen, Gesicht und Kleidung festgenommen worden, und dem auf die Frage, warum das nicht im Protokoll steht, nur einfiel, das habe man wohl vergessen? Auch die DNA der Blutspuren blieb ungesichert. Was soll man davon halten, wenn das Gericht Polizeiprotokollen mehr glaubt als der Aussage des »Kronzeugen« der Staatsanwaltschaft? Wenn es Ausreden einer offenkundig schlampig arbeiteten Polizei hinnimmt, die kurz nach der Tat einen Mann festnahm, der Rechtspartei »Pro Chemnitz« illegal den Haftbefehl mit Namen und Adresse zuspielte und ihn so als »Täter« an den Pranger stellte, aber kurz darauf freilassen musste …
Verteidigerin Ricarda Lang aus München warf nach der Urteilsverkündigung dem Gericht vor, es habe einen »politischen Prozess« geführt, von Anfang an. Sie trug aber selbst ihr Möglichstes dazu bei. So forderte sie, das Strafverfahren im Westen durchzuführen, weil man im Osten kein rechtsstaatliches Verfahren erwarten könne. Sie provozierte mit dem Antrag, Richter und Schöffen sollten erklären, ob sie Mitglied oder Unterstützer der AfD sind, an Kundgebungen von Pegida und Pro Chemnitz teilgenommen hätten. Für die 56-jährige Vorsitzende Richterin, die im Freistaat zu den wenigen Juristen in gehobener Position gehört, die kein »Westimport« sind, muss das unerträglich gewesen sein. Denn sie gilt als kompetent, sachlich und souverän, wurde erst kürzlich ins Landesverfassungsgericht gewählt, parteiübergreifend. Aber in diesem Prozess wies sie auch Beweisanträge der Verteidigung ab, die zur Wahrheitsfindung hätten beitragen können.
»Das Urteil musste offenbar noch vor der Landtagswahl am 1. September her«, sagte Anwältin Lang. Viel spricht für einen solchen Zusammenhang. Auch, dass Pro Chemnitz an diesem Montag, ein Jahr nach dem Tod von Daniel H., zur Kundgebung ruft, um ihn erneut schamlos zur Hetze gegen Ausländer zu missbrauchen. Selbst Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) gab solchem politischen Druck nach, als sie schon vor Prozessbeginn in der »taz« erklärte, sie hoffe auf Verurteilung des Angeklagten, sonst würde es »schwierig für Chemnitz«. Dieses fragwürdige Urteil hat daran kaum etwas geändert. Im Gegenteil.
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