Mittwoch, 5. Dezember 2018

Bürgerinitiative sorgte dafür, dass Stuttgarts einstige Gestapo-Zentrale heute Gedenkort ist

Der Abrissbirne knapp entronnen


Von Tilman Baur
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Vorabbesichtigung der Dauerausstellung im neuen Gedenkort (30. November)
Eigentlich sollte es das »Hotel Silber« gar nicht mehr geben. Als das Stuttgarter Traditionskaufhaus Breuninger im Jahr 2007 Pläne für ein neues Innenstadtquartier für die Reichen und Schönen präsentierte, war das Gebäude der einstigen Gestapo-Zentrale für die Reichsteile Württemberg und Hohenzollern darin nicht mehr vorgesehen. Heute, nach der Rettung und Umgestaltung zum Lern- und Gedenkort, wirkt es ein wenig wie ein Fremdkörper inmitten von Tesla-Showrooms, Luxusboutiquen und hochpreisigen Restaurants.
Die Tatsache, dass das geschichtsträchtige Gebäude doch nicht der Abrissbirne weichen musste, ist der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e. V. zu verdanken. Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger gründeten sie nur kurze Zeit nach Bekanntwerden der Pläne. Sie organisierten Demonstrationen, schrieben Briefe an den damaligen Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU), den Breuninger-Chef und viele andere Amtsträger.
Anfangs jedoch mit überschaubarem Erfolg. Die damals CDU-geführte Landesregierung war fest entschlossen, den Abrissplänen zuzustimmen. Im Stuttgarter Gemeinderat sah es ähnlich aus – nur die Fraktionsgemeinschaft aus Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS), Die Linke, Piratenpartei und Studentische Liste – Junges Stuttgart sowie Teile der SPD widersprachen. Die Konservativen wollten – wenn überhaupt – nur eine Gedenkplakette an einem Neubau zugestehen.
Aber die Initiative ließ nicht locker. »Wir haben große Rückendeckung von Zeitzeugen bekommen. Das hat uns ermutigt weiterzumachen«, sagte Harald Stingele, Vorstand der Initiative, beim Pressegespräch wenige Tage vor der Eröffnung.
Trotz aller Bemühungen hätte das Ansinnen ohne das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 wohl keinen Erfolg gehabt. Die verfehlte Politik der Landesregierung ließ die gesellschaftliche Stimmung im Südwesten kippen und spülte 2011 mit Winfried Kretschmann den ersten grünen Ministerpräsidenten ins Staatsministerium. Dessen Stellvertreter, Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD), war es dann, der der Initiative den Erhalt des Gebäudes zusagte.
Ein entscheidendes Argument hatte schon vorher der Architekt Roland Ostertag geliefert. Er konnte nachweisen, dass die Fliegerbomben der Alliierten 1944 nicht das ganze Gebäude zerstört hatten und die beim Wiederaufbau verwendete Substanz teilweise authentisch war.
Der Bauherr musste nach der Entscheidung der Landesregierung seine Pläne ändern. Land und Stadt Stuttgart einigten sich auf einen Finanzierungsvertrag: 4,5 Millionen Euro kostete der Bau, Planung und Einrichtung der Ausstellung drei Millionen. Bundesweit einzigartig ist die Einbeziehung der Bürgerinitiative: sie ist im Verwaltungsrat vertreten, der wesentliche Grundsatzentscheidungen trifft, genauso mischt sie im operativen Geschäft mit.
»Am Ende hat man sich den Argumenten der Bürger nicht verschlossen, das ist lobenswert«, sagte Stingele. Normalerweise erkämpften sich Bürger Gedenkorte, um dann das Ruder an andere abgeben zu müssen. »Das ist hier eine ganz große Ausnahme«, so Stingele.
Seit Dienstag ist der Gedenkort mit Dauerausstellung für die Allgemeinheit geöffnet. »Die Resonanz ist, soweit man das jetzt schon sagen kann, sehr gut«, sagte Joachim Rüeck vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg, dem Träger des Gedenkorts, im Gespräch mit junge Welt. Zur mittäglichen Kurzführung hätten sich gleich 60 Besucher angemeldet.
Seinen Namen verdankt das Hotel Silber seinem ehemaligen Besitzer Heinrich Silber, der 1873 das Gasthaus »Zum Bayerischen Hof« erwarb und umbenannte. 1928 zog die Politische Polizei ein, von 1936 an residierte dort die Gestapo-Zentrale für die Reichsteile Württemberg und Hohenzollern.
Die Dauerausstellung nimmt nicht nur die Nazizeit in den Blick, sondern versucht anhand vieler Originaldokumente aufzuzeigen, wie leicht Stuttgart in die Diktatur stolpern konnte und welche Kontinuitäten es nach 1945 gab, als das Polizeipräsidium der Stadt einzog.
Beklemmende Exponate lassen erahnen, was sich in den Verhörkellern abgespielt haben muss: darunter eine massive Zellentür, auf der Inhaftierte ihre Gedanken eingeritzt haben, oder ein Tagebuch eines kommunistischen Gefangenen.

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