Dienstag, 13. November 2018

Taoufik Bouachrine verurteilt: Marokko entledigt sich eines unliebsamen Journalisten

Zum Schweigen gebracht


Von Jörg Tiedjen
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»Freiheit für Nasser Zefzafi« fordern diese Demonstrantinnen, nachdem der Wortführer der Protestbewegung Hirak im Juli zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war. Jüngstes Opfer politischer Justiz in Marokko: Der Journalist Taoufik Bouachrine
Wer sich mit der Monarchie in Marokko anlegt, wird bestraft. In der Nacht zum Samstag wurde der frühere Herausgeber der Zeitung Akhbar El Yaoum, Taoufik Bouchrine, von einem Berufungsgericht in Casablanca zu zwölf Jahren Haft sowie zur Zahlung von Bußgeldern und Wiedergutmachungen in sechsstelliger Höhe verurteilt. Schuldig gesprochen wurde er wegen Beteiligung an Menschenhandel, Machtmissbrauchs zum Zweck sexueller Ausbeutung, Erpressung und Vergewaltigung.
Bouachrine ist ein Vertrauter des früheren islamistischen Premierministers Abdelilah Benkirane und niemand, der die Monarchie in Frage stellt. Am 23. Februar war er von einem großen Aufgebot der Polizei verhaftet worden. Die Redaktionsräume wurden geräumt und abgeriegelt – ein nicht unwichtiges Detail. Denn: 24 Stunden ließ sich die Justiz damals Zeit, die genannten Vorwürfe zu erheben. Zugleich erklärte sie, dass im Rahmen der Polizeiaktion gegen den Journalisten 50 belastende Videos gefunden worden seien.
Am 8. März, der auch in Marokko als Internationaler Frauentag gefeiert wird, begann vor der Strafkammer in Casablanca das Verfahren. Dieses war von einer ganzen Reihe von Merkwürdigkeiten gekennzeichnet, über die regelmäßig in Zeitungen wie El País oder Le Monde berichtet wurde. So waren die Zeuginnen, die gegen Bouachrine aussagen sollten, beim Polizeiverhör gefilmt worden. Ein Journalist, der die Glaubwürdigkeit einer Zeugin in Frage stellte, wurde verhaftet. Eine Zeugin widerrief ihre Aussage und gab an, die Polizei habe ihr Verhörprotokoll gefälscht. Sie wurde daraufhin zu einem halben Jahr Haft verurteilt. Eine weitere von insgesamt 15 Zeuginnen weigerte sich, vor Gericht zu erscheinen.
Auf den Videos, die im Mai in geschlossener Sitzung vorgeführt wurden, sollen einige der Zeuginnen zu erkennen sein. Die Verteidigung ließ die Aufnahmen nicht als Beweis gelten und sprach von einer Montage. In den verfänglichen Szenen sei ihr Mandant nicht klar zu erkennen, die Rede ist von einem Double eher kleinerer Statur. Man wird es nicht mehr überprüfen können: Das Gericht ordnete an, alle elektronischen Beweisstücke zu vernichten. Wichtig zu wissen ist, dass in Marokko außereheliche Beziehungen und gleichgeschlechtliche Neigungen per Gesetz verboten sind.
Bouachrine gab sich zur Urteilsverkündung unbeugsam und sprach von einem politischen Prozess. Erst Anfang des Jahres war er zu einem hohen Schmerzensgeld verurteilt worden, weil er in einem Leitartikel unter anderem Landwirtschaftsminister Aziz Akhennouch angegriffen hatte. Dieser ist für die Eskalation im Rif-Gebirge mitverantwortlich, wo seit Ende 2016 gegen staatliche Willkür und wirtschaftliche Benachteiligung protestiert wird.
Nicht nur Journalisten werden in Marokko zum Schweigen gebracht. Ende September beschoss die königliche Marine ein Schlauchboot mit Flüchtlingen, das sich auf dem Weg nach Spanien befand. Eine junge Frau aus Tétouan kam dabei ums Leben. Ein Jugendlicher, der im Internet seinem Unmut über die Staatsgewalt Ausdruck verlieh, wurde vor Gericht gezerrt und zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt. Und Nasser Zefzafi, der Anführer der Protestbewegung im Rif, wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt und in der Haft misshandelt.
Trotz solcher Zustände hält die Bundesregierung an ihren Plänen fest, auch Marokko zu einem »sicheren Herkunftsstaat« zu erklären, in den leichter abgeschoben werden kann.

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