Montag, 18. Juni 2018

Wird die DDR-Geschichte verklärt? - Antikommunismus nach Lehrplan?

  1. Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung e.V.
    Der Vorstand


  2. Information
  3.  
  4. Nr. 2 / 2008


  1. Für Mitglieder und Sympathisanten

  2. Berlin, Dezember 2008






Inhalt
  1. Horst Schneider * Prof. Dr. Horst Schneider ist Historiker und lebt in Dresden. Der Text entspricht einem Vortrag des Autors im September 2008.

  2. Wird die DDR-Geschichte verklärt? - Antikommunismus nach Lehrplan?

  3. 1. Was Bürgerbefragungen ergaben
  4. 2. Ein Brief an den Bundespräsidenten 
  5. 3. Verordnete Geschichtsinterpretation und die Fakten
  6. 4. Schwierigkeiten bei der Bewertung von Lehrbüchern 
  7. 5. Über Hoffnungen und Illusionen 
  8. 6. Die Verpflichtung zur Wahrheit …        und das Schwarz-Weiß-Schema
  9. 7. Der Rat eines Präsidenten 
  10. 8. Wirkungen von Filmen
  11. 9. Die Landeszentralen für politische Bildung
  12. 10. Die Methoden der Fälschung 
  13. 11. Eine Landtagsdebatte zur DDR-Geschichte
  14. 12. Geschichte und Geschichtsbild. Eine Leserdiskussion
  15. 13. Tatsachen und Vorurteile
  16. 14. Gegen Pauschalverurteilungen
  17. 15. Erinnerungen lassen sich nicht aufzwingen
  18. 16. Keine Zwangsbekehrungen 
  19. 17. Aktuelle Vergleiche und unerträgliche Gleichsetzungen
  20.  
  21. „Wer erkennt, wie mit Geschichte Politik gemacht wird und wie gelegentlich historische Fakten zurechtgebogen werden, damit sie ins Bild passen, der kann solche Manipulationen leichter erkennen, und  er kann ein Gespür dafür entwickeln, ob er aufs Glatteis geführt werden soll.
    Auch das zeigt ein aufrichtiges Suchen nach der historischen Wahrheit: man kann sie nicht von einer Seite allein aus finden, sondern ihr vollständiges Bild erscheint nur dem, der unterschiedliche Blickwinkel berücksichtigt. Deshalb muss man allen Beteiligten zuhören, man muss ihre unterschiedlichen Standpunkte kennen; man sollte ins Gespräch mit anderen kommen, die sich auch für Geschichte interessieren.“
    (Bundespräsident Johannes Rau am 19. August 2002)



  1.  
  2. Wird die DDR-Geschichte verklärt?
    Antikommunismus nach Lehrplan?
  3. Horst Schneider*
  4.  
  5. Die Schüler, unsere Enkel, haben es prächtig. Der Bundespräsident Horst Köhler lud einige am 10. Juni 2008 in sein Schloss Bellevue ein, um ihnen zu erzählen, welche schreckliche Hölle die DDR gewesen sei. Die Bundeskanzlerin nahm sich im August gar mehrere Tage Zeit, um durch deutsche Lande zu fahren und einige Schulen und Kindertagesstätten zu besuchen. Die CDU plant die Kampagne gegen die „DDR-Nostalgie“, die das Glück von Kindern zu bedrohen scheint.
    Auf Antrag der FDP-Fraktion debattierte der Sächsische Landtag am 11. September 2008 zum Thema „Aus der Geschichte lernen – Bessere Aufklärung über die DDR in Sachsens Schulen“. Dunkelmänner drapierten sich als „Aufklärer“.
    Am gleichen 11. September 2008 veröffentlichte „Die Welt“ den Artikel „Die DDR ist quicklebendig“. Verfasser sind Klaus Schröder und seine Partnerin, die mit ihrer Studie „Soziales Paradies oder Stasi-Staat“ eine Lawine ausgelöst haben, die die Autoren nun selbst zu überrollen scheint.
    Marianne Birthler und ihr Vorgänger Joachim Gauck, die Oberhistoriker der Nation, beklagen, wie wenig die Schüler über die DDR wissen, genauer: über „Stasiknäste“ und „Folterknechte“. Und die Regierung bastelt seit Jahren unter Mithilfe einer Kommission, die der Historiker Martin Sabrow leitet, an einer Gedenkstättenkonzeption und an Leitlinien, die das DDR-Bild verbindlich bestimmen sollen.
  6. Was Bürgerbefragungen ergaben:
  7. Was löst den Alarm im Politzirkus aus? Zunächst und öffentlich sind es Ergebnisse und Befragungen, vor allem die, die unter Leitung von Prof. Dr. Klaus Schröder an der Berliner Humboldt-Universität entstanden sind. Sie waren auch der Anlass für die Beunruhigung des Bundespräsidenten. Aus den unterschiedlichen Befragungen wähle ich die aus, die im „Spiegel“ (45/2007, S. 78) veröffentlicht worden sind. Die Ergebnisse:
  8.  „Der Sozialismus als gute Idee, die schlecht umgesetzt wurde:
  9.                                              Über 50-Jährige:                                          über 14- bis 35-Jährige:
  10. Ost:                                         73 %                                                              47 %
  11. West:                                      44 %                                                              36 %
  12.  
  13. Wer betrachtet sich als Gewinner/Verlierer der Einheit?
  14. Ost-Gewinner:                          57 %                                                              45 %
  15. Westgewinner:                          29 %                                                              41 %
  16. Ostverlierer:                             20 %                                                              15 %
  17. Westverlierer:                          25 %                                                               15 %
  18.  
  19. Es ist schon schlimm, dass nichts geblieben ist …
  20. Im Osten                                 60 %                                                              61 %
  21. Im Westen                               43 %                                                                -               
  22.  
  23. Beim Vergleich der beiden Staaten sind besondere Stärken der DDR bei früheren DDR-Bürgern:
  24. Soziale Absicherung                 92 %
    Schulsystem                             79 %
    Schutz vor Kriminalität             78 %
  25. Bei Wiederkehr der DDR würden 37 % der DDR-Bürger lieber im Osten leben.“
  26. Die Studie, die von der Humboldt-Universität in Auftrag gegeben worden ist und in der 5.200 Schüler in Ost und West befragt wurden, weist erstaunliche „Bildungslücken“ auf, so, wenn Erich Honecker zum Bundeskanzler avancierte, jeder Dritte Willy Brandt als DDR-Politiker betrachtet und jeder Zehnte sogar Helmut Kohl in die „SED-Diktatur“ verpflanzt. (Vielleicht haben manche Schüler die Befragung auch als Spaß betrachtet.)
  27.  
  28. Ein Brief an den Bundespräsidenten
  29. Wie dem auch sei. Der Bundespräsident fand: Die DDR-Geschichte wird verklärt. Wie leichtfertig der Bundespräsident argumentierte, habe ich ihm (in einem bisher unbeantworteten) Brief am 25. 4. 2008 mitgeteilt, der mehrfach (in akzente 6/2008 und Leipzigs Neue 13/2008) gedruckt wurde:
  30. „Sehr geehrter Herr Bundespräsident;
  31. am 13. September 2004 äußerten Sie sich im „Focus“ über die Streitkultur in Deutschland: ‚Die Kontroverse gehört zur Demokratie wie das Salz in der Suppe. Der demokratisch ausgetragene Streit ist der beste Weg zu Erfahrung und Fortschritt.’ Ich habe dieses (längere) Zitat als Goldenes Wort von Politikern in eines meiner Bücher aufgenommen und mich bemüht, es zu beherzigen. Das will ich heute auch Ihnen gegenüber tun. In der ‚Super Illu’ vom 17. April 2008 gaben Sie dem Chefredakteur Jochen Wolff ein Interview. Mir geht es um drei Aussagen, die meines Erachtens mit Ihrem Amt und der Würde des Amtes unvereinbar sind.
    Erstens behaupten Sie: ‚In der DDR gab es Leistung und Lebensglück – und zwar nicht wegen, sondern vielfach trotz des SED-Regimes. Was da aufgebaut und bewahrt worden ist, trotz vieler Widrigkeiten, das hat Anerkennung und Respekt verdient.’ Diese Aussage kenne ich seit den sechziger Jahren, als bestimmte Erfolge auch von DDR-Feinden nicht mehr zu leugnen waren. Sie waren eine Art Notlüge derer, die uns ständig ‚Widrigkeiten’ (wie niedlich!) beschert haben. Ob jemand trotz oder wegen des ‚SED-Regimes’ sein ‚Lebensglück’ gefunden hat, darf jeder DDR-Bürger selbst entscheiden. Meinen Sie nicht, dass die Order eines Präsidenten, der als Staatssekretär Waigels das ‚Lebensglück’ Zehntausender (vor allem Arbeiter) zerstören half, deplaziert ist? Dieser Dank und diese Anerkennung dürften vielen Arbeitslosen und Abgewickelten wie Hohn im Ohr klingen.
    Zweitens urteilen Sie: ‚Die DDR war ein Unrechtssystem, die SED-Herrschaft war eine Diktatur – und es gibt keinen Grund, dem eine Träne nachzuweinen.’ DDR-Bürger erinnern sich, dass Erich Honecker empfohlen hatte, Republikflüchtigen keine Träne nachzuweinen. Er hätte besser daran getan, wenn er analysiert hätte, warum viele Bürger der DDR ihr Vertrauen entzogen hatten. Nun empfehlen Sie, unsere Tränen nicht für die DDR zu verschwenden.
  32. Es ist schon eigenartig, wenn Staatsoberhäupter bestimmen wollen, wann die Bürger weinen oder nicht. Aber vielleicht gibt es für einige Politiker doch Gründe, zum Beispiel: ‚Der Spiegel’  dieser Woche (17/2008, S. 31) gelangte nach einer Analyse zu dem Urteil: ‚Das Vertrauen der Deutschen in ihren Staat ist offenbar auf ein neues Rekordtief gesunken.’ Und in der MDR-Sendung“ (am 7. April 2008 – die Red.), „die in der ‚Super-Illu’“ (am 17. April 2008 – die Red.) verrissen wird, haben bei der telefonischen Befragung 78,4 % der Zuschauer entschieden, dass sie mehr angenehme Erinnerungen an die DDR haben als unangenehme, wie das 21,6 % kundtaten. Dass dieses Ergebnis bei einigen Tränen der Wut auslöste, kann ich mir vorstellen. Besser wäre wohl, wenn verantwortliche Politiker und Publizisten in Ruhe über die Ursachen nachdächten. Leute wie ‚Pfarrrer Gnadenlos’ sind dazu nicht in der Lage. Das Wort ‚Unrechtssystem’  als Synonym für DDR allerdings müsste geprüft werden. Der Begriff taucht weder im Völkerrecht noch im neuen Duden im Zusammenhang mit der DDR auf.
    Ich habe ihn auch in keinem Vertragstext gefunden. Da Sie den Begriff verwenden, wird es Ihnen leicht fallen, einige Fragen zu beantworten, die nicht nur ich habe (ich weiß das aus meiner publizistischen Tätigkeit): Wie definieren Sie ‚Unrechtssystem’ – ‚Unrechtsstaat? Welche Merkmale des Begriffs sind für die DDR zutreffend? Gab es vor 1989 Politiker (zuständig wäre Hans-Dietrich Genscher gewesen), die im UNO-System den Unrechtscharakter der DDR nachzuweisen versuchten? Mit welchem Erfolg? In welchem Dokument oder Vertrag gibt es eine Charakteristik der DDR, die Sie vornehmen? Haben sich 1990 ein ‚Rechtsstaat’ und ein ‚Unrechtsstaat’ ‚wiedervereinigt’? Ist in den Zwei-plus-Vier-Vertrag klammheimlich die Unterschrift des Vertreters eines ‚Unrechtsstaates’ reingerutscht? Wird damit der Vertrag unwirksam? Ich freue mich auf die Antworten. Allerdings ist mir unverständlich, warum die Bundesregierung vor 1990 ziemlich korrekte Beziehungen zur DDR unterhielt und erst nach 1990 die ‚Delegitimierung’ der DDR zur Staatsdoktrin erhob. Franz Josef Strauß lobte Erich Honecker in seinen ‚Erinnerungen’ in den höchsten Tönen. Bei Richard von Weizsäcker habe ich keinen Satz gefunden, der Ihrem Urteil, das ich zitierte, ähnelt (auch nicht im Vier-Augen-Gespräch, das er gewünscht hatte).
  33. Drittens stellen Sie fest: Ein ‚besseres System als die Demokratie gibt es nicht’. Das ähnelt dem Satz Winston Churchills: ‚Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.’ Es gibt unterschiedliche Definitionen für Demokratie. Die Praxis ist noch differenzierter. Im Bundestag wurde kürzlich der jämmerliche Zustand der Weimarer Republik kurz vor 1933 beschrieben. Was in den USA Demokratie heißt, erleben wir täglich. In jedem Fall ist entscheidend, ob und inwieweit die Bürger das Gefühl haben, dass ihr Staat tatsächlich ein bisschen ‚Volksherrschaft’, also ihr Mitwirken, zulässt und wünscht. Zum Glück muss ich seit 1990 nicht mitverantworten. (Ich kenne die Definition Churchills für Politiker.)
  34. Aber die Befragungen, auch am 7. April 2008, sollten für Politiker Anlass sein, ihre Überheblichkeit aufzugeben. Nicht nur ich habe erlebt, wie rasch eine Regierung ihre Anhänger verlieren kann, sogar wenn sie die gleiche Gesinnung haben. Demokratie muss täglich erlebt werden.
  35. Ich wünsche Ihnen Erfolg in Ihrer Arbeit.
  36.                                                            Mit freundlichen Grüßen
  37.                                                            Horst Schneider“
  38.  
  39. Verordnete Geschichtsinterpretation und die Fakten
  40. Die Feststellung des Bundespräsidenten, die DDR würde verklärt, müsste in den Lehrplänen und Geschichtsbüchern geprüft werden, und vorher müsste festgelegt werden, welche Kriterien dafür bestimmend sind. Das bedeutet: Welche Fakten dürfen genannt und welche Tatsachen müssen verschwiegen werden, und wie müssen die Ereignisse interpretiert werden, damit sie keine „Verklärung“ werden? Aber wer bestimmt die Auswahl und Deutung? Dürfte das Helmut Kohl sein?
  41. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Hannah-Arendt-Instituts am 3. Juli 2003 hielt Helmut Kohl eine Festrede, in der er forderte, den 20. Juli 1944, den 17. Juni 1953 und die „friedliche Revolution“ im Herbst 1989 ins Zentrum der Erinnerung zu rücken als drei „Aufstände“, einmal der gescheiterte Generalputsch, zweimal Aktionen in und gegen die DDR. Muss das interpretiert werden? (1)
  42. Die verordnete Interpretation der jüngsten deutschen Geschichte erfolgt durch Totalitarismusforscher auf der Grundlage des „Diktaturenvergleichs“. Freilich gibt es auch Historiker, die weitergehende Forderungen als Helmut Kohl haben, u. a. die Geschichtsexperten Hubertus Knabe und Marianne Birthler. Die Historikerin Silke Klewin aus Bautzen forderte gar den Pflichtbesuch von Schülern im „Stasi-Knast“, was mancherlei Vorteile brächte, z. B. die Suche danach, wo es sie gegeben hat.
  43. Lassen wir den Streit, wer an welche Fakten erinnern will, damit die DDR nicht verklärt wird. Versuchen wir statt dessen zu finden, was die Schüler gegenwärtig von den Lehrern (die Eltern sind ein besonderes Problem) per amtlichen Lehrplan und Schulbuch über die DDR erfahren. Die Prüfung ist nicht einfach, weil die Bildung Ländersache ist. Ich sehe mich in Sachsen um.
  44. Die Lehrpläne fordern:
  45. Klassenstufe 9, Lernbereich 1:
    „Die Mauer, ein Symbol für die Teilung Deutschlands, Europas und der Welt.“
    An Fakten wird angeboten:
    -        Volksaufstand am 17. Juni 1953
    -        Mauerbau am 13. August 1961
    -        MfS als tragende Säule der SED-Herrschaft
    -        Abstimmung mit den Füßen“
  46.  Klassenstufe 10, Lernbereich 2:
    -      „Flucht und Vertreibung in der Geschichte
  47. Der Lehrplan für die Abiturstufe umfasst 53 Seiten, wobei zu beachten ist, dass er in Grundkurs und Leistungskurse unterteilt ist.
    Den Gymnasiasten wird u. a. aufgeben,
    -        die gegensätzlichen Gesellschaftssysteme im geteilten Deutschland miteinander zu vergleichen,
    -        in der Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik und der DDR spezielle Erscheinungsformen von Demokratie und Diktatur zu erkennen,
    -        den Einigungsprozess 1989/90 als Lösung der deutschen Frage und Teil der europäischen Einigung zu begreifen.
  48. Natürlich gehören zu den Fakten, die im Zentrum stehen,
    -        17. Juni 1953, Opposition in der DDR
    -        Rolle der Kirchen
    -        MfS als Unterdrückungsorgan
  49.  
  50.  
  51. Schwierigkeiten bei der Bewertung von Lehrbüchern
  52. Reicht das nicht, um die Kohl und Knabe zufrieden zu stellen? Reicht das nicht, um, wie von Ellen Großhans gewünscht, die tatsächliche DDR in ein „perfides System der Bespitzelung oder in Mauerdrähten hängende Todesopfer“ zu verwandeln? (2)
    Dem sächsischen Kultusminister Roland Wöller ist die Höllentemperatur, in der die DDR geschmort wird, scheinbar nicht heiß genug: „Beim Thema DDR müssen wir nachlegen“, behauptet er. (3)
    Würde er das bei der Durchsicht der Lehrbücher auch noch sagen? Wer Lehrbücher vergleichend nach ihrer Stellung zur DDR-Geschichte bewerten will, steht vor mehreren Schwierigkeiten.
  53. Erstens führt der Föderalismus dazu, dass jedes Land eigene Lehrbücher hat. In Sachsen sind im Schuljahr 2006/2007 für das Fach Geschichte einschließlich der Gymnasien 57 Geschichtsbücher zugelassen.
  54. Zweitens müssten die Geschichtsbücher der westdeutschen Verlage, die jetzt auch für ostdeutsche Schulen produzieren, daraufhin geprüft werden, ob und inwieweit die den Stil des Kalten Krieges überwunden haben.
    Auf dem Internationalen Historikerkongress 1980 in Bukarest, auf dem Prof. Dr. Erdmann präsidierte und die „Ökumene der Historiker“ feierte, nahm ich für die DDR an der Arbeitsgruppe „Schulbuchvergleich“ teil. Ich weiß noch, worin sich westdeutsche Schulbücher nicht unterschieden. Für sie war DDR-Geschichte im Foto und Text der „Volksaufstand“ am 17. Juni 1953 und der „Mauerbau“ 1961. Inwieweit ist das heute noch so? (4)
  55. Drittens hängt natürlich viel davon ab, welches Lehrbuch die Schule einführt und wie souverän der Lehrer sich auch als „Zeitzeuge“ zu erkennen gibt (oder dem Druck des verordneten Geschichtsbildes nachgibt).
  56. Die Schule, in der meine Söhne und Enkel unterrichtet wurden, arbeitet mit dem Lehrbuch „Entdecken und Verstehen“, das im Volk und Wissen Verlag erschien, dem Schulbuchverlag der DDR. In diesem Lehrbuch erkennt sich der „gestandene“ DDR-Bürger wieder, wenngleich die Klitterungen und Verleumdungen der DDR unübersehbar sind, u. a. in den Abschnitten „Der Stasi-Staat“ (S. 47), „Der Volksaufstand am 17. Juni 1953“ (S. 48) mit dem obligatorischen Foto vom Panzer, „Der Bau der Mauer 1961“ (S. 57) und „Die friedliche Revolution“ (S. 80). Kohl müsste also zufrieden sein.
  57.  
  58. Über Hoffnungen und Illusionen
  59. Wenngleich auch dieses Lehrbuch außerstande ist, die DDR-Geschichte im Wechselspiel mit der BRD historisch gerecht zu würdigen, wird sich bei denkenden Schülern manches als Bumerang erweisen. Dafür nur ein Beispiel. Das Lehrbuch führt (S. 80) die Gründe an, die junge Leute zwischen 18 und 30 Jahren 1989 zur Republikflucht veranlassten.
  60. „Als Gründe für ihre Ausreise gaben sie an:
    -        fehlende Meinungsfreiheit und fehlende Reisefreiheiten (74 %),
    -        den Wunsch, das Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten (72 %),
    -        fehlende Zukunftsaussichten (69 %),
    -        die ständige Kontrolle durch den Staat (65 %) und
    -        die schlechte Versorgungslage (56 %)“.
  61. Wie viele der Hoffnungen erwiesen sich als Illusionen? Denken jetzt auch viele wie Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung, er sei in der BRD vom Regen in die Jauche gekommen?
    Wir können unseren Gegenstand noch nicht verlassen, ohne auf eine Merkwürdigkeit aufmerksam zu machen.
    Auf dem 18. Bautzen-Forum im Mai 2007 trat als Referentin Nancy Aris auf, „Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und politische Bildung beim Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“. Ihr Thema lautete: „Die DDR – eine Diktatur? Über die Möglichkeiten von politischer Bildungsarbeit in den Schulen.“ (5) Aris berichtete über Auftritte und Erfahrungen in sächsischen Schulen.
  62. Und da liegt die erste Merkwürdigkeit. Laut Erlass des sächsischen Kultusministeriums vom 20. August 1992 und eines entsprechenden Erlasses vom 7. Juni 1999 müssen sich Schulen parteipolitisch neutral verhalten. Selbst Politiker und Parteien sind vom Erlass betroffen, wie mir Referent Jens Reimann am 24. Juli 2008 ausdrücklich versicherte. (6)
    Hat die Birthler-Behörde Ausnahmerechte?
  63. Merkwürdig ist auch, dass Frau Aris über interne Analysen der Schulbehörden verfügt und darüber urteilt: Die DDR werde nicht konsequent genug als Diktatur verurteilt. Das Thema Staatssicherheit werde zu kurz behandelt. (7)
  64. Merkwürdig ist auch, dass sie sich anmaßt, „die alten DDR-Kader“ zu denunzieren, „die das Thema unter den Teppich kehren wollen“. Das Problem liegt ganz woanders. Die Frage ist, ob die „alten Kader“ als Zeitzeugen sagen dürfen, wie sie die DDR erlebt haben. Dabei verlangen sie nicht das „Recht auf Lügen“, wie das bei Bürgerrechtlern Usus ist.
  65.  
  66. Die Verpflichtung zur Wahrheit …
  67. Bei Nancy Aris fehlt nicht das Lob für den Film „Das Leben der Anderen“ und der Hinweis darauf, dass die Birthler-Behörde über Wanderausstellungen zum 17. Juni und zur „friedlichen Revolution“ verfügt. Gottlob haben wir die Birthler-Behörde. Was würde sonst aus dem Geschichtsunterricht in Sachsen werden? Aber Vorsicht! Allzu straff gespannt, zerspringt der Bogen. Und bei einigen Kompetenzen scheint dieser Punkt erreicht zu sein.
  68. Einer ist Prof. Dr. Martin Sabrow, der die Regierungskommission leitet, die sich mit dem Gedenkstättengesetz und der Erinnerungskultur beschäftigen soll. Sabrow bekennt: „Die Zeithistorikerin (ist) in einer schwierigen Lage. Als wissenschaftliche Buchautorin hat sie nicht Partei zu nehmen, sondern ist ihrem Selbstverständnis nach bei allem Wissen um ihre historische Bedingtheit und politische Beeinflussbarkeit allein der politischen Wahrheit verpflichtet.“ (8)
    Sabrow tadelt: „Das auf Delegitimierung der DDR gerichtete Erinnerungsnarrativ hebt auf die politische Gegnerschaft zum SED-Regime und die friedliche Revolution des Herbstes 1989 ab  und prägt den gedenkpolitischen Umgang mit der SED-Diktatur in der Öffentlichkeit.“ Er verlangt die Einhaltung wissenschaftlicher Standards.
  69. Der zweite Warner und Mahner heißt Lothar de Maiziere, der letzte Ministerpräsident der DDR.
  70. … und das Schwarz-Weiß-Schema
  71. Auch er hat angesichts der „verordneten“ Verleumdung der DDR kalte Füße bekommen. Er meldete sich unter dem Titel „Es entsteht immer dieses schwarz-weiß“ im Tagesspiegel vom 3. August 2008 zu Wort. Auf die Frage „Aber wo fühlen Sie sich gekränkt?“ antwortet er: „Wenn mir jemand aus dem Westen meine Biographie erklären will. Zum Beispiel wenn es heißt, wir hätten unsere Kinder zu früh auf den Topf gesetzt und in der Kinderkrippe abgeladen, obwohl wir alles in unseren Kräften Stehende getan haben, um unsere Kinder zu anständigen Menschen zu erziehen. Von meinen drei Kindern hat nicht eines gekifft, alle drei haben eine Ausbildung gemacht, stehen ihren Mann im Beruf. Aber natürlich gab es gravierende Defizite. Ich erinnere mich an einen Ausflug mit der Schulklasse meiner zweiten Tochter nach Dresden, an dem ich als Erziehungsberechtigter teilnahm. Ein Teil der Klasse ging ins Verkehrsmuseum, ich mit den anderen zu den Alten Meistern. Ich bin fast verzweifelt, die Schüler standen vor allen Bildern wie der Ochse vorm neuen Tor. Die kannten weder die griechische noch die christliche Mythologie. Das ist das, was ich Frau Honecker vor allem vorwerfe: dass sie zwei oder drei Generationen von klassischen Bildungswerten des Abendlandes abgeschnitten hat.“
  72. Es ist erstaunlich, auf welchem Niveau de Maiziere argumentiert. Er könnte ja sein Experiment heute wiederholen. Aber in einem dürften wohl viele zustimmen: Ich benötige keinen Wessi, um mir meine Biographie erklären zu lassen.
    Beachtenswert ist de Maizieres Einsicht: „Ich bin manchmal ärgerlich, wenn gesagt wird, die DDR sei ein einziger Schrotthaufen gewesen. Die Menschen haben nach dem Krieg eine unglaubliche Aufbauleistung erbracht, und zwar ohne Marschallplan und bei gleichzeitigen Reparationszahlungen an die Sowjetunion. Und weil die Reparationen nicht aus der Substanz genommen werden konnten, weil die schon weg war, sind bis Mitte der 50er Jahre 22 Prozent der laufenden Produktion allein für die Reparation bezahlt worden.“
  73. Bemerkenswert ist, wie de Maiziere die Rolle der „Bürgerrechtler“ in der „Erinnerungsschlacht“ einschätzte: „Ein Teil der Bürgerrechtler meint, die Deutungshoheit über die DDR errungen zu haben. Sicherlich, keiner kann Stasi in der Erinnerung ausklammern. Aber manchmal gewinnt man den Eindruck, dass sie heute gegenwärtiger ist als zu Zeiten ihrer Existenz. Selbst mit der Stasi hatte man sich eingerichtet: Man wusste beim Telefonieren, dass jemand an der Strippe hing, man machte sogar seine Witze darüber. 1989 wäre früher geschehen, wenn die Menschen nur unter der Knute gelebt hätten. Das Leben funktionierte trotz aller dieser Widrigkeiten. …
    Es entsteht immer dieses Schwarz-Weiß-Schema. Es gab in der DDR vielleicht zwei Prozent Opfer und vielleicht drei Prozent Täter. Und 95 Prozent waren Volk. Die wollten auch gar nichts anderes sein, wollten für sich und ihre Familie das Beste aus ihrem Leben machen. Im Nachhinein aber wird die DDR-Bevölkerung eingeteilt in Täter und Opfer. Nun müssen die Leute alle sehen, wie sie auf das Opfer-Ufer kommen, weil sie sonst alle zu den Tätern gerechnet werden. Sie müssen ihre Widerstandsgeschichten erzählen und wie oft sie die Faust in der Hosentasche geballt haben. Aber sie waren weder das eine noch das andere.“

  74. Der Rat eines Präsidenten
  75. Die „Bürgerrechtler“, die sich selbst zum „Stasi-Opfer“ ernannt haben, die Gauck und Birthler, die Eggert und Vaatz, die Bohley und Thierse, die Eppelmann und Biermann, sind keineswegs durch „Folterhöllen“ gegangen. Als Marianne Birthler in einem Interview gefragt wurde, „Haben Sie ein unglückliches Leben in der DDR geführt?“, antwortete sie, „Aber nein, schon gar nicht als Privatperson, beruflich oder als Mutter.“ (9)
  76. Nun bleibt die Frage: Warum haben denn de Maiziere und andere erst jetzt entdeckt, was falsch läuft? Hatte Richard von Weizsäcker nicht schon im Dezember 1989 erklärt: „Wir haben allen Grund, den Deutschen in der DDR mit wahrer Achtung zu begegnen. Dazu gehört, ihnen nicht ungebeten dreinzureden, sondern ihre Sorgen ernst zu nehmen und ihnen den Raum und die Zeit zu überlassen, die sie brauchen, um ihren Weg zu erkennen.“ (10)
    Ist der Rat des Bundespräsidenten beachtet worden? Durch die „Eppelmann-Kommission“? Durch das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung?
  77.  
  78. Wirkungen von Filmen
  79. Durch jene, die solche volksverhetzenden Filme wie „Das Leben der Anderen“ und „Die Frau vom Checkpoint Charly“ produziert haben?
  80. Ich weiß aus meiner Jugend (ich bin Jahrgang 1927) – „Holt-Generation“, wie verheerend Filme wirken können. Den größten Einfluss bis heute hatte auf mich der Film „Jud Süß“, in dem Ferdinand Marian den Juden Oppenheimer hervorragend spielt. Hinter diesem Film und seiner Besetzung stand Goebbels. Noch heute beeinflusst mich dieser Film, wenn ich über Israel und den Antisemitismus rede oder schreibe. Vor zwei Jahren kam wieder ein Film in die Kinos, der von Staats wegen produziert und propagiert wurde: „Das Leben der Anderen“. Der Jude war durch einen Offizier der Staatssicherheit ersetzt, den es allerdings, wie Marianne Birthler versicherte, in Wirklichkeit nicht gab. „Macht nichts, der Jude wird verbrannt“, wusste schon Lessing im „Nathan“.
  81. Warum der Blick auch auf diesen Film? Die Antwort geben die vielen „willigen“ Journalisten, die das Werk lobten, sogar im „Spiegel“. Auf dem 18. Bautzen-Forum (S. 109), auf dem sich jährlich im Mai DDR-Feinde treffen, sagte ein Teilnehmer. „Erinnern Sie sich an eine erschütternde Szene in dem Film, wo der dicke Genosse Minister die hübsche Schauspielerin vergewaltigt. Als er seine Hose herunterlässt, kann man sehen, dass er genauso ekelhafte weiße Unterhosen trägt, wie man sie in Ungarn auch kaufen konnte. So war der Sozialismus: Gleichförmiges System, gleichförmige Geheimpolizei in allen Ländern.“ Gleichförmig waren sogar die Unterhosen vergewaltigender Minister.
  82. Wer übersieht die Parallele? In „Jud Süß“ der rabiate Frauenschänder, neudeutsch der MfS-General. Und für die, die begriffsstutzig sind: So war der Sozialismus. Aus der Vorbemerkung ersehen Sie, dass ich politische Filme nicht unparteiisch werte.
  83. Bei der „Frau vom Checkpoint Charly“ geht es, wie landauf, landab verkündet wird, um verschleppte Kinder und Menschenrechte, die in der DDR verletzt worden sein sollen.
    Und dafür gibt es eine Kronzeugin, Jutta Gallus (jetzt Fleck), und eine Schauspielerin, Veronika Ferres, die der Heldin Gesicht und Stimme leiht. Ergo: bestimmte Fakten gibt es, die gescheiterte Republikflucht der Gallus, die zurückgebliebenen Töchter, die Versuche zur „Familienzusammenführung“ (auch wenn Gallus als Modell nicht taugt). Die Fakten an sich ergeben noch keinen antikommunistischen Schmarren. Erst wenn über dem Ganzen steht, was Millionen Menschen am Checkpoint Charly lasen: „Gebt mir meine Kinder zurück!“ wird die Verleumdung der DDR zur Politik der BRD.
  84.  
  85. Die Landeszentralen für politische Bildung
  86. Einen wichtigen Platz bei der Verleumdung der DDR nehmen die Landeszentralen für politische Bildung ein. Sie wirken vor allem über Veranstaltungsprogramme und die (weitgehend kostenlose, also durch den Steuerzahler finanzierte)  Abgabe von Büchern auf die Bewusstseinsbildung von Lehrern und Schülern ein. Dr. Dieter Rostowski aus Kamenz verwies auf das Programm 2008 der Sächsischen Landeszentrale. Auf zehn Seiten werden darin – auch unter der Rubrik „DDR-Geschichte“ – Vorhaben angekündigt. Alle 41 Themen sind tendenziös darauf ausgerichtet, die DDR zu verunglimpfen. Als pensionierter Schulmann weiß ich durch Aussagen heute Lernender, dass die DDR im Unterricht nur schlechtgeredet wird. Dazu trägt auch die Sächsische Landeszentrale bei, die Geschichte aufarbeiten zu wollen vortäuscht. Sie lässt allenthalben fragwürdige „Zeitzeugen“ aufmarschieren, die ihre subjektive Brühe vor meist jungen Hörern zusammenrühren. Unter den „Referenzen“ befinden sich sattsam bekannte „Bürgerrechtler“ wie Freya Klier und Stefan Krawczyk. Es geht um „Stasi-Keule“, „SED-Diktatur“, „Mauerbau“, „Doping im DDR-Sport“, „Bausoldaten hinter Stacheldraht“, „Austreibung von Religiosität und Glauben“. Zu den Lieblingsspeisen gehören „Klassenzimmer ohne Gott“ und „Die Frau vom Checkpoint Charly“. Mit einer Veranstaltung über das Leben von Michael Gartenschläger will man diesem Verbrecher ein Denkmal setzen.
  87. Dr. Günther Sarge, Präsident des Obersten Gerichts der DDR, der im RF 126 („RF“ ist die Zeitschrift Rotfuchs Nr. 126 – die Red.) publizierte, ist zu danken. Besser kann man Gartenschläger nicht entlarven.
  88. Alles in allem: Die Landeszentralen für politische Bildung spielen im System der antikommunistischen Brunnenvergiftung eine nicht zu unterschätzende Rolle. (11
  89. Die von Rostowski erwähnten Veranstaltungen zu Buch und Film „Die Frau vom Checkpoint Charly“ fanden in Dresden am 27. und 28. August statt. Wenn kritische Zeitzeugen zu Wort kommen wollten, wurden sie als „Täter“ denunziert und am Sprechen gehindert. Obwohl Jutta Gallus Story eine Mischung aus Übertreibung und Lüge ist, wurde sie als „Löwin von Dresden“ gefeiert, die um ihre „verschleppten Töchter“ kämpfte. (12) Es handelte sich um die Kinder, die wohlbehalten und behütet vom Vater versorgt wurden.
  90.  
  91. Die Methoden der Fälschung
  92. Vielleicht ist es an dieser Stelle nützlich und nötig, auf die Methoden hinzuweisen, die Film und Fernsehen bei „Das Leben der Anderen“ und „Die Frau vom Checkpoint Charly“ anwendeten, um die DDR zu verteufeln. Die beabsichtigte Wirkung ist auch in vielen Büchern erkennbar, die in der Landeszentrale verteilt werden. Ein Buch hielt sich seit zehn Jahren im Angebot, Richter/Schmeitzers (Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Instituts Dresden) „Einer von beiden muss so bald wie möglich entfernt werden“ (13).
    Unter perfidem Missbrauch dieses Zitats wurde auf 312 Seiten versucht, einen Giftmord am früheren sächsischen Ministerpräsidenten Friedrichs zu konstruieren, den Innenminister Fischer begangen habe und von dem Landtagspräsident Buchwitz gewusst habe. Ich hatte die Lügenkonstruktion widerlegt, ehe das Buch gedruckt worden war und von Biedenkopf mit 20.000 DM prämiert wurde. (14)
  93. Viele Leser kennen das Manifest der Kommunistischen Partei und erinnern sich, dass Marx und Engels im ersten Satz auf die „heilige Hetzjagd“ auf das „Gespenst des Kommunismus“ hinweisen, an der sich nicht nur der Papst beteiligt hat. Wir erleben eine Neuauflage der „Hetzjagd“, die eine Nuance enthält: Das „Gespenst“ ist jetzt die DDR-Geschichte, also Vergangenes, und die Jäger unter dem Kommando von Horst Köhler heißen u. a. Thierse, Schipanski, Tiefensee, Gauck und Birthler. Auch wissenschaftliche Befragungen veranlassen solche Leute, Alarm zu schlagen. Sie werfen die Frage auf: „Wird die DDR-Geschichte verklärt?“. Wie schon eingangs erwähnt, stellte der Sächsische Landtag am 11. September 2008 der Gefahr der „Verklärung“ die „bessere Aufklärung über die Geschichte der DDR an Sachsens Schulen“ gegenüber. Das geschah in demselben Landtag, dessen Mehrheit 2006 beschlossen hatte, dass Geschichte in der 10. Klasse Wahlfach ist, also von Schülern abgewählt werden kann.
  94.  
  95. Eine Landtagsdebatte zur DDR-Geschichte
  96. In der Debatte vom 11. September konnten die auftretenden Abgeordneten zeigen, dass sie vom Wesen und der Bedeutung des staatlich verordneten Streits über das DDR-Geschichtsbild keinen blassen Schimmer haben. Volker Brandmann (CDU) lehnte Auffassungen von Julia Bonk (Linkspartei) schon deshalb ab, weil sie es aufgrund ihres Alters nicht besser wissen könne. Er nannte „drastische Beispiele“ der Repression in der DDR, als ob es sie nur in der DDR gegeben habe und scheinbar Julia Bonk dafür verantwortlich sei. (Gab es in der DDR eine CDU ohne Mitglieder?)
    Torsten Herbst (FDP), der die Debatte beantragt hatte, argumentierte laut „Freie Presse“ vom 12. September 2008 noch einfältiger: „Wenn nicht einmal jeder zweite Schüler die DDR als Diktatur bezeichnet, haben Schule und Gesellschaft bei der Wissensvermittlung versagt.“
    Die Krone des Wissens ist es also, die DDR als Diktatur zu verleumden, ohne auch nur zu fragen, was Demokratie oder Diktatur in der Geschichte sein können. Herbst schlug wie Silke Klewin vor, jeder Schüler solle eine Gedenkstätte für die Opfer der SED-Diktatur besuchen. „Zeitzeugen“ seien geeignet, die DDR nicht als „Wohlfühldiktatur“, sondern als brutales Regime darzustellen.
    Wie wäre es, wenn Politiker wie Merkel, Tiefensee und die sächsische Ministerriege den Part der „Zeitzeugen“ übernehmen würden? Der zuständige Minister wird freiwillige Besucher organisieren. Die Debatte im Landtag steht im Zusammenhang mit der Diskussion in der Sächsischen Zeitung (SZ) wenige Wochen zuvor.
  97.  
  98. Geschichte und Geschichtsbild. Eine Leserdiskussion
  99. Die SZ widmete der Diskussion drei Seiten ihrer Wochenendausgaben und Einzelbeiträge im Juni/Juli 2008.
    Zunächst: Alle diese unbefugten Ratgeber hätten in Sachsen, wie schon dargelegt, nach Recht und Gesetz nicht das Recht, in schulische Belange reinzureden.
  100. Ausgangspunkt und Anlass war eine Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler, der am 10. Juni 2008 Schüler im Schloss Bellevue empfangen hatte: „Horst Köhler ist erneut einer Verklärung der DDR-Geschichte entgegengetreten. ‚So mancher, der heute von den angeblichen sozialen Errungenschaften der DDR schwärmt’, wolle ganz offensichtlich nicht wahrhaben, ‚wie runtergekommen der real existierende Sozialismus damals längst war, ganz zu schweigen von seiner geistigen Enge und der staatskriminellen Verfolgung all derer, die dem Regime verdächtig waren’, sagte der Bundespräsident. Viele Menschen teilen die Meinung Horst Köhlers und warnen sogar vor einer zunehmenden Verharmlosung der DDR-Zeit, die im Rückblick angesichts aktueller sozialer Missstände teilweise regelrecht idealisiert werde. Andere dagegen halten die Mahnung des Bundespräsidenten entweder für übertrieben oder glauben sogar, es werde heute zu Unrecht alles an der DDR-Geschichte pauschal verdammt. Was meinen Sie? Wird die DDR-Vergangenheit heute zu oft verklärt und verfälscht? Schreiben Sie uns. Eine Auswahl Ihrer Leseerbriefe zu diesem Thema finden Sie am Sonnabend nächste Woche auf unserer Seite ‚Leserforum’. Senden Sie uns Ihre Ansichten bitte schriftlich, als Fax oder E-Mail an …“
  101. Obrigkeitstreu und ideenarm, wie Journalisten heutzutage zu sein haben, griffen sie den Ball auf. Um wenigstens einige Leser aufzuklären?
    Etwa 150 haben sich geäußert, 61 Leserbriefe wurden veröffentlicht. Von ihnen haben sich nicht wenige als überlegen erwiesen.
    M. Richter aus Döbeln schrieb (24. Juni): „Interessanter als die Frage, ob die DDR verklärt wird, ist, warum die Debatte gerade jetzt entfacht wird.“
    Welche Fragen hätten denn gestellt und (wenigstens teilweise) beantwortet werden müssen: Was bedeutet „Verklärung“ der DDR? Wer betreibt sie aus welchen Gründen? Worin besteht die Gefahr einer solchen „Verklärung“? Könnten mit Hilfe dieses Begriffs falsche Fährten gelegt werden? Wird mit der staatlich organisierten Kampagne gegen die „Verklärung“ eine ganz andere Offensive vernebelt?
    Die Fragen lassen sich fortsetzen. Welche ist seit Beendigung der Leserbriefdiskussion beantwortet?
  102.  „Verklären“ heißt, ein Ereignis oder eine Person ins Reich des Überirdischen zu befördern. Die Religionen strotzen von Beispielen. DDR-Politiker waren Atheisten, und der Arbeiter-und-Bauern-Staat war keine „Insel der Seligen“, wie Erich Honecker wiederholt betonte.
    Auch nach ihrem – von den einen betriebenen und bejubelten, von anderen bedauerten und nicht zu verhindernden – Ende bleibt sie Geschichte und damit Erinnerung. Der Streit geht auch nicht um die DDR, die Vergangenheit ist, sondern um das Bild von ihr, das Geschichtsbild, das für die Gestaltung der Zukunft von zentraler Bedeutung ist. Deshalb gibt es Regimenter von DDRologen, Totalitarismusforschern und willige Journalisten, die das Bild der DDR schwarz malen und verteufeln.
  103. Die Diskussion in der SZ widerspiegelt in gewissem Maße, ob und inwieweit das den Federhaltern der Bourgeoisie gelungen ist.
    In der Ausgabe vom 14./15. Juni 2008, als die SZ ihre Diskussion begann, ließ sie zwei Persönlichkeiten zu Wort kommen, wie sie von Herkunft und Funktion kaum unterschiedlicher sein können. Dr. Klaus Huhn, jahrzehntelang Sportredakteur beim ND, Direktor der Friedensfahrt, nach 1990 Leiter des Spotless-Verlages, und Silke Klewin, Westimport als Historikerin und Leiterin der Gedenkstätte in Bautzen. Sie sind sozusagen typisch für die beiden Hauptparteien im Streit, weshalb sie ungekürzt zu Wort kommen.
  104.  
  105. Tatsachen und Vorurteile
  106. Dr. Klaus Huhn: „Der erste Mann im Staat ist im Unrecht. Darf man dem Bundespräsidenten unterstellen, dass er Unrecht hat? Der erste Mann im Staat im Unrecht und etwa unredlich? Bei allem Respekt muss man es tun, wenn er unterstellt, dass ‚so mancher, der heute von den angeblichen sozialen Errungenschaften schwärmt, ganz offensichtlich nicht weiß, wie heruntergekommen der real existierende Sozialismus war’. Ich zum Beispiel brauchte dieser Tage dringend einen Arzt und bekam folgende Antworten bei meiner Telefonumfrage: a) Wir nehmen keine neuen Patienten an, b) Wir hätten frühestens einen Termin im November. Darauf ich: ‚Ich wollte morgen kommen, bar bezahlen und brauche nicht mal eine Quittung’. Darauf Antwort c): ‚Dann könnten Sie auch heute kommen’. Ich versichere an Eides statt, dass ich uneingeschränkte höchste Achtung vor allen Ärzten habe, ziemlich sicher bin, dass sie den Eid des Hippokrates kennen, schreibe das deshalb dem real existierenden Kapitalismus zu und versichere - wieder an Eides statt -, dass ich eine solche heruntergekommene Antwort im real existierenden Sozialismus nie bekam. Es mag Zufall sein, dass ich im Juni 2008 dasselbe erlebte.“
  107. Silke Klewin: „Auch die Jugend neigt zur Verharmlosung. Vereinzelte angenehme private Erinnerungen aus DDR-Zeiten können nicht davon ablenken, dass das SED-Regime eine Unrechtsdiktatur war und den Menschen die Freiheit beschnitten oder genommen hat. Trotzdem gelangen wir immer wieder zu erschreckenden Erkenntnissen darüber, wie sehr die DDR-Zeit noch verklärt wird. Wir machen gerade eine Umfrage unter 15-jährigen Schülern, die unsere Gedenkstätte besuchen. Und obwohl sie hier viel über die SED-Diktatur erfahren und sich gut informiert fühlen, finden 61 Prozent der bisher 500 Befragten, dass über die DDR nur schlecht geredet wird, um die Ostdeutschen schlecht zu machen. Fast 25 Prozent bedauern, dass die DDR nicht mehr existiert. Ebenso viele halten das zuletzt völlig ruinierte Wirtschaftssystem für erfolgreich. Zehn Prozent glauben tatsächlich, dass die DDR-Regierung demokratisch gewählt war. Diese grotesken Verklärungen zeigen, dass in der Jugend- und in der Erwachsenenbildung noch sehr viel zu tun ist. Denn ihre Ansichten über die DDR haben die Jugendlichen natürlich größtenteils von den Eltern übernommen.“
  108. Zugegeben, von Frau Klewin und ihren Brötchengebern stammt das nicht. Beim Vergleich zeigt sich Typisches der ganzen Diskussion. Klaus Huhn argumentiert mit unwiderlegbaren Fakten, Silke Klewin verurteilt befehlsgemäß Eltern wie Schüler für die „grotesken Verklärungen“. She is his masters voice.
  109.  
  110. Gegen Pauschalverurteilungen
  111. In der Ausgabe vom 14./15. Juni 2008 berühren nur drei Beiträge die gestellte Frage, und sie versuchen zu begründen, dass die wahrheitsnahe Darstellung von Positivem und Negativem in der DDR keine „Verklärung“ ist.
  112. In der SZ vom 21./22. Juni 2008 sind 14 Beiträge veröffentlicht. Aggressiv gegen die DDR-Politik können höchstens zwei „Altersarmut gab es auch in der DDR“ (Holger Reutschek, Nünchritz) und „Nicht nur Butter war manchmal knapp“ (A.Schmitt, E-Mail) eingestuft werden. Im Zweitgenannten wird die DDR auch „Verbrecher-Regime“ genannt. Die meisten der Beiträge wehren sich mit unterschiedlichen Argumenten dagegen, die DDR „pauschal zu verdammen“. Auf den Beitrag Wolfram Trillers aus Radebeul, der die Totalitarismus-Doktrin zurückweist, wird zurückzukommen sein.
  113. In der SZ vom 28./29. Juni 2008 wurden 18 Leserbriefe zum Thema abgedruckt. Elf von ihnen versuchten, ihr Verständnis für ihre DDR-Vergangenheit zu erklären, vor allem, indem sie ihre damaligen Erfahrungen mit den heutigen vergleichen. Ein Beispiel dafür lieferte F. Goldscheidt per E-Mail: „Keine SED-Propaganda, sondern bittere Realität. Die Menschen der DDR hatten Errungenschaften, von denen Bürger der BRD nicht einmal träumen konnten. Jetzt haben sie Erscheinungen kennen gelernt, von denen sie dachten, die gibt es nur in der Propaganda der SED: Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Bettler, Altersarmut, Kinderarmut, längst überwundene Kinderkrankheiten, einen Lohn, von dem man die Familie nicht ernähren kann. Suppenküchen, Essen von der Tafel, Nachtasyl sind keine Fremdwörter, sondern reales Leben. Polizeistaat, Schnüffelstaat werden zur Gewohnheit und gehören zum Alltag. Der Bürger der BRD wird zum gläsernen Individuum und ist dagegen wehrlos.“
  114.  
  115.  
  116. Erinnerungen lassen sich nicht aufzwingen
  117. Auf der Leserbriefseite der SZ vom 5./6. Juli 2008 wurden 15 Leserbriefe abgedruckt. Dem Anliegen der Geschichtsschreibung der Sieger folgten drei Autoren, zwölf verteidigten mehr oder weniger heftig ihr Recht auf eine Erinnerung, die ihnen nicht aufgezwungen wird.
  118. Von den drei Obrigkeitskonformen wähle ich den Brief von Ruth Frey aus Bad Gottleuba aus: „Erschreckend, wie schnell Menschen vergessen! Unterdrückung, Willkür, leere Läden – alles im Gehirn gelöscht? Wer sind die Menschen, die die DDR heute verklären? Alte Seilschaften? Nörgler, die immer meckern? Oder einfach Menschen, die mit der Freiheit nicht klarkommen, die immer eine Anleitung brauchen? Ich möchte die DDR nicht zurück, trotz besserer Schulbildung und großzügigem Gesundheitswesen. Ich fühle mich jetzt freier.“
  119. Die Dame „fühlt“ sich jetzt freier. Und auf die „bessere Schulbildung und großzügiges Gesundheitswesen in der DDR“ hätte sie gern verzichtet.
    Könnte Ruth Frey eine von denen sein, die Bertolt Brecht zu dem verzweifelten Urteil veranlassten: „Vierzig Jahre unter den Menschen haben mich ständig gelehrt, dass sie der Vernunft nicht zugänglich sind“.? Die 51 veröffentlichten Leserbriefe ermöglichen sowohl denjenigen, die die DDR verteufeln wollen – Silke Klewin war ihr Prototyp – als auch denjenigen, die als „Verklärer“ denunziert werden – Klaus Huhn personifizierte sie – bestimmte Schlussfolgerungen. Ich beschränke mich auf vier.
  120. Erstens: Die meisten Leser sprachen sich für eine sachliche, den Tatsachen verpflichtende Geschichtsschreibung über die DDR aus. Karin Klessig aus Waldheim drückte das (SZ 21./22.6.2008) so aus: „Die DDR gehört längst in den Geschichtsunterricht ohne Verklärung und muss im historischen Zusammenhang mit der damaligen weltpolitischen Lage gesehen werden.“
    Allerdings lässt sich gleichzeitig feststellen: Das Besondere, das Einmalige, das Beispielhafte an der DDR in der deutschen Geschichte – die Alternative zu Imperialismus und Krieg – kommt in der Diskussion kaum zum Ausdruck. Aber immerhin wird erkannt: „Der jetzige Staat ist nicht die bessere Alternative. Von Altbundesbürgern, die glauben, die Dresdner Semper-Oper sei erst nach 1990 aufgebaut worden, lass ich mir nicht erklären, wie wir in der DDR gelebt haben.“ (Helga Lorenz, 24. Juni)
    Dass die Friedensfrage zu kurz kommt, kann mehrere Gründe haben: Die Autoren halten diese Tatsache für zu banal und selbstverständlich. Oder die Auswahl der Briefe war durch die Tatsache diktiert, dass der Vergleich DDR – BRD in der Friedensfrage offiziell am wenigsten erwünscht ist. Jeder weiß, die DDR führte nie Krieg.
  121.  
  122. Keine Zwangsbekehrungen
  123. Zweitens:  Die überwiegende Zahl der Leser lehnt entschieden die „Zwangsbekehrung“ durch Wessis ab. „Sagt uns nicht, wie wir gelebt haben“, erklärte Karl-Heinz Deutscher aus Bautzen (SZ 5./6.7.2008)
    Viele betonen mit berechtigtem Stolz, was Gerhard Smit aus Dresden so ausdrückte: „Die DDR wird nicht verklärt. Es wird nur erklärt, was heute gefordert wird und in der DDR schon vorhanden war.“ (SZ 28./29.6.2008) Ob die Regierenden diesen klugen Hinweis verstehen?
    Auch den Ratschlag Dieter Bouskas aus Dresden (SZ 21./22.6.2008): „Er (Horst Köhler) sollte in die Diskussion mit gestandenen DDR-Bürgern eintreten und nicht mit Jugendlichen, die die DDR nur vom Hörensagen kennen.“ Mir würde es schon reichen, dass er auf Briefe antwortet.
    Besonders ermutigend für Linke könnte die Erkenntnis sein, die Timo Backofen aus Dresden gewann: „DDR-Geschichte ist ein (bislang erfolgreiches) Instrument zur Spaltung der Ostdeutschen, was u. a. das Ergebnis mit sich brachte, dass an wichtigen Positionen im Osten Westdeutsche das Sagen haben.“ (SZ 21./22.6.2008)
  124.  
  125. Aktuelle Vergleiche und unerträgliche Gleichsetzungen
  126. Drittens: Die „Westdeutschen, die das Sagen haben“, sind vor allem Totalitarismusforscher und ihre Institutionen, die den „Diktaturenvergleich“ als lukrativen Job in staatlichem Auftrag betreiben. Diese „bezahlten Klopffechter des Kapitals“ fanden keine erkennbare Resonanz. E. Jacob aus Dresden überschrieb seinen Beitrag: „Gleichsetzung mit Nazi-Diktatur ist unerträglich“ (SZ 5./6.7.2008).
    Tim Weidner aus Neugersdorf urteilte: „Auch sind Zweifel an der Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus angebracht“ (SZ 28./29.6.2008).
  127. Die Kritik am heutigen Staat war bisweilen heftig:
    „Machthunger und Geldgier, Lug, Betrug, Heuchelei, Marktwirtschaft und Korruption. Aber alles auf höherem Niveau und mit mehr Freiheit. Also schon ein bisschen besser.“ (Egon Bürger, Großerkmannsdorf, 2. Juli)
    Darüber steht die Zuschrift „In der Regierung herrscht das reinste Kasperletheater.“
    Der Leser Wolfgang Triller aus Radebeul setzte sich (SZ 21./22.6.2008) prinzipiell mit der Präambel der sächsischen Verfassung auseinander, die die Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus festlegt und jeden zum Verfassungsfeind stempelt, der die DDR nicht in dieses Schema einpasst.
  128. Viertens: Diejenigen, die mit der DDR-Geschichte „abrechnen“ wollen, sind erstaunlich schwach vertreten, noch schwächer sind ihre Argumente und Positionen. Die „Stasi-Keule“ scheint zum Bumerang geworden zu sein.
    Dr. Hermann Golle, Dresden, forderte burschikos: „Den Stalinisten und ewig Gestrigen muss entgegengetreten werden. Sie sind im Unrecht.“ (SZ 5./6.7.2008)
    Wer aber bestimmt, wer das ist? Und was die „Stalinisten und ewig Gestrigen“ mit der „Verklärung“ der DDR zu tun haben, weiß er seinen Mitlesern auch nicht zu sagen. Die deutsche Politik und die Medienfabriken liegen doch wohl nicht in ihren Händen.
    Von den vielen Zitaten, die Dr. Golle zur Zurückhaltung mahnen müssten, wähle ich einen Satz Richard von Weizsäckers aus dessen Weihnachtsansprache 1989: „Wir haben allen Grund, den Deutschen in der DDR mit wahrer Achtung zu begegnen. Dazu gehört, ihnen nicht ungebeten dreinzureden, sondern ihre Sorgen ernst zu nehmen und ihnen den Raum und die Zeit zu lassen, die sie brauchen, um ihren Weg zu erkennen.“ Hat der Bundespräsident in den Wind gesprochen? Gehört gar nicht zusammen, was – nach Willy Brandt – zusammenwachsen soll? Ein Leser, Hans Laubsch aus Niesky, erkannte das Motiv der Gräuelpropaganda über die DDR und damit der vom Präsidenten angestoßenen Diskussion: „Mit der Darstellung der Schreckensherrschaft in den Ostländern setzte man den Antikommunismus fort.“ (SZ 21./22.6.2008)
  129. Erstaunlich und bemerkenswert ist, dass Schroeder/Schroeder in der „Welt“ vom 11. September 2008 zu ähnlichen Urteilen gelangen, wenn sie wahllos aus Briefen zitieren, die sie erhalten haben (15): „Allen Umdeutungsversuchen zum Trotz wird die DDR als eine sozial gerechte Ordnung in die Geschichte eingehen, die es weder davor noch danach gab. Die Lebenserfahrung und das Wissen der Eltern sind offensichtlich keinen Pfifferling wert, wenn es nicht der Delegitimierung der DDR entspricht. Die Delegitimierung der DDR ist wissenschaftlich schon lange gescheitert. … Man erhöht die Legitimität der BRD nicht durch die Delegitimierung der DDR.“ Der Schlusssatz der „DDR-Experten“ lautet: „Die DDR ist quicklebendiger und sozialer, als sie je zu ihren Lebzeiten war.
  130. Siehe da: Ein Mausetoter ist quicklebendig. Wenn das kein Wunder ist!
  131. In seiner Nobelpreisrede 1999 meinte Günter Grass: „Entsetzt sehen wir, dass der Kapitalismus, seit sein Bruder, der Sozialismus, für tot erklärt wurde, vom Größenwahn bewegt ist und sich ungehemmt auszutoben begonnen hat.“
  132. Vergessen sind alle guten Vorsätze von Politikern und Ideologen, denen 1990 ein Teil der DDR-Bürger glaubte. Spiegelt sich das auch in der SZ-Debatte um die „Verklärung“ der DDR wider?
    Hat Egon Krenz Recht, wenn er in einer Erklärung an Horst Köhler sagte: „Sollte man nicht zurückkehren zu der Losung ‚Wir sind das Volk’? Einzig ihm kommt die Deutungshoheit über sein Leben zu.“ (junge Welt 12.6.2008)
  133.  
  134. (1)   Horst Schneider: Das Hannah-Arendt-Institut im Widerstreit der Interessen, Berlin 2004, S. 71.
    (2)   Ellen Großhans: DDR-Geschichte erfahrbar machen, Leipziger Volkszeitung 26./27. Juli 2008.
    (3)   Sächsische Zeitung 29. Juli 2008.
    (4)   Ein typisches Beispiel: Grundzüge der Geschichte, Sekundarstufe II Vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Gegenwart, Diesterweg Verlag Frankfurt a. M., Berlin, München, 7. Aufl. 1984, S. 226 Foto von der „Mauer“, S. 228 „Arbeiteraufstand“.
    (5)   Text in: XVIII. Bautzen-Forum 10. – 11. Mai 2007, Leipzig 2007, S. 75 f.
    (6)   Vorschriften und Brief in meinem Besitz.
    (7)   Ebenda S. 80
    (8)   Martin Sabrow: Historisierung der Zweistaatlichkeit, aus: Politik und Zeitgeschichte, 15. Mai 2008, S. 4.
    (9)   Berliner Zeitung 17./18. Juni 2006.
    (10) Richard von Weizsäcker: Weihnachtsansprache 1989.
    (11) Leserbrief. Rotfuchs September 2008, S. 31.
    (12) Horst Schneider: Gruselstory Checkpoint Charly. „Die Frau vom Checkpoint Charly“ –Leidvolle Wahrheit oder Lügengeschichte? Böklund 2008.
    (13) Leipzig 1988, für die sächsische Landeszentrale gedruckt.
    (14) Siehe Fußnoten im Buch Schmeitzner/Richter, S. 11/12. Horst Schneider: Lügenbarone in Sachsen? Gegen den Zeitgeist, Schkeuditz 1999, S. 157 f.
    (15) Die DDR ist quicklebendig, Die Welt 11. September 2008.
  135.  
  136.  Horst Schneider

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