Donnerstag, 7. Juni 2018

Konzeption der Bundeswehr

IMI-Analyse 2018/13 (Update, 27.5.2018)



Rüstung für den Neuen Kalten Krieg

von: Alexander Kleiß, Tobias Pflüger und Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 19. Mai 2018



Mit zunehmender Eile plant Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die Bundeswehr in der kommenden Legislaturperiode weiter aufzurüsten. Als konzeptionelle Grundlage soll hierfür die „Konzeption der Bundeswehr“ (KdB) dienen, die seit Ende April 2018 im Entwurf vorliegt. Mit der Begründung, die Landes- und Bündnisverteidigung sei in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt worden, propagiert die KdB faktisch eine Rüstungsoffensive gegen Russland. Dies dürfe jedoch nicht auf Kosten der Fähigkeiten für Militäreinsätze im Globalen Süden gehen, was schließlich in Forderungen mündet, buchstäblich in alle Richtungen zu rüsten – und dementsprechend auch Gelder bereitzustellen. Konsequenterweise forderte von der Leyen auf der Bundeswehrtagung am 14. Mai 2018, den Rüstungshaushalt trotz der hohen Steigerungen der letzten Jahre noch einmal in einer ganz anderen Dimension aufzuplustern.
Dachdokument der Rüstung
Am 4. Mai 2018 zitierte die Süddeutsche Zeitung Auszüge aus der „Konzeption der Bundeswehr“. Sofern in dem Dokument neue Weichenstellungen vorgenommen werden, hat dies weitreichende Auswirkungen, schließlich handelt es sich dabei laut Planungsamt der Bundeswehr um das „Dachdokument der Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung Deutschlands.“ Und tatsächlich titelte die Süddeutsche Zeitung „Deutschland am Hindukusch verteidigen – das war einmal“, wodurch bereits im Aufmacher angedeutet wurde, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sei im Begriff, einen grundlegenden Kurswechsel vorzunehmen: „Die CDU-Politikerin plant, die jahrelang vorherrschende Fokussierung auf Auslandseinsätze, die unter anderem als Argument für Einsparungen herhalten musste, zu beenden, und sich künftig ‚gleichrangig‘ wieder der Landes- und Bündnisverteidigung zu widmen. Dies geht aus dem Entwurf des Grundsatzpapiers ‚Konzeption der Bundeswehr‘ hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.“
Dazu ist einiges anzumerken: So ist die Behauptung, die Fokussierung auf Auslandseinsätze habe „Einsparungen“ zur Folge gehabt, ebenso sachlich falsch wie der Titel des Beitrags, da „Hindukusch-Einsätze“ keineswegs Geschichte sind, wie hier insinuiert wird. Im Artikel selbst wird ja direkt darauf hingewiesen, dass beide Einsatzformen künftig „gleichrangig“ behandelt werden sollen. Deutschland soll künftig eben nicht nur am Hindukusch und in der Sahelzone, sondern zudem auch wieder in Osteuropa und wo sonst auch immer man meint, Streit mit Russland anfangen zu wollen, „verteidigt“ werden. Nichts anderes ist gemeint, wenn von einer „gleichrangigen“ Fokussierung auf Auslandseinsätze und Landes- und Bündnisverteidigung die Rede ist.
Russland wird im KdB-Entwurf zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber immer wieder ist die Rede davon, dass aufgrund „der sicherheitspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre […] die Bündnisverteidigung wieder in den Fokus der strategischen Überlegungen der NATO gerückt“ sei. Hierbei könnten die Maßnahmen der Bündnissolidarität „der Bundeswehr absehbar zusätzliche Leistungen und Fähigkeiten, besonders in den Randgebieten der Bündnisse, aber auch aufgrund der besonderen Lage Deutschlands als Transitland in der Mitte Europas und als Host Nation abverlangen“. Zudem sollten aufgrund der „Relevanz der Landes- und Bündnisverteidigung“ alle Angehörigen der Bundeswehr ihre Rolle hierbei identifizieren und sich auch in der Ausbildung wieder verstärkt auf diese Aufgabe ausrichten. „Abschreckung und Verteidigung auf Grundlage einer geeigneten Mischung aus konventionellen, nuklearen und Raketenabwehrfähigkeiten“ seien weiterhin ein Kernelement der Gesamtstrategie. Landes- und Bündnisverteidigung sei außerdem „der bestimmende Parameter für die Grundaufstellung der Bundeswehr“.
Und weiter: „Die Bundeswehr muss […] in der Lage sein, zur kollektiven Bündnisverteidigung in allen Dimensionen mit kurzem Vorlauf, mit umfassenden Fähigkeiten bis hin zu kampfkräftigen Großverbänden innerhalb und auch am Rande des Bündnisgebietes eingesetzt zu werden.“ Am wahrscheinlichsten sei ein „konventioneller Angriff“ an den Außengrenzen, deshalb müsse die Bundeswehr „über Kräfte und Mittel verfügen, die nach kurzer Vorbereitung an den Grenzen oder jenseits des Bündnisgebietes einsetzbar sind.“ Diese Formulierungen sind entlarvend, lassen sie doch genug Spielraum, um die Bundeswehr auch für Auseinandersetzungen in einem der aktuell noch „blockfreien“ Länder zwischen der NATO und Russland hochzurüsten, in denen die Spannungen seit Jahren zunehmen.
Gleichzeitig spricht die KdB aber eben auch von einer „permanenten 360-Grad-Bedrohung“ und meint damit nicht nur, dass die Konflikte mit Russland inzwischen auch nördlich und südlich des Bündnisgebietes ausgetragen werden, sondern dass man generell auch weiter global interventionsfähig sein will. Schließlich könne es erforderlich sein, so die KdB weiter, „Schifffahrt, Luftverkehr und Handelswege zu sichern.“ Hierfür könne auch ein „zeitlich begrenzter friedenserzwingender Kampfeinsatz erforderlich werden.“ Und weiter: „Streitkräfte müssen einen Waffenstillstand eischließlich der Einrichtung von Flugverbotszonen, Puffer- und Schutzzonen und der Entwaffnung und Rückführung der Konfliktparteien umsetzen.“ Kommt es dann zu einer Intervention, stellt sich die Bundeswehr auch noch selbst die Lizenz aus, gegebenenfalls direkt die Administration des betroffenen Landes zu übernehmen – anders ist die folgende Passage nur schwerlich zu interpretieren: „Ist das betroffene Land selbst nicht in der Lage, die öffentliche Sicherheit und Ordnung umfassend sicherzustellen, kann die Bundeswehr in einem ressortübergreifenden Ansatz vorübergehend auch Ordnungsaufgaben wahrnehmen, deren Äquivalent im Inland von nicht-militärischen Stellen geleistet wird.“
Der aktuell so lautstark artikulierte finanzielle „Mehrbedarf“ ergibt sich deshalb vor allem daraus, das eine („Bündnisverteidigung“) wieder tun, ohne das andere („Hindukusch-Einsätze“) lassen zu wollen. Das Märchen von der kaputtgesparten Bundeswehr und die Verweise auf die – im Wesentlichen vom Westen zu verantwortende – Eskalation der Beziehungen zu Russland kommen dabei gerade recht, um Ausgabensteigerungen gegenüber einer diesbezüglich sehr skeptischen Bevölkerung rechtfertigen zu können. Tatsächlich geht es Politik und Militär dabei primär darum, Deutschland damit endlich als ernstzunehmende Militärmacht ersten Ranges auf der Weltbühne postieren zu können.
Bühler-Papier: Vorarbeiten
Neu sind all diese Überlegungen allerdings leider nicht: Wesentliche Elemente der KdB sind bereits bekannt, seit im April 2017 die „Vorläufigen konzeptionellen Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ von der FAZ veröffentlicht wurden. Verfasst unter der Ägide von Generalleutnant Erhard Bühler, wurden schon damals keine Zweifel daran gelassen, dass der „Bündnisverteidigung“ und damit faktisch der Rüstung gegen Russland künftig wieder mehr Bedeutung zukommen soll. Deutschland müsse bis 2031 drei schwere Divisionen mit je 20.000 Soldaten in die NATO einbringen können, die erste bereits 2026. Die Landstreitkräfte müssten dringend mit mehr Panzern und vor allem schwerer Artillerie ausgestattet werden, aber auch bei der Luftwaffe und der Marine existiere milliardenschwerer Rüstungsbedarf, hieß es schon im Bühler-Papier (siehe IMI-Analyse 2017/11). Ziemlich genau ein Jahr später berichteten die Militäexperten von Jane’s 360 (18.4.2018) über das 5 Mrd. Euro schwere Ausrüstungsprojekt „Land 2023“ des Verteidigungsministeriums. Demzufolge werde weiter angestrebt, drei Divisionen vollausgestattet vorhalten zu können, die erste nun ab 2027, die beiden anderen ab 2032. Als Zwischenschritt werde anvisiert, bis 2023 eine Brigade (ca. 5.000 Soldaten) für die mit Blick auf Russland gegründete Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) der NATO abstellen zu können, dem Jahr, in dem Deutschland die Führung dieser Truppe übernehmen wird. Den nicht sonderlich zarten Hauch von Kaltem Krieg, den das Ganze vermittelte, fasste damals  die FAZ (19.4.2017) treffend mit den Worten zusammen: „Damit würden die Divisionen wieder die klassische Struktur aus der Zeit vor 1990 einnehmen.“
Schon als das Bühler-Papier veröffentlicht worden war, wurde nachvollziehbarerweise gemunkelt, das Anspruchsprofil sei mit der aktuellen Bundeswehr-Gesamtstärke nicht umzusetzen (Frankfurter Rundschau, 19.4.2017). Aus diesem Grund wurde mit der „Trendwende Personal“ inzwischen beschlossen, die erst 2011 eingeleitete Reduzierung der Truppe wieder rückgängig zu machen: Die Bundeswehr soll 2024 aus 198.000 Soldaten und 61.000 „zivilen“ Angestellten bestehen. Allerdings dürfte sich die Truppe hier ziemlich strecken müssen, um dies zu erreichen: Im April 2018 bestand die Bundeswehr aus 178.950 aktiven Soldaten. Aus diesem Grund betont die KdB die besondere Bedeutung, die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren.
Diese Hochrüstung gegen Russland ist überaus ernst zu nehmen, wie allein schon ein ergänzender Blick in das vom Heereskommando Mitte 2017 herausgegebene Papier „Wie kämpfen die Landstreitkräfte künftig“ zeigt. Darin wird ein detailliertes Szenario entworfen, wie die Bundeswehr einen Landkrieg gegen Russland im Jahr 2026 gewinnen kann bzw. welche Fähigkeiten hierfür beschafft werden müssen (siehe IMI-Analyse 2017/44). Es folgte daraufhin Thesenpapier II „Digitalisierung von Landoperationen“ sowie Nummer III „Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte“, in dem noch einmal lautstark für die Dringlichkeit der Anliegen geworben wurde: „Das deutsche Heer bewährt sich seit mehr als zwanzig Jahren in Auslandseinsätzen; um dies zu ermöglichen mussten jedoch Fähigkeiten vernachlässigt oder aufgegeben werden. Die Ausstattung des Heeres und die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung haben darunter gelitten. […]  Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und Rahmenbedingungen für die Fähigkeitsentwicklung der Landstreitkräfte ist es erforderlich, ein gemeinsames Gefühl für die Dringlichkeit der notwendigen Veränderungen zu entwickeln, eine höhere Bereitschaft aufzubringen Risiken einzugehen und diese zu managen sowie den Fokus klar auf das Schaffen von Fähigkeiten zu richten. Alles andere hat sich dem unterzuordnen, denn nur so kann die Wirkungsüberlegenheit deutscher Landstreitkräfte zurückgewonnen werden.“
Ungeachtet aller Ambitionen, auch künftig „Hindukusch-Einsätze“ durchführen zu wollen, sieht auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Aufrüstung gegen Russland aktuell den größten Handlungsbedarf, wie sie unter anderem bei ihrer Rede auf der Bundeswehrtagung am 14. Mai 2018 verdeutlichte: „Meine Damen und Herren, die anspruchsvollste Aufgabe der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung. Sie ist die Messlatte für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Und zugleich ist dies die Aufgabe, die in den vergangenen 25 Jahren vernachlässigt wurde, um die priorisierten Einsätze leisten zu können. Hier besteht der größte Nachholbedarf!“
Anschließend führte die Ministerin aus, wo man der Auffassung ist, sich gegen Russland rüsten zu müssen – kurz zusammengefasst: überall: „Was heißt Landes- und Bündnisverteidigung in Zukunft? Lackmustest wird sein, ob und wie wir uns auf die hybriden Bedrohungen einstellen. Die Truppe braucht dafür ein verlässliches Gerüst, aus dem heraus sie handeln kann. Wir haben die Muster vor Augen: Fake-news Kampagnen um Unruhe zu schüren; das Einsickern von irregulären Kräften an den Rändern des Bündnisterritoriums; Cyberattacken gegen kritische Infrastruktur, Regierungsnetzwerke und unsere Bankensysteme; die Bedrohung durch Raketen jeglicher Reichweite und Wirkung; Angriffe auf unsere Handelswege auf See; Einsätze von Drohnenschwärmen gegen zivile Ziele; bis hin zur ‚klassischen‘ Verteidigungsoperation an der Landesgrenze. Auf all das müssen wir uns neu ausrichten. Und zwar nicht nur in der Programmatik und durch das Verfassen von Denkpapieren, sondern durch ganz konkrete Maßnahmen bei Personal und Material, in der Ausbildung, mit unseren Partnern und ressortgemeinsam.“
Randmeerkriegführung gegen Russland
Ein besonders anschauliches Beispiel, wie im KdB-Entwurf ein konkretes Szenario für eine mögliche Konfrontation mit Russland ausgebreitet wird, ist die „Randmeerkriegführung“. Im Entwurf heißt es: „[Die] Befähigung zur Randmeerkriegführung […] bleibt unverändertes Ziel für die Ausgestaltung der deutschen SeeSK. Im Rahmen der LV/BV spielen dabei der Nordflankenraum der NATO und die Ostsee […] zunehmend eine wichtige Rolle.“ Vor allem sei es erforderlich, für die  „Baltischen Staaten“ falls nötig eine „Nachversorgung über die Ostsee“ sicherzustellen.
Um für derartige „Randmeerkriege“ gerüstet zu sein, wurde bereits voriges Jahr der Ankauf von fünf weiteren Korvetten der Klasse K130 beschlossen. Im bundeswehr-journal wurde dazu der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, zitiert, dies werde es künftig ermöglichen, sich „stärker um den vernachlässigten Raum der Nordflanke zu kümmern.“ Wie konkret diese Rüstungsbeschaffung auf Russland gemünzt ist, verdeutlicht das Aufgaben- und Fähigkeitsprofil der K130, das in der jungen Welt folgendermaßen beschrieben wurde: „Korvetten sind kleiner und wendiger als etwa Fregatten. Sie sind ideal für Einsätze in Küstengewässern und Binnenmeeren – für Einsätze in der Ostsee zum Beispiel. Mit ihnen passt sich die Deutsche Marine also zielgenau an die neue Feindbestimmung des deutschen Establishments an.“
Weitere Rüstungsprojekte
Zufrieden zog Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem Auftritt auf der Bundeswehrtagung am 14. Mai 2018 eine Rüstungsbilanz ihrer letzten Amtsperiode. Die „Trendwende Material“ sei vollzogen, so seien 181 Schützenpanzer (Puma), 51 Radpanzer (Boxer), 28 Transporthubschrauber (NH90), 31 Kampfhubschrauber (TIGER), 16 Transportflugzeuge (A400M) und noch vieles weitere der Bundeswehr zugeführt worden. Für die kommende Legislaturperiode stünde nun unter anderem die Auslieferung von 129 weiteren Boxern und von 15 Marinehubschraubern (SEA LION) an, so von der Leyen.
Zudem verfasste das Verteidigungsministerium bereits eine Art Wunschzettel mit weiteren 18 Großbestellungen bei der Rüstungsindustrie. Das Handelsblatt, dem die Liste vorliegt, berichtete bereits von der geplanten Anschaffung von u.a. sieben neuen Rettungshubschraubern und sechs Hercules-Transportflugzeugen (Typ C130-J), die für schnelle Truppenverlegungen nach Osteuropa eingesetzt werden könnten. Auch die ukrainischen Transportflugzeuge vom Typ Antonov AN 124 könnten diesen Zweck erfüllen (und sogar großes Gerät, z.B. Helikopter, transportieren), weshalb der gesicherte Zugang zu diesen auch von 2019 bis 2021 weiterhin vertraglich gewährleistet werden solle. Das ukrainisch-russische Joint Venture SALIS ist für die Bereitstellung verantwortlich. Ob Russland der Verlängerung des Vertrags zustimmen wird, ist allerdings fraglich. Die Liste enthalte zudem einige Verbesserungen für den Schützenpanzer Puma, einen Instandhaltungsvertrag für den Hubschrauber NH90, Radartechnologie für den Kampfjet Eurofighter sowie neue Uniformen, so das Handelsblatt. Vor dem Hintergrund einer Aufrüstung gegen Russland ist auch die mögliche Anschaffung von 18 Raketenwerfern (MARS II) kritisch zu sehen. Raketenwerfer sind ein typisches Instrumentarium für großangelegte, konventionelle, klassische Kriege. Dies kann ebenso wie die geplante Anschaffung von mehreren verlegbaren Gefechtsständen sowie 32 schweren Sattelzugmaschinen für den Transport von Waffensystemen als Drohgebärde in Richtung Russland verstanden werden.
Ungeachtet dieser umfassenden Liste stehen außerdem die ganz großen Rüstungsprojekte, wie der Bau eines deutsch-französischen Kampfpanzers („Leopard-3“) oder das Kampfflugzeug („Future Combat Air System“) und die Eurodrohne, die beide Länder (im Falle der Drohne zusammen mit Italien und Spanien) entwickeln wollen, sogar erst noch an. Allein beim Kampfflugzeug gehen Experten von einem Auftragsvolumen von mindestens 80 Milliarden Euro aus (siehe IMI-Analyse 2018/10), kein Wunder also, dass sich die Rüstungsindustrie aktuell die Hände reibt. So äußerte sich etwa Frank Haun, Chef des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei-Wegmann, gegenüber dem Handelsblatt Ende April 2018 regelrecht euphorisch ob der Zukunftsaussichten der Branche: „Wir hatten letztes Jahr den stärksten Umsatz unserer Firmengeschichte, und wir werden mittelfristig weiterwachsen. Wir haben alleine in Europa so altes Gerät im Einsatz, dass man damit bald keine Soldaten mehr verantwortungsvoll in den Einsatz schicken kann. Hier geht es um gepanzerte Systeme und Artillerie. Das sind Megathemen, mit einem Gesamtvolumen in Europa von über einhundert Milliarden Euro bis 2050.“
Dies ist umso ärgerlicher vor dem Hintergrund des ständigen Klagens darüber, dass nur ein Teil des Militärgeräts der Bundeswehr einsatzfähig sei. Deshalb ist es – vorsichtig ausgedrückt – bemerkenswert, dass Geld für teure Großanschaffungen, die neue Kostenexplosionen nach sich ziehen werden, plötzlich verfügbar sein soll. Viele Systeme sind nicht einsatzbereit, weil die Rüstungsindustrie diese in mangelhafter Qualität, zu spät und teurer als ursprünglich veranschlagt ausliefert. Die Rüstungsindustrie wird dafür nun durch die Vergabe neuer Großprojekte belohnt und subventioniert, obwohl das Material aus vorigen Großprojekten nicht einmal einsatzbereit ist. Einr der wenigen Artikel, der sich kritisch hiermit auseinandersetzte, erschien auf Zeit Online: „Finanzielle Aufrüstung soll zu besserer Ausrüstung führen. Nur war das in der vergangenen Legislaturperiode nicht immer der Fall. Obwohl die Rüstungsausgaben (Gelder für die Erforschung und den Kauf neuer Waffensysteme) stetig stiegen, blieben die Waffensysteme der Bundeswehr teils in desolatem Zustand.
Schluck aus der Finanzpulle
Parallel zu den Forderungen nach immer neuen Rüstungsvorhaben nimmt die Debatte um die deutschen Militärausgaben immer bizarrere Züge an. Nicht enden wollende Artikelkolonnen lamentieren, die Bundeswehr sei in den letzten Jahrzehnten auf verantwortungslose Weise kaputtgespart worden. Exemplarisch warf der Tagesspiegel Kanzlerin Angela Merkel kurz vor Beginn der Haushaltsdebatte Mitte Mai 2018 eine „Führungsschwäche“ vor, die zur Folge habe, dass nicht genug in die Rüstung investiert und Deutschland so zu einer „Möchtegern-Führungsmacht“ werde: „In einem Bereich scheint die Regierung von allen guten Geistern verlassen: der Verteidigungspolitik. Bis 2021 soll die Bundeswehr nur 5,5 Milliarden Euro mehr erhalten. Gebraucht wird ein Vielfaches. Nicht irgendwann, sondern jetzt. […] Allmählich entsteht das Bild einer irrationalen Möchtegern-Führungsmacht. In der Analyse, was nötig wäre, ist man sich einig. In der Praxis folgt – nichts.“
Dass diese Jammerei jeglicher Grundlage entbehrt, scheint dabei niemanden sonderlich zu stören, obwohl die Zahlen doch bekannt sein sollten: Der Etat stieg von 23,8 Mrd. Euro (2000) auf etwa 38,5 Mrd. (2018) an und soll bis 2022 gemäß der Anfang Mai 2018 vom Kabinett beschlossenen Eckwerte bei 42,6 Mrd. landen (hinzu kommen allein 2022 noch 1,17 Mrd., die als „Personalmittelverstärkung“ in den Einzelplan 60 (Allgemeinen Haushalt) verschoben wurden). Trotz dieser üppigen Erhöhungen kann das Verteidigungsministerium den Hals ganz offensichtlich nicht voll genug bekommen: Anfang Mai 2018 schaltete sich Jürgen Schnell von der Bundeswehr-Universität München mit einem „Diskussionsbeitrag“, das detaillierte Berechnungen enthält, in die Debatte ein. Die jüngsten Erhöhungen würden bei weitem nicht ausreichen, sie hätten zur Folge, dass die für Rüstungsinvestitionen („Rü-Invest“) bereitgestellten Mittel 2022 auf 10,1% der Gesamtausgaben abgesenkt werden müssten. Tatsächlich hat die Bundesregierung u.a. im Rahmen der EU-PESCO-Vereinbarungen aber zugesagt, künftig 20% der Ausgaben für Rü-Invest vorzusehen. Schnells Ansicht nach lässt sich dies nur durch eine deutliche Anhebung des Verteidigungsbudgets erreichen. Es sei zwar unrealistisch, dass kurzfristig die von den USA geforderten 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in den Militäretat fließen könnten, 1,5 Prozent sollten es aber schon sein. So könnten laut Schnells Berechnungen 2022 immerhin 12,4 Mrd. Euro anstatt 4,3 Mrd. in die Neuanschaffung von Kriegsgerät gesteckt werden.
Die eigentliche Bombe platzte dann aber, als sich Verteidigungsministerin von der Leyen diese Forderung bei ihrer Rede auf der Bundeswehrtagung Mitte Mai 2018 zu Eigen machte: „Wir hatten den Tiefpunkt unserer Verteidigungsausgaben gemessen am BIP in 2015 mit 1,1%. Nächstes Jahr, 2019, werden wir voraussichtlich 1,3% erreichen. Und zum NATO- Gipfel in Brüssel werden wir anzeigen, dass wir für 2025 einen Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP von 1,5% erreichen wollen.“
Die Aussage ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Bisher handelte es sich bei dem ominösen Zwei-Prozent-Ziel um eine nicht-bindende Absichtserklärung, sich „in Richtung“ dieser Zahl zu bewegen – vager lässt sich eine solche Abmachung kaum formulieren, auch wenn in den Medien gerne so getan wird, als hätte sich Deutschland hier konkret zu etwas verpflichtet. Nun eine speziell auf Deutschland gemünzte konkrete Zahl anzuzeigen, hätte einen deutlich höheren Verbindlichkeitsgrad, der es der nächsten Bundesregierung sehr viel schwerer machen würde, dahinter zurückzufallen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit sich von der Leyen hier mit wem abgesprochen  hatte – mit der SPD jedenfalls nicht, zumindest legen das die Reaktionen nahe. Allerdings scheint sich die Verteidigungsministerin der Unterstützung der Kanzlerin zu erfreuen, zumindest betonte Angela Merkel in der Haushaltsdebatte im Bundestag am 16. Mai 2018, sie fühle sich weiter dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO „verpflichtet“. Deshalb seien höhere Ausgaben erforderlich, schließlich gehe es dabei „nicht um Aufrüstung, sondern um Ausrüstung.“ Auch die Antwort auf die Frage, gegen wen „ausgerüstet“ werden muss,  blieb Merkel nicht schuldig: „Durch die Ereignisse 2014“ sei die „Landes- und Bündnisverteidigung wieder von größerer Bedeutung.“ Vor allem auch im Cyberbereich müsse nachgelegt werden: „Die Hybride Kriegsführung ist Teil der Militärdoktrin zum Beispiel Russlands“ so Merkel. „Und da sind die gut und da müssen wir natürlich wehrhaft sein können, ansonsten werden wir keine Chance haben.“ Um dies zu vermeiden sei es notwendig, in „viel größerer Breite Material und Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, um die zusätzlichen Aufgaben, die wir heute haben, zu bewerkstelligen.“
Schwer vorstellbar, dass Merkel angesichts derart markiger Sprüche die Absicht hat, ihrer Verteidigungsministerin in die Parade zu fahren – zumal einige in ihrer Partei ohnehin noch über von der Leyens Ideen hinausgehen wollen. So forderte Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul bereits einen Tag vor der Haushaltsdebatte sogar, die vom Verteidigungsministerium geforderten 1,5 Prozent bereits im Jahr 2021 zu verwirklichen.
Gruselig ist das vor allem deshalb, weil sich Prozentzahlen im unteren einstelligen Bereich zwar auf den ersten Blick harmlos ausnehmen mögen, sie sich bei näherer Betrachtung aber als riesige Summen entpuppen, die dann für andere Zwecke nicht mehr zur Verfügung stehen. Was die Aussagen von der Leyens konkret bedeuten, beschreibt Spiegel Online unter Berufung auf interne Quellen mit folgenden Worten: „Die Steigerung, so von der Leyen, sei absolut notwendig, schließlich müssten alle Verbündeten der Allianz mehr leisten. Ihre Zielmarke ist hoch gesteckt. [Schnells] Internen Berechnungen zufolge müssten die Verteidigungsausgaben zum Erreichen der 1,5-Prozent-Marke bis 2025 auf 62,5 Milliarden Euro steigen, etwa 58 Milliarden davon würden ihrem Haus zufließen, vier Milliarden gingen in andere Ressorts.“
Mit dem Entwurf der Konzeption der Bundeswehr und den anschließenden Debatten um die Höhe des Rüstungsetats wurden weitere Weichen gestellt, um mit Volldampf in einen Neuen Kalten Krieg mit Russland rauschen zu können. Und das ist nicht nur friedenspolitisch eine Katastrophe, sondern es wird die Bevölkerung auch buchstäblich teuer zu stehen kommen!

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