Saltillos Oberhirte bei Wien-Besuch: NAFTA-Vertrag hat Mexiko komplett zerstört, Menschenrechtskrise hervorgerufen und eigene Regierung zum "Terroristen" gemacht.
Europa sollte nach Ansicht des mexikanischen Bischofs Raul
Vera Lopez von den Fehlern lernen, die Mexiko beim Umgang mit
der Migration und durch den Abschluss des
NAFTA-Freihandelsvertrages mit USA und Kanada begangen hat.
Abgesehen von Kriegsländern wie Syrien sei Mexiko heute "das
zerstörteste Land der Welt" und stecke in einer tiefen und
gefährlichen Krise der Menschenrechte, so der 71-jährige
Menschenrechtsaktivist am Mittwochabend, 14. September 2016
vor Journalisten in Wien.
Rigoros setze die USA ihr neoliberales Wirtschaftsmodell
weltweit um, wobei die dadurch möglichen Schäden an Mexiko
schon drastisch sichtbar geworden seien: Längst arbeite die
Regierung nicht mehr im Auftrag der mexikanischen Bevölkerung,
sondern allein für die multinationalen Unternehmen, die großen
Banken und Finanzakteure, betonte der 71-jährige Bischof von
Saltillo. Schritt für Schritt würden Mexikos Ressourcen und
Wirtschaft verkauft, "an den Weltwährungsfonds, die Weltbank
und die Welthandelsorganisation", so Vera Lopez, der zu einem
Treffen des Dominikanerordens ins Wiener Don Bosco-Haus
gekommen war.
Politisch umgesetzt werde der Ausverkauf Mexikos durch Terror
gegen die eigene Bevölkerung, sei doch die Regierung "der
derzeit größte Terrorist, den wir in Mexiko haben",
kritisierte der Ordensgeistliche. Armee und Polizei würden im
von den USA unterstützten "Krieg gegen die Drogen" nicht
Kriminelle, Korrupte und Geldwäscher bekämpfen, sondern
Journalisten, Lehrer, Jugendliche, Arbeiter, Frauen,
Homosexuelle und Migranten. "Die Bilanz: Über 100.000
Todesopfer unter Präsident Calderon, bereits 70.000 unter
seinem Nachfolger Enrique Peña Nieto. Zudem werden weite
Landstriche von den Narcos (Anmk.: Drogenmafia) kontrolliert,
gebilligt von der Regierung, da viele der öffentlichen
Ausgaben aus ihrer Geldwäsche stammt", so der Bischof.
Als ein Beispiel für die Missstände nannte der Bischof die
als "La Bestia" bezeichnete Zuglinie, die Mexiko aus
Mittelamerika kommend in Richtung USA durchquert. Die Bahn in
Privatbesitz sei allein für den Gütertransport konzipiert und
werde von privaten Sicherheitsdiensten bewacht. Die vielen
Migranten, die sie mitbenutzen, seien den Angriffen durch das
organisierte Verbrechen völlig schutzlos ausgeliefert.
Erschwerend komme laut Vera Lopez auch die Straflosigkeit im
Land hinzu: Nur drei Prozent aller Verbrechen würden heute
angezeigt, nachgegangen würde davon wiederum nur zwei Prozent.
Handlanger der USA
Hinsichtlich der anstehenden US-Präsidentschaftswahlen gab
sich der intensiv für Migranten engagierte Bischof nüchtern.
Wesentliche Unterschiede zwischen Donald Trump und Hillary
Clinton sehe er in dieser Hinsicht nicht, ohnehin folge die
Politik den geschlossenen Pakten. Auch Mexikos Rolle sei
längst definiert: Einerseits werde dem Land die Hauptschuld
für die illegale Einwanderung in die USA zugeschoben - "zu
Unrecht, da Menschen aus allen Seiten in die USA kommen", wie
Vera Lopez betonte. Andererseits sei die Regierung Handlanger
des nördlichen Nachbarns beim Aufhalten der Migration aus dem
Süden - "auf immoralische, untragbare Weise, da dabei Menschen
getötet und verstümmelt werden", so der Bischof.
Um auf Migration einzuwirken, würden Mauern nicht helfen;
vielmehr müsse an deren Ursachen gearbeitet werden, betonte
der mexikanische Geistliche. Im Falle Mexikos sei dies oft die
Sicherung des bloßen Überlebens seitens der Migranten und
ihrer Familien, denen sie Geld senden möchten. Jede Lösung der
Krise müsse die Perspektive der Migranten selbst
berücksichtigen. Dies müsse auch Europa lernen, verstehe der
erst seit kurzem von einer großen Flüchtlingsbewegung erfasste
Kontinent doch noch herzlich wenig von Migration.
Schlüsselmoment für Mexiko
Die Gegenwart bezeichnete der Bischof als Schlüsselmoment für
die Zukunft Mexikos: Vergleichbar mit den Zapatistenaufständen
der 1990er-Jahre, finde ein Bewusstseinswandel in der
Bevölkerung statt, der sich etwa in Großprotesten oder im
"Ständigen Tribunal der Völker" (TTP), der der seit 2011
Menschenrechtsverletzungen anklagt, zeigt. Viel hänge nun von
der internationalen Aufmerksamkeit ab, herrsche doch in
Mexikos Medien mit Ausnahme der Sozialen Netzwerke überall
Selbstzensur und Kollaboration mit der Regierung, so Vera
Lopez. Entscheidend sei aber vor allem, "ob wir uns
zusammentun und zu einer gemeinsamen sozialen Bewegung
werden."
Auch die Kirche müsse sich hier beteiligen durch eine neue
Pastoral, mit der sie den Vorgaben des Papstes Folge leiste.
Franziskus habe bei seiner Mexiko-Visite im Februar auf einen
entscheidenden Ansatz zur Überwindung der Krisen hingewiesen,
indem er in Chiapas die Indigenen ins Zentrum gerückt habe.
"Die Lösung liegt nicht bei Trump oder Clinton, sondern bei
den Ärmsten. Die Indigene, die auch den Wald und ihre
Lebenswelt schützen, haben die Weisheit. Der Papst setzt auf
sie." Auch die dauernde Warnung des Papstes vor der Exklusion
der Armen in der "Wegwerfgesellschaft" gehe in dieselbe
Richtung, "zudem hat Franziskus uns deutlich gemacht: Mexiko
soll wieder den Mexikanern gehören".
Auch in seinen Äußerungen zu Homosexuellen habe Papst
Franziskus einen neuen Ton in der Kirche angeschlagen, so die
Einschätzung von Vera Lopez, der in Mexiko zu den
pointiertesten Verfechtern der Rechte für Homosexuelle zählt.
Die Kirche habe ein Problem, da sie glaube, Homosexuelle seien
"krank oder pervers"; ihre Auffassung von Sexualität müsse
sich ändern. Wichtig wäre, Homosexuelle als normal
anzuerkennen und ihnen einen Platz in der Kirche zuzugestehen.
Vera Lopez: "Wir müssen ihnen nahe sein und sie als Menschen
sehen. Darum geht es".
erstellt von: red/kap
15.09.2016
_______________________________________________
Chiapas98 Mailingliste
JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider
Chiapas98@listi.jpberlin.de
https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/chiapas98
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen