Freitag, 22. Juni 2012

Kämpfe der Textilarbeiterinnen in Bangladesch

Aufstandsähnliche Kämpfe der Textilarbeiterinnen in Bangladesch – erster Sieg über Aussperrung und Staatsterror 21.06.12 - Mit dem Streik tausender Arbeiterinnen und Arbeiter der Artistic Design Factory in Ashulia, einem Zentrum der Textilindustrie im Großraum Dhaka, begann am 11. Juni eine Bewegung, die sich rasant ausbreitete und aufstandsähnlichen Charakter annahm. Bereits am Vortag hatten Arbeiter der Reck Work Factory in dem nahe gelegenen Narayanganj, dem Zentrum des Aufstandes von 2003, gestreikt. Ähnlich wie diese verließen die Streikenden am 11. Juni das Werk und blockierten den wichtigen Highway Dhaka Tangail. Der brutale Einsatz der Polizei war der Auslöser für den Massenkampf, dem ich sich in kurzer Zeit zehntausende Arbeiter benachbarter Betriebe spontan anschlossen. Weitere Betriebe wurden geschlossen wegen der Angst der Besitzer, in den Streik einbezogen zu werden. Nach wochenlangen vorherigen betrieblichen Protesten schlossen sich die Textilarbeiterinnen zur Durchsetzung der Forderung nach höheren Löhnen gegen die horrenden Preissteigerungen in den letzten Monaten zusammen. Ende 2010 war ein gesetzlicher Mindestlohn von 2.500 Taka (30 US-Dollar) erkämpft worden. Seitdem sind die Preise durchschnittlich um 10% jährlich gestiegen. Erhielt damals eine Arbeiterin 7.000 bis 8.000 Taka (84 bis 96 Dollar) durch Überstundenzuschläge, so sanken die Löhne aufgrund der Wirtschaftskrise und der fehlenden Überstunden auf 4.000 bis 4.500 Taka. Deshalb fordern die Streikenden eine Erhöhung von 1.000 bis 1.500 Taka, um auf das lebensnotwendige Minimum zu kommen. Bereits vom ersten Tag an wurden die Streiks und Blockaden von massiven Polizeieinsätzen unterdrückt. Die betrieblichen und örtlichen Polizeieinheiten wurden durch paramilitärische Einsatzkräfte (Rapid Action Bataillon) verstärkt. Der Staatsterror, dem die Streikenden heldenhaften Widerstand entgegensetzten, kostete bis heute hunderte Verletzte. Eine Arbeiterin, die verschwunden war, wurde gefoltert und tot aufgefunden. Mit andauernden Razzien wurden vermeintliche Streikführer aus ihren Häusern verhaftet und insgesamt eintausend Strafanzeigen erlassen. Zwar mussten die Streikenden nach stundenlangen Kämpfen die (brennenden) Blockaden immer wieder räumen, aber nur, um sie am nächsten Tag erneut zu errichten. So erfasste der Kampf die gesamte Industriezone Ashulia, in der rund 500.000 Arbeiterinnen in 350 Betrieben arbeiten. Um den Kampfwillen zu brechen, verhängte der Textilunternehmerverband am 17. Juni eine unbefristete Aussperrung über alle Betriebe in Ashulia. Aufgrund der ständigen Polizeirazzien und der nun fehlenden Ernährungsmöglichkeiten kehrten hunderte Arbeiterinnen in ihre Heimatdörfer zurück. Doch die Mehrheit setzte den Kampf fort, sodass die Textilkapitalisten drohten, eine landesweite Aussperrung über alle Betriebe und die rund 4 Millionen Textilbeschäftigten zu verhängen. Dieses Ultimatum mussten sie am 21. Juni zurücknehmen und stattdessen erklären, alle Betriebe – auch die von Ashulia - wieder zu öffnen. Das zeigt die Macht, die Arbeiter besitzen, wenn sie branchen- und landesweit kämpfen. Die Textilkapitalisten mussten auch aufgrund der Verschärfung des Konkurrenzkampfes um Weltmarktanteile in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise einen Rückzieher machen. Inzwischen hat Bangladesch aufgrund besonderer Handels- und Steuerabkommen mit der EU und den USA Vorteile auf dem Weltmarkt. Außerdem sind die Löhne mittlerweile niedriger als selbst in China und auch Pakistan. So haben jüngst 60.000 Textilarbeiterinnen und 200.000 in Zulieferbetrieben in Punjab (Pakistan) ihren Arbeitsplatz verloren, weil die Betriebe nach Bangladesch verlagert wurden. Der schwedische Konzern Hennes&Mauritz, der größte Vertragspartner in Bangladesch, will seinen Anteil an den in Bangladesch produzierten Waren von 25% auf 33% erhöhen. Eine Bedingung ist, dass durch wenigstens minimale Zugeständnisse und Arbeitsrechte die ständigen Produktionsausfälle verringert werden. Damit haben die Streikenden einen ersten Sieg gegen die scheinbar übermächtige Front von Konzernen, Staatsapparat und Regierung errungen.

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