„… Der sudanesische Aufstand zeigt sich trotz aller Rückschläge immer noch eindrucksvoll. Am Dienstag, dem 31. Jahrestag des Putsches von Expräsident Omar Al-Baschir, strömten erneut landesweit Millionen auf die Straßen, um von der Übergangsregierung die Umsetzung des im vergangenen Jahr ausgehandelten Abkommens zwischen Militärs und ziviler Opposition zu fordern. Aber auch, um an den Erfolg des »Marsches der Millionen« 2019 anzuknüpfen. Damals war es gelungen, den Militärrat, der durch seine Hinhaltetaktik die Verhandlungen mit Vertretern der Opposition verzögert hatte, durch Massen auf den Straßen zur Wiederaufnahme der Gespräche zu zwingen. Die konkreten Forderungen diesmal: Den Kurs der Revolution korrigieren, die Ernennung ziviler Gouverneure, die strafrechtliche Verfolgung führender Personen des Al-Baschir-Regimes und juristische Gerechtigkeit für die Opfer der Proteste. Bei den Demonstrationen – den ersten dieser Größenordnung seit Konstituierung des Kabinetts im vergangenen August – wurde erneut mindestens ein Mensch erschossen, zahlreiche weitere erlitten Schussverletzungen, wie das »Sudanesische Ärztekomitee« am Dienstag abend meldete. Für die Menschen in der seit Jahrzehnten mit Krieg und Verfolgung überzogenen Provinz Darfur ist das Alltag. Im Nachgang einer Großdemonstration am Sonntag in der zentral gelegenen Stadt Nierteti prangerten Tausende Darfuris mit einem Sitzstreik vor den örtlichen Behörden die anhaltende Gewalt gegen Zivilisten in der Provinz an, wie der sudanesische Sender Radio Dabanga am Dienstag online berichtete. Demnach sollte dieser fortgesetzt werden, bis die Forderungen der Demonstrierenden – Absetzung der Führung des lokalen »Sicherheitskomitees«, Entfernung der gegenwärtigen »Sicherheitskräfte«, der Mitglieder des militärischen Geheimdienstes sowie der paramilitärischen »Rapid Support Forces« – erfüllt seien...“ – aus dem Beitrag „Immer noch da“ von Ina Sembdner am 02. Juni 2020 in der jungen welt über die erneute Massenmobilisierung der Demokratiebewegung im Sudan. Siehe dazu auch zwei weitere aktuelle Beiträge und zwei Beiträge zur Vorgeschichte dieser aktuellen erneuten Mobilisierung – insbesondere den „Brief der Familien“ der Angehörigen der vor einem Jahr von den Milizen ermordeten Demonstranten – sowie zwei Beiträge zum keineswegs positiven Wirken ausländischer Regierungen bezüglich des Sudan:
„Mass response to Sudan’s ‘March of the Millions’“ am 01. Juli 2020 bei Radio Dabanga ist ein Report über die Aktionen am Vortag quer durch den Sudan aus KHARTOUM , OMDURMAN , EL FASHER , EL GENEINA , NYALA , ZALINGEI , ED DAEIN , ATBARA , DONGOLA , EL GEDAREF , KASSALA , PORT SUDAN , ED DAMAZIN , SINGA , EL OBEID , KADUGLI , EL NAHUD , EL FULA , ROSIERES , WAD MADANI und KOSTI auch mit zahlreichen Fotos, die überall große Beteiligung zeigen.
„Massive processions across Sudan for justice and revolution’s goals“ am 30. Juni 2020 bei der Sudan Tribune online berichtet von den Demonstrationen am Dienstagabend, wobei auch die mobilisierende Rolle der Nachbarschaftskomitees unterstrichen wird – und auch über breitere Debatten innerhalb mehrerer Demonstrationen, vor allem aber bei jener in der Hauptstadt, berichtet wird, die sich darum drehten, wohin die Demonstration gehen sollte – wer also der „Adressat“ dieser massenhaft vorgetragenen Forderungen nach Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses sei.
„Sudan: Relatives of December Revolution victims demand justice“ am 28. Juni 2020 bei Radio Dabanga ist ein Beitrag über den Offenen Brief der Familien der Ermordeten des Vorjahres, die die so gut wie nicht vorhandenen Fortschritte bei der Arbeit des im September 2019 gebildeten Untersuchungskomitees kritisieren und fordern, dass entweder etwas geschehen müsse oder ein neues Komitee in demokratischer Zusammensetzung gebildet werden müsse. Es könne nicht angehen, so meinen viele im Sudan, dass Täter ihre Taten untersuchen.
„Demonstrations-Video: Eine Zwischenkundgebung“ am 01. Juli 2020 im Twitter-Kanal von Hasan Alnaser ist zwar auf arabisch, aber auch für nicht der Sprachen mächtige Menschen aus mehreren Gründen interessant: Weil die Sprecherin eben eine junge Aktivistin ist, was einmal mehr auf die tragende Rolle der Frauen in diesem Prozess verweist – und auf die Notwendigkeit der Fortsetzung ihres Kampfes (worauf sie in ihrem Beitrag auch eingeht) und weil aus dem Video am Rande auch deutlich wird, dass diese Bewegung eben eine durchaus organisierte Bewegung ist.
„Die Rückkehr der Generäle“ von Moritz Elliesen bereits am 18. Juni 2020 bei den Weltsichten berichtet darüber, wogegen sich diese aktuellen Proteste richten. Und auch wenn in dem Bitrag ausgerechnet die jahrelang Milizen-Partnerin EU als eine Kraft, die die Demokratisierung unterstützen könnte (und wollte) dargestellt wird, bleibt die Beschreibung der Entwicklung gültig: „… So verhafte der Geheimdienst nicht mehr willkürlich Menschen, das öffentliche Auspeitschen sei nicht mehr erlaubt und Christen könnten ungehindert ihrer Religion nachgehen. Doch in vielen anderen Bereichen sei der demokratische Übergang ins Stocken geraten. Unter anderem seien die neuen zivilen Gouverneure der Provinzen und auch die Kommission zur Vorbereitung einer Verfassungskonferenz noch nicht ernannt. Der Premierminister Hamdok und der FFC hätten es nicht geschafft, unabhängige Institutionen aufzubauen. Das stärke die alte Elite im Militär und im Geheimdienst, warnt Gallopin. Der Politikwissenschaftler und Sudanexperte macht verschiedene Gründe für den Stillstand aus. Der wichtigste: Die Generäle und Offiziere kontrollieren große Teile der Wirtschaft – von Goldminen über Telekommunikationsunternehmen bis zu Schlachtereien. Finanziell seien die demokratischen Kräfte in der Regierung deshalb abhängig von den Militärs. Doch nicht nur ihre wirtschaftliche Macht stärkt den Sicherheitskräften den Rücken. Die Koalition der demokratischen Kräfte sei zersplittert und verfüge nur über wenig sozialen Rückhalt. Eine Rolle spielt Gallopin zufolge auch die Einmischung der sogenannten Arabischen Troika, bestehend aus Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten: Um den Einfluss konkurrierender Regionalmächte zurückzudrängen, unterstützten die drei Staaten verschiedene Fraktionen der Sicherheitskräfte. Vor allem der Chef der berüchtigten paramilitärischen Rapid Support Forces werde von der Arabischen Troika als starker Mann im Staat aufgebaut...“
„Internationale Hilfe? Leider ja“ von Sara Abbas am 25. Juni 2020 in der taz online war ein Kommentar der Aktivistin von SudanUprising Germany zum Berliner Treffen der Gruppe „Friends of Sudan“ für eine Geberkonferenz, worin sie unter anderem unterstrich: „… Finanzielle Unterstützung von außerhalb ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des Übergangs. Wir bezweifeln jedoch die Art der Hilfe, welche diese Konferenz vorsieht, sowie deren dahinterstehenden Akteure.
Zu den Freunden des Sudan zählen auch Länder wie Saudi-Arabien, Ägypten und die Vereinigten Emirate, welche unermüdlich daran gearbeitet haben, die Revolution zu untergraben. Auch Deutschland ist nicht unschuldig. Während der Revolution verhielt sich die Bundesregierung ambivalent. Erst als das Al-Bashir-Regime im April 2019 zusammenbrach, wechselte sie die Gangart. Dies liegt daran, dass sie auf eine wesentliche Weise in das Al-Bashir-Regime eingebunden war: Dieses diente als wichtiger Verbündeter der Politik der Einwanderungskontrolle und der „Externalisierung der Grenzen“. Diese Zusammenarbeit fand im Rahmen des „Khartum-Prozesses“ statt, dessen Hauptziel es ist, Migrant*innen die Durchreise über den Sudan nach Libyen und in den Mittelmeerraum so schwer wie möglich zu machen. Braucht der Sudan Hilfe? Leider ja, und zwar wegen struktureller Ungleichheit, die durch Kolonialismus, Handelsabkommen und die Unterstützung des Westens für diktatorische Regime entstanden ist. Hilfe ist ein notwendiges Übel, aber das sudanesische Volk ist der an Bedingungen geknüpften Hilfe überdrüssig. Jede Hilfe, die geleistet wird, während die Bundesregierung Sudanes*innen und andere Geflüchtete unter unsicheren Bedingungen abschiebt, ist keine Hilfe, sondern eine Täuschungsaktion…“
Siehe zur Bewegung im Sudan:
- zuletzt am 17. April 2020: Ein Jahr nach dem Sturz des Diktators im Sudan: Nachbarschaftskomitees weiter aktiv – auch gegen die Epidemie
- am 31. Dezember 2019: Ein Jahr nach dem Beginn der Proteste gegen die Diktatur im Sudan: Erwartungen der Demokratiebewegung bleiben und werden eingefordert
- und zum 1. „Marsch der Million“ viele frühere beiträge in der Rubrik Internationales » Sudan
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=174942
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