Dienstag, 7. Mai 2019

Martin Ling über die Regierungsbildung in Spanien nach dem Wahlsieg der Sozialisten

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez von den Sozialdemokraten (PSOE) hat mit der vorgezogenen Wahl am 28. April aus Sicht seiner Partei alles richtig gemacht: Vor der Wahl hatte er nicht annähernd eine Mehrheit im Parlament hinter sich. Das zeigte sich bei seinem erfolglosen Versuch, einen eigenen Haushalt durchzubekommen. Nun ist Sánchez deutlich gestärkt, seine Partei hat im Parlament jetzt 123 statt 85 Sitze. Seine Wahlstrategie ist aufgegangen, ob er eine Regierungsstrategie findet, ist aber noch offen.
Denn der Weg zur absoluten Mehrheit ist noch weit, dafür müsste die PSOE 176 der 350 Mandate hinter sich versammeln. Auch wenn Sánchez angekündigt hat, dass die Regierungsbildung erst nach dem Superwahltag am 26. Mai vonstatten gehen wird, zeichnen sich bereits mögliche und wahrscheinliche Szenarien ab. Erst nach dem 26. Mai, wenn neben der Europawahl viele Regional- und Kommunalwahlen stattfinden, will Sánchez konkret werden. Er hofft wohl, dass ihn und seine PSOE auch diese Abstimmungen weiter in seinem Verhandlungsmandat stärken.
Sánchez präferierte Option ist eine Ein-Parteien-Minderheitsregierung, die sich wechselnde Mehrheiten sucht. Podemos unter Pablo Iglesias drängt auf einen Eintritt in eine Regierungskoalition, Sánchez hat daran aber kein Interesse. Auch mit den 42 Sitzen von Podemos und jenem der Podemos-nahen linken Liste Compromís aus Valencia ist mit 166 Sitzen keine absolute Mehrheit erreicht, warum also Ministerien abgeben?
Die vom Unternehmerverband und den Banken präferierte Option ist eine Koalition der PSOE mit der national-neoliberalen Ciudadanos (Cs, Bürger), die neben der linken Podemos als rechtes Gegenstück seit 2015 spanienweit bei Wahlen mitmischt.
Wie viel Sánchez persönlich von einer Koalition mit Ciudadanos-Chef Rivera hält, ist unklar. 2016 schlossen die beiden einen Pakt: Rivera hätte Sánchez zum Ministerpräsidenten mitgewählt, wenn dieser genügend Getreue im Parlament hinter sich versammelt. Dass gelang Sánchez nicht. Eine Neuauflage des Paktes, der diesmal alleine für die absolute Mehrheit reichen würde, gilt als unwahrscheinlich. Zum einen ist die PSOE-Basis vehement dagegen, was sie mit ihren »Nein zu Rivera«-Sprechchören am Wahlabend zum Ausdruck brachte. Zum anderen will sich Rivera als Oppositionschef profilieren, um bei den kommenden Wahlen zur stärksten Kraft im rechten Block zu avancieren. Die abgestürzte PP ist mit 66 Sitzen aus Sicht der Cs (57 Sitze) in Reichweite. Eine Koalition mit Sánchez, der in der Rechten wegen seines zaghaften Dialogs mit der katalanischen Regierung als Landesverräter verfemt wird, käme bei diesem Unterfangen ungelegen.
Gar nicht erst reden will Sánchez mit den katalanischen Linksrepublikanern von der ERC, dem klaren Wahlsieger in Katalonien. Sie könnte mit ihren 22 Sitze zusammen mit Podemos Sánchez eine absolute Mehrheit verschaffen. Die ERC, die für das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen streitet, hat Sánchez aufgefordert, ihren wegen des Unabhängigkeitsreferendums inhaftierten Vorsitzenden Oriol Junqueras im Gefängnis zu besuchen. Junqueras hat mehrfach gesagt, dass die Zeit nicht reif für eine Unabhängigkeit sei, weil dafür eine ausreichende soziale Basis fehle. Junqueras Einsicht ist eigentlich eine Steilvorlage für Sánchez, einen ernsthaften Dialog zu versuchen. Doch danach sieht es nicht aus. Sánchez scheint den Katalonien-Konflikt auf die lange Bank schieben zu wollen, weil er eine Mehrheit unter Umständen auch ohne katalanische Stimmen zusammenkratzen kann. Für Spanien und Katalonien wären dies keine guten Aussichten. Ohne Beilegung des Katalonien-Konfliktes bleibt Spaniens Entwicklung blockiert.
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