Sonntag, 8. März 2015

Der UN-Ausschuss empfiehlt Mexiko institutionelle und legislative Maßnahmen zum Schutz vor gewaltsamen Verschwindenlassen

von Christiane Schulz Am 13. Februar hat der UN-Ausschuss über das Verschwindenlassen (Committee on EnforcedDisappearances – CED) seine Empfehlungen an Mexiko veröffentlicht (sh. URL: http://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CED/Shared%20Documents/MEX/INT_CED_COB_MEX_19564_S.pdf). Der Ausschuss begrüßt die Übernahme der internationalen Menschenrechtsverträge in die Verfassung und das 2013 verabschiedete Opfergesetz. Auch die offene Einladung an die verschiedenen internationalen Menschenrechtsinstrumente heben die Experten hervor. Einem Besuch des UN-Ausschusses gegen das Verschwindenlassen hat Mexiko bislang allerdings noch nicht zugestimmt. Die UN-Experten räumen drei ihrer Empfehlungen besondere Priorität ein: Der Staat soll alle notwendigen Maßnahmen umsetzen, die dazu dienen, das nationale Register gewaltsam Verschwundener deutlich zu verbessern und zuverlässige Daten zur Problematik zu gewinnen. Auf Basis dieser Informationen soll dann eine koordinierte, nachhaltige, nationale Politik entwickelt und umgesetzt werden, mit dem Ziel, alle Personen vor dem Verbrechen zu schützen (Empfehlungen, Absatz 18). Das Register ist insbesondere in Fragen der Datenerhebung, dem Datenabgleich und in der regelmäßigen Aktualisierung auszuweiten. Eine weitere Priorität ist der Schutz von Migrantinnen und Migranten (Absatz 24). Der UN-Ausschuss empfiehlt dem mexikanischen Staat die Zusammenarbeit mit Betroffenen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Herkunftsländern der Migrantinnen und Migranten. Die Anstrengungen Migrantinnen und Migranten vor dem Verschwindenlassen zu schützen sind deutlich zu erhöhen. Im Fall von gewaltsamen Verschwinden sind sofort Ermittlungen einzuleiten, Zeugen, Gutachter und Verteidiger zu schützen. Zudem müssen transnationale Mechanismen für die Suche nach den verschwundenen Personen sowie der Zugang zu Justiz sichergestellt werden. Eine dritte Priorität gilt dem Prozess der Suche und der Lokalisierung von verschwundenen Personen (Empfehlungen, Absatz 41). Die Suche nach gewaltsam Verschwundenen muss, so der Ausschuss, unverzüglich nach Erhalt einer entsprechenden Nachricht durch die zuständigen Behörden eingeleitet werden. Dazu müssen die verschiedenen staatlichen Institutionen mit kompetentem Personal ausgestattet werden und koordiniert vorgehen. Die mexikanische Regierung wird aufgefordert, bis spätestens zum 13. Februar 2016 Informationen zum Stand der Umsetzung dieser Empfehlungen vorzulegen. Die Experten raten Mexiko außerdem,die Gesetzgebung an internationale Standards anzupassen, sowohl auf föderaler als auch auf bundesstaatlicher Ebene.Der Ausschuss empfiehlt dieVerabschiedung eines Gesetzes zum Schutz vor dem Verschwindenlassen mit direkter Anwendbarkeit im gesamten Staatsgebiet. Außerdem sind in allen Fällen unabhängige, intensive und sofortige Ermittlungenzu garantieren. Dabei ist sicherzustellen, dass die mögliche Beteiligung von Beamten an Fällen von Verschwindenlassen genau überprüft wird. Auch dürfen tatverdächtige Mitglieder der Sicherheitskräfte oder deren Einheiten auf keinen Fall an den Untersuchungen beteiligt sein. Die UN-Experten fordern die Anpassung der Militärgerichtsbarkeit, um Fälle von Verschwindenlassen eines Militärangehörigen durch einen anderen Militärangehörigen explizit von der Militärjustiz auszuschließen. Der UN-Ausschuss empfiehlt auch die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft zur Bearbeitung von Verschwindenlassen. Besondere Aufmerksamkeit erfahren Migranten und Migrantinnen sowie Kinder. Die Experten empfehlen besondere Instrumente zum Schutz dieser Gruppen. Der UN-Ausschuss zeigt sich auch besorgt, über Angriffe auf Familienangehörige, Zeugen, Anwälte, Journalisten und fordert Mexiko auf, den Zeugenschutz zu stärken. Außerdem sollen sich Beamte und Funktionäre mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten, die Betroffene, Zeugen oder Menschenrechtsverteidiger in Gefahr bringen könnten. In Bezug auf das Internationale Übereinkommen zum Schutz vor dem Verschwindenlassen regt der Ausschuss an, dass Mexiko Artikel die Artikel 31 und 32 des Übereinkommens unterzeichnen und damit sowohl individuelle als auch zwischenstaatliche Beschwerden über Verletzungen der Konvention zuzulassen. Vorausgegangen war am 2. und 3. Februar eine über siebenstündige Diskussionzwischen dem UN-Ausschuss und der mexikanischen Regierung. Im Mittelpunkt des sogenannten „konstruktiven Dialoges“ standen dabei die Verabschiedung eines Gesetzes zum Schutz vor Verschwindenlassen, das Register mit Daten zu Verschwundenen und Unterschiede im Verständnis der Begriffe ‚Verschwunden‘, ‚gewaltsam Verschwunden‘ und‚nicht-lokalisierte Personen‘. Des weiterenfragte der UN-Ausschuss nachden Standards bei bei der Suche von gewaltsam Verschwundenen und der Identifizierung von Leichen. Auch das Verschwindenlassen während des sogenannten Schmutzigen Kriegesin den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und die strafrechtliche Aufarbeitung dieser Fälle waren Thema der Gespräche. Basis der Diskussionen war der von Mexiko letztes Jahr eingereichte Staatenbericht (sh. URL: http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CED%2fC%2fMEX%2f1&Lang=en). Anschließend haben der UN-Ausschuss und die mexikanische Regierung Fragen schriftlich diskutiert, bevor nun weitere Aspekte in Genf mündlich thematisiert werden konnten. Zusätzlich fanden hinter geschlossenen Türen Sitzungen des UN-Ausschusses mit der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte und weitere Gespräche mit Familienangehörigen und zivilgesellschaftlichen Organisationen statt. Letztere hatten den UN-Ausschuss ebenfalls vorab schriftlich regelmäßig informiert (alle Berichte können eingesehen werden unter: URL: http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/SessionDetails1.aspx?SessionID=972&Lang=en). Die Anhörung Mexiko vor dem UN-Ausschusswurde sowohl in Mexiko als auch international mit großem Interesse verfolgt. Aus Mexiko waren eigens Familienangehörige und Fachorganisationen angereist. So konnten sie den Mitgliedern des Ausschusses zu einzelnen Aspekten Detailinformationen weiterleiten, und signalisierten der mexikanischen Regierung gleichzeitig ein Minimum an öffentlicher Kontrolle über ihre Aussagen vor dem UN-Ausschuss. Die aktuelle internationale Aufmerksamkeit zu diesem Thema ist der Tatsache geschuldet, dass in Mexiko seit 2006 tausende von Menschen gewaltsam verschwunden gelassen worden sind. Genaue Zahlen kann die Regierung bis heute nicht nennen. Stattdessen präsentierte diemexikanische Regierung auch gegenüber dem UN-Ausschuss widersprüchliche Daten.Das fehlende Bemühen des Staates um Aufklärung der tatsächlichen Dimension des Verschwindenlassens in Mexiko war einer der Gründe, warum der Ausschuss zu dem Schluss kam, dass das gewaltsame Verschwindenlassen in weiten Teilen des Landes eine verbreitete Praxis sei.(sh. URL: http://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CED/Shared%20Documents/MEX/INT_CED_RLI_MEX_19337_S.pdf) Erst wenige Wochen zuvor, in der Nacht vom 26. auf den 27. September wurden 43 Lehramtsstudenten derHochschule ‚Normal Rural Raúl Isidro Burgos‘ aus Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero gewaltsam „verschwunden“. Wenige Tage vor der UN-Ausschuss-Sitzung hatte die mexikanische Bundesgeneralstaatsanwaltschaft erklärt, dass der Fall abgeschlossen sei. Mitglieder der organisierten Kriminalität hätten die 43 Studenten ermordet und verbrannt. Dem widersprachen Familienangehörige und die Anwälte der Studenten, denn bis heute liegen keine Beweise vor, die diese Aussagen hinreichend untermauern.Auch das renommierte argentinische Team von Gerichtsanthropologen EAAF (EquipoArgentino de AntropolologíaForense), das auf Bitte der Betroffenen die Suche und Exhumierungen fachlich begleitet, hat öffentlich Bedenken zu den Thesen der Bundesgeneralstaatsanwaltschaft geäußert. Das EAAF konnte weder die von der Bundesgeneralstaatsanwaltschaft vorgelegte Indizienkette bestätigen, noch sah sich das EAAF aufgrund eigener Untersuchungen in der Lage, die Schlussfolgerungen der Bundesgeneralstaatsanwaltschaft zu unterstützen. (Vgl. Erklärung der EAAF, URL:http://www.tlachinollan.org/investiga-equipo-argentino-basurero-de-cocula-y-rio-san-juan/) In Genf erwarteten die Familienangehörigen von der öffentlichen Diskussion auch Auskunft über nachhaltige Maßnahmen zum Schutz vor Verschwindenlassen. Dies blieb die mexikanische Regierung jedoch schuldig. Auf viele Fragen des Ausschusses antwortete die Regierungsdelegation mit vagen Angeboten. Auch die Frage nachzumindest einer klaren öffentlichen Stellungnahme zum Schutz der Opfer von Verschwindenlassen zu setzen, blieb ohne Antwort. Erst in einem Pressegespräch nach dem Dialog mit dem UN-Ausschuss erklärte die mexikanische Regierungsdelegation, dass nach einer notwendigen Verfassungsänderung bis Juni diesen Jahres durch den Gesetzgeber ein spezifisches Gesetz zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen verabschiedet werden soll. Auf die Veröffentlichung der Empfehlungen reagierte die Regierung zurückhaltend, während das Militär gar harsche Kritik am UN-Ausschuss übte. Dagegen sahen sich Betroffene wie zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrer Analyse bestärkt. Sie erkennen in den Empfehlungen konkrete Maßnahmen, die Betroffenen in ihren Opferrechten zu stärken, die Ermittlungen in Fällen von Verschwindenlassen voranzutreiben und insgesamt damit zum Schutz vor dem Verschwindenlassen beizutragen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen