Samstag, 14. Juni 2014

Subcomandante Marcos gibt sein Verschwinden bekannt

In den frü­hen Mor­gen­stun­den des 25. Mai 2014 gab Sub­co­man­dan­te Mar­cos be­kannt, dass er von nun an nicht wei­ter exis­tie­ren wird. Mar­cos, der be­kann­te Spre­cher der re­bel­li­schen, in­di­ge­nen Be­we­gung der Za­pa­tis­tas und mi­li­tä­ri­scher Lei­ter der za­pa­tis­ti­schen Gue­ril­la, er­klär­te dies ge­gen­über Ver­tre­ter_in­nen al­ter­na­ti­ver Me­di­en bei einer Pres­se­kon­fe­renz, die wäh­rend der Ge­denk­fei­er für den Za­pa­tis­ta Ga­lea­no ab­ge­hal­ten wurde. José Luis Solís López, ge­nannt Ga­lea­no, wurde am 2. Mai bei einem pa­ra­mi­li­tä­ri­schen Über­fall auf den za­pa­tis­ti­schen Ver­wal­tungs­sitz La Rea­li­dad er­mor­det. Er sagte: „Wenn Sie mir er­lau­ben, die Figur Mar­cos zu de­fi­nie­ren, dann sage ich Ihnen ohne Um­schwei­fe, dass es ein Kar­ne­vals-​Kos­tüm war.“ Nach mehr als 20 Jah­ren als Spre­cher und mi­li­tä­ri­scher Chef der Gue­ril­la EZLN, die sich am 1.​1.​1994 mit einem „¡Ya Basta!“ / „Es reicht!“ be­waff­net gegen Re­gie­rung, neo­li­be­ra­len Ka­pi­ta­lis­mus, Ras­sis­mus sowie neo-​ko­lo­nia­le Macht­struk­tu­ren erhob und deren Basis seit­dem in über 1.​000 Ge­mein­den eine auf Gleich­be­rech­ti­gung, Ba­sis­de­mo­kra­tie und So­li­da­ri­tät ba­sie­ren­de ge­sell­schaft­li­che Al­ter­na­ti­ve lebt, er­klär­te Mar­cos in An­we­sen­heit von sechs Kom­man­dan­ten und Kom­man­dan­tin­nen der Ge­ne­ral­kom­man­dan­tur der EZLN nun sei­nen Ab­tritt. Nach der „Klei­nen Za­pa­tis­ti­schen Schu­le“, zu der die zi­vi­le Basis der Be­we­gung seit dem Som­mer 2013 in meh­re­ren Durch­gän­gen meh­re­re tau­send Ak­ti­vis­t_in­nen aus der gan­zen Welt in ihre Ge­mein­den ein­lud, damit sie von der dort ge­leb­ten po­li­ti­schen Pra­xis ler­nen, „haben wir ge­merkt,“ so er­klär­te Mar­cos, „dass es be­reits eine neue Ge­ne­ra­ti­on gibt, die uns ins Ge­sicht schau­en kann, die uns zu­hö­ren und mit uns spre­chen kann ohne An­lei­tung oder An­füh­rer zu er­war­ten noch Un­ter­wür­fig­keit oder Ge­folg­schaft zu geben.“ Daher, so sagte er, „war die Figur Mar­cos nicht mehr not­wen­dig. Die neue Phase des za­pa­tis­ti­schen Kamp­fes konn­te be­gin­nen.“ „Es ist un­se­re Über­zeu­gung und un­se­re Pra­xis, dass man für Re­bel­li­on und Kampf keine cha­ris­ma­ti­schen An­füh­rer oder Chefs braucht, kei­nen Mes­si­as und kei­nen Er­lö­ser; um zu kämp­fen braucht man nur ein biss­chen An­stand, etwas Würde und viel Or­ga­ni­sa­ti­on – und sonst: Ent­we­der man trägt zum Kol­lek­tiv bei oder man taugt nichts,“ sagte Mar­cos. Mit einer Au­gen­klap­pe mit einem Pi­ra­ten-​To­ten­kopf über sei­nem rech­ten Auge, er­in­ner­te sich der bis­he­ri­ge Spre­cher der Za­pa­tis­tas an die Mor­gen­stun­den des 1.​1.​1994, als „eine Armee aus Rie­sen, dass heißt aus re­bel­li­schen In­di­ge­nen, in die Städ­te hin­un­ter ging, um mit ihrem Schritt die Welt zu er­schüt­tern. We­ni­ge Tage spä­ter, als das Blut un­se­rer Ge­fal­le­nen in den Stra­ßen noch frisch war, merk­ten wir, dass die Leute von au­ßer­halb uns nicht wahr­nah­men. Sie waren ge­wöhnt von oben herab auf die In­di­ge­nen zu schau­en. Sie hoben ihren Blick nicht, um uns an­zu­schau­en. Ge­wöhnt daran uns er­nied­rigt zu sehen, ver­standt ihr Herz un­se­re wür­de­vol­le Re­bel­li­on nicht. Ihr Blick war fi­xiert auf den ein­zi­gen Mes­ti­zen [Nach­fah­ren von In­di­ge­nen und Eu­ro­pä­ern; d. Übers.] mit Pa­sa­mon­tañas, mit schwar­zer Ski­mas­ke, dass heißt, den Ein­zi­gen, den sie nicht sehen konn­ten. Un­se­re Kom­man­dan­ten und Kom­man­dan­tin­nen sag­ten daher: ‚Sie sehen nur das, was so klein ist wie sie. Neh­men wir einen, der so klein ist wie sie, damit sie ihn sehen und durch ihn uns sehen‘.“ Das war die Ge­burt von Mar­cos, Er­geb­nis „eines kom­ple­xen Ab­len­kungs­ma­nö­vers, ein furcht­ba­rer und wun­der­ba­rer Zau­ber­trick, eines heim­tü­cki­schen Spiels des in­di­ge­nen Her­zens, wel­ches wir sind. Die in­di­ge­ne Weis­heit for­der­te die Mo­der­ne in einer ihrer Hoch­bur­gen her­aus: Den Mas­sen­me­di­en.“ Die Figur des Sub­co­man­dan­te Mar­cos prä­sen­tier­te sich der Welt in den ers­ten Stun­den des 1.​1.​1994. Das Bild eines mit roten Pa­tro­nen­gur­ten und einer R-15 be­waff­ne­ten Man­nes, ge­klei­det in einer braun-​schwar­zen Uni­form und einem Woll­man­tel aus dem Hoch­land von Ch­ia­pas, des­sen Ge­sicht von einer schwar­zen Ski­müt­ze be­deckt ist und der Pfei­fe raucht, zier­te die Ti­tel­sei­ten der ein­fluss­reichs­ten Zei­tun­gen des Pla­ne­ten. In den Tagen und Wo­chen er­schie­nen seine Co­mu­ni­ca­dos, seine Mit­tei­lun­gen vol­ler Iro­nie und Humor, re­spekt­lo­sen und pro­vo­zie­rend – ein paar Blät­ter, ge­schrie­ben mit der Schreib­ma­schi­ne, um die sich die me­xi­ka­ni­sche und in­ter­na­tio­na­le Pres­se wort­wört­lich riss. 20 Jahre und vier Mo­na­te spä­ter er­klärt Mar­cos das Ende die­ser Phase. „Kaum zu glau­ben, dass 20 Jahre spä­ter klar ist, dass jenes ‚Nichts für uns‘ keine Phra­se war, kein schö­ner Satz für Pla­ka­te und Lie­der son­dern eine Rea­li­tät, La Rea­li­dad,“ sagte Mar­cos und fügte an: „Wenn es Mis­ser­folg be­deu­tet, grad­li­nig zu sein, dann ist also die Rück­rat­lo­sig­keit der Weg zum Er­folg, der Weg Rich­tung Macht. Aber dort wol­len wir nicht hin, sie in­ter­es­siert uns nicht. Unter die­sen Maß­stä­ben zie­hen wir es vor zu schei­tern statt zu tri­um­phie­ren.“ „Wir den­ken,“ sagte er, „dass es not­wen­dig ist, dass einer von uns stirbt, damit Ga­lea­no lebt. Daher haben wir ent­schie­den, dass Mar­cos heute ster­ben muss.“ Um 2:10 Uhr mor­gens stieg Sub­co­man­dan­te Mar­cos in La Rea­li­dad für immer von der Bühne, die Lich­ter gin­gen aus und man hörte immer wie­der Ap­plaus von den an­we­sen­den Mit­glie­dern von La Sexta auf­bran­den, dem Netz­werk der mit den Za­pa­tis­tas ver­bün­de­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen, ge­folgt von einer noch lau­te­ren Welle des Ap­plau­ses der zi­vi­len za­pa­tis­ti­schen Basis sowie der Gue­ril­le­ros und Gue­ril­leras. Sei­nem iro­ni­schen Schreib­stil und sei­ner tra­di­tio­nel­len PS-​Nach­wor­te treu­blei­bend, schloss Mar­cos: „PS: 1. Game Over. 2. Schach Matt. 3. Touché. 4. Hm, so ist die Hölle? 5. Heißt das, dass ich ohne das Kar­ne­vals­kos­tüm nun nackt her­um­lau­fen kann? 6. Hört mal: Es ist sehr dun­kel hier, ich brau­che ein Licht­lein…“ Der kom­plet­te Text der Er­klä­rung von Sub­co­man­dan­te Mar­cos in Spa­nisch (Über­set­zun­gen in an­de­ren Spra­chen fol­gen si­cher bald). ***** Die­ser Ar­ti­kel ist im spa­ni­schen Ori­gi­nal auf der Web­site des al­ter­na­ti­ven me­xi­ka­ni­schen Me­di­en­pro­tals „Des­in­for­me­mo­nos“ er­schie­nen. Er wurde über­setzt und leicht über­ar­bei­tet von ¡Aler­ta! – La­tein­ame­ri­ka Grup­pe Düs­sel­dorf (Diese Meldung mit Fotos auf der Website von ¡Alerta!: http://alertaduesseldorf.blogsport.de/2014/05/26/subcomandante-marcos-gibt-sein-verschwinden-bekannt/) *** Unsere kommenden Termine: 29.5. – City of Favelas (Film) - Der Film zeigt die soziale Realität in Brasiliens Armenvierteln, den Favelas. Er zeigt auch, wie die dort lebenden Menschen vielfältige Alternativen zu ihrem sozialen Ausschluss leben und sich damit selbst ermächtigen. (Linkes Zentrum, Corneliusstr. 108, Düsseldorf - ab 19.30 Uhr Kneipe und Vokü, ab 20.30 Uhr Film). - weitere Infos. 11.6. – Fußball in Brasilien: Widerstand und Utopie (Buchvorstellung) - Mither­aus­ge­ber Chris­ti­an Rus­sau stellt den neuen Sam­mel­band „Fuß­ball in Bra­si­li­en: Wi­der­stand und Uto­pie.“ vor. Darin wird das Phänomen Fußball (nicht nur in Brasilien) unter der Perspektive von Wi­der­stand und Uto­pie betrachtet, was neue Blick­win­kel auf die WM 2014 er­öff­net (zakk, Fich­ten­stra­ße 40, Düs­sel­dorf, Be­ginn: 19.​30 Uhr). - weitere Infos. -- Wenn du keine weiteren Mails mehr von uns erhalten willst, sage doch einfach kurz per Mail Bescheid! ¡Alerta! - Lateinamerika Gruppe Düsseldorf alerta@linkes-zentrum.de www.alertaduesseldorf.blogsport.de www.facebook.com/alertaduesseldorf _______________________________________________ Chiapas98 Mailingliste JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider Chiapas98@listi.jpberlin.de https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/chiapas98

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