Freitag, 12. April 2013

Beugehaft gegen Sibylle S. verhängt: Getroffen hat es Eine, gemeint sind wir Alle

Am heutigen Verhandlungstag im so genannten RZ-Prozess (Revolutionären Zellen) in Frankfurt am Main wurde gegen die Zeugin Sibylle S. Beugehaft angeordnet – und sofort vollstreckt. Mit den Worten “So, Frau S., haben Sie sich das noch mal überlegt!” leitete Richterin Stock die versuchte Befragung ein. Und nachdem Sybille S. deutlich machte, dass sie an ihrer Aussageverweigerung festhält, verkündete die Richterin: “Das Gesetzt zwingt mich nun, jetzt die Beugehaft zu verhängen”. Noch im Gerichtssaal wurden Sybille Handschellen angelegt und sie wurde abgeführt. Die Beugehaft kann bis Ende des Prozesses andauern, maximal aber sechs Monate. Sibylle hatte die Aussage als Zeugin konsequent verweigert und bereits eine Geldstrafe zahlen müssen. Für die jetzt eingetretene Situation ihrer Inhaftierung hat sie eine Stellungnahme vorbereitet, die wir hier veröffentlichen. Ebenso den Antrag ihres Anwalts gegen die Anordnung der Beugehaft. Außerdem entschied das Gericht, das Verfahren gegen Christian von dem Verfahren gegen Sonja abzutrennen. Ob das Verfahren gegen Christian allerdings wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt wird, ist noch nicht entschieden. Sibylle S. sollte sich zum wiederholten Male zu den unter Folter erlangten Aussagen von Hermann Feiling äußern, die wegen der angeklagten drei RZ-Aktionen das einzige Beweismittel der Staatsanwaltschaft sind. Sibylle S. war 1980 Mitangeklagte von Hermann Feiling, der 1978 durch einen Sprengsatz lebensgefährlich verletzt wurde, dabei verlor er sein Augenlicht und beide Beine mussten ihm amputiert werden. Die Sicherheitsbehörden nutzten seinen orientierungslosen und schwer traumatisierten Zustand nach dem Unfall aus, isolierten ihn monatelang und verwerteten die ihm abgerungenen Informationen als Aussagen. Sobald er konnte hat Hermann Feiling diese so genannten Aussagen widerrufen und über die Umstände berichtet, wie die Polizei zu ihnen gekommen ist. Das Beharren des Gerichts auf der dünnen Beweislage, die zudem auf unter menschenunwürdigen Umständen zustande gekommenen “Beweisen” beruht, zeigt lediglich den auch heute noch ungebrochenen staatlichen Verfolgungswille gegen militante Linke. Getroffen hat es eine, gemeint sind wir alle! ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Where is the line between retribution and justice? Zum erneuten Versuch des justiziellen Missbrauchs eines schwerbehinderten und beschädigten Menschen Stellungnahme von Sibylle Vor 30 Jahren wurde ich vom Frankfurter Oberlandesgericht allein aufgrund von Aussagen meines damaligen Verlobten Hermann Feiling verurteilt, die nicht nur ich damals für nicht verwertbar hielt. Hermann war im Juni 78 bei einer Explosion in seiner Wohnung schwer verletzt worden, nachdem ein Sprengsatz für das Argentinische Konsulat in München – es war 1978 und Fußballweltmeisterschaft in der damaligen Diktatur Argentinien – vorzeitig explodiert war. Keine 24 Stunden, nachdem er in einer Operation beide Augen verloren hatte und die Beine bis kurz unter dem Becken amputiert worden waren, begannen die Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei. Das ging so weiter bis in den Oktober 1978 hinein, wofür man Hermann noch in einer Polizeikaserne (!) „unterbrachte“ – alles ganz ohne Haftbefehl. In einem Artikel im „Spiegel“ hieß es dazu am 24.11.80: „Mit welchen Mitteln Kriminalbeamte und Staatsanwälte die Anklagebasis erzwungen haben, dass und warum der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts überhaupt verhandelt, markiert einen Tiefpunkt bundesdeutscher Rechtspflege.“ Es gab viele damals, die derselben Auffassung waren und wir haben während des Prozesses 1980-1982 große Solidarität erfahren. Nichtsdestotrotz wurde ich aufgrund dieser Aussagen verurteilt. Über dreißig Jahre lang lebe ich nun mit Hermann und meinem jetzigen Mann und meiner Familie in Wohngemeinschaft und es gelang uns, das Leben wieder in ruhigere Bahnen zu kriegen und zu stabilisieren, obwohl für Hermann zu der Bürde des Verlusts des Augenlichts und der Beine noch die Gefährdung durch schwerste epileptische Anfälle kommt. Diese immer lauernde Anfallsgefahr war auch der Grund dafür, 30 Jahre lang nicht mit ihm über seine Vernehmungen und Aussagen im Jahr 1978 zu sprechen. Ich habe das sein lassen, damit keine Gesundheitsgefährdung entsteht, da ich Anfälle bei ihm erlebt habe, die so schwer waren und in Serie kamen, dass sie unmittelbar lebensbedrohlich waren. Mir wird jetzt in dem laufenden Prozess als Zeugin das Recht zu schweigen nicht zugestanden. Wenn ich das als juristischer Laie richtig verstanden habe, dann soll eine eventuelle Nichtverwertbarkeit von Hermanns Aussagen nur ein Verfahrensfehler des früheren Prozesses gewesen sein, der mit meiner heutigen Aussagepflicht nichts zu tun habe. Das verstehe ich nicht. Dieser mögliche Verfahrensfehler war der Dreh- und Angelpunkt des Urteils gegen mich. Und mehr noch: Es ging um eine schwere Menschenrechtsverletzung, die heute einen Gang zum Europäischen Gerichtshof nahelegen würde. Es war nicht meine Entscheidung und schon gar nicht die von Hermann, die Vorgänge von vor 34 Jahren wieder hervorzuholen. Aber wenn das Frankfurter Landgericht es jetzt so entschieden hat, dann muss auch und vor allem der Umgang von Polizei und Justiz mit Hermann im Jahre 1978 Gegenstand des gegenwärtigen Prozesses sein. Dies ist der Kern meiner „Gesinnung“ – die Staatsanwaltschaft bezeichnete mich als „Gesinnungstäterin“ – und meiner Haltung zu diesem Prozess. Meine Entscheidung zu schweigen, entspringt nicht Lust und Laune, wie die Vorsitzende Richterin mir vorhielt. Ich habe sie mir reiflich überlegt, insbesondere auch, weil die schwerwiegenden Konsequenzen nicht nur mich betreffen, sondern natürlich meine Familie und die Wohngemeinschaft mit Hermann mit. Und darüber entscheidet das Gericht – und nicht ich. Ich habe für mich entschieden, in diesem Prozess keine weiteren Aussagen zu machen. Sibylle S. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------ "ist die Verhängung von Beugehaft gegen Frau S. unzulässig”, Antrag von RA Borowsky In der Strafsache g e g e n Suder u.a. , Az.: … ist die Verhängung von Beugehaft gegen Frau S. unzulässig, die Voraussetzungen der Vorschrift des § 70 Abs. 1 und Abs. 2 StPO liegen nicht vor. 1. Zunächst wird zur Begründung Bezug genommen auf die diesseitige Beschwerde vom 29.10.2012 und den diesseitigen Schriftsatz vom 02.01.2013, der noch einmal diesem Schreiben als Kopie beigefügt wird. Soweit das OLG Frankfurt demgegenüber die Verhängung von Ordnungsgeld für zulässig erachtet hat, kann dem nicht gefolgt werden. Der Beschluss des OLG Frankfurt belässt es in seinem Beschluss bei dem Hinweis, dass es sich bei einem Verstoß gegen die Vorschrift des § 136a StPO um einen Verfahrensverstoß handelt, der eine Wiederaufnahme nicht begründen könne. Zugegeben wird diese Auffassung in dieser pauschalen Weise in der Literatur und Rechtsprechung vertreten. Dabei bleibt völlig außer acht, dass § 136a StPO keinesfalls nur die Menschenwürde des Angeklagten oder Betroffenen schützen will, sondern auch der Wahrheitsfindung zu dienen hat (vgl. Krack, NStZ 2002, 120ff, mwN). Es spricht nichts, aber auch gar nichts dafür, dass eine unter Verletzung der Vorschrift des § 136a StPO „gewonnene Aussage“ auch eine wahrheitsgemäße Aussage ist. Eine Rechtsansicht, die dies dahinstehen lässt, kann nicht zutreffend sein. Ansonsten hat der BGH die Notwendigkeit der Wahrheitserforschung jedenfalls dann besonders betont, wenn es um die Rechte oder auch nur vermeintlichen Rechte der Verteidigung ging. „Auch sonst gibt die Verteidigung des Angeklagten dem Senat Anlass, erneut darauf hinzuweisen, dass die Strafjustiz auf Dauer an ihre Grenzen stößt, wenn die Verteidigung in Strafverfahren, wie der Senat zunehmend beobachtet, zwar formal korrekt und im Rahmen des Standesrechts geführt wird, sich aber dem traditionellen Ziel des Strafprozesses, der Wahrheitsfindung in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren, nicht mehr verpflichtet fühlt und die durch die Strafprozessordnung gewährleisteten Verfahrensrechte in einer Weise nutzt, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgabe, den Angeklagten vor einem materiellen Fehlurteil oder (auch nur) einem prozessordnungswidrigen Verfahren zu schützen, nicht mehr zu erklären ist. Die Strafjustiz stößt auch dann an ihre Grenzen, wenn seitens der Staates, der Adressat der Vorschrift des § 136a StPO ist, nicht auf peinlichste die Einhaltung des Verbots der unzulässigen Vernehmungsmethoden garantiert wird – und sei es im Wiederaufnahmeverfahren. Dass die pauschal behauptete Unzulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens bei Vorliegen eines Verfahrensverstoßes oder – wie es das OLG Frankfurt ausdrückt – einer anderen rechtlichen Beurteilung bei dem Nachweis von Folter ein Wiederaufnahmeverfahren nicht rechtfertigen soll, ist schlicht nicht nachvollziehbar. 2. Ungeachtet der Frage, ob der Zeugin S. ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, ist die Verhängung von Beugehaft im vorliegenden Fall unverhältnismäßig. a. Grundsätzlich steht die Entscheidung über die Verhängung von Beugehaft im Ermessen des Gerichts. Zu Beachten ist dabei auf der einen Seite die Aufklärungspflicht, auf der anderen Seite der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. „Diesem kommt – da § 70 StPO keine speziellen materiellen Voraussetzungen zum Schutze des Freiheitsgrundrechtes des Zeugen vorsieht – besondere Bedeutung zu (BGH, StraFo, 2012, 58, 59).“ Nach dieser Entscheidung ist Beugehaft nur dann zulässig, wenn sie „nach den Umständen des Einzelfalles unerlässlich (ist) und …. zur Bedeutung der Strafsache und der Aussage für den Ausgang des Verfahrens nicht außer Verhältnis“ steht. Daraus folgt, dass die Anordnung der Haft zur Erzwingung des Zeugnisses eine Ermessensentscheidung des Gerichts erfordert, die insbesondere auch die Beweisbedeutung der Aussage bzw. der Fragen, deren Beantwortung erzwungen werden soll, berücksichtigen muss (BVerfG NJW 2000, 37 75 ff.). b. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Verhängung von Erzwingungshaft gegen meine Mandantin unverhältnismäßig. aa. Sollte das Gericht beabsichtigen, die Aussagen Hermann Feilings in der Zeit von Juni bis Oktober 1978 zu verlesen und – wie bereits das Oberlandesgericht Frankfurt im Verfahren gegen die Zeugin Sibylle S. – zur Grundlage des Urteils machen zu wollen, so ist die Aussage meiner Mandantin für dieses Verfahren völlig unerheblich. bb. Ist die Bedeutung der Aussage der Zeugin S. in diesem Verfahren ausgesprochen marginal, so vermag der Unterzeichner auch nicht die überragende Bedeutung des Strafverfahrens zu sehen, das für Frau S. vor mehr als 30 Jahren mit einer Bewährungsstrafe von 15 Monaten endete. Zweifelsfrei hat dieses Verfahren einen erheblichen Einschnitt im Leben meiner Mandantin gebracht, aber auch für sie ist das Verfahren seit über 30 Jahren beendet. Bei der Frage, ob Beugehaft verhältnismäßig ist, ist auch in Betracht zu ziehen, welche Strafe für den vorgeblichen Brandanschlag auf das Heidelberger Schloss nach mehr als 34 Jahre nach der Tat zu erwarten ist. Dabei geht der Unterzeichner davon aus, dass selbst die Staatsanwaltschaft nicht davon ausgeht, das Frau S. irgend ein Wort zur OPEC sagen könnte. cc) Darüber hinaus gibt es durchaus Verfahren, in denen bei viel gravierenden Verstößen für den Rechtsstaat von Beugehaft abgesehen wurde. So in einem Verfahren, in dem es darum ging, ob Privatpersonen oder Firmen durch Spenden an eine große Partei Einfluss auf politische Entscheidungen genommen haben. In einem Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages sollte ein ehemaliger Ehrenvorsitzender der CDU die Namen der Spender offenbaren. Unter Berufung auf ein den Spendern gegebenes Ehrenwort wurde die Aussage mehrfach verweigert. Nun ist § 27 des Gesetzes zur Regelung des Rechtes der Untersuchungssausschüsse des Deutschen Bundestages dem § 70 StPO nachgebildet. Es sieht neben der Verhängung von Ordnungsgeld auch die Beugehaft vor (vgl. BVerfG NJW 88, 897 ff). Am 13.12.2001 erklärte der ehemalige Ehernvorsitzende vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags in Berlin, er habe den Spendern der CDU sein Ehrenwort gegeben und werde deshalb nicht aussagen. Dass der Zeuge zu einer Aussage verpflichtet war, kann keinem Zweifel unterliegen und ist unstreitig. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wurde von der Verhängung von Erzwingungshaft abgesehen. Nach alle dem ist zumindest nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von der Verhängung von Beugehaft abzusehen. 4. Nur vorsorglich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur zu beachten ist, wenn es um die Frage geht, ob überhaupt Beugehaft angeordnet werden darf, sondern dass auch die Dauer der Beugehaft unter strikter Beachtung dieses Grundsatzes zu bestimmen ist. Eine Anordnung oder Festsetzung einer Erzwingungshaft von 6 Monaten ist nur unter besonderen Umständen zulässig. „Bereits ihrer Natur nach zielt die Erzwingungshaft gerade darauf ab, den Betroffenen durch die einschneidende Erfahrung der Freiheitsentziehung zu einer raschen Änderung seines Verhaltens zu bewegen. Auch wenn man die Fälle außer Betracht lässt, in denen dieses Kalkül verfängt, dürfte die Dauer der Beugehaft regelmäßig deutlich unter der gesetzlichen Höchstfrist bleiben. Denn nach der gesetzlichen Regelung des § 70 Abs. 2 StPO ist die Beugehaft bereits mit der Beendigung des Verfahrens in dem betroffenen Rechtszug aufzuheben, weil damit das mit der Anordnung verfolgte Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Außerdem ist bei der Anordnung von Beugehaft der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. August 2000 – 2 BvR 1372/00 -, StV 2001, S. 257 ; Nehm, Aussageverweigerung und Beugehaft, in Festschrift für Odersky, 1996, S. 439 ). Die Ausschöpfung der Höchstfrist wird dabei nur in Fällen in Betracht kommen, in denen der Untersuchungsgegenstand von Gewicht und gerade die Aussage des Betroffenen für die Wahrheitsermittlung von besonderer Bedeutung ist“ (BVerfG NJW 2005, 40,41f m.w.H.) Die vom Bundesverfassungsgericht in dem zitierten Beschluss geforderten Voraussetzungen liegen offenkundig nicht vor. Borowsky Rechtsanwalt

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