Mittwoch, 4. März 2020

Der Islam und die Freiheit der Gedanken

Jemand sagte einmal zu mir: "Du bist nicht frei in deinen Gedanken!" Ich fragte: "Warum?" Darauf wollte er wissen: "Glaubst du an Gott?" Ich bejahte, worauf er mich wieder fragte: "Und du betest und fastest?" Ich bejahte abermals, worauf er entschied: "Also bist du nicht frei in deinen Gedanken!" Ich fragte abermals: "Warum?" Darauf antwortete er: "Weil du an Hirngespinste glaubst, die nicht existieren!" "Und ihr, an was glaubt ihr? Wer hat das Universum und das Leben erschaffen?", gab ich zurück. "Die Natur!" - "Und was ist die Natur?!" - "Sie ist eine verborgene Kraft, die keine Grenzen besitzt, aber sie besitzt ein Äußeres, das durch die Sinne wahrnehmbar ist." Da sagte ich: "Ich verstehe, dass du mir meinen Glauben an eine verborgene Kraft verwehren willst, und mir stattdessen eine ebenfalls verborgene Kraft anbieten willst, die sich dadurch unterscheidet, dass sie sinnlich wahrnehmbar ist. Aber wenn es nur darum geht eine verborgene Kraft durch eine andere zu ersetzen, warum willst du mir dann meinen Gott nehmen, zu dem ein ernsterer Glaube möglich ist, und der mir mehr Ruhe und Frieden im Glauben bietet, um mir an seiner Stelle einen anderen Gott zu geben, der mir nicht antwortet, und mein Bittgebet nicht erhört?!" 

Der Islam und der Atheismus

Dies ist die Thematik der Freiheit der Gedanken bei fortschrittlich denkenden Menschen! Die Freiheit der Gedanken ist also gleichbedeutend mit dem Abfall von der Religion. Der Islam duldet keine Apostasie, daher schließt man daraus, dass er auch keine Gedankenfreiheit erlaubt. Jedoch lautet meine Frage: Wozu nützt diese Lossagung im Schoß des Islam? Vielleicht hatte die Abkehr von der Religion in Europa aus verschiedensten Gründen Sinn gehabt. Denn das Bild, das die Kirche auf der einen Seite von der christlichen Religion entwarf, und ihre Stellung gegenüber der Wissenschaft auf der anderen Seite, forderte die Abkehr jedes Menschen, der gedankliche Freiheit ausüben wollte, von der Religion. So entstand eine Kluft zwischen dem natürlichen Hang des Menschen zum Glauben und dem Glauben an die wissenschaftlich erforschbare Wahrheit. Es war eine ganz natürliche Folge, dass die Menschen sich über diesen neuen Weg von den Problemen und Schwierigkeiten mit der Kirche befreien wollten. So war es. als wollten sie der Kirche sagen: "Nimm dir deinen Gott, in dessen Namen du uns versklavst, und in dessen Namen du uns schwere Steuerlasten aufbürdest und uns durch tyrannische Diktatur beherrschen willst, und uns an Träume und Hirngespinste glauben lässt und von uns verlangst, sie zu verehren und anzubeten. Wir werden nun an einen anderen, neuen Gott glauben, der fast alle Eigenschaften des alten Gottes in sich vereint, der aber keine Kirche besitzt, die uns unterdrücken kann, und der uns auch nicht zu charakterlichen, seelischen oder materiellen Verpflichtungen zwingt, so dass wir in seinem Raum ohne Ketten leben."
Aber wozu brauchen wir im Islam eine Abkehr von der Religion? Es gibt keine offenen Fragen bezüglich der grundlegenden Theologie, denn man geht vom Glauben an einem Gott aus, der alles erschaffen hat, zu dem allein die Rückkehr ist, der keinen Teilhaber hat, und dessen Wort durch niemanden verändert wird. Eine schlichte, klare Vorstellung, über die keine Meinungsverschiedenheit herrschen kann, und jeder der Verstand besitzt, wird dies bestätigen. Es gibt keine Priester im Islam, so wie sie im Christentum bekannt sind, die Religion gehört allen, alle schöpfen aus ihr, jeder nach seinen natürlichen und ihm eigenen gedanklichen und seelischen Gegebenheiten, alle sind sie Muslime, und jedem wird seine Stellung zuteil nach dem, was er an Gutem leistet, und der von Allah am meisten geliebte Mensch ist der Gottesfürchtigste unter ihnen. Alle Arten des Gottesdienstes werden ohne die Vermittlung eines Priesters verrichtet. Für den Bereich des islamischen Gesetzes jedoch gibt es Leute, die sich darauf spezialisieren, da darauf das Verwaltungs- und Verfassungsgesetz der Regierung beruht. In dieser Eigenschaft unterscheiden sie sich allerdings nicht von den Fachleuten auf diesem Gebiet in anderen Teilen der Welt, und sie besitzen auf keinen Fall Macht über die Menschen, noch sind sie als besondere "Klasse" zu verstehen. Sie können als Fachleute nur beratende Funktion neben der Regierung einnehmen. Die Vereinigung mit dem schönen Namen "Hay'at Kibar Al-Ulama'" (Oberster Rat der Gelehrten) mag sich so oder anders nennen, aber sie besitzt dennoch keine Macht über die Bevölkerung, und sie vermag nichts anderes zu bestimmen, als Angelegenheiten innerhalb der islamischen Scharia. Die Al-Azhar Universität ist ein wissenschaftliches Institut, hat jedoch nicht die Macht, Menschen zu foltern oder zu verbrennen. Alles was die Gelehrten tun können, ist zum religiösen Verständnis der Menschen beizutragen und ihre Meinung dazu sagen. Und in dieser Meinungsäußerung sind sie frei, ebenso wie alle anderen die Freiheit besitzen, zum Verständnis der Religion beizutragen und ihre Meinung zu äußern, da die Religion nicht irgendeiner Kommission oder einem Einzelnen vorbehalten ist. 
Im Fall einer islamischen Regierung überströmen nicht die Religionsgelehrten die Ministerien und Verwaltungsbüros, sondern das einzige, was sich ändert, ist die Begründung der Regierung auf der islamischen Scharia. Selbstverständlich bleiben aber z.B. Angelegenheiten des Städtebaues in den Händen von Ingenieuren, der medizinische Sektor in den Händen von Ärzten, usw.
Der Islam stellte sich niemals gegen die Wissenschaft, denn er lädt offen dazu ein, in den Himmel und auf die Erde zu blicken, um über ihre Natur und ihre Erschaffung nachzudenken und zu forschen, um dadurch den Weg zu Gott zu finden. Tatsächlich wurden auch viele der westlichen, atheistischen Gelehrten durch ihre wissenschaftliche Arbeit wieder zu Gott geführt.
Was also im Islam lädt dazu ein, den Pfad der Religion zu verlassen, außer blinde Nachahmung des Westens?
Die eigentliche Zielsetzung, die hinter all diesem Gerede von Freiheit und Loslösung von Prinzipien steckt, ist in Wirklichkeit die Auflösung des Charakters und die Verwirrung und Vermengung der Geschlechter. Der gedankliche Vordergrund ist nichts anderes als ein Vorhang, der die wahren Interessen zudeckt, nämlich die Anbetung der sinnlichen Leidenschaften. Und dies wird dann als "gedankliche Freiheit" bezeichnet! Es ist nicht die Aufgabe des Islam. Sklaven zu gehorchen, sondern er ruft zur Befreiung von jeder Unterdrückung auf, und dazu gehört auch die Unterdrückung durch Triebe. 

Gibt es Diktatur im Islam?

Es wird immer wieder behauptet, dass das islamische Regierungssystem von seiner Natur her diktatorisch sei. Der Staat besitze eine weitgreifende Macht, was noch dadurch verschlimmert wird, dass diese Macht im Namen der Religion ausgeübt wird, also im Namen einer den Menschen heiligen Sache. Was ist also leichter und naheliegender, als diese Macht zur Diktatur zu missbrauchen und die Volksmasse damit lahmzulegen. Auf diese Weise gibt es auch keine freie Meinungsäußerung, denn wer aus diesem System ausbricht, wird auch als jemand gesehen, der aus der Religion ausgebrochen ist.
Woher kommt diese eigenartige Meinung über die Religion? Hat sie ihren Ursprung in den Worten Gottes: "... deren Handlungsweise (eine Sache) gegenseitiger Beratung ist,..." (42:38), oder aus den Worten: "...und wenn ihr zwischen Menschen richtet, nach Gerechtigkeit zu richten" (4:58); oder wird es aus den Worten Abu Bakrs abgeleitet: "...wenn ich mich gegen Allah und seinen Gesandten wenden sollte, so gebührt mir von euch kein Gehorsam mehr"? Oder war es das Wort Umars: "Wenn ihr an mir Fehltritte bemerkt, so wehrt euch dagegen", so dass einer der Muslime sagte: "Bei Allah, wenn wir an dir Fehltritte bemerken, so werden wir das Schwert dagegen erheben", und Umar war daraufhin zufrieden und pries Allah für eine solch lobenswerte Einstellung! 


Ja natürlich, es gab auch Tyrannei im Namen des Islam, und das kann auch wieder geschehen, so wie solche Dinge immer wieder zu den verschiedenen Zeiten passieren können. Doch wer da meint, dass nur im Namen der Religion Unterdrückung stattgefunden hat, den muss man z.B. an Hitler erinnern, denn er tyrannisierte das Volk sicher nicht im Namen der Religion. Man kann die Namensliste natürlich noch fortsetzen mit Stalin, Franco, Mao Zhe Dong usw. Gerade dieses Jahrhundert sah die fürchterlichsten Bilder der Diktatur, die nicht unter dem Titel der Religion standen, deren Ideologien aber um nichts weniger den Herzen ihrer Anhänger heilig waren. 
Niemand verteidigt die Diktatur, und jeder Mensch mit freiem Geist und Gewissen, lehnt diese Regierungsform ab. Jede Ideologie, die auf der Aufrechterhaltung des Rechts besteht, ohne persönlichen Interessen folgen zu wollen, kann trotzdem für schlechte Zwecke und Interessen missbraucht werden. So wurden z.B. im Namen der Freiheit während der Französischen Revolution die fürchterlichsten Verbrechen begangen. Wird aber dadurch der Glaube an die Freiheit ausgelöscht? Im Namen der Verfassung wurden Unschuldige gefangengenommen, gefoltert und getötet. Wird dadurch die Festlegung einer Verfassung als unnötig angesehen? Und im Namen der Religion wurde Unterdrückung praktiziert, aber ist das ein Grund, die Religion deshalb für unnötig zu erklären? Diese Forderung wäre angebracht, wenn die Prinzipien und Lehren der Religion selbst Unterdrückung und Ungerechtigkeit predigten. Aber das trifft auf den Islam nicht zu, der ein Beispiel der vollkommenen Gerechtigkeit gibt, und das nicht nur unter den Muslimen, sondern auch in der Umgangsweise zwischen Muslimen und Feinden, die sie bekämpfen. 
Das Heilmittel gegen die Tyrannei besteht in der Hervorbringung eines gläubigen Volkes, das die Freiheit, nach der der Islam ja ruft, zu schätzen weiß, sie verteidigt und so dem Regenten den Weg zur Tyrannei versperrt. So sagte der Prophet: "Wer von euch Unrecht sieht, der ändere es..." (von Bukhari, Muslim und At-Tirmidhi). und er sagte auch: "Der vor Allah vorzüglichste Dschihad ist ein gerechtes Wort vor einem tyrannischen Herrscher" (überliefert von Abu Dawud und At-Tirmidhi). Der rechte Weg zur Befreiung ist also nicht die Loslösung von der Religion, sondern die Menschen diesen revolutionären Geist zu lehren, der vor der Unterdrückung flicht und der in den Grundfesten dieser Religion verankert ist.

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