Samstag, 12. Mai 2018

Weder Krieg noch Frieden


Zu den Volksrepubliken im Donbass vier Jahre nach ihrer Gründung

Von Reinhard Lauterbach
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Krieg als Randbedingung des Alltags: Ein Soldat der Streitkräfte der Volksrepublik Donezk mit Kindern (Donezk, 31. März 2018)
Die Volksrepubliken Donezk und Lugansk befinden sich auf dem Gebiet der ukrainischen Verwaltungsgebiete (Oblasti) Donezk und Lugansk, umfassen jedoch nur etwa zwei Drittel von deren Gesamtfläche. Die Bevölkerung der Region lag vor dem Krieg bei gut sechs Millionen Menschen und ist durch Flucht und Migration inzwischen auf etwa vier Millionen gesunken. Die Republiken wurden am 12. Mai 2014 offiziell ausgerufen, nachdem Referenden am Vortag 89 (Donezk) bzw. 96 Prozent Ja-Stimmen für eine solche Gründung erbracht hatten. Weder diese Referenden noch die Republiken selbst sind international anerkannt. Auch Russland hat bisher jeden Schritt in diese Richtung vermieden. Ein Beitritt zur Russischen Föderation ist derzeit von russischer Seite offenbar nicht geplant.
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Am Mittwoch, dem sowjetischen Siegestag, zog durch Donezk eine der größten Demonstrationen der jüngeren Geschichte. Nach offiziellen Angaben waren es gut 70.000 Teilnehmer, die als »Unsterbliches Regiment« mit Porträts gefallener Angehöriger marschierten – rund zehn Prozent der Bevölkerung, die der Stadt nach Krieg und Flucht eines Teils seiner Bewohner noch verblieben ist. Das ist ein höherer Anteil als in Moskau. Eine andere Nuance: Während in Russland die Ehrung aktuell, etwa in Syrien, gefallener Soldaten vermieden wurde, wurden in Donezk auch die Porträts von Kämpfern der Volkswehren aus den Jahren 2014 und 2015 durch die Straßen getragen. Im Donbass ist der Krieg nicht Geschichte, sondern Randbedingung des Alltags.
Gleichzeitig hält der sporadische, aber regelmäßige Beschuss frontnaher Ortschaften durch die ukrainische Armee an. Dass hier zwei Wohnhäuser zerstört wurden, dort eine Rentnerin Verletzungen davontrug, sind Meldungen, die zur Routine geworden sind. Obwohl sie angeblich den Befehl erhielten, auf Provokationen nicht zu reagieren, schießen die Soldaten der international nicht anerkannten Volksrepubliken doch regelmäßig zurück, und die ukrainischen Truppen erleiden immer wieder Verluste. Dass diese von der Ukraine gegnerischen Angriffen zugeschrieben werden, während die Volksrepubliken auf die Disziplinlosigkeit und den gegenseitigen Beschuss ukrainischer Einheiten verweisen, entspricht den jeweiligen Hauptlinien der Propaganda. Im großen und ganzen sind die Auseinandersetzungen im Stellungskrieg festgefahren. Eine Fotoreportage des russischen Portals EA Daily berichtete kürzlich aus dem im letzten Winter heftig umkämpften Industrieviertel von Awdejewka (ukrainisch: Awdijiwka) nördlich von Donezk. Die Bilder ähnelten historischen Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg: Schützengräben mit Matsch und knietiefem Wasser, aus Holz gezimmerte Unterstände, die Rauchabzüge der Kochstellen getarnt. Scharfschützengewehre sind – auf beiden Seiten – derzeit eine der aktivsten Waffengattungen. Wer den Kopf zu hoch über die Grabenkante hebt, riskiert sein Leben.
So wie er gegenwärtig verläuft, ist der Konflikt für keine der beiden Seiten politisch produktiv. Die kleinere Volksrepublik Lugansk ist seit dem Miniputsch im Winter, als Republikchef Igor Plotnizkij mit russischer und Donezker Unterstützung entmachtet wurde, praktisch aus den Medien verschwunden. Russland und Donezk warnen immer wieder vor der Gefahr einer ukrainischen Großoffensive. Das Problem ist nur, dass bislang alle Termine, zu denen diese Kiewer Offensive erwartet wurde, verstrichen, ohne dass etwas passiert wäre. Aktuell heißt es, die Ukraine könne die Fußballweltmeisterschaft, die auch im nur wenige Kilometer von der Grenze entfernten Rostow ausgetragen wird, zum Anlass für einen Angriff nehmen.
Zudem heißt es, die ukrainische Armee vermehre entgegen den Minsker Waffenstillstandsvereinbarungen ihre schweren Waffen im Hinterland der Front. Donezker Medien veröffentlichen von dort oft Drohnen- oder Amateurfotos von ukrainischen Militärzügen auf Güterbahnhöfen. Nicht immer zeigen die Aufnahmen allerdings, was sie zeigen sollen. Im Winter war die Aufnahme einer ukrainischen Stellung inmitten grüner Obstbäume als aktuell präsentiert worden. Tatsache ist, dass die USA der ukrainischen Armee 208 Antipanzerraketen des Typs »Javelin« liefern. Das war seit längerem erwartet worden und hat Washington Anfang des Monats auch offiziell bestätigt, nicht ohne zu behaupten, diese Waffen seien defensiv und dienten nur dazu, Panzer des Gegners abzuschießen, nicht um selbst anzugreifen. Dies würde einen Übergang der Volksrepubliken zum Bewegungskrieg voraussetzen, das wiederum einen ukrainischen Angriff.
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Russland ist an einer militärischen Eskalation im Donbass weniger interessiert denn je. In russischen Kommentaren überwiegt gegenwärtig die Einschätzung, alle Optionen seien schlecht: Ein direktes militärisches Eingreifen berge die Gefahr weiterer Sanktionen, weitere Zugeständnisse könne sich Moskau aber auch nicht leisten. Dass in dieser Situation die russisch-amerikanischen Gespräche über die Konditionen für die Stationierung einer eventuellen »Blauhelm-Truppe« für das Donbass festgefahren sind, ist kein Wunder. Im Kern wird darüber gestritten, zu welchen politischen Konzessionen gegenüber dem Donbass Kiew doch noch gezwungen werden kann. Die USA stärken ukrainischem Maximalismus den Rücken. Ihr Unterhändler Kurt Volker erklärte, die Volksrepubliken passten nicht in die ukrainische Staatsordnung und müssten als Vorbedingung verschwinden. Die Frage ist, ob Russland sie irgendwann aufgibt oder aufgeben muss.

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