Donnerstag, 31. Mai 2018

Schnüffler auf Entzug setzen


Bundesregierung von Betreiber des weltgrößten Internetknotenpunkts verklagt. Der will BND-Glasfaserüberwachung stoppen

Von Marc Bebenroth
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Sollten die Richter freien Zugriff auf die ­Leitungen in Frankfurt stoppen, geht auch der große Bruder NSA leer aus
Aktualisierung vom 31. Mai, 10 Uhr: Der Bundesnachrichtendienst (BND) darf weiterhin massenhaft Daten beim Internetknotenpunkt De-Cix in Frankfurt am Main abgreifen. Dies hat am späten Mittwoch abend das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, wie die Deutsche Presseagentur in der Nacht zum Donnerstag berichtete. Die Klage der Betreiberfirma gegen die Bundesregierung wurde abgewiesen. In ihrer Urteilsbegründung betonten die Richter, De-Cix könne verpflichtet werden, bei der strategischen Überwachung durch den BND mitzuwirken. Weitere Rechtsmittel gegen die Entscheidung ließ das Gericht nicht zu. (mb)
Eine millionenfache Grundrechtsverletzung gebe es in Deutschland nicht, behauptete im August 2013 der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU). Zugleich erklärte er kurzerhand die Debatte um Massenüberwachung durch deutsche, britische und US-amerikanische Geheimdienste für beendet. Für das Gegenteil sprechen zahlreiche Beweise und Indizien. Viele davon verdanken wir Edward Snowden, ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA. Vor fünf Jahren berichteten Journalisten des britischen Guardian auf der Grundlage von ihm gelieferter Informationen erstmals über das Ausmaß der weltweiten Überwachung. Bei dieser gewährleistet das Anzapfen der globalen Internetknotenpunkte höchste Effizienz. Wer auf sie zugreifen kann, dem fällt quasi der weltweite Datenstrom in die Hände. Der weltweit größte Netzknotenpunkt befindet sich in Frankfurt am Main. Dort unterhält die Betreiberfirma De-Cix mehrere Rechenzentren, in denen mehr als 1.000 Glasfaserkabel zusammenlaufen. An diese hat sich der Bundesnachrichtendienst (BND) schon vor Jahren angeschlossen. Wie bereits in der jW-Mittwochausgabe kurz berichtet, hat De-Cix gegen diese Praxis Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht. Die erste mündliche Verhandlung fand am Mittwoch statt. Konkret wendet sich das Unternehmen gegen die »Inanspruchnahme« durch den BND »im Rahmen der strategischen Fernmeldeüberwachung«, wie es in einer Mitteilung des Gerichts heißt. Geklagt wird gegen Anordnungen der Bundesregierung an den Geheimdienst. Deshalb müssen sich auch Vertreter der Regierung und nicht Repräsentanten des BND in Leipzig zu den Vorwürfen äußern.
Die Anwälte der Bundesregierung argumentieren einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (Dienstagausgabe) zufolge, die Betreiberfirma sei gar nicht klageberechtigt. De-Cix könne nicht stellvertretend für Millionen Betroffene Beschwerde führen. Für die Firma dagegen ist klar: Der BND ist ein Auslandsgeheimdienst und hat deshalb kein Recht, Inlandskommunikation zu überwachen. Anlassloses Abhören sei ebenfalls rechtswidrig. Ob das, was der BND tut, rechtens ist, interessierte bislang weder Regierung noch Geheimdienst. Mit der im Dezember 2016 in Kraft getretenen Änderung des BND-Gesetzes wurden jedoch alle bis dato illegalen Praktiken legalisiert.
De-Cix hatte die Klage beim Bundesverwaltungsgericht bereits im September 2016 eingereicht, wie Firmensprecher Carsten Titt am Mittwoch auf jW-Anfrage mitteilte. »Art und Umfang der Ausführung« der Anordnungen aus dem Bundesinnenministerium seien bereits seit Beginn der Überwachungsmaßnahmen im Jahr 2009 »strittig« gewesen. Aufgrund einer im Herbst 2016 veröffentlichten Stellungnahme des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, habe De-Cix »gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser strategischen Fernmeldeaufklärung«, so Titt. Mit der Klage will das Unternehmen eine gerichtliche Überprüfung der Überwachung erwirken.
Martina Renner, für die Linke-Fraktion Mitglied im Innenausschuss des Bundestags, kritisierte am Mittwoch gegenüber jW, dass der Generalbundesanwalt oder andere Behörden nicht ihrerseits »im Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Abschnorcheln am Knotenpunkt in Frankfurt Ermittlungen aufgenommen« haben. Die Bundesregierung wiederum versuche mit »Gerede von ausreichendem Grundrechtsschutz durch Filtersysteme« die Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen. Tatsächlich werde »massenhaft Recht verletzt«, sagte die Politikerin.

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