Donnerstag, 31. Mai 2018

[Chiapas98] Hoffnung auf Morenas Wahlsieg (Rosa-Luxemburg-Stiftung v. 24.5.2018)

Der Autor Paco Ignacio Taibo II kandidiert für die linksgerichtete Partei «Morena» bei den Wahlen in Mexiko im Juli. Ein Interview. 
Der linke mexikanische Schriftsteller und Aktivist soll nach den Wahlen im Juli Kulturminister der Landesregierung von Mexiko-Stadt werden. Er rechnet mit einem Doppelsieg der linksgerichteten Partei Morena («Movimento Regeneración Nacional», «Bewegung der nationalen Regeneration») in der Hautstadt und bei den Präsidentschaftswahlen am gleichen Tag.
Das Interview führte Torge Löding, Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Torge Löding: Sie sagen, dass die nun dritte Kandidatur von Andrés Manuel López Obrador bei den Wahlen am 1. Juli erfolgreich sein wird. Vor den Wahlen in 2006 und 2012 führte der Politiker ebenfalls in den Umfragen und wurde dann doch immer gestoppt. Es wurde immer von Stimmenkauf und Wahlbetrug durch die andere Seite gesprochen. Warum schätzen Sie seine Chancen dieses Mal besser ein?
Paco Ignacio Taibo II: Es gibt einen entscheidenden Unterschied, die neoliberale Rechte, ob PRI oder PAN, ist vollkommen diskreditiert. Das führt dazu, dass López Obrador in den Umfragen so klar führt wie nie zuvor. Das Problem mit dem Wahlbetrug ist natürlich das gleiche, es wird ihn geben. Auch in der Hauptstadt ist die Betrugsmaschine bereits angelaufen. Da geht es um Stimmenkauf, Bedrohung, Repression und öffentliche Angestellte werden dazu missbraucht. Aber der Punkt ist, dass jeder Betrug eine Marge hat und der Vorsprung dieses Mal so groß ist, dass der Betrug nicht ausreichen wird. In den Umfragen führt Obrador mit bis zu 48 Prozent, auf Platz zwei kommt der Konservative Anaya mit 26 Prozent und abgeschlagen Meade von der PRI auf 17 Prozent. Das ist im Fall von Mexiko sehr aussagekräftig, denn es gewinnt der Präsidentschaftskandidat mit der relativen Mehrheit im ersten Wahlgang. Doch trotz der guten Aussicht stellen sich gleich zwei Probleme: Und zwar, ob López Obrador seine Kampagne für eine Breite Front nach dem Wahlsieg ernsthaft weiter betreibt und wie stark die sozialen Bewegung von unten sein wird, um dem Druck der Oligarchie und den Großunternehmern ernsthaft etwas entgegen setzen zu können.
Erstmals versuchte mit María de Jesús Patricio Martínez („Marichuy“) eine dem Zapatismus nahestehende indigene Aktivistin als unabhängige Präsidentschaftskandidatin anzutreten. Aber sie erreichte mit knapp 270.000 Unterstützungsunterschriften nur gut ein Drittel der für eine Zulassung zur Kandidatur nötigen. Warum hat es nicht gereicht?
Das liegt vor allem daran, dass der Zapatismus kein mehrheitsfähiges Projekt ist. Die Kampagne von López Obrador ist die einer Möglichkeit, die von Marichuy die einer Zuschauerin. Das haben die Leute verstanden. Trotzdem haben viele von uns für ihre Kandidatur Unterstützungsunterschriften geleistet, denn es wäre gerecht gewesen, ihre Stimme im Wahlkampf eine Arena zu bieten. Aber die Mehrheit war dazu dann doch zu pragmatisch. López Obrador macht auch indigenen Gemeinden Kampagnenarbeit. Er vertritt ein sehr vages Autonomieprogramm, aber ist in der Tat nicht sehr klar. Genauso fehlt ihm ein klares lateinamerikanisches Projekt. Denn seine Regierung muss den Blick konfliktbereit in den Norden und mit Einigungsbereitschaft in den Süden. Das sagt er so klar leider nicht.
Sie persönlich wurden in den vergangenen Wochen von den Massenmedien aufs Korn genommen für Ihre Aussage, eine solche Volksbewegung für López Obrador müssen reaktionären Unternehmern im Zweifel mit Enteignung drohen ...
(Lacht) Ja, da wurde ein Zitat von mir aus den sozialen Netzwerken aufgegriffen. Das hatte ich vor sieben Monaten gesagt in Bezug auf die Erfahrung der Regierung des bisher einzigen linken Präsidenten Lazáro Cárdenas. Angesichts der erfolgreichen Wahlkampagne von López Obrador versucht man offensichtlich uns voneinander zu entfernen. Das wird aber nichts daran ändern, dass er die Energiereform zurück nehmen wird und gegen die korrupte Oberschicht Politik machen wird.
Gleichzeitig hat López Obrador aber auch sehr dubiose und reaktionäre Kräfte in sein Bündnis aufgenommen. Nicht nur undurchsichtige Unternehmer aus Monterrey und evangelikale «Lebensschützer», kürzlich sogar Manuel Espinoso, den Gründer der ultrarechten Splittergruppe «El Yunque». Was hat das zu bedeuten?
Fraglos hat er sich in den vergangenen vier Monaten zur Mitte hin geöffnet, um die rechte Front gegen ihn zu schwächen. Das hat funktioniert, wenn man die Umfrageergebnisse anschaut. Ich kann aber auch nicht verhehlen, dass einige der neuen Bündnispartnern uns Linken innerhalb und außerhalb der Partei «Morena» einige Kopfschmerzen bereitet. Ich glaube aber auch nicht, dass wir daraus jetzt einen Konflikt machen sollten, der nur der Rechten nützt.
Die Diskussion um Drogenkartelle, Gewalt und Sicherheit steht in Mexiko an erster Stelle. Welche Politik verfolgte López Obrador hier?
Das wird eine komplizierte und schwierige Mischung verschiedener Elemente sein. Zunächst einmal ein Ende des «Drogenkrieges» mit einer Amnesie nicht für die großen Kartellbosse, aber zum Beispiel für Kleinbauern, die aus Überlebensgründen Drogen anbauen. Einen Pakt mit den Kartellen wird es nicht geben. Dazu kommt eine neue Kultur- und Bildungspolitik, welche den Banden mittelfristig den Boden entziehen wird. Wichtig ist auch die Erfahrung der «Gemeindepolizei» und «Autodefensas», welche als einzige reale Resultate im Kampf der Bevölkerung gegen die Drogenkriminalität gebracht hat. Hilfreich ist auch die Legalisierung von Drogen wie Marihuana, wodurch weniger Geld in die schwarzen Kassen der Mafia fließen würde. Zu diesen Punkten hat sich unser Kandidat nur zurückhaltend geäußert. Ganz klar stellt er sich aber auf die Seite der Familien, deren Angehörige in den zahlreichen Bluttaten umgekommen sind. Es wird keine Amnestie für die Täter geben, sondern Aufklärung und Gerechtigkeit.
Welche anderen politischen Schwerpunkte werden angegangen?
Es gibt zwei weitere Schwerpunkte: Der Kampf gegen Korruption und ein Ende der neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnte. López Obrador wird vermutlich gegen eine rechte Parlamentsmehrheit regieren müssen, was es nicht einfacher macht. In so einem Szenario ließen sich schwer Gesetze ändern, aber per Präsidialdekret kann er die schlimmsten Entwicklungen stoppen. Zum Beispiel kann der Präsident die Bildungsreform stoppen und mit den LehrerInnen dann neue Bedingungen aushandeln und Entlassene wieder einstellen. Oder er kann die Energiereform auf Eis legen, indem er die Verträge überprüft. Den Unternehmern hat er gesagt, er wird ihr Präsident sein, aber nicht ihr Verwalter. Es gibt also Grund zur Hoffnung.
In der linken Hochburg Mexiko-Stadt deutet alles auf einen Wahlsieg der Morena-Kandidatin Claudia Sheinbaum bei den Gouverneurswahlen am gleichen Tag hin. Sie wollen hier Kulturminister werden. Welchen Kurs soll die Kulturpolitik in dem Mega-Stadt-Staat einschlagen?
Ich bin mir sicher, dass Claudia gewinnen wird. Sie führt in Umfragen, wenn auch mit deutlich niedrigerem Wert als López Obrador für die Bundesebene. Das liegt daran, dass sie viel weniger bekannt ist. Aber der Wahlkampf hat ja gerade erst begonnen, am Ende wird sie in der Hauptstadt ein besseres Ergebnis als unser Präsidentschaftskandidat, da sie weitere WählerInnenschaften erschließen wird. Zum Beispiel viele Linke, die López Obrador für seine Bündnispolitik auf der Bundesebene kritisieren. In dieser Stadt könnten wir sogar eine absolute Parlamentsmehrheit gewinnen. Wir werden den Kulturetat verdoppeln für ein sehr ambitioniertes Programm: Es wird neue Stadtteilkulturfeste und –zentren geben, wir werden mehr als eine Million Bücher zur politischen Bildung produzieren kostenlos an die Bevölkerung verteilen. Dazu bauen wir neue Basisnetzwerke auf, welche die Arbeit organisieren, sowie ein großes vertikales Netz, mit dem wir zentrale Großveranstaltungen auf dem Zócalo organisieren werden. Derzeit arbeiten wir mit einem Team von 200 Leuten an dem Kulturprogramm, welches zum Wahltag fertig sein soll. Vom ersten Tag der Regierungsarbeit an werden wir also ein Idee haben, in welche Richtung es gehen soll.
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