Der Prozess um die Frage, ob offen
gekennzeichnetes
Schwarzfahren eine Straftat ist, geht weiter. Der zweite
Verhandlungstag konnte
nur die Geschehnisse einer fahrscheinlosen Fahrt aufklären. Die
Zugbegleiterin
beschrieb die Abläufe dort als „Demonstration“. Es sei klar
erkennbar gewesen,
dass die Beteiligten keine Fahrkarten gehabt hätten. Da der
Richter dem
Angeklagten fortlaufend das Recht entzog, eigene Ausführungen zu
machen, stellte
der einen Befangenheitsantrag. So musste der Prozess unterbrochen
werden.
Fortsetzungstermin ist der 18.12. um 10.30 Uhr im Amtsgericht
Gießen.
„In diesem ganzen Verfahren gibt es nur eine
Straftat: Die
der Staatsanwaltschaft, mich zu verfolgen“, schimpfte der
Angeklagte am Ende
der Verhandlung am Montag, den 30.11.2015 im Amtsgericht Gießen.
Zuvor hatte
eine ehemalige Zugbegleiterin ihre Sicht der Geschehnisse am 2.
März 2015 auf
der Strecke von Kempten über Buchloe nach München geschildert. Es
habe eine
Gruppe eine Demonstration im Zug abgehalten. Diese seien mit
Schildern und
Buttons als fahrscheinlos gekennzeichnet gewesen und hätten zudem
an alle
Fahrgäste Flugblätter verteilt, auf denen ebenfalls zu lesen war,
dass die
Gruppe ohne Fahrschein unterwegs war. Hauptinhalt des Flugblattes
sei
allerdings die Forderung danach gewesen, dass Busse und Bahnen für
alle
Menschen und ohne Fahrkarte benutzbar gemacht werden sollten. Die
Zeugin
äußerte sogar Sympathie für diese Forderung.
Ähnliche Angaben zu den Abläufen hatte die
Zugbegleiterin
auch schon in einem schriftlichen Bericht gemacht, der als
einziges
Beweismittel in den Gerichtsakten zu finden war. Ein offen
erkennbares Fahren
ohne Fahrschein aber ist keine „Erschleichung von Leistungen“, wie
der
Strafparagraph lautet. Dennoch beantragte die Staatsanwaltschaft
einen Strafbefehl
und behauptete dort wider besseren Wissens, die Aktivist_innen
„benutzten den
äußeren Umständen nach als zahlungswilliger Fahrgast“ den Zug am
2. März. Diese
Lüge war notwendig, um ein strafbares Verhalten behaupten zu
können – weil die
von der Zugbegleiterin beschriebene Demonstration mit klar
erkennbarer
Kennzeichnung des Schwarzfahrens eben nicht strafbar wäre. Die
Strafverfolgung
und die belastende Lüge seien derart verfälschend, dass die
Straftatbestände
der „Verfolgung Unschuldiger“ und der „falschen Verdächtigung“
erfüllt sind –
so der Angeklagte, der nun die ihn verfolgende Behörde also selbst
anzeigt. Es
sei zudem nicht das erste Mal, dass die Gießener
Staatsanwaltschaft mit Lügen
und Erfindungen gegen ihn vorgehe, fügte er in der Strafanzeige
hinzu.
Ob die Staatsanwaltschaft Gießen allerdings ein
Ermittlungsverfahren startet, darf bezweifelt werden. Immerhin
müsste sie gegen
sich selbst ermitteln. Offen ist die Frage, ob sie trotz der
Entlarvung der
Lüge, die einzige Grundlage des Strafbefehlsentwurfs war, weiter
auf eine
Verurteilung bestehen wird. Der nächste Verhandlungstermin im
Verfahren wegen
vermeintlichen Schwarzfahrens ist Freitag, 18.12., um 9.30 Uhr im
Amtsgericht
Gießen.
Die Strafanzeige ist unter
www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/schwarzfahr/151130strafanzeige_verfolgungunschuldiger.pdf
herunterzuladen.
Weitere Informationen:
- Rechtliche Hintergründe, Termine und Berichte bisheriger Aktivitäten unter www.schwarzstrafen.de.vu.
- Alle Dokumente und genauere Informationen zu den Prozessen: www.projektwerkstatt.de/schwarzstrafen/prozesse.htm
- Kontakt: Projektwerkstatt, saasen@projektwerkstatt.de, 06401-903283 (am Prozesstag: 01522-8728353)
Hinweis:
In den kommenden Wochen finden in der Projektwerkstatt Saasen Seminare für politisch Aktive und Interessierte statt, darunter auch zum Thema Nulltarif und Aktionsschwarzfahren. Alle Termine finden sich unter www.projektwerkstatt.de/termine.
- 18.-20.12. in der Projektwerkstatt: Sich einmischen – Akten
und Pläne studieren, mitreden und protestieren vor Ort
Kreativer und widerständiger Protest ist gut. Das dürfte inkompatibel sein mit dem Versuch, sich ständig mit den Herrschenden und Privilegierten zu verbinden, um kleine Vorteile zu ergattern, aber damit das Ganze selbst zu unterstützen. Es bedeutet aber nicht, zu den Strukturen des herrschenden Systems ohnmächtigen Abstand zu halten. Ganz im Gegenteil: In den Kochtöpfen der Macht herumrühren, genau hinzugucken, Interessen zu demaskieren, Vorhaben frühzeitig und genau zu kennen, verbessert die Handlungsmöglichkeiten. Darum soll es gehen: Die vorhandenen Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten im Rahmen des bestehenden Systems kennenzulernen, um sie – neben der direkten Aktion – optimal nutzen zu können, z.B. Akteneinsichtsrecht, Verwaltungsklagen gegen Planungen und Behördenentscheidungen, Bürger_innenbeteiligung bei Bauvorhaben, nach Immissionsschutzrecht usw. ++ Infoseiten zum Thema: www.projektwerkstatt.de/einmischen
- 8.-10.1.2016 in der Projektwerkstatt: Direct-Action-Training
(das ist ein neuer Termin, ursprünglich war es für 21.-23.12.
geplant)
Du findest, in der Welt läuft einiges verkehrt? Und fühlst Dich ohnmächtig, weil Du oft nicht weißt, wie das Bessere gelingen oder durchgesetzt werden kann? Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen in Zwangsanstalten, Diskriminierung und Ausbeutung - so vieles passiert täglich, aber kaum etwas hilft dagegen? Dann könnte dieses Direct-Action-Training (wahlweise: Workshop) helfen. Denn ganz so ohnmächtig, wie es scheint, sind wir nicht. Im Gegenteil: Es gibt viele Aktionsformen, die wir kennenlernen und üben können, um uns wirksamer wehren zu können, um lauter und deutlicher unsere Stimme zu erheben oder uns politisch einzumischen: Kommunikationsguerilla, verstecktes Theater, gezielte Blockaden oder Besetzungen, intelligente Störung von Abläufen und vieles mehr schaffen Aufmerksamkeit und bieten Platz für eigene Forderungen und Visionen. Wir werden konkrete Aktionsideen besprechen, den rechtlichen Rahmen durchleuchten und einiges ausprobieren. ++ Schon mal informieren? www.direct-action.de.vu
- 22. bis 24.1. in der Projektwerkstatt: Seminar "Freie Fahrt
für alle!"
(Umwelt- und menschenfreundliche Verkehrssysteme, Nulltarif und Aktionsschwarzfahren)
Wie sieht Mobilität heute aus - und wie wäre es, wenn nicht Herrschafts- oder Kapitalinteressen alles prägen würden? Welche gesellschaftlichen Folgen haben Autoverkehr, Regionalplanung, Supermärkte auf der grünen Wiese, lange Anfahrtswege zum Arbeitsplatz, weltweiter Produkte- und Rohstoffverkehr und so vieles mehr? Wie lässt sich Fuß-, Rad- und öffentlicher Verkehr fördern? Vor- und Nachteile des Nulltarifs (keine Fahrkarten mehr). Welche Rolle kann das Aktionsschwarzfahren spielen?
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