Dienstag, 22. Dezember 2015

Imagegewinn für die Truppe


Verteidigungsministerin von der Leyen bindet die Bundeswehr in die »Flüchtlingshilfe« ein. Soldaten sind von der Registrierung bis zur Unterbringung im Einsatz

Von Peer Heinelt
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An der Gulaschkanone: Soldaten bei der Essensausgabe in der Flüchtlingsunterkunft in der Kaserne Feldkirchen (1. Oktober 2015)

Jagdfieber

Am 1. Oktober ermächtigte der Bundestag die Bundeswehr, vor der nordafrikanischen Mittelmeerküste Jagd auf Fluchthelfer zu machen. Dem Beschluss zufolge darf die deutsche Kriegsmarine nunmehr »Schiffe anhalten und durchsuchen, beschlagnahmen und umleiten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie für Menschenschmuggel oder Menschenhandel benutzt werden«. Dabei kann selbstverständlich scharf geschossen werden – etwa wenn »die Sicherung und der Schutz eigener Kräfte« dies erfordern. Entsprechende Kampfszenarien trainiert die Truppe schon länger, wie einer ihrer Offiziere dem Nachrichtenportal Spiegel online verriet: »Wenn wir (…) Schleuser festnehmen wollen, müssen wir uns auf alles vorbereiten.«
Insgesamt beteiligen sich bis zu 950 deutsche Soldaten an den am 7. Oktober unter der Bezeichnung »Operation Sophia« angelaufenen Gewaltmaßnahmen des maritimen EU-Einsatzverbandes Eunavfor Med (European Union Naval Forces Mediterranean). Ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion gehört Deutschland damit zu den größten Truppenstellern. Zur Zeit kreuzen der Einsatzgruppenversorger »Berlin« und das Minenjagdboot »Weilheim« vor der libyschen Küste; zudem ist die Bundeswehr im »taktischen Einsatzhauptquartier« auf dem italienischen Flugzeugträger »Garibaldi« und im »operativen Hauptquartier« in Rom vertreten.
Gestartet wurde die »Mittelmeermission« der EU bereits im Juni, wobei es der Bundesregierung zufolge zunächst darum ging, Informationen über »kriminelle Netzwerke« von »Schleusern« zu erheben. Unterstützt von dem für Auslandsspionage zuständigen Bundesnachrichtendienst hätten Angehörige der »Feldnachrichtentruppe« zu diesem Zweck systematisch aus Seenot gerettete Flüchtlinge über »Aufenthaltsorte und Transitwege« befragt, heißt es. Mit Verhören allein wollte sich die Truppe schon in dieser »ersten Phase« ihres Einsatzes allerdings nicht begnügen, wie die Bundesregierung Anfang August einräumte: »Seit Beginn der Operation Eunavfor Med wurden ein unbemannt treibendes, mutmaßlich durch Migranten genutztes Holzboot sowie zwei weitere Schlauchboote nach der Aufnahme von Schiffbrüchigen durch ein deutsches Schiff versenkt.«
Sollten die Militärs schließlich die vorgesehene »dritte Phase« ihrer »Mittelmeermission« einläuten und von Migranten genutzte Boote bereits vor dem Auslaufen vernichten, dürfte endgültig deutlich werden, dass der Krieg gegen »Schleuser« einzig einem Zweck dient: Flüchtlinge gar nicht erst nach Europa kommen zu lassen.(ph)
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist einmal mehr voll des Lobes über ihre Soldatinnen und Soldaten. Die von ihnen geleistete »Flüchtlingshilfe« habe »Hochachtung« und »Respekt« verdient, sagte die Ressortchefin unlängst bei einem Truppenbesuch: »Sie zeigen mit großer Brillanz, was es bedeutet: Wir. Dienen. Deutschland.« Der Werbeslogan, den die Bundeswehr seit einiger Zeit für die Nachwuchsrekrutierung einsetzt, dürfte von der Leyen nicht zufällig über die Lippen gekommen sein, lässt sich die Betreuung von Migranten doch hervorragend zu Propagandazwecken nutzen. Durch die Bereitstellung militärischer Liegenschaften habe man »erheblich dazu beigetragen, die bekannte Unterbringungsproblematik in (…) Städten und Kommunen abzumildern«, erklärt denn auch der Presse- und Informationsstab des Verteidigungsministeriums. Insgesamt seien rund 7.500 Angehörige der deutschen Streitkräfte »in der Flüchtlingshilfe gebunden«, heißt es; ihre Aufgaben reichten von der »Verpflegungsausgabe« über die »Bereitstellung von Transportkapazitäten« bis zur »medizinischen Versorgung«. Dass aus Bürgerkriegsgebieten geflohene traumatisierte Menschen somit bei ihrer Ankunft in Deutschland vielfach auf Männer und Frauen in Kampfanzügen stoßen, dient allerdings nicht nur der Imagepflege der Truppe, sondern auch der Disziplinierung der Betroffenen. So berichteten Soldaten des im brandenburgischen Beelitz stationierten Logistikbataillons 172, die Flüchtlinge seien ihnen bei der Verteilung auf verschiedene »Aufnahmeeinrichtungen« stets mit »großem Respekt« begegnet. Nach Angaben eines Stabsgefreitern des Bataillons Elektronische Kampfführung 911 aus Schleswig-Holstein, der in einem Flüchtlingslager in Lübeck eingesetzt war, reagierten die dort untergebrachten Migranten »sehr ängstlich« auf seinen Anblick, hätten sie doch »in ihrer Heimat sehr schlechte Erfahrungen mit Uniformierten gesammelt«.
Dementsprechend diszipliniert geht es zu, wenn die Soldaten die in den sogenannten Erstaufnahmeeinrichtungen Ankommenden »registrieren«. Der Vorgang entspricht dem, was Kriminalisten gemeinhin als »erkennungsdienstliche Behandlung« bezeichnen: Zur Abfrage persönlicher Daten wie Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Sprache und Religion kommt die Anfertigung von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken. Mittlerweile haben die deutschen Streitkräfte eigenen Angaben zufolge mehr als 500 ihrer Bediensteten an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgeordnet, das für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist. Zu den Aufgaben der Militärs zählen neben der »Registrierung« der Flüchtlinge das »Überprüfen von Personalien und Dokumenten« sowie die »Bearbeitung von Folgeanträgen« vormals abgelehnter Asylbewerber. Die Bundeswehr ist somit auf allen Ebenen des Asylverfahrens präsent – bis hin zur Entscheidung über die Gewährung eines Bleiberechts oder die Durchführung einer Abschiebung.
An der Verteilung von Migranten auf Lager im gesamten Bundesgebiet wirkt die Truppe ebenfalls maßgeblich mit. So stellt sie etwa den stellvertretenden Leiter der in München angesiedelten »Koordinierungsstelle Flüchtlingsverteilung Bund«, die ihrerseits dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) untersteht. Die Organisation des flüchtlingspolitischen Militäreinsatzes auf der Ebene der Bundesländer wiederum liegt bei den vornehmlich aus Reservisten bestehenden »Landeskommandos« der deutschen Streitkräfte. Sie wurden eigens für die »Amtshilfe« bei »besonders schweren Unglücksfällen«, »Terroranschlägen« und »inneren Unruhen« geschaffen und sind daher wie das BBK auf die »zivil-militärische Zusammenarbeit« mit Hilfsorganisationen und Polizeibehörden spezialisiert. Ihre diesbezüglichen Fähigkeiten kann die Bundeswehr nun weiter ausbauen; gleichzeitig trägt sie ihren Teil zur politisch gewollten Inszenierung eines durch die vermeintliche »Flüchtlingskrise« verursachten »nationalen Notstands« bei.
Immer häufiger kommen Angehörige von Spezial- und Eliteeinheiten im Rahmen der militärischen »Flüchtlingshilfe« zum Einsatz. Sie entstammen zumeist der »Division Schnelle Kräfte« (DSK), zu der auch das in illegale Tötungen in Afghanistan involvierte »Kommando Spezialkräfte« zählt. Wie die Bundeswehr mitteilt, fungieren Soldaten des DSK unter anderem als »mobiles Registrierungsteam« zur Unterstützung der Bundespolizei an unterschiedlichen Orten in Bayern. Dies korrespondiert mit aktuellen Manöver­szenarien der NATO, bei denen klassische Aktionen des DSK wie die Bekämpfung von Aufständischen und die Durchführung von Operationen hinter den feindlichen Linien mit der »Bewältigung« von »Massenvertreibungen« und »Flüchtlingsströmen« in einem Interventionsgebiet kombiniert werden. Passend dazu wird bei entsprechenden Übungen stets die »zivil-militärische Zusammenarbeit« mit Hilfsorganisationen und einheimischen Repressionskräften trainiert.
Nach wie vor im Raum steht die Beteiligung der Bundeswehr an Abschiebungen. So will etwa das baden-württembergische Innenministerium nach eigenem Bekunden verstärkt auf den »ärztlichen Dienst« der Truppe zurückgreifen, um eine »raschere Beurteilung der Reisefähigkeit« der zur »Rückführung« ausgeschriebenen Flüchtlinge zu erreichen. Erst Ende Oktober hatte Verteidigungsministerin von der Leyen erklärt, es sei »grundsätzlich denkbar« für Abschiebungen auch Militärflugzeuge vom Typ »Transall« zu nutzen.

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