Mittwoch, 3. Juni 2015

Selbst-Profilierung im Bürgerkrieg

IMI-Standpunkt 2015/020 Grundlage für Verschleppungen und Folter in der Ukraine sind häufig auf den Handys gefundene Bilder politischer Kundgebungen von: Bernhard Klaus | Veröffentlicht am: 29. Mai 2015 Seit annähernd bekannt wurde, in welchem Umfang Geheimdienste verschiedener Staaten flächendeckend die Bevölkerung ausspähen, wird allerorten zu einem zurückhaltenderen und vorsichtigeren Umgang mit persönlichen Daten und Datenträgern aufgerufen. Das Verhalten der Nutzer_innen hat sich demgegenüber bislang nur wenig gewandelt, selbst in sich selbst als politisch verstehenden Kreisen wird es oft noch als übertriebene Selbsteinschränkung aufgefasst, wenn jemand nicht „bei Facebook“ ist, kein Handy besitzt oder nicht auf Kundgebungen fotografiert werden will. Die implizite oder explizite Argumentation ist dann oft, dass man ja nichts Verbotenes mache und nichts zu befürchten habe. Darin schwingt dann doch fast so etwas wie Vertrauen in die Geheimdienste und die von ihnen implementierte Künstliche Intelligenz sowie der Glaube an die Stabilität des politischen Systems, in dem man sich bewegt, mit. Nur, weil man ein Foto von einer Großkundgebung auf dem Handy hat, wie es tausendfach in den Medien war und das man ohne große politische Affinität vielleicht auch nur deshalb im Vorbeigehen geschossen hat, wird man schon nicht im Folterkeller landen. Davon kann man in der Ukraine, keine 1.000 Kilometer östlich von Bayreuth, nicht mehr ausgehen. Der viel zitierte Bericht von Amnesty International mit dem Titel „Ukraine – Breaking Bodies: Torture and Summary Killings in Eastern Ukraine“, der beiden Seiten schwere Menschenrechtsverletzungen vorwirft, weist darauf hin, dass es im Bürgerkrieg wohl gängige Praxis ist, an Straßensperren die mobilen Endgeräte von Zivilpersonen zu durchsuchen und diese Menschen dann aufgrund gefundener Bilder zu verschleppen und zu foltern. Der Bericht basiert (neben Videos aus dem Internet) auf Interviews mit insgesamt 33 Personen, die von den „Separatisten“ oder „Pro-Kiew“-Kräften gefangengehalten und/oder gefoltert wurden. Viele von ihnen wurden nur aufgrund der Bilder auf ihren Handys verschleppt. Der erste dargestellte Fall von Folterung durch Milizen der Regierung in Kiew berichtet von drei Männern, die auf dem Weg von der Arbeit in eine Straßenkontrolle des Rechten Sektors und Dnipro-2-Battaillons gerieten. Neben ihren Ausweispapieren wurden sie nach ihren Handys gefragt und diese durchsucht. Einer hatte den selben Nachnamen, wie ein Separatistenführer, der andere verdächtige Kontakte auf seinem Handy. Also wurden alle drei zunächst als Terroristen beschimpft, bedroht und einer auch sofort geschlagen. Alle drei wurden dann ins lokale Hauptquartier des ukrainischen Geheimdienstes SBU gebracht, gefesselt, geschlagen und im Fernsehen vorgeführt. Der mit dem „falschen“ Namen wurde in ein Loch geworfen und in einer Schein-Beerdigung mit Erde bedeckt, bis er das Bewusstsein verlor. Als er wieder aufwachte, war sein Kopf ausgegraben und wurde mit den Füßen getreten. Danach wurde er noch mit den anderen beiden in einen Bunker verlegt – wo seine Begleiter verprügelt wurden – aber nicht mehr angerührt, weil er bereits dem Tode nahe war. Drei Tage später wurden alle drei entlassen. Ihre Ehefrauen hatten nach der TV-Übertragung intensiv gesucht und Druck gemacht. Der mit dem „falschen“ Namen verbrachte drei Wochen im Krankenhaus und wäre ohne angemessene Behandlung, so der Arzt gegenüber Amnesty International, womöglich gestorben. Der nächste Fall handelt von einer kleinen, informellen Gefängniszelle des Rechten Sektors im Keller eines Gebäudes, wo etwa ein Dutzend Zivilisten festgehalten wurden. Nach dem Bericht eines Insassen wurden sie alle geschlagen, „nur um sie zu verängstigen“. Der älteste Insasse mit 60 Jahren sei nach einer Prügelattacke mehrere Tage bewusstlos gewesen und danach noch eine Woche unfähig, zu gehen. Alle Gefangenen – unter denen sich zwischenzeitlich auch eine Frau befand – mussten ihre Notdurft in Plastiktüten verrichten. „Die meisten von ihnen wurden aus offensichtlich banalen Gründen festgehalten, zum Beispiel, weil sie pro-separatistische Fotos auf ihren Handys hatten“, so der Amnesty-Bericht. Sie mussten ihre Bankkarten ausliefern und PIN-Nummern angeben, oft wurde auch noch Geld von ihren Angehörigen erpresst, bevor sie freigelassen wurden. Der Sprecher des Rechten Sektors bestätigte die Existenz des Gefängnisses, leugnete gegenüber AI jedoch, dass dort Misshandlungen stattgefunden hätten. Die weiteren drei exemplarischen Fälle von Folter durch die Kräfte der Regierung in Kiew sind zwar teilweise noch drastischer, betreffen jedoch Personen, die tatsächlich mit den Separatisten in Kontakt standen – was Folter natürlich keineswegs rechtfertigt – wo aber im Bericht keine Angaben darüber gemacht werden, wie sie identifiziert bzw. auf welcher Grundlage sie verschleppt wurden. Die Berichte über Misshandlungen durch die „Separatisten“ beginnen mit der Festnahme von sich ergebenden Soldaten der ukrainischen Armee, die teilweise geschlagen und zu Zwangsarbeit gezwungen wurden, fokussiert aber schnell auf einen Mitgefangenen, auf dessen Laptop „Bilder vom Euro-Maidan und Fotos mit Symbolen des Rechten Sektors gefunden wurden“. Dieser wurde verprügelt, bis er bewusstlos wurde, dann mit kaltem Wasser wieder aufgeweckt und weiter geschlagen, bevor er eine Erklärung vor laufender Kamera verlesen sollte (was er verweigerte) und dann freigelassen wurde. Die weiteren ausführlicher dargestellten Einzelfälle in diesem Abschnitt betreffen eine Person, die beschuldigt wurde, einem Separatisten das Bein gebrochen zu haben sowie zwei Soldaten, die dem militärischen Geheimdienst und einer ukrainischen Spezialeinheit angehörten. Handy-Daten kommen erst wieder ins Spiel, wenn es um die Misshandlung von Zivilisten durch die Separatisten geht. Bei beiden dargestellten Fällen waren es wiederum Bilder auf den Handys der aufgegriffenen Personen, die als Grund für Verschleppung und Misshandlung herhalten mussten. Eine Frau wurde mitsamt ihrer drei Begleiter festgenommen und anschließend zunächst elf Tage in Einzelhaft genommen, weil sie Bilder des Euro-Maidan auf ihrem Handy hatte. Ein Mann wurde zwei Wochen festgehalten, gefesselt und geschlagen, weil er Fotos von sich mit ukrainischen Soldaten auf dem Handy hatte.

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