Mittwoch, 24. Juni 2015

Drängen auf Anonymität

Die Hamburger Polizei beschwert sich darüber, dass eine verdeckte Ermittlerin mit Klarnamen genannt wird – und der Deutsche Presserat findet das auch noch in Ordnung Von Rüdiger Göbel In Hamburg war eine verdeckte Ermittlerin der Polizei sechs Jahre lang, von 2000 bis 2006, in der linken Szene verankert. Im vergangenen Jahr bestätigte der Hamburger Senat den Undercovereinsatz der Beamtin des Landeskriminalamtes (LKA). junge Welt berichtete am 21. November 2014 (»Polizeispitzel enttarnt«) und am 9. Dezember 2014 (»Verwirrspiel um Agentin«) über den Skandal – wie andere Zeitungen auch unter Nennung des Klarnamens. Unter dem Decknamen »Iris Schneider« soll sie »tief in Strukturen rund um das Hamburger Zentrum Rote Flora eingedrungen sein, sich an verschiedenen Projekten beteiligt haben, darunter auch beim nichtkommerziellen Hamburger Radiosender Freies Sender Kombinat (FSK)«, war in dieser Zeitung zu lesen. Während ihrer »Ermittlungsarbeit« war es unter anderem zu einer Razzia der Polizei bei diesem Sender gekommen – die das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzbeschluss für verfassungswidrig erklärt. Der Polizeieinsatz sei »unverhältnismäßig, habe gegen das Grundrecht auf Rundfunkfreiheit« verstoßen und dazu gedient, die Journalisten des Senders »einzuschüchtern«, heißt es dort. Im Internetblog verdeckteermittler.blogsport.eu wird die Auftragstätigkeit der heute 41jährigen Frau in der linken Szene detailliert dargelegt. Auch mehrere Liebesbeziehungen werden ihr nachgesagt. Ausgerechnet der Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Hamburg, Mirko Streiber, wurde angesichts der Berichterstattung von der Behörde vorgeschickt, um beim Deutschen Presserat Rügen wegen der Nennung des Klarnamens der agierenden Beamtin in mehreren Zeitungen und Radiosendern zu erwirken. Der PR-Chef war davor stellvertretender Leiter der Zentralen Dienste in der Abteilung für Spezialeinsätze und Ermittlungsunterstützung im LKA. Streiber vertrat die Ansicht, die Berichterstattung verstoße gegen Ziffer 8 des Pressekodex, da der vollständige Name einer Polizistin veröffentlicht und »ohne Erfordernis deren Persönlichkeitsrechte verletzt« würden. Ausdrücklich verlangte der Polizeisprecher als Ziel der Intervention, dass die Redaktionen generell »zur Unterlassung der vollständigen Namensnennung bei der zukünftigen Berichterstattung« aufgefordert werden sollen. Das unter Punkt 2 des entsprechenden Paragraphen genannte Wort »Abwägung« kam in seinem Schreiben an den Presserat nicht vor. jW hat zu der Beschwerde, die sie als gezielten Angriff auf die Pressefreiheit im Land und als Einschüchterungsversuch von Journalisten wertet, ausführlich Stellung genommen. Die Zeitung ist demnach – wie viele andere Medien auch – ihrer Chronistenpflicht nachgekommen. Die Nennung des Klarnamens war im Interesse der Öffentlichkeit, der Medien und der Mediennutzer nach vollständiger Aufklärung. Das Persönlichkeitsrecht und der Schutz der Privatsphäre der Beamtin waren dagegen abzuwägen. junge Welt war nach eingehender Prüfung zu dem Schluss gekommen: Wer sich unter Vortäuschung einer falschen Identität und falscher Absichten Zugang zu einem großen Personenkreis erschleicht, geht das Risiko ein, aufzufliegen. Da es sich nicht um eine persönliche, sondern um eine öffentliche Angelegenheit handelt und die Beamtin den Schutz der Privatsphäre anderer Menschen über Monate hinweg selbst verletzt hat, kann sie sich nicht uneingeschränkt auf diesen berufen. Darüber hinaus hat die Frau selbst an der Aufdeckung ihrer tatsächlichen Identität mitgewirkt, als sie auf Veranstaltungen ihrer Behörde unter Klarnamen aufgetreten ist. Die Argumentation hat junge Welt zuvor bereits bei unzähligen Beschwerden, die in der Vergangenheit von Neonazis und enttarnten V-Leuten formuliert worden waren, gegenüber dem Presserat vorgetragen. Jeweils mit Erfolg. Nicht so im Hamburger Fall. Der Presserat vertritt dieses Mal die Auffassung, »dass die Berichterstattung gegen Ziffer 8 des Pressekodex verstößt«, und zwar »schwerwiegend«. Wörtlich heißt es in einer jW zugestellten »Missbilligung«: »Gemäß Ziffer 8 achtet die Presse das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Sein Verhalten kann in der Presse erörtert werden, wenn es von öffentlichem Interesse ist. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen.« Im vorliegenden Fall überwiege »das schutzwürdige Interesse der Betroffenen an der Nichtveröffentlichung ihres Klarnamens«. Der Klarname sei zum Verständnis des Sachverhalts für Außenstehende »nicht erforderlich«. Und weiter: »Den von der Ermittlungsmaßnahme Betroffenen, die einen Anspruch darauf haben, zu erfahren, wer gegen sie ermittelt hat, ist er hingegen offenbar bereits bekannt.« Woher aber will der Deutsche Presserat wissen, wer alles von der rechtswidrigen Tätigkeit des LKA betroffen war bzw. ist? Und woher schließlich will das Gremium wissen, dass die Betroffenen bereits informiert sind, wenn die Agierende nicht mit Namen genannt wird? »Im Interesse der Öffentlichkeit« junge Welt begründete in einem Schreiben an den Deutschen Presserat am 18. Mai 2015, warum in der Berichterstattung über den Hamburger Spitzeleinsatz im vergangenen Jahr der Klarname der Beamtin genannt wurde: (…) Tatsache bleibt, dass die Namensnennung im Interesse der Öffentlichkeit, der Medien und der Mediennutzer nach vollständiger Aufklärung ist. Dem gegenüber steht das Persönlichkeitsrecht sowie der Schutz der Privatsphäre der Beamtin. Diese gegensätzlichen Interessen sind nun gegeneinander abzuwägen. Wer allerdings unter Vortäuschung einer falschen Identität und falscher Absichten sich Zugang zu einem großen Personenkreis erschleicht, geht immer auch das Risiko ein, dass dies auffliegt. Da es sich dabei nicht um eine persönliche, sondern öffentliche Angelegenheit handelt, kann die betroffene Person nicht ohne weiteres uneingeschränkten Schutz der Privatsphäre voraussetzen, auch deshalb, weil sie den Schutz der Privatsphäre anderer Menschen über Monate hinweg selber verletzt hat. Sie lebt mit dem Risiko »aufzufliegen«, also auch mit dem Risiko, dass der Klarname durch bzw. nach ihrer Enttarnung bekannt wird. (…) Abschließend muss festgestellt werden, dass mit dem umstrittenen Einsatz der Beamtin zentrale Angriffe auf Quellenschutz und Datenschutz, auf die Unabhängigkeit von Redaktionen, auf die Pressefreiheit schlechthin vorgenommen wurden, die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft wurden. Eine vollständige Aufklärung eines solchen ungeheuerlichen Vorgangs ist nur möglich, wenn auch der Klarname der handelnden Beamtin genannt wird. Der Versuch der verantwortlichen Hamburger Polizeibehörde bzw. ihres Pressesprechers, genau dies zu verhindern und darüber hinaus auch künftig Journalisten einen Maulkorb zu verhängen, ist an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten. Diesmal sollen nicht nur Journalisten eines Hamburger alternativen Regionalsenders, sondern gleich bundesweit diverse Medien eingeschüchtert werden.

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