Mittwoch, 3. Juni 2015
NSU: verdrängt, vergessen, abgehakt?
Von NSU Watch NRW
Seit Januar 2015 tagt in Düsseldorf der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Als Zielvorgabe hat sich der PUA u.a. die Untersuchung „weiterer, in Nordrhein-Westfalen begangener Straftaten mit einem mutmaßlich politisch rechts motivierten Hintergrund…“ gesetzt. Während der noch ungeklärte Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn vom 27. Juli 2000 im Untersuchungsausschuss behandelt werden wird, scheint bisher noch unklar, ob drei Anschläge, die Anfang der 1990er Jahre in Köln begangen wurden, Thema der Arbeit des PUA im Düsseldorfer Landtag sein werden. Eine genauere Betrachtung der fast völlig in Vergessenheit geratenen Anschläge zeigt aber, wie wichtig es wäre, diese im PUA nicht nur zu thematisieren, sondern sie auch zum Gegenstand konkreter Auseinandersetzung und Aufklärung zu machen. Denn alle drei weisen deutliche Parallelen zu Anschlägen des NSU auf. Ein Rückblick in die 1990er Jahre:
Drei Bombenanschläge in Köln
Ehrenfeld
Am 21. Dezember 1992 findet der 22jährige Kazim C. vor der Wohnungstür der Familie in der Ehrenfelder Platenstraße ein Paket, eingepackt wie ein Weihnachtsgeschenk. Es ist an seinen Schwager Ali C. adressiert. In dem Päckchen befindet sich eine Karte, auf der „Viel Gülück“ gewünscht wird.
In der Wohnung schüttelt Fatma C. das Paket, weil es ihr merkwürdig vorkommt. Schließlich öffnen sie und ihr Schwager es doch. Beide werden direkt durch eine Explosion und eine Stichflamme verletzt. Mit Verbrennungen kommen sie ins Krankenhaus. Die Familie hatte jedoch Glück im Unglück. Der im Paket befindliche Sprengsatz bestand aus 5 Litern Benzin. Beim Öffnen explodierte glücklicherweise lediglich der Zünder. Dieser Abreißzünder hatte sich wohl vom Rest des Sprengsatzes gelöst, vermutlich als Fatma C. zuvor das Paket geschüttelt hatte. Die Explosion der Benzin-Bombe wurde so verhindert. Polizeisprecher Anton Seit erklärte damals: „Wenn der eigentliche Brandsatz hochgegangen wäre, hätte es Tote gegeben.“ (KR, 24.12.1992). Bei der anschließenden Untersuchung durch Sprengstoffexperten muss das Sechs-Familien-Haus geräumt werden. Die Polizei zieht neben einer Familienfehde auch ein ausländerfeindliches Motiv für den Anschlag in Betracht. Die Familie C. selbst geht sofort davon aus, dass es sich um einen ausländerfeindlichen Anschlag handeln müsse: „Auf diese Weise sind wir schon früher beschimpft worden. Und sonst haben wir absolut keine Feinde“, erzählen die Familienmitglieder dem Kölner Stadtanzeiger. Gefahndet wird zunächst nach einem 25-30jährigen Mann, der vom Tatort weggelaufen sein soll. Die Fahndung führt zu keinem Ergebnis. Nur sechs Wochen nach der Tat wird die Ermittlungsakte geschlossen. Im Oktober 2014, beinahe zwölf Jahre später, sprechen Reporter des Kölner Express mit dem Familienvater Hakki C. Er erinnert sich auch an eine Aussage des vernehmenden Beamten im Kölner Polizeipräsidium: „Er sagte, da wären Leute unterwegs, die würden an den Haustüren Namen wie den meinen sammeln. Sie würden sie auf kleine Zettel schreiben und dann eine Tombola veranstalten.“ (Express, 08.10.2014).
Bilderstöckchen
Nur zwei Monate später, am 12. Februar 1993 findet der 52jährige Alfred. O. auf dem Bürgersteig im Kölner Stadtteil Bilderstöckchen eine Plastiktüte mit einem Winkelschleifer der Marke Bosch. Er nimmt das Gerät mit in seine Wohnung in der Geldernstraße, gelegen in einer Siedlung, in der größtenteils Migrant_innen leben. O. schließt das Gerät an eine Steckdose an, um eine Heizung zu reparieren. Dabei explodiert die Trennflex und zerreißt ihm den Oberschenkel. Der Trennschleifer war mit dem gewerblichen Sprengstoff TNT präpariert. Ein fremdenfeindlicher Anschlag wurde damals nicht in Erwägung gezogen.
Mauenheim
Schon einen Monat später und kaum mehr als einen Kilometer von der Geldernstraße entfernt, findet der 42jährige Ford-Arbeiter Recep S. am 13. März 1993 auf einem Parkplatz in der Etzelstraße in Köln-Mauenheim eine schwarze Ledertasche, in der sich ein Autostaubsauger befindet. Recep S. ist gerade dabei, sein Auto verkaufsfertig herzurichten, da er nach 16 Jahren in Deutschland wieder in die Türkei zurückkehren will. Als Recep S. den Staubsauger in seinem Wagen an den Zigarettenanzünder anschließt, explodiert das Gerät. Recep S. wird schwer verletzt. Er verliert ein Auge und hat massive Verletzungen am Oberkörper. Er liegt für sieben Wochen im Krankenhaus und ist seitdem arbeitsunfähig. In seinem Wohnort in der Nibelungen-Siedlung leben hauptsächlich türkische Menschen. Auf den zu der Siedlung gehörenden Parkplätzen ist viel Betrieb, es befinden sich einige Autowerkstätten auf dem Gelände. Cilek, ein Freund von Recep S. erzählt dem Express im Oktober 2014: Der Parkplatz, an dem der präparierte Autostaubsauger abgelegt worden war, „war lebendig wie ein Marktplatz, ein Kommen und Gehen, auch viele Kinder hielten sich dort auf.“ Eines Tages, so Cilek, sei diese schwarze Ledertasche da gewesen. Doch zunächst habe niemand etwas mit der Tasche und ihrem Inhalt anzufangen gewusst. Fünf Tage lang sei sie hin und her gewandert. Nur wenige Stunden, bevor Recep S. durch die Explosion der Staubsauger-Bombe verletzt wurde, hatte ein 13jähriger Junge die Tasche mit nach Hause genommen. Sein Vater forderte ihn aber auf, die Tasche wieder zum Parkplatz zurück zu bringen. In der Tasche befand sich der mit Filzstift aufgebrachte Schriftzug „Össal Güven“. Der Vorname Össal existiert in dieser Schreibweise aber weder in der türkischen noch in der kurdischen Sprache und Güven kann Vor- oder Nachname sein.
Einige Tage später zitiert die Kölnische Rundschau aus einer Analyse des LKA: „Nach einer Analyse des LKA Düsseldorf handelt es sich bei dem Sprengstoff um TNT (Trinitrotuol), das nur im militärischen Bereich benutzt wird. Es könnte aus Beständen der Bundeswehr oder der NVA stammen“. Der Sprengstoff habe in einem zur Bombe präparierten Handstaubsauger der Marke AEG gesteckt. Der Sprengzünder soll von der Marke „Dynamit Nobel“ sein und werde wohl u.a. in Steinbrüchen eingesetzt. (KR, 18.03.1993)
Die Anschläge verursachen im Frühjahr 1993 erhebliche Unruhe in der Kölner Bevölkerung. „Schrott macht Kölnern Angst“, titelt der Kölner Stadtanzeiger am 30. März 1993. 200 Geräte seien nach Hinweisen aus der Bevölkerung überprüft worden. Sogar eine Munitionskiste für Sprengzünder war dabei, die vor zwei türkischen Geschäften an der Jülicher Straße entdeckt worden war. Keines der Geräte und Behältnisse war jedoch mit Sprengstoff präpariert. Die Ermittler_innen von der Polizei sehen zwischen den beiden Taten in Bilderstöckchen und Mauenheim einen Zusammenhang, wurden sie doch in auffälliger räumlicher Nähe zueinander begangen, und auch der Sprengstoff war identisch. Und ebenso war die Vorgehensweise, Haushaltsgeräte zu präparieren, bei beiden Anschlägen von Februar und März 1993 gleich. Offenbar wird aber zu keiner Zeit ein rassistischer oder extrem rechter Hintergrund der beiden Taten in Betracht gezogen.
Vielmehr schlussfolgern die Beamt_innen der Ermittlungsbehörden, die mit der Aufklärung der beiden Anschläge in Bilderstöckchen und Mauenheim betraut sind, dass es sich in beiden Fällen wohl um einen psychisch gestörten Einzeltäter handele: „Ein fremdenfeindlicher Hintergrund kann […] ausgeschlossen werden, weil der Unbekannte die Sprengsätze offenbar völlig willkürlich ablegt“, zitiert die Kölnische Rundschau am 17. März 1993 den Ermittler Uwe K. Bei dem Täter soll es sich um eine Person handeln, die Erfahrung im Umgang mit Sprengstoff hat. Nach Recherchen des Kölner Stadtanzeigers wurden deshalb von der Kripo „alte Bekannte“ aus diesem „Verdächtigenkreis überprüft“, allerdings ohne Ergebnis. „Der TNT-Sprengstoff, der benutzt worden war, werde heutzutage allerdings nur noch von Armeen, auch von der Bundeswehr eingesetzt. Deshalb werde auch „nicht zuletzt in diesem Bereich ermittelt“. (KSTA, 30.03.1993)
Und auch diese Ermittlungsakte im Fall des mit Sprengstoff präparierten Handstaubsaugers wird nur wenige Monate nach dem Anschlag geschlossen.
Nur am Rande wird in den Kölner Medien erwähnt, dass insbesondere die Bewohner_innen der Etzelstraße in der sogenannten Nibelungen-Siedlung von einem fremdenfeindlichen Hintergrund des Anschlags ausgehen. „Jeder weiß, daß hier fast ausschließlich Türken wohnen“, zitiert die Kölnische Rundschau einen Anwohner. Ansonsten wird in den Kölner Printmedien unhinterfragt die Version der Ermittlungsbehörden übernommen, nach der es sich um einen psychisch gestörten Einzeltäter handele. „Kölner Kripo jagt einen irren Bombenleger“, „Bei seinen Anschlägen geht der offenbar psychisch gestörte Täter nach einem teuflischen Plan vor“, „Einen guten Schutzengel hatte ein 13jähriger Schüler, der knapp einem Anschlag des vermutlich psychisch gestörten Täters entging“, „An jenem Samstag nachmittag hatte der offenbar geistesgestörte Bombenleger in Bilderstöckchen einen zweiten Anschlag verübt“: So lauten die Schlagzeilen im Kölner Stadtanzeiger und in der Kölnischen Rundschau.
Diese Täter-Vermutung wird zunehmend fragwürdiger, wenn man sich in Erinnerung ruft, in welchem politischen Klima diese Anschläge stattfanden. Nach der Vereinigung 1989 kam es in den folgenden Jahren zu einem dramatischen Anstieg rassistischer und extrem rechter Anschläge, begleitet von einer medialen und politischen Kampagne gegen Asylbewerber_innen. Am 26. Mai 1993 änderte die Bundesregierung das Grundgesetz, das Recht auf Asyl wurde von da an wesentlich eingeschränkt. Bis dahin waren bereits Dutzende Menschen von rassistischen und neonazistischen Anschlägen betroffen, waren ermordet oder schwer verletzt worden. Rassistisch motivierte und aufgeladene Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, Anschläge in Hünxe, Mölln und Solingen waren an der Tagesordnung. Die drei Bombenanschläge von Köln reihten sich nahtlos in dieses politische Klima ein. 1993 veröffentlichte die Kölner Polizei eine Statistik über die begangenen fremdenfeindlichen Straftaten im Großraum Köln. 232 „nachweisbare Fälle“ habe es demnach in den sechs Monaten von Januar bis Ende Juli 1993 gegeben (42 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres). 17 Körperverletzungen, 35 Sachbeschädigungen, 90 Bedrohungen und drei Brandanschläge werden in der Statistik aufgeführt.
Die Anschläge des NSU in Nürnberg und Köln
Jetzt, 22 Jahre später, gibt es genug gute Gründe für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in NRW, sich auch mit den Anschlägen der 1990er Jahre zu befassen. Denn zwei der vom NSU verübten Anschläge gleichen in der Vorgehensweise stark den unaufgeklärten Anschlägen in Köln. Einer traf eine iranischen Familie, die ein Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse in Köln führte. Ein anderer eine türkische Reinigungskraft in einem Lokal in Nürnberg. Dieser Sprengstoffanschlag gelangte jedoch erst vierzehn Jahre später überhaupt in den Fokus der Ermittlungen, als rechte oder rassistische Gewalt nach der Selbstenttarnung des NSU zum kaum zu ignorierenden Thema wurde – auch und gerade im Rückblick auf die vergangenen zwanzig Jahre. Der NSU-Prozess in München brachte hier Neues zu Tage:
Im Juni 2013 berichtet Carsten Sch., einer der Angeklagten im NSU-Verfahren, von einem Anschlag in Nürnberg, der bis dahin nicht mit dem NSU in Verbindung gebracht worden war. Erfahren hatte Carsten Sch. davon bei einem Treffen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Dort sollen die beiden geäußert haben, sie hätten in Nürnberg „eine Taschenlampe in ein Geschäft gestellt“. „Das hat nicht geklappt“, sei ein weiterer Kommentar gewesen. Was war in Nürnberg passiert?
Am 23. Juni 1999 putzt Serkan Y. die Toilette in der Nürnberger Gaststätte „Sonnenschein“. In einer Ecke fällt ihm eine Taschenlampe auf. Er hebt sie auf und schaltet die Lampe ein. Es gibt eine Explosion. Serkan Y. wird durch Splitter verletzt, hat Schnittwunden am Oberkörper, an den Armen und im Gesicht. Doch Serkan Y. sollte durch ein technisches Detail der zur Bombe umgebauten Taschenlampe vor Schlimmerem bewahrt bleiben. Denn im Inneren der Lampe hatte sich eine Rohrbombe befunden, deren Deckel bei der Explosion weggesprengt worden war. Allein dadurch war die Sprengkraft der Bombe stark gemindert. Nach Aussagen des zuständigen Sprengstoffexperten im NSU-Untersuchungsausschuss habe die Bombe ohne diesen Defekt potentiell tödlich sein können. „Schwerwiegende Verletzungen bis zur Todesfolge wären möglich gewesen.“ (Thüringer Allgemeine, 17.12.2014)
1999 waren die Ermittlungen zum Taschenlampen-Anschlag in der Nürnberger Gaststätte nach sechs Monaten durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Sie hatte den Anschlag lediglich als „fahrlässige Körperverletzung“ eingestuft. Und das, obwohl die in der Lampe befindliche Rohrbombe eingesägt worden war, um bei der Explosion zu zersplittern und so besonders schwere Verletzungen zu verursachen. Darüber hinaus hatten sich die Ermittlungen bis dahin auf das 18jährige Opfer Serkan Y. und dessen Umfeld konzentriert. Auch bei der Überprüfung von ungeklärten Fällen mit möglichen rassistischen oder extrem rechten Hintergründen durch BKA und Bundesanwaltschaft, die nach der Selbstenttarnung des NSU nach 2011 durchgeführt wurden, wurde der Anschlag nicht mit einbezogen, obwohl die Mordserie des NSU 2000 in Nürnberg, also in räumlich großer Nähe und nur etwas mehr als ein Jahr nach dem Anschlag mit der Taschenlampen-Bombe begann. Ohne die Aussagen von Carsten Sch. wäre dieser Anschlag nach wie vor ungeklärt. Ein rassistischer oder extrem rechter Hintergrund wäre nach wie vor ausgeschlossen geblieben.
Ein weiterer Bomben-Anschlag, der dem NSU zugeschrieben wird, ereignete sich in der Probsteigasse in der Innenstadt von Köln, wiederum nur wenige Monate nach dem ersten NSU-Mord: Hier hinterlässt ein jüngerer Mann in dem Lebensmittelgeschäft von Djavad M. zwischen dem 18. und 21. Dezember 2000 einen Korb mit einer weihnachtlichen Stollendose. Dem Ladenbesitzer sagt er, dass er sein Geld vergessen habe und gleich zurückkommen werde. Doch der vermeintliche Kunde erscheint nicht wieder, holt den Korb nicht ab. Die Familie M. bewahrt den Korb auf, er verbleibt im Ladenlokal, damit der vorgebliche Kunde ihn auch weiterhin abholen kann – bis die Tochter Masliya am 19. Januar 2001 neugierig wird. Die damals 19-Jährige nimmt die Dose mit dem Sternenmuster heraus und öffnet sie. Weil sie leer ist, schließt sie sie wieder. Sekunden später explodiert der Sprengsatz. Das Schwarzpulver-Gemisch war in den Wänden der Dose versteckt. Masliya wäre wohl getötet worden, wenn sie sich nicht zufällig im Moment der Detonation gebückt hätte, um etwas in ihrer Tasche zu suchen. Masliya M., die kurz vor dem Abitur stand, konnte damals erst nach mehreren Hauttransplantationen wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Übereinstimmungen
Beide Anschläge, der Angriff mit der Taschenlampen-Bombe sowie der Anschlag in der Probsteigasse, weisen deutliche Übereinstimmungen zu jenen drei Sprengstoff-Anschlägen auf, die in den frühen 1990er Jahren in Köln verübt wurden. Die Ähnlichkeit der Methode mit den präparierten Haushaltsgeräten in Köln und der präparierten Taschenlampe in Nürnberg fällt besonders ins Auge. Vergleichbare andere Anschläge mit manipulierten Gebrauchsgegenständen sind, zumindest bisher, nicht bekannt. Eine Untersuchung, ob es bundesweit Anschläge dieser Art gegeben hat, scheint bis heute nicht stattgefunden zu haben.
Im Fall der Probsteigasse wird, wie in Köln-Ehrenfeld 1992, kurz vor Weihnachten gezielt ein Sprengsatz platziert, der durch einen Abreißzünder zur Explosion gebracht wird. Auch hier sind Parallelen zu den Anschlägen in Köln und Nürnberg deutlich. Umso erstaunlicher ist es, dass die Anschläge von 1992/1993 bei den Ermittlungen zur Probsteigasse absolut keine Rolle spielten.
Der Untersuchungsausschuss
Der Untersuchungsausschuss wird sich, wenn er seinen eigenen Anspruch und seine selbstformulierte Aufgabe ernst nimmt, mit diesen Anschlägen befassen müssen. In Mauenheim und Bilderstöckchen wurde ein rassistischer oder neonazistischer Hintergrund von vornherein ausgeschlossen. Ob bei dem Paketbomben-Anschlag in Ehrenfeld in Richtung Rechts ermittelt wurde, ist unklar. Zumindest wurde zunächst ein fremdenfeindlicher Hintergrund nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Doch rückblickend ergeben sich Fragen: Wie kam etwa ein Ermittler zu der Aussage, „da wären Leute unterwegs, die würden an den Haustüren Namen (…) sammeln. Sie würden sie auf kleine Zettel schreiben und dann eine Tombola veranstalten“? Wer waren konkret die „alten Bekannten im Zusammenhang mit Sprengstoffdelikten“, die die Polizei damals verhörte?
Sollte tatsächlich ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen bestehen, würde dies ein neues Licht auf den NSU-Komplex werfen. Es könnte im schlimmsten Fall bedeuten, dass es in Köln Vorläufer-Strukturen des NSU gegeben hat, die bereits Anfang der 1990er Jahre Sprengstoffanschläge ausführten.
Eine weitere Frage drängt sich in diesem Zusammenhang auf: Warum ist Köln die einzige Stadt, in der der NSU ausschließlich Bombenanschläge verübte? Gab es hier Unterstützer_innen oder Mittäter_innen, die über spezielle oder langjährige Kenntnisse im Umgang mit Sprengstoff verfügten? Darüber hinaus legt gerade der Anschlag in der Probsteigasse nahe, dass es Helfer_innen- oder Unterstützer_innenstrukturen in Köln gegeben haben muss. Ortsunkundige wären nicht auf den versteckten Lebensmittelladen in der Probsteigasse gestoßen, an dem zudem ein deutscher Name stand, allein die Beschilderung des Geschäftes also keine Auskunft darüber bot, wer den Laden führte oder dort arbeitete. Djavad M., der als Einziger den Täter gesehen hat, fertigte ein Phantombild an, das in keinster Weise den Gesichtern von Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt ähnelt. Er ist sich zudem sicher, dass es weder Böhnhardt noch Mundlos gewesen war, der den Korb in seinem Laden abgegeben habe. Dagegen wurde ein Kölner Neonazi, der dem Phantombild stark ähnelt und der schon in jungen Jahren wegen Sprengstoffdelikten angeklagt worden war, bis heute noch nicht vernommen.
Es gibt also viele wichtige Gründe und genug drängende und nach wie vor offene Fragen, die es nahe legen, sich auch mit den unaufgeklärten Kölner Anschlägen der frühen 1990er Jahre zu beschäftigen. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss in Düsseldorf sollte die Chance zu einer umfassenden Untersuchung nutzen.
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