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Sensationsfund in den Ochelwänden
Die Sensation ereignete sich, als der Tag eigentlich schon gelaufen war - »abgeklettert«, wie Wolf Meyer formuliert. Gemeinsam mit einem Kletterfreund war der Dresdner Ende April in den Ochelwänden in der Sächsischen Schweiz unterwegs, einer Region zwischen Bastei und Brandaussicht, die Bergsteigern eigentlich wenig zu bieten hat: eher niedrige Gipfel, dichter Wald. Für ihn und seinesgleichen gebe es »nicht sehr viele Gründe, dort zu sein«, sagt Meyer.
Gut, dass sie dennoch dort waren. Denn auf einem Wildpfad stießen die Kletterer auf Papierfetzen. Manch anderer hätte sich über Abfall im Wald geärgert; Meyer und sein Mitstreiter, historisch und politisch interessiert, wurden neugierig - um so mehr, als sie die Wörter »Rote Hilfe« lasen, den Namen einer KPD-nahen Organisation, die von 1924 bis 1936 politisch Inhaftierte unterstützte. Für Meyer ist sie Teil eines politischen Erbes, dem er sich verbunden fühlt.
»Ich wollte nicht zu schnell euphorisch werden«, sagt er. Aber spätestens, als die Kletterer in einer Felsspalte ganze Stapel von Broschüren und Publikationen sowie eine Mappe mit Briefen und Rundschreiben der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von Anfang der 30er Jahre entdeckt hatten, »wurden wir sehr hibbelig«, sagt Meyer. Augenscheinlich hatten die Kletterer eine Art Archiv der örtlichen Partei entdeckt - knapp 90 Jahre nachdem es wohl im Fels versteckt worden war.
Was genau die Bergsteiger aufgespürt haben, steht in einer Liste, die Gabriele Wagner, Restauratorin am Sächsischen Landesamt für Archäologie, erstellt hat. Sie umfasst 113 Positionen. In ihrem Arbeitsraum hat sie die Funde ausgebreitet und sortiert. Ein Tisch liegt voller Kampfschriften: »Der Agitator« heißt eine; darin unter anderem ein Artikel über »Bäuerliche Notwehr«. Andere Titel heißen »Kampf den Bonzen« oder »Massenmobilisierung gegen Unternehmer-Offensive und faschistische Diktatur«. Letzteres ist laut Unterzeile ein »Referentenmaterial für den Reichstagswahlkampf 1930«. Auch Werbepostkarten für die Rote Hilfe finden sich. Fast ausschließlich handelt es sich um politische Schriften. Einzige Ausnahme: ein 1928 erschienenes Bändchen über »Empfängnisverhütung - Mittel und Methoden« aus der Feder des linksliberalen Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld.
Nicht alle Titelblätter lassen sich entziffern; von etlichen Publikationen hat der Zahn der Zeit nicht mehr viel übrig gelassen. »Manches fasse ich nur noch einmal an«, sagt Wagner: zum »Endlagern«. Ein Teil des Fundes besteht schon jetzt nur noch aus Kisten voller Papierschnipsel, die zusammenzusetzen eine Sisyphusarbeit wäre. Andere haben die Jahre erstaunlich gut überdauert und blieben von Regen und Wind ebenso verschont wie von Tieren auf der Suche nach Nahrung und Nistmaterial. Das Konvolut war ursprünglich in Wachstuch eingeschlagen, das kaum noch als solches erkennbar ist. Das Papier ist brüchig. Der gefährlichste Feind, Schimmel, hat aber nicht zugeschlagen.
Es gehört zu den bemerkenswerten Zufällen rund um den Fund, dass ausgerechnet dessen wertvollster Bestandteil am besten erhalten ist: ein blauer Ordner mit der handschriftlichen Aufschrift »Rundschreiben Bezirk«, der Briefe enthält. Alle anderen Hefte, Bücher und Broschüren aus der Felsspalte seien »im Prinzip Massenware«, sagt Regina Smolnik, Präsidentin des Landesamtes: Publikationen, die in hoher Zahl gedruckt wurden und sich in Bibliotheken finden dürften. Dass sie jeweils nur in einem Exemplar vorhanden sind, spreche dafür, dass es sich bei dem Konvolut um eine Art Handbibliothek einer KPD-Gliederung handle.
Die Schreiben dagegen sind in dieser Zusammenstellung einzigartig; sie dürften Erkenntnisse zur Arbeit politisch Engagierter kurz vor Beginn der NS-Diktatur und dem Gang in die Illegalität liefern. Die Vorbereitung darauf thematisieren etliche der Schreiben, deren jüngstes offenbar von Mitte 1932 stammt. Andere tragen Titel wie »Entfacht den Werbesturm!«; sie enthalten Mahnungen, verteilte Parteiliteratur zu bezahlen, oder warnen vor Schwindlern, die es auf Parteigelder abgesehen haben. Die Schreiben sind stets an Ortsgruppen, Referenten oder Instrukteure der Partei gerichtet und kommen »von oben«; Reaktionen darauf finden sich nicht. Welcher Anlass dazu führte, dass die Unterlagen in der Felsspalte gelagert wurden, und wann genau das passierte, sei bisher offen, sagt Smolnik. Alle Umstände zeigten aber, dass es darum ging, die Unterlagen »zu verbergen, nicht zu entsorgen«.
Viele Forschungsfragen sind nun zu klären - von Zeithistorikern etwa am Hannah-Arendt-Institut in Dresden, die das archäologische Landesamt heranziehen will, aber auch von den Findern selbst. Denn ein weiterer bemerkenswerter Zufall rund um den Fund ist, dass es sich bei diesen um Menschen handelt, die kommunistische Kampfschriften aus den 30er Jahren nicht als Müll der Geschichte abqualifizieren, sondern sie als Teil ihrer eigenen Tradition sehen. Meyer gehört einer Gruppe an, die sich schon in ihrem Namen auf den NS-Widerstand in der Region bezieht: den Schwarz-Roten Bergsteiger_innen (SRB) Dresden, die zwangsläufig an die Roten Bergsteiger denken lassen.
Die Gruppe, deren offizieller Titel »Vereinigte Kletterabteilung« lautete, entstand in den 20er Jahren als Bund linker Bergsteiger. Während der NS-Diktatur nutzten sie die Geländekenntnisse in der Sächsischen Schweiz, um Flugschriften aus der noch unbesetzten Tschechoslowakei ins Reich oder dort Verfolgte im Nachbarland in Sicherheit zu bringen. Viele der Roten Bergsteiger waren KPD-Mitglieder - manche dem Flügel um Ernst Thälmann zugehörig; andere der trotzkistischen Linken Opposition/Internationale Kommunisten Deutschlands. Die heutigen Schwarz-Roten Bergsteiger_innen gehören zur Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU), einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaftsföderation.
Das Klettern ist beim SRB wie bei den historischen Vorläufern nur ein Aspekt der gemeinsamen Betätigung; ergänzt wird es unter anderem durch gedenkpolitische Arbeit und dazugehörige historische Forschungen. Die SRB laden etwa zu Wanderungen ein, bei denen Interessierten Wissen über den NS-Widerstand in der Region oder vergessene KZ-Außenlager vermittelt wird; manchmal würdigen sie historische Orte auch durch Gedenktafeln. In Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Alternativen Kultur- und Bildungszentrum (Akubiz) in Pirna entstehen gelegentlich Publikationen. Sie speisen sich aus einem umfangreichen Archiv, das im Laufe der Jahre entstanden ist.
Dort findet sich bereits der Name von Max Richter, der einzigen Person, die in dem Konvolut von Briefen konkret erwähnt ist. Richter habe in der Ortschaft Kohlmühle in der Sächsischen Schweiz gelebt und sei Unterbezirksleiter der KPD gewesen, sagt Meyer. Kohlmühle sei - trotz oder wegen der abgelegenen Lage abseits der Elbe bei Bad Schandau - zeitweise eine »logistische Drehscheibe« für die Verteilung von Agitationsmaterial und Informationen gewesen; Fahrradkuriere hätten, aus der Tschechoslowakei kommend, hier Material angeliefert, das dann weiter nach Dresden gelangte. In den Ochelwänden seien zu diesem Zweck »tote Briefkästen« angelegt worden. Im Ort habe es eine KPD-Ortsgruppe gegeben, die »recht stabil« sechs bis sieben Mitglieder hatte, sagt Meyer.
Das galt freilich nur bis zu den frühen NS-Jahren. 1935 wurden etliche örtliche Kommunisten wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Max Richter gelang die Flucht ins Exil in die Tschechoslowakei, bevor auch er 1939 verraten und vor Gericht gestellt wurde. Im Landesamt für Archäologie weiß man inzwischen, dass er Gefängnisse am Münchner Platz in Dresden sowie im sächsischen Waldheim durchlief, im Arbeitslager Griebow einsaß, ins KZ Buchenwald kam und dort die Befreiung erlebte. Nach dem Krieg verliert sich seine Spur. Meyer und seine Kollegen wollen Archive durchforsten, um Informationen über ihn und andere KPD-Leute aus und um Kohlmühle aufzutreiben.
Das ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern auch in Bezug auf den Umgang mit dem Fund aus den Ochelwänden. Falls noch Erben Richters lebten, kämen diese als Eigentümer infrage, sagt Smolnik. Würde der Fund eher der Arbeit der KPD als Institution zugeordnet, könne auch eine eventuelle Rechtsnachfolgerin Ansprüche haben. Nur falls beide Varianten ausscheiden, fällt der Fund an den Freistaat, käme ins Archiv des Landesamtes - und könnte für Ausstellungen an Museen verliehen werden. Zwar könnten die Broschüren mit Blick auf den enormen Aufwand nicht so restauriert werden, »dass man darin blättern kann«, sagt Smolnik. Konservierte Originale ließen sich jedoch digital mit besser erhaltenen Exemplaren verknüpfen. Zuvor hält Smolnik aber weitere Forschungen für nötig, etwa in Form einer Masterarbeit.
Auch Meyer und seine Bergsteigerfreunde wollen historische Unterlagen wälzen; allein 30 Akten mit Bezug zu Kohlmühle habe man in Archiven aufgespürt. Zudem wird weiter gewandert und geklettert - auch wenn es nicht wahrscheinlich ist, dass dabei erneut ein Fund wie in den Ochelwänden auftaucht.
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