Donnerstag, 30. Juli 2020

Industriepark Oberelbe: Brauchen wir einen Industriepark am Feistenberg?





www.ipo-stoppen.com



Die Städte Pirna, Heidenau und Dohna gedenken, am Feistenberg entlang des Autobahnzubringers B172a auf einer Fläche von 150 Hektar den "Industriepark Oberelbe" zu errichten.
Was spricht für den Industriepark Oberelbe?
  1. Ohne neue Jobs überaltert die Region
  2. Die Wirtschaftsstruktur ist nicht ausgewogen 
  3. Das Lohnniveau muss angehoben werden 
  4. Die Kommunen brauchen mehr Steuereinnahmen 
  5. Handel ist auf Kaufkraft angewiesen 
Im verlinkten Artikel der Sächsischen Zeitung wird ausführlich zu den oben genannten Punkten beschrieben, welche Gründe für den Bau des Industrieparks Oberelbe sprechen.
Was spricht gegen den Industriepark Oberelbe?
  1. Das Landschaftsgebiet ist schon durch den Bau der A17 und der B172a stark betroffen und würde mit dem Bau des Industrieparks nachhaltig vollkommen verändert und somit versiegelt werden.
  2. Mensch und Tier sollen einen riesigen Industriepark billigen und versuchen sich damit zu arrangieren. Schon jetzt gibt es durch den abgeschlossenen Bau der A17 und der B172a keine ausreichenden Rückzugsmöglichkeiten für Tiere vieler Arten. Die Trassen bilden Barrieren und zerschneiden die Landschaft. An den Rändern der Autobahn wurden bescheidene Buschreihen an Hängen gepflanzt. Leider sind diese auch umzäunt. Tiere durchbrechen die Barrieren. Dies zeigt, wie sehr die Tiere unter dem Mangel eines Rückzugsgebietes leiden. Das betreffende Gebiet wird bis zum Bau des IPO von konventioneller Landwirtschaft genutzt. Eine weitere Zersiedlung der Landschaft wird keine Verbesserung des Lebens der Menschen und erst recht kein Überleben der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen darstellen.
  3. Zudem ist ein Lärmschutz an der A17 im Bereich Großsedlitz quasi nicht vorhanden. Seit Jahren sind die Anwohner, besonders in der Nacht, vom Lärm der Autobahn beeinträchtigt. Die Lebensqualität ist gesunken. Mit dem Bau des IPO wird der Lärm zunehmen und Luftqualität weiter verschlechtert.
  4. Ein erhöhtes Verkehrsaufkommen und der damit verbundene Lärm und die Luftverschmutzung wird steigen.
  5. Das Gebiet, das für den Bau des Industrieparks vorgesehen ist, liegt in einer Frischluftschneise, die weite Teile Pirnas mit Kalt- bzw. Frischluft versorgt. Mit dem Bau des IPO würde dies nachhaltig gestört werden.
  6. Versiegelung von 150 Hektar Fläche.
  7. Es besteht weder bezahlbarer Wohnraum, noch die verfügbare Fläche um bezahlbaren Wohnraum für die zusätzlichen Einwohner zu schaffen.
  8. Der öffentliche Nahverkehr bietet zum jetzigen Zeitpunkt keine Pendelmöglichkeit für Beschäftigte des IPO.
  9. Ein Industriepark neben dem Barockgarten Großsedlitz?
Meiner Meinung nach ist das Projekt IPO keine Chance für die Region, es bedeutet nur den weiteren Werteverlust für die hier lebende Bevölkerung.  Niemand kann sich sicher sein, dass die risikoreiche Verwendung von mehr als 100(!) Millionen Euro Steuergelder zum Erfolg führen wird. Zudem treffen einige wenige Politiker und deren Stadträte riskante, irreversible Entscheidungen ohne die Meinung und Zustimmung der Bevölkerung einzuholen. Diese wird erst informiert, wenn „Tatsachen“  geschaffen wurden. Als bestes Beispiel ist der Vorentwurf des FNP der Stadt Heidenau zu nennen.
Was können wir tun?
Der beste Weg ist ein Dialog zwischen den Verantwortlichen des Projektes und den Bürgern der Region. Im Rahmen dieses Dialoges sollen die Vorteile und Nachteile erörtert und gemeinsam diskutiert werden. Wir, die Bürger der Region, sollten dann gemeinsam mit den Verantwortlichen Entscheidungen über das Schicksal des Projektes treffen und dies noch bevor größere Summen an Steuergeldern für das Projekt gebunden werden.
Welche Alternativen wären denkbar?
  1. Teile des Gebietes sollten renaturiert werden , d.h. einen Teil aufforsten und Gewässer anlegen, also eine Basis für die hier lebenden Tiere schaffen.
  2. Umbau der vorhandenen konventionellen Landwirtschaft in eine ökologische Landwirtschaft. Den Landwirten, die den Schritt in die richtige Richtung sollte eine anfängliche Unterstützung in Form Finanzierungsmöglichkeiten angeboten werden. Landwirtschaft ohne Gift funktioniert gibt es bereits und sie funktioniert. Wir können der Natur ein Stück zurückgeben. Wir sollten es sogar.
  3. Einige Streuobstwiesen anlegen, die ebenfalls zur Erhaltung der Artenvielfalt beitragen und den Menschen in der Region mit frischem Obst versorgt.
  4. "Kleinere" Gebiete zur Erschließung von Gewerbe und Industrie ausweisen, mit der  Vorgabe ein "Ausgleich" für ihre umweltbelastenden Verfahren zu schaffen. Stets umschlossen von großzügig angelegten Mischwald.
  5. Bereits bestehende Straßen ausbauen, d.h. umweltbewusste Gestaltung von Fahrtwegen und Schaffung von (Unter-)Querungsmöglichkeiten für die in der Region lebenden Tiere.
Wird es nicht Zeit, dass Sie wir und vor allem Sie, liebe Verantwortlichen des Projektes, aus Fehlern lernen und die Zukunft gemeinsam gestalten? Viele Bürger und Bürgerinnen dieser Region haben Ideen und möchten sich mit diesen einbringen. Wir, die Bürger, wollen respektiert werden. Wenn niemand mit uns kommuniziert, wie sollen wir eventuelle Vorteile des Projektes verstehen?
Gern stehe ich für Rückfragen zur Verfügung und stelle Kartenmaterial bereit. Wenn jemand Ideen, Anregungen oder Kritik mitteilen möchte, so bitte ich darum einen Kommentar zur Petition zu verfassen.
Informationsquellen:
Ein satirischer Kommentar zum Industriepark Oberelbe.
Im geplanten IPO der Kommunen Pirna, Dohna und Heidenau dürfen Industrieanla-gen gemäß der 4.Bundesimmissionschutzverordnung (4.BIDSchV, Anlage 1) gemäß der § 19 (mit Öffentlichkeitsbeteiligung) und § 10 (ohne Öffentlichkeitsbeteiligung) angesiedelt werden. Ein Ausschluss spezieller Industrieanlagen erfolgte durch die IPO-Planer bisher nicht. Unter die genehmigungsfähigen Anlagen fallen neben Müll-verbrennung, Tierkörperverwertung, Kraftwerke und Chemieanlagen jeder Art, La-gerung gefährlicher Stoffe auch industrielle Tiermastanlagen, so z.B. für mehr als 40.000 Stück Mastgeflügel oder auch mehr als 2000 Mastschweine. Es ist bekannt, dass der IPO zum großen Teil in einem für Pirna wichtigen Kaltluftentstehungsgebiet errichtet werden soll, dessen Luft sich selbst bei Windstille in die Talregion von Pir-nas Stadtzentrum bewegt. Nun könnte man meinen, es sei Geschmacksache, ob den Pirnaern die zu erwartende „würzige Landluft“ industrieller Tiermastanlagen zusagt oder nicht. (Die Einwohner von Krebs wissen schon lange, wovon hier die Rede ist.) Nein, hier handelt es sich um handfeste gesundheitsgefährdende Szenarien: Das aus Mastställen entweichende gasförmige Ammoniak (NH3) ist insgesamt für 45% an der Feinstaubbildung beteiligt, so dass in Gebieten solcher ländlicher Emissionen die Feinstaubbelastung ähnlich hoch ist wie im Zentrum von Großstädten (s. z.B. ARD, Monitor vom 17.1.19) Hinzu kommt die Feinstaubbelastung durch den Autobahnzu-bringer und der Südumfahrung. Dieser Schadstoffmix würde also ständig aus westli-cher Richtung über die Wohngebiete am Feistenberg und am Postweg in die Pirnaer Tallage hinab wabern. Bundesweit verursacht dies statistisch 50.000 vorzeitige To-desfälle pro Jahr, besonders bei ohnehin Lungen- und Herzkreislauf belasteten Ein-wohnern, die Erkrankungen als solche nicht mit gerechnet. Und in Pirna?

Bündnis 90/Die Grünen Pirna

Der AfD-Zauber ist zerbrochen

Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke über den Machtkampf in der extremen Rechten



  • Von Robert D. Meyer
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  • Lesedauer: 10 Min.
    • Die AfD ist seit dem Frühjahr in den Umfragen zur Bundestagswahl deutlich abgesackt, teilweise unter zehn Prozent. Ist diese Schwäche ihrer Meinung nur vorübergehend oder ein dauerhaftes Phänomen?
      Ich glaube, dass es dauerhaft ist. Es begann schon vor der Coronakrise und hat mit mehreren Faktoren zu tun. Nach Hanau und auch schon davor nach Lübcke gab es endlich eine riesige Debatte darüber, welche Rolle eigentlich die Aufheizung der Stimmung gegen Migranten und Minoritäten hatte. Zum ersten Mal ist in den Medien und der Politik breit diskutiert worden, dass es in solch aufgeheizten Situationen eine Verbindung von Wort und Tat gibt. Und das richtete sich gegen die AfD.
      Der zweite Faktor war, dass in der Partei die Spannungen anwuchsen und schließlich in einem vergifteten Machtkampf explodiert sind, bei dem es keine Vermittlung gibt.
      Seit Monaten lähmt das Tauziehen um die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz die AfD. Dafür ist Parteichef Jörg Meuthen wesentlich verantwortlich. Inwiefern hat er dadurch die Partei in eine tiefe Krise gestürzt?
      Dieser Machtkampf zielt auf die Vernichtung des Anderen ab. Meuthen glaubt, dass er eine Mehrheit auf seiner Seite hat. Er handelt allerdings nicht aus glaubwürdigen ideologischen oder weltanschaulichen Gründen, sondern weil er sich einen Machtzuwachs davon verspricht.
      Im Grunde handelt es sich bei dem Streit um Kalbitz um einen Stellvertreterkrieg, wer die Macht in der Partei hat. Wer hat ihrer Meinung nach die besseren Chancen: Die Wirtschaftsradikalen um Meuthen oder die völkischen Nationalisten? Oder haben sich am Ende sogar beide Lager geschadet?
      Diese Zuordnung stimmt nicht ganz. Meuthen hat kaum inhaltlich-ideologisch dagegengehalten. Er ist seit fünf Jahren Parteivorsitzender. Er hat die stete Radikalisierung in Richtung Rechtsextremismus auf Parteitagen mitgetragen. Er hat das Codewort für den rechtsextremen, völkischen Flügel ständig im Mund gehabt. Es heißt: Wir haben mit Kulturfremden nichts zu tun. Meuthen hält all diejenigen nicht für integrierfähig, die er als anders deutet. Das ist dann fast identisch mit dem, was Björn Höcke sagt, wenn dieser von der Verbannung von Millionen Minioritäten aus Deutschland spricht und wie in seinem Buch »Nie zweimal in denselben Fluss« eine »wohltemperierte Grausamkeit« fordert.
      Entscheidend ist: Meuthen hat sich nicht dagegen gewehrt. Er hätte dazu auf Parteitagen die Gelegenheit gehabt. Ich habe sie alle seit 2016 verfolgt. Auch auf dem letzten Bundesparteitag in Braunschweig hat niemand auch nur ein Wort gegen Höckes unsägliche Forderung nach einer »wohltemperierten Grausamkeit« gesagt. Sie haben sich schlicht nicht getraut. Die Parteitage waren immer unter der de facto Herrschaft des »Flügels«.
      Der Partei fehlt es an einer Vermittlungschance. Wie wollen sie denn nach dieser taktischen Kehrtwende Meuthens nach knapp fünf Jahren eine Integrationsperspektive für diese radikalisierte Partei bieten? Da ist niemand. Da ist auch keine ideologische Strahlkraft, keine moderierte Form des Rechtsextremismus zu sehen. Es ist vergifteter, destruktiver und letztlich selbstdestruktiver Machtkampf, der seit Monaten tobt. Es ist eine Form der Selbstzersetzung der Partei.
    • Meuthen hat sich mit seiner Kehrtwende diverse Feinde unter den prominenten AfD-Funktionären gemacht, sei es Alexander Gauland, Alice Weidel oder Tino Chrupalla. Hat er überhaupt noch eine Chance, da unbeschadet rauszukommen?
      Er hat sich verzockt. Er spricht davon, dass es Schachzüge gebe und er ein guter Schachspieler sei. Bisher sieht man das nicht. Es ist im Grunde egal, ob er noch einen Pyrrhussieg einfährt oder nicht. Das ist unerheblich, weil diese Partei die Idee Meuthens, den »Flügel« zu isolieren oder abzuspalten nicht mitträgt. Der »Flügel« ist in der Partei fest verankert. Übrigens nicht nur im Osten des Landes, sondern auch im Süden Deutschlands und Teilen des Westens. Vor allem: Er wird sich nicht herausbrechen lassen, auch wenn das Umfeld von Höcke über diesen Machtkampf entsetzt und deprimiert ist. Und die Machtkämpfe nehmen, auch in der Bundestagsfraktion, zu; die Partei beginnt als aktionsfähige Partei zu zerfallen.
      Es kommt für den »Flügel« also final nicht darauf an, ob Kalbitz in der Partei bleiben darf oder nicht?
      Er ist neben Björn Höcke und dem von außerhalb der Partei agierenden Götz Kubitschek eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Machtwaffe des »Flügels«. Wenn Kalbitz nicht mehr aktionsfähig wäre, wäre das eine Niederlage für den »Flügel«. Doch Kalbitz weiß genau, was er will und wird weniger schnell aufgeben als ein Typ Meuthen.
      Kalbitz war der eigentliche Netzwerker innerhalb des »Flügels«, während Höcke als das Aushängeschild agiert. Gibt es jemanden, der ihn innerhalb des völkischen Netzwerkes ersetzen könnte?
      Kalbitz ist weiterhin wichtig. »Gewesen« hieße, Meuthens letzte Siege als final zu interpretieren. Es gibt aber jede Menge dieser Leute, die an seine Stelle treten könnten. Der Bundestagsabgeordnete Jens Maier, der sächsische AfD-Landeschef Jörg Urban oder Birgit Bessin, aktuell stellvertretende Parteichefin in Brandenburg. Auch der Thüringer Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner wäre ein Kandidat. Es würden sich genug Personen finden, auch aus dem Westen.
      Die aktuelle Schwäche der AfD scheint auch daher zu kommen, dass ihr ein Thema fehlt. Lange Zeit war das die Flüchtlingspolitik, die derzeit in der Öffentlichkeit aber keine größere Rolle spielt. Müsste sich die Partei jetzt nicht thematisch breiter aufstellen?
      Das entscheidende für die AfD war bisher, dass ihr Zauber in ihren Siegen bestand. Lange hieß es: Wir werden immer stärker und wir werden immer stärker, indem wir immer rechtsradikaler werden. Dieser Zauber ist zerbrochen.
      Das ist nicht untypisch für den Verlauf der Entwicklung und des Scheiterns rechtsextremer Parteien. Das war so bei den Republikanern, das war so bei der NPD und bei der DVU. Ich sehe nach dieser selbst und von außen zugefügten Kette an Niederlagen keine »Phoenix aus der Asche«-Situation für die AfD. Selbst wenn sie jetzt auf eine wirtschaftliche und soziale Kritik an den ungeheuren ökonomischen Folgen der Coronakrise setzt, erreicht sie damit nicht mehr den Effekt, wie noch vor einem Jahr.
      Sie können sich höher oder breiter aufstellen. Das ist fast sekundär, weil die Faszination von »wir werden immer stärker und siegen« verflogen ist. Das hatte sich die AfD übrigens versucht bei Matteo Salvini in Italien und der FPÖ in Österreich abzuschauen. Doch das zieht in Deutschland längst nicht mehr so sehr wie noch am Anfang.
      Das liegt wiederum an ihrer Radikalisierung. 80 bis 90 Prozent der deutschen Bevölkerung wollen keine Wiederkehr des Faschismus oder einer als solcher wahrgenommenen Partei. Meuthen hat richtig erkannt, dass diese Radikalisierung die Partei an ihre Grenzen führt. Das ist anders als in anderen Ländern. Das hängt mit der Geschichte zusammen.
      Hinzukommt, dass die Partei zutiefst gespalten ist und ein entsprechendes Bild abgibt. Das deutsche Volk will, erst recht, wenn es sich rechtsautoritär orientiert, eine geeinte, starke entschiedene Partei. Doch dieses Bild liefert die AfD nicht mehr, egal ob Meuthen oder Kalbitz verliert.
      Natürlich werden sie versuchen, auf neue Themen zu setzen, etwa auf Ökonomie. Aber damit werden sie im Vergleich zu früheren Kampagnen nur begrenzte Wirkung erzielen. Das gilt übrigens auch für den Umgang mit der Coronakrise.
      In der Coronakrise versucht die AfD, irgendwie einen Punkt zu setzen. Das gelingt ihr allerdings nicht. Der Versuch ist bisher komplett verpufft.
      Das Problem der Partei war: Sie hat völlig gegenteilige Botschaften formuliert. Das war fast so schlimm wie bei US-Präsident Donald Trump. Auf der einen Seite wird behauptet, es gebe kein Problem, auf der anderen Seite haben sie gesagt, es werde zu wenig getan. Ja, was nun? Mal war Corona ein Hingespinst, ein Fake oder eine Verschwörung, dann wiederum warf man der Bundesregierung vor, nicht genug zu unternehmen. Aus solchen Inkonsistenzen wird kein Stoff und keine Bewegung, die die Partei nutzen könnte.
      Solche Inkonsistenzen zeigen sich bei der AfD auch auf anderen Feldern, etwa in der Sozial- und Rentenpolitik. Das sind Themen, bei denen sich die Partei ungern festlegen will, weil sie Angst hat, dadurch Wähler zu verlieren. Kann die Partei dieses Spannungsfeld überhaupt auflösen, ohne Wähler zu verlieren?
      Dieser Auseinandersetzung liegt eine klare, ideologische Differenz zugrunde. Höcke wollte ein Rentenkonzept für Deutsche aus einer national-sozialistischen Perspektive. Er hat das gegen Meuthen durchsetzen wollen. Meuthen wiederum ist aus seinen Überzeugungen heraus – sofern er noch welche hat – ein Marktradikaler, genauso wie jene Teile, die noch aus den Anfangszeiten der AfD als eurokritische, nationalegoistische Partei stammen. Das kommt natürlich nicht zusammen. Auch das ist ein Ausdruck des Machtkampfes, der in dem Fall dadurch entschieden wurde, dass die einen einfach das und die anderen das machen.
      Die Partei ist in den letzten Monaten verstärkt in den Fokus der Verfassungsschutzämter gerückt. Spielt das für die Schwäche der Partei auch eine Rolle?
      Auf jeden Fall. Auf dem letzten Bundesparteitag Anfang Dezember in Braunschweig haben Gauland als auch Meuthen darüber gesprochen, wie man eine Überwachung durch den Verfassungsschutz verhindern könnte. Sie haben die große Gefahr gesehen und haben Angst davor.
      In der AfD gibt es vergleichsweise viele Beamte, Polizisten, Professoren, Reservisten und Staatsdiener. Ist das jetzt nicht auch eine Gefahr nach innen, wenn der Verfassungsschutz da genauer hinschaut? Genau diese Leute könnten jetzt von Bord gehen, weil sie irgendeine Form staatlicher Repression befürchten müssen.
      Das sagen Funktionäre der AfD selbst, wie gefährlich das für sie ist. Deswegen haben sie auch versucht, dagegen zu kämpfen. Normalerweise bringt das auch etwas, aber der gegenwärtige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, ist ein entschiedener und sehr begründeter Kritiker des Rechtsextremismus und des Rassismus der AfD. Das zeigt auch das Gutachten, das seit Anfang 2019 de facto öffentlich ist und auf über 300 Seiten nicht nur Höcke und Kalbitz als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar beschreibt, sondern eben auch viele Äußerungen von Gauland und Meuthen. Der rassistische und ethnozentrische Kern der Partei ist in dem Gutachten sehr genau und detailliert nachgewiesen worden.
      Die Kritik des Gutachtens bezieht sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum NPD-Verbotsverfahren wenige Jahre zuvor. Da wurde sehr genau dargestellt, was das Grundgesetz vorsieht, also Demokratie, Rechtsstaat und vor allem Menschenwürde und Grundrechte. Es wird nachgezeichnet, dass in all diesen Bereichen die AfD, nicht nur der »Flügel«, in Teilen und in Wortbeiträgen verfassungsfeindlich ist.
      Hat sich damit die Debatte, die besonders in den Ostverbänden der CDU geführt worden ist, ob man sich gegenüber der AfD öffnen sollte, erledigt? Oder könnte diese Diskussion wiederkommen?
      Jedenfalls nicht so, auch und gerade, weil es das Desaster in Thüringen gegeben hat. Das bestand nicht nur darin, dass die AfD mit der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten erst einmal einen Coup gelandet hat und dieser nach vier Wochen zerplatzt ist. Es bestand auch darin, dass die beiden anderen beteiligten Parteien, CDU und FDP, das bewusst und geplant mitgemacht haben. Im Fall der FDP sogar mit der Rückendeckung durch Parteichef Christian Lindner.
      Davon haben sich die Parteien dort und die FDP auf Bundesebene noch nicht wieder erholt. Auch deswegen, weil es einen demokratischen Aufstand gegeben hat. In Erfurt und an anderen Orten kamen tausende Menschen zusammen, um gegen die Wahl Kemmerichs zu protestieren. In einer solchen wirklichen Krisensituation gab es einen so massiven Widerstand, dass sich das nicht so schnell wiederholen wird.
      Speziell im Osten besteht aber inzwischen das Problem, dass Regierungsbündnisse ohne eine Beteiligung der AfD sehr schwer geworden sind. In Sachsen-Anhalt wird 2021 gewählt. Besteht da nicht doch eine reale Gefahr?
      Das schließe ich nicht aus, besonders wegen der Schwäche der CDU in Sachsen-Anhalt. Es kann sein, dass man es wieder versucht. Allerdings sind die Bedingungen inzwischen deutlich anders. Selbst in den ostdeutschen Ländern nimmt die AfD nicht mehr zu. Sie ist laut Umfragen in Thüringen und Sachsen bei erheblichen jeweils etwas über 20 Prozent stabil, in Mecklenburg-Vorpommern liegt sie bei 15 Prozent. Offenkundig hat die Partei ihr Potenzial ausgeschöpft. Der Druck, der von der AfD bisher ausging, ist nicht mehr der gleiche wie früher. Er schwächt sich ab.
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Die dritte Verhandlungswoche um den Mord an Walter Lübcke beginnt

Erster Zeuge - und noch ein Geständnis

Jetzt will er also sagen, wie es wirklich war. Nachdem im Oberlandesgericht in Frankfurt am Main bereits drei Vernehmungsvideos von Stephan Ernst, dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, vorgespielt worden waren, will Ernst nun selbst aussagen. In dieser Woche könnte es soweit sein, das Gericht hat den Freitag für eine »Einlassung« des Hauptangeklagten geblockt. Ernsts Verteidiger Frank Hannig hatte in einem seiner Youtube-Videos Anfang Juli noch daran gezweifelt, ob die Zeit reiche, um noch für den 30. Juli eine Aussage vorzubereiten. Ob er dann auch tatsächlich mündlich aussagt oder einen seiner Pflichtverteidiger für sich sprechen lässt, ob er frei spricht oder einen Text vorliest, all das ist noch unklar. Auf eine Anfrage von »nd.DerTag« antwortete Anwalt Hannig nicht.
Doch in der dritten Verhandlungswoche im Prozess um den Mord an Lübcke und den versuchten Mord an Ahmad I. steht zunächst anderes auf der Tagesordnung: Am Montag will der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann sein Statement zu den Vernehmungsvideos von Stephan Ernst abgeben. Zu erwarten ist, dass er nicht wie die Anklage der Bundesanwaltschaft das erste Geständnis als das richtige und wahre ansieht und das zweite als unglaubwürdig abtut, sondern herausarbeitet, welche Teile aus den beiden Geständnissen sich zu einem stimmigen Bild vervollständigen lassen. Darüber hinaus wird es vermutlich darum gehen, die Aussagen von Ernst - und seine Tat - in einen Kontext einzubetten, der aufzeigt, dass Ernst nicht im luftleeren Raum agiert hat, sondern eingebettet in eine rechte Szene, die ihn zur Tat ermutigt hat. Auch die Verteidigung will sich zu den Vernehmungsvideos äußern.
Für Dienstag ist der erste Zeuge geladen: Jan-Hendrik Lübcke, der Sohn des Toten, soll aussagen. Er hatte seinen Vater in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses aufgefunden.
Warum Ernst trotz der drei gezeigten Vernehmungsvideos nun noch einmal vor Gericht aussagen will, liegt vermutlich daran, dass beide bisherigen Geständnisse daran zweifeln lassen, dass er die volle Wahrheit gesagt hat. Im ersten Geständnis, das Ernst im Juli 2019 abgegeben und kurz darauf - mit neuem Verteidiger - widerrufen hatte, spielte er die Rolle des Mitangeklagten Markus H. auffällig herunter. Im zweiten Geständnis taten sich viele Widersprüche auf, die Ernst auch auf Nachfragen nicht auflösen konnte. »Wie soll ich das erklären«, war eine häufige Formulierung von Ernst in den Vernehmungsvideos. So konnte er nicht plausibel machen, warum er zunächst einen Mord gestanden hatte, wenn es sich doch lediglich um einen Unfall gehandelt haben sollte. Ernst sagte, sein damaliger Anwalt habe ihn zum Geständnis überredet, im Gegenzug habe dieser zugesagt, seine Familie finanziell zu unterstützen. Auf Nachfrage nannte er als Finanzier die »Gefangenenhilfe«, eine rechtsextreme Nachfolgeorganisation der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene (HNG), die 2011 verboten wurde. Auch sagte Ernst, er habe in der Szene als Märtyrer gelten wollen. Gleichzeitig behauptete er, er habe das Bild von sich als »Psychonazi« zeichnen wollen.
Auch erschloss sich nicht, warum H. und er am 1. Juni 2019 mit falschen Nummernschildern fuhren und extra die Handys zu Hause ließen, um nicht geortet werden zu können - aber sich für die angeblich lediglich geplante »Abreibung« des CDU-Politikers Lübcke keine Masken aufsetzten, um unerkannt zu bleiben. »Daran haben wir nicht gedacht«, sagte Ernst dazu bloß lapidar.
Seine angekündigte weitere Aussage wird voraussichtlich ein paar erhellende Details über die Vorgeschichte offenbaren. Solange Ernst aber dabei bleibt, dass H. und er zwar gemeinsam am Tatort waren, Lübcke aber nur drohen wollten und sich ein Schuss aus der - wohlgemerkt geladenen - Waffe in der Hand von H. vermutlich versehentlich löste, wird man der Wahrheit kaum näherkommen.
Interessant könnte es werden, wenn der der »psychischen Beihilfe« angeklagte Markus H. aussagt. Doch ob er das jemals tun wird, wollte sein Verteidiger Björn Clemens im Anschluss an den fünften Prozesstag Anfang Juli weder bestätigen noch verneinen. Der beharrt immer noch auf der Unschuld seines Mandanten, hatte zu Beginn des Prozesses dessen Freilassung und Aufhebung des Haftbefehls gefordert. Seine Karten stehen nicht so schlecht wie die von Ernst. Während Ernsts DNA am Tatort gefunden wurde, scheint es keine Beweise zu geben, dass auch der Mitangeklagte Markus H. am Tattag vor Ort war.
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Der mutmaßliche Lübcke-Mörder Ernst will seinen Verteidiger loswerden. Auch der Richter hält wenig von dessen Anträgen

»Die Anträge sind alle gequirlter Unsinn«

Ein wenig langweilig klang es, was am ersten Verhandlungstag nach der Sommerpause auf der Tagesordnung des Prozesses gegen Stephan Ernst und Markus H. im Mordfall Walter Lübcke stand: die Verlesung von Urkunden. Doch bevor es überhaupt dazu kam, wurde es laut. Frank Hannig, der Verteidiger von Stephan Ernst, stellte mehrere Anträge, die der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel »gequirlten Unsinn« nannte. Er zweifelte an Hannigs Verteidigungsstrategie – und nach einer Pause stellte Ernst über seinen zweiten Anwalt Mustafa Kaplan den Antrag, Hannig zu entpflichten.
Was war passiert? Hannig verlas im Namen seines Mandanten mehrere Anträge. Er forderte, den Einbruch in das Regierungspräsidium Kassel, wo Lübcke tätig gewesen war, im Verfahren zu berücksichtigen. Dort seien Akten durchwühlt und möglicherweise gestohlen worden. Darunter könnten Akten zur Solarfirma von den Söhnen Walter Lübckes sein oder auch andere Akten, die für den Mordfall von Interesse sein könnten. Außerdem forderte Hannig, mittels eines Funkzellenabrufs herauszufinden, ob ein oder zwei ehemalige Kollegen von Stephan Ernsts letzter Arbeitsstelle in der Tatnacht vor Ort waren.
Richter Sagebiel fragte Hannig, ob die Anträge mit dem Mandanten abgesprochen seien. Hannig verneinte. Daraufhin sagte Sagebiel: »Herr Ernst, ich habe die Sorge, dass Sie nicht ordentlich verteidigt werden.« Er versicherte Ernst, dass er trotzdem ein faires Verfahren zu erwarten habe. Dann erklärte er: »Die Anträge sind alle gequirlter Unsinn.« Sie hätten keine Aussicht auf Erfolg, da sie »keinen vernünftigen Bezug« zum Fall hätten. Sagebiel fragte zudem, ob Hannig auf eine rechtsterroristische Vereinigung hinauswollen.
Das beantwortete Hannig nicht, sagte aber, er glaube nicht, dass Ernst fünf Jahre nach der Rede von Lübcke im Oktober 2015 immer noch einen Groll gegen ihn gehegt und ihn deshalb ermordet habe. Es müsse ein anderes Motiv geben.
Lübcke hatte auf einer Bürgerversammlung, um über ein neues Flüchtlingsheim in Lohfelden in der Nähe von Kassel zu informieren, gesagt: »Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.«
Auf die Bitte Sagebiels hin meldeten sich auch andere Verfahrensbeteiligte zu Wort. Staatsanwalt Dieter Killmer erklärte, auch er habe Zweifel an der Verteidigung, wenn Anträge vorgebracht würden, die nicht mit dem Mandanten abgesprochen seien. Die bisherigen Vernehmungen von Ernst hätten kein Motiv im Sinne von Wirtschaftskriminalität ergeben.
Schließlich ergriff Verteidiger Kaplan das Wort. Er erklärte, die Anträge seien weder mit ihm noch seinem Mandanten abgesprochen worden. »Davon distanzieren wir uns ganz ausdrücklich.« Besonders der erste Antrag widerspreche den Interessen seines Mandanten. Darin werde den Angehörigen des Toten vorgeworfen, in krumme Geschäfte verwickelt zu sein. »Mein Mandant hat kein Interesse daran, dass die Angehörigen mit Dreck beworfen werden.«
Nach einer Verhandlungspause von etwa 30 Minuten erklärte Kaplan im Namen seines Mandanten, Ernst wolle Hannig als Verteidiger entbinden, da das Vertrauensverhältnis erheblich gestört sei. Hannig habe keine Strategie, außer Youtube-Videos hochzuladen. Die Richter wollten noch am Nachmittag über den Antrag entscheiden und die Entscheidung am Dienstag mitteilen. Dann soll auch ein Sohn von Lübcke aussagen, der seinen Vater in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf der Terrasse des Wohnhauses der Familie tot aufgefunden hatte.
Stephan Ernst ist Hauptangeklagter. Markus H. ist der psychischen Beihilfe angeklagt, weil er Ernst zu der Tat ermutigt haben soll. Es ist laut Anklage das erste Mal in der Bundesrepublik, dass ein Politiker von Rechten getötet wurde. Ernst ist außerdem wegen versuchten Mordes an einem irakischen Flüchtling im Januar 2016 angeklagt.
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Richter entpflichtet auf Antrag Anwalt von mutmaßlichem Lübcke-Mörder

Ernst schasst seinen zweiten Verteidiger

Er versuchte es noch einmal. Frank Hannig, Verteidiger von Stephan Ernst, der im Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet haben soll, redete am Dienstagmorgen auf seinen Mandanten ein. Er nutzt die Chance, dass der zweite Verteidiger, Mustafa Kaplan, noch nicht angekommen war, und er Zeit mit Ernst für sich hatte. Hannig holte eine »Bild« aus seiner Tasche und breitete sie vor Ernst aus. Dann klappte er seinen Laptop auf und schien Ernst etwas darauf zu zeigen. Er hielt den Laptop so vor sein Gesicht, dass seine Mundbewegung nicht zu erkennen waren. Deutlich war dennoch: Er versuchte zu retten, was noch zu retten war. Und scheiterte. Ernst nahm seinen Antrag vom Montag, ihn zu entpflichten, nicht zurück. Als dann der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel die Verhandlung eröffnete, verkündete er als erstes, dass er dem Antrag stattgegeben hatte. Hannig musste gehen.
Noch während Hannig seine Sachen packte, beeilte sich Kaplan zu Protokoll zu geben, dass er Hannig nicht nur dieses, sondern alle Mandate entziehe.
Am Tag zuvor war es zum Zerwürfnis zwischen Hannig auf der einen Seite und Ernst und Kaplan auf der anderen gekommen. Hannig, der Ernst seit einem guten Jahr vertreten hatte, trug fünf Anträge vor. Auf Nachfrage des Richters gab er an, diese nicht mit seinem Mandanten abgesprochen zu haben. Richter Sagebiel wandte sich daraufhin an Ernst und sagte, er sei besorgt, dass Ernst nicht ordentlich vertreten werde. Sagebiel begründete das mit der fehlenden Absprache, aber auch mit dem Inhalt der Anträge. Diese trügen nichts zur Sache bei und hätten daher keine Aussicht auf Erfolg.
Hannig hatte einerseits einen Einbruch ins Regierungspräsidium Kassel kurz vor dem Mord an Walter Lübcke mit der Arbeit von dessen Söhnen in Verbindung gebracht. Beide führen zusammen eine Photovoltaikfirma. Bei dem Einbruch könnten Akten über diese Firma gestohlen worden sein, meinte Hannig. Er vermute hier ein mögliches Motiv für den Mord an Lübcke.
Kaplan intervenierte, Hannig wolle den Söhnen Lübckes krumme Machenschaften nachsagen. Ernst liege es fern, den Toten oder seine Angehörigen mit Dreck zu bewerfen. Im Namen von Ernst distanzierte er sich von den Anträgen. Kaplan warf Hannig zudem vor, keine Verteidigungsstrategie zu haben außer »Youtube-Videos hochzuladen«. Hannig hatte bisher nach jedem Prozesstag einen Videokommentar eingesprochen und auf seinem Kanal veröffentlicht.
Hannigs übrige Anträge drehten sich um mögliche Mittäter. Der Richter fragte erbost, ob er auf ein rechtsterroristisches Netzwerk hinauswolle. Am Dienstag erklärte der Richter, ein solches sei nicht Teil der Anklage. Falls es ein solches geben sollte, wolle man dieses natürlich aufdecken. Sagebiel nahm dies jedoch als weitere Begründung, warum er Hannig entbinde: Der Verteidiger könne damit seinem Angeklagten schaden.
Schaden würde es Ernst deshalb, weil der Terror-Paragraph 129a greifen würde, sollte sich herausstellen, dass der mutmaßliche Lübcke-Mörder im Rahmen eines Netzwerks agiert habe.
Im Rahmen einer Erklärung zu den bisherigen Vernehmungsvideos von Ernst erklärte Nebenklageanwalt Björn Elberling – in Vertretung von Rechtsanwalt Alexander Hoffmann die Angaben von Ernst zu möglichen Mittätern für unzureichend. Im ersten Geständnis habe er möglichst glaubhafte Erklärungen für seine Tat abgegeben, um davon abzulenken, dass er gerade keine Angaben zu seinen Kameraden machte. Auch die weiteren Vernehmungsvideos seien vor allem vor dem Hintergrund interessant, welche Informationen – auch über mögliche Mittäter und -wisser – er nicht preisgab.
Auch ohne Hannig will die Verteidigung von Ernst an seiner Aussage vor Gericht festhalten. Weil nun aber »wertvolle Zeit« verloren gegangen sei, könne der 30. Juli nicht eingehalten werden. Die Einlassung von Ernst soll am 5. August erfolgen. Der Verhandlungstermin 30. Juli wurde gestrichen, weiter geht es dann am 5. August um 10 Uhr. Dann voraussichtlich mit Ernsts neuem Verteidiger Jörg Hardies, Kanzleikollege von Mustafa Kaplan.
Alle Texte zum Thema Walter Lübcke: dasnd.de/luebcke
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IMI-List] [0571] Analyse: Klima & Krieg / Neue Texte: EU-Haushalt / Syrien / Drohnen

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Nummer 0571 .......... 23. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
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in dieser IMI-List findet sich

1.) Hinweise auf aktuelle IMI-Texte, u.a. zum heutigen EU-Finanz- und
Rüstungspaket, der Drohnendebatte, der Berichterstattung über den
Syrienkonflikt und zur Militarisierung in den USA;

2.) eine IMI-Analyse zum Thema Klima, Umwelt und Krieg.


1.) Neue IMI-Analysen: EU-Haushalt, Drohnen, Syrien, US-Innenmilitarisierung

Heute Morgen einigen sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf
Vorschläge für den EU-Haushalt 2021 bis 2027. Damit rückt die erstmalige
Einrichtung mehrere EU-Militärhaushalte deutlich näher! Erschienen ist
inzwischen auch eine Analyse über die „Debatte“ zur Bewaffnung von
Drohnen und über die Berichterstattung im Syrienkrieg. Außerdem ist neu
auf der Homepage eine Analyse über Szenarien des US-Militärs für Einätze
im inneren.

IMI-Standpunkt 2020/021b
Budgetäre Klimmzüge
EU-Kommission und Rat nähern sich bei den Vorschläge für die
(Rüstungs-)Haushalte 2021 bis 2027 an
http://www.imi-online.de/2020/07/21/budgetaere-klimmzuege-2/
Jürgen Wagner (21. Juli 2020)

IMI-Standpunkt 2020/036 - in: Telepolis 15.7.2020
500.000 tote Kinder?
Leerstellen in der „humanitären“ Berichterstattung über den Nordwesten
Syriens
http://www.imi-online.de/2020/07/16/500-000-tote-kinder/
Christoph Marischka (16. Juli 2020)

IMI-Standpunkt 2020/035
Zbellion
Kriegssimulation des Pentagon übt militärisches Eingreifen gegen eine
innerstaatliche Bewegung junger Menschen in den USA
http://www.imi-online.de/2020/07/09/zbellion/
Emma Fahr (9. Juli 2020)

IMI-Analyse 2020/33
SPD unter Bedingungen für Drohnenbewaffnung?
Ist die Vorentscheidung für eine Bewaffnung der Bundeswehrdrohnen gefallen?
http://www.imi-online.de/2020/07/06/spd-unter-bedingungen-fuer-drohnenbewaffnung/

Marius Pletsch (6. Juli 2020)


2.) IMI-Analyse Krieg und Klima

IMI-Analyse 2020/34
Krieg und Klima
http://www.imi-online.de/2020/07/21/krieg-und-klima/
Jacqueline Andres (21. Juli 2020)

Krieg zerstört Mensch und Umwelt, daher ist es nicht verwunderlich, dass
die Militärapparate weltweit einen erheblichen Einfluss auf den
Klimawandel haben. Erst letztes Jahr sorgte die Studie von Neta Crawford
von der Boston University für Schlagzeilen, denn diese zeigte auf, dass
das US-amerikanische Verteidigungsministerium der größte institutionelle
Verbraucher von fossilen Brennstoffen weltweit ist.

Im Jahr 2017 lagen die Treibhausgasemissionen der Einsätze des US
Militärs bei 59 Millionen Tonnen CO2 und damit etwa bei der Menge, die
auch die Industriestaaten Schweden und Dänemark freisetzten.[1] Bezieht
man jedoch die dazu erforderliche Militärindustrie und die durch sie
verursachten Treibhausgasemissionen mit ein, so lagen diese im Zeitraum
von 2011 bis 2017 bei durchschnittlich stolzen 153 Millionen Tonnen CO2
pro Jahr.[2]

Tatsächlich ist es schwer, offizielle Zahlen der militärisch
verursachten CO2-Emissionen zu finden, denn solchen Erhebungen werden
meistens nicht gemacht. Auf Drängen des US-amerikanischen
Verhandlungsteams wurden die Kraftstoffe aus den im Kyoto-Protokoll
verpflichtenden Berichten ausgeklammert, die vom jeweiligen Militär bei
UN-Einsätzen außerhalb der eigenen Landesgrenzen verbraucht werden. Die
Emissionen müssen damit weder dokumentiert noch gemeldet werden. Im
Übereinkommen von Paris, das 2015 verabschiedet wurde, taucht der
Begriff „Militär“ nicht ein einziges Mal auf.[3] Immerhin wird die
Bundeswehr einmal im Klimaschutzbericht der Bundesregierung 2018
genannt, jedoch mit den Worten: „Die Emissionen der militärisch
genutzten Fahrzeuge bleiben [...] unberücksichtigt.“[4] Auch im
Klimapaket kommt die Bundeswehr nicht vor, obwohl diese „den
überwiegenden Teil aller CO2-Emissionen von Bundes-Institutionen
(geschätzt auf ca. 60%)“[5] verursacht. Doch auch wenn es keine
öffentlichen, umfassenden Messwerte zu den Emissionen der Bundeswehr und
anderer Militärapparate gibt, so ist eines klar: Die Emissionen sind
enorm. Nicht nur die Luftschläge, sondern auch die ständig laufende
Kriegseinübung, die Errichtung und die logistische Versorgung der
Militärstützpunkte sowie die mit dem Militär zusammenhängende
Rüstungsproduktion setzen täglich massenweise Treibhausgase frei.
Abgesehen davon digitalisiert die Bundeswehr ihr Gefechtsfeld – d.h.
immer mehr Energie wird verbraucht, um die steigende Zahl an technischen
Gerätschaften, mit denen Soldat*innen hantieren, am Laufen zu halten.


Militärübungen

Eine tägliche Militäraktivität ist die Einübung des Krieges. So müssen
Pilot*innen der Luftwaffe vor ihrem ersten Einsatz eine gewisse Anzahl
an Flugstunden absolvieren und Soldat*innen müssen lernen, mit Panzern
zu fahren oder Schiffe zu steuern. Diese militärischen Großgeräte
verbrauchen weitaus mehr als zivile Fahrzeuge. Ein Kampfpanzer des Typs
Leopard 2 verbraucht im Gelände rund 530 Liter Diesel auf 100 km.
Ähnlich sieht es mit weiteren Panzern aus: Der Schützenpanzer Marder
liegt bei 400l/100 km im Gelände und der Minenräumpanzer Keiler bei
stolzen 580l/100km.[6] Ein Kampfjet des Typs Eurofighter verbraucht pro
Flugstunde 3.500 kg Treibstoff[7] – alleine im Jahr 2018 verbrachten die
Eurofighter der Bundeswehr mindestens 10.480 Stunden in der Luft und
verursachten damit etwa 115.280 Tonnen CO2. Mehr als 9 Millionen Bäume
bräuchte es, um diese Mengen an CO2 zu speichern.[8] Abgesehen von den
zahlreichen Kampfjets, verfügt die Luftwaffe auch über Hubschrauber mit
hohem Verbrauch: Ein Transporthubschrauber des Typs NH90  hat einen
Flugbetriebsstoffverbrauch von rund 550l pro Stunde und ein mittlerer
Transporthubschrauber THS CH-53 einen von rund 1.100l pro Stunde.[9] Das
Kriegschiff Bayern, eine sogenannte Fregatte, legte zwischen den Jahren
1996 und 2010 rund 350.000 Seemeilen zurück. Laut dem damals abdankenden
Kommandanten Jens Schwarter, habe sie somit „den Äquator sechzehnmal
umrundet“. Was das für den Treibstoffverbrauch bedeutet, erklärte er
auch: „Dabei wurden 43.000t Dieselkraftstoff verbraucht. Legt man bei
einem Münchner Taxi eine Laufleistung von 400.000 km zu Grunde, könnte
man mit diesem Verbrauch 1000 Mercedes C-Klasse PKW über ihre
Lebensdauer betanken.“[10] Stolze 6.600l Kraftstoff verbraucht die
Fregatte, um 100km zurückzulegen. Wenn eine der acht Fregatten der
Bundesmarine im Hafen liegt, nutzt sie den sogenannten „Landstrom“ - und
zwar zwischen 4.500 kWh und 23.000 kWh pro Tag.[11] Der
durchschnittliche Jahresstromverbrauch einer in Deutschland lebenden
Person liegt bei etwa 1.300-2.500 kWh. Die Emissionen, die durch dieses
tagtägliche Einüben von Krieg entstehen, sind enorm und ungezählt.
Abgesehen davon laufen Militärübungen häufig schief und verursachen
dadurch noch mehr Emissionen. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür
dürfte der für mehr als vier Wochen währende Moorbrand bei Meppen im
Jahr 2018 sein. In diesem Jahr herrschte akute Waldbrandgefahr und es
wurde öffentlich davon abgeraten, im Wald zu rauchen geschweige denn ein
Feuer zu machen. Trotz dieses heißen Wetters führte die Bundeswehr eine
Raketenübung durch, d.h. die Luftwaffe schoss von einem Helikopter eine
Rakete Richtung Boden. Dabei geriet das Moorgebiet in Brand, was
besonders gravierend für das Klima ist, denn Moore binden große Mengen
Kohlenstoff. Der Naturschutzbund (NABU) schätze, etwa 500.000 Tonnen CO2
wurden somit freigesetzt. Laut dem NDR entspricht dies der Menge CO2,
die durch 50.000 Einwohner*innen der Bundesrepublik innerhalb eines
gesamten Jahres entsteht.[12] Immer wieder lösen sogenannte
Luft-Boden-Übungen, bei denen Luftschläge geübt werden, Brände aus. Im
Jahr 2014 verursachte die Bundeswehr mit einer solchen Übung einen 26
Hektar großen Waldbrand auf Sardinien – dieser Brand wiederum ließ die
Wut und den Widerstand der bis dahin ruhiger gewordene
anti-militaristischen Bewegung der Insel neu entflammen, welche seither
wieder vermehrt von sich hören macht.[13] Solche Übungen sind vielzählig
und finden auch auf multinationaler Ebene statt: So führte die größte
Militärallianz der Welt, die North Atlantic Treaty Organization (NATO)
im Jahr 2019 insgesamt 102 gemeinsame Militärübungen durch und ihre
Mitgliedsstaaten absolvierten weitere 208 Übungen in einem nationalen
oder multinationalen Rahmen.[14] Nicht selten laufen diese großen
Übungen auf klimaschädliche Machtdemonstrationen hinaus, die als
militaristisches Säbelrasseln auch schwerwiegende politische Folgen
haben können.


Kriegsausübung

Es gibt nichts zerstörerischeres und umweltschädlicheres als Krieg:
Abgesehen von dem enormen Kraftstoffverbrauch der eingesetzten
Kriegsgeräte, hinterlassen Kriege ökologische Langzeitschäden für Mensch
und Natur. Die Wucht einer Rakete, die auf den Boden trifft, ist enorm.
Es treten Schadstoffe in den Boden, in die Luft und nicht selten ins
Grundwasser. Was zerstört wird, muss irgendwann wieder aufgebaut werden.
Nicht selten werden Fabriken getroffen: Im Jahr 1999 bombardierte die
NATO die nahe von Belgrad gelegene Raffinerie NIS, die Kunststofffabrik
HIPetrohemija und die Düngemittelfabrik HIP Azotara. Wochenlang brannte
der leicht entzündliche Treibstoff und verschmutze die Luft und den
Boden langfristig.

Die umweltschädlichen Luftschläge hören nicht auf. Seit 2015 herrscht
Krieg in Jemen. Die von Saudi Arabien geführte Militärkoalition führte
bis April 2020 zwischen 20.934 und 59.641 Luftschläge aus[15] und die
Zahl der Bombardierungen stieg im Laufe der letzten Monate trotz der
globalen Gesundheitskrise wieder an.[16] Auch in diesem Krieg werden
neben Krankenhäusern, Schulen, Getreidespeichern, Häfen, Märkten,
Hochzeiten und Trauerfeiern auch zahlreiche Fabriken getroffen – auch
aus dem Nahrungsmittelsektor. Dies ist in Jemen angesichts der dortigen
desolaten Nahrungsmittelversorgung und der Hungerkatastrophe umso
gravierender.

Unvergessen dürften auch die Bilder aus dem Golfkrieg 1991 sein, als
monatelang rund 600 Ölfelder brannten, wodurch rund 300 Millionen Tonnen
CO2 freigesetzt wurden. Zusätzlich gelangten 60 Millionen Barrel Erdöl
(etwa 9.539.238.000l) in den Boden und verschmutzten das Grundwasser und
mindestens 6 Millionen Barrel flossen mit verheerenden Folgen in den
Persischen Golf.[17]

Abgesehen von Raketen und Bomben, nutzen verschiedene Militärapparate
auch chemische Kampfstoffe, die jetzt zum Großteil international
geächtet sind. So zum Beispiel das berüchtigte Entlaubungsmittel Agent
Orange: Während des Vietnamkrieges, bzw. zwischen 1962 und 1971,
sprühten US-Soldat*innen etwa 72 Millionen Liter des toxischen Agent
Orange und anderer Herbizide  auf eine Fläche von 1,5 Millionen Hektar.
Die Wälder sollten entlaubt werden, um die zum Feind erkorene Nationale
Front für die Befreiung Südvietnams aufzuspüren und ihre
Nahrungsgrundlage zu zerstören.[18]  Ganze Ernten wurden vernichtet, was
die gesamte Bevölkerung traf. Bilder aus der Zeit zeigen Baumstümpfe,
die wie zerschlagen aus dem Boden ragen und kahle Landschaften. 36% der
Mangrovenwälder Südvietnams wurden dabei zerstört – dabei sind es gerade
Mangrovenwälder, die jetzt mit dem menschenverursachten Steigen des
Meeresspiegels dringend benötigt werden. Bis heute sind die Böden und
Gewässer verseucht und der Schadstoff Dioxin TCDD gelangt noch immer in
die Nahrungskette. Schätzungsweise eine bis drei Millionen Menschen
leiden unter den gesundheitlichen Folgen, heute bereits in der dritten
Nachkriegsgeneration. Das krebserregende Dioxin verursacht rund
einhundert Krankheiten (u.a. Diabetes, Parkinson und Immunschwächen) und
schädigt das Erbgut – dies führt u.a. zu fehlenden Gliedern und
Gaumenspalten bei Neugeborenen.[19]

Oftmals führen Kriegseinsätze auch dazu, dass die Abholzung der lokalen
Wälder beschleunigt wird – einerseits werden sie von Menschen, deren
Häuser und Lebensgrundlage zerstört wurde, als Feuerholz genutzt oder
zum Wiederaufbau verwendet. Aber auch Unternehmen haben ein großes
Interesse an Holz, das dann oftmals leicht zu fällen ist, da
Umweltschutzgesetze in Kriegssituationen meist zweitrangig und nichtig
werden.

Doch abgesehen von den konkreten Kriegshandlungen führt die militärische
Präsenz von Kampftruppen zu weiteren Problemen für die Gesundheit der
Menschen und der Natur. Wie entsorgen Soldat*innen ihren Müll in
Kriegsgebieten? Das US-Militär z.B. greift immer wieder zur Lösung  von
Verbrennungsgruben (burn pits). Alles von kaputten Uniformen, Munition
und Blindgängern, medizinischem Abfall bis hin zu ausgedienten Computern
oder anderen elektronischen Geräten und giftigen Müll wird zusammen in
einem ausgehobenen Loch im Boden typischerweise mit Kerosin überschüttet
und in Brand gesetzt. In Afghanistan wurden bis zu 400 Tonnen Müll an
einem Tag in solchen Pits verbrannt. Trotz der nachweislich
katastrophalen Langzeitauswirkungen auf die Atemwege der Soldat*innen
und der lokalen Anwohner*innen sowie der zahlreichen freigesetzten
umweltschädlichen Luftschadstoffe hält das US-Militär an dieser Praxis
fest und nutzte zumindest noch im März 2019 sieben sogenannte burn pits
in Syrien, eines in Afghanistan und eines in Ägypten.[20]


Rüstungsproduktion

Im Jahr 2019 lagen die globalen Rüstungsausgaben laut dem Stockholm
International Peace Research Institute (SIPRI) bei 1.917.000.000.000
(1.917 Milliarden) US-Dollar.[21] Die Tendenz ist steigend – die
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer setzt sich z.B.
dafür ein, die Rüstungsausgaben der BRD drastisch zu steigern. Die
oftmals energieintensive Rüstungsproduktion von Munition,
Kriegsschiffen, -fahrzeugen und -flugzeugen schadet ebenfalls den
Menschen, der Natur und dem Klima – ganz zu schweigen von den
umweltschädlichen Folgen ihres Einsatzes und dem erforderlichen
Wiederaufbau der zerstörten „Ziele“. Zu den großen Rüstungsunternehmen
in Deutschland zählen u.a. Airbus Group, Diehl Defence Holding, Hensoldt
und Rheinmetall. Letzteres hat sogar die im Jahr 2019 verursachten
Emissionen veröffentlicht – 354.919 Tonnen CO2.  Allerdings umfasst
dieser Wert nur undefinierte „89 von 193 Gesellschaften der Rheinmetall
Group“[22] und ist damit irrelevant. Bedenkt man jedoch die Vielzahl an
unterschiedlichen weniger bekannten Unternehmen in der „Sicherheits-“
und Kriegsindustrie, die z.B. in der militärischen Logistik, in der
Produktion von Ferngläsern oder von IT- und Kommunikationshardware
eingebunden sind, so dürften es tausende sein, die in der BRD von
Rüstung und Kriegseinsätzen profitieren. Meistens finden sich solche
Firmen auch im direkten Umkreis. In Tübingen zum Beispiel ist seit 2016
auch der Rüstungskonzern Atos angesiedelt. Zwar produziert Atos keine
Bomben, aber zu seinen Produktionssparten zählt auch der
„Verteidigungssektor“ bzw. der Kriegssektor: „Atos entwickelt
militärische, zukunftssichere Cloud-Lösungen für die zweckmäßige und
dynamische Bereitstellung und Verarbeitung sensibler Informationen (z.B.
Verschlusssachen). Verlässliche, auch verlegefähige
Cloud-Infrastrukturen von Atos bewähren sich im militärischen
Einsatz.“[23] Zu den Kunden von Atos zählt auch die Bundeswehr: „Atos
unterstützt proaktiv die Digitalisierung der Landstreitkräfte und der
Marine durch Konzepte für einen durchgängigen Verbund digitaler
Datenverarbeitungs- und Datenübertragungssysteme.“[24] Digitalisierung
heißt hier, dass die einzelnen Soldat*innen, Kampfsysteme und
Gerätschaften der Bundeswehr u.a. durch Sensoren miteinander vernetzt
werden sollen. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und
Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) beauftrage Ende 2019 Atos und weitere
Unternehmen mit der Erstellung einer Studie zur „Erzeugung eines
gläsernen Gefechtsfeldes zur Unterstützung dynamischer Operationen“.
Konkret heißt das, Atos untersucht einen „hochautomatisierten
Multirobotereinsatz“ bzw. Drohnenschwärme. Diese von einer KI
gesteuerten Drohnen sollen Daten sammeln und diese Daten sollen mit
Hilfe von Algorithmen ein digitales Lagebild produzieren, auf dem z.B.
die Bewegungen aller Militärfahrzeuge und Soldat*innen in Echtzeit
dargestellt werden. Dabei sollen die Drohnen mit Kampffahrzeugen, wie
z.B. Panzern, vernetzt sein.[25] Noch gibt es keine Studie, die die
Emissionen von militärischen Kommunikations- und
Informationstechnologien ausgearbeitet hat. Doch die stetig wachsende
digitale Vernetzung zahlreicher Systeme und die gesteigerte
Datenübertragung deuten darauf hin, dass diese Emissionen steigen
werden. Laut einer von dem The Shift Project erstellten Studie stieg der
Anteil digitaler Technologien an den globalen CO2-Emissionen zwischen
den Jahren 2013 und 2018 von 2,5 auf 3,7%, womit diese Technologien
einen erheblichen Beitrag zur Erderwärmung leisten.[26]


Militär abschaffen – das ist Klimaschutz!

Klima und Krieg sind eng miteinander verwoben: Der Zugang zu fossilen
Brennstoffen stellt oftmals ein wichtiges wirtschaftliches Ziel bei
Kriegen dar – folgend erfordern die Transportwege eine militärische
Absicherung. Das klimaschädliche Militär wird u.a. dafür eingesetzt, um
mehr fossile Brennstoffe verbrennen zu können. Durch den
menschengemachten Klimawandel und unsere umweltschädliche
wachstumsorientierte, neoliberale Wirtschaftsweise werden die
beschränkten Ressourcen knapper: u.a. mineralische Rohstoffe, Öl und
Erdgas. Die Bundeswehr und weitere Militärapparate sprechen von
Klimakriegen, Kriegen um Wasser und fruchtbare Böden. Für „unsere“
Sicherheit hier in Deutschland soll die Bundesregierung mehr
Steuergelder in den Ausbau der Bundeswehr stecken, um „unseren“
Wohlstand zu garantieren. Doch der Irrsinn hinter dieser Argumentation
tritt immer deutlicher zum Vorschein. Wir brauchen keinen militärisch
gesicherten „Wohlstand“, der diesen Planeten in den Ruin treibt. Dieser
Planet und seine menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebewesen
sind „unser“ Wohlstand und den gilt es zu schützen. Die Ressourcen, die
wir haben, sind endlich und wir sollten nicht eine weitere Tonne Stahl
für die Herstellung von Zerstörungsgeräten verschwenden und nicht einen
Liter Kerosin, um Kampfjets in den Himmel zu schicken. Die Abschaffung
der Bundeswehr und aller Militärapparate wäre nicht nur ein bedeutsamer
Schritt für den Aufbau eines solidarischen Zusammenlebens, das sich nach
den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt richtet, sondern auch ein
logischer und ein erforderlicher Schritt für den Klimaschutz.


Dieser Text ist Teil einer Broschüre von Fridays for Future Tübingen zum
Thema Klimagerechtigkeit, die voraussichtlich im Oktober 2020 erscheint.


Anmerkungen

[1]           Neta C. Crawford: Pentagon Fuel Use, Climate Change, and
the Costs of War, watson.brown.edu, Boston University, 12.6.2019

[2]           Marc Werner: Das US-Militär. Auf Kriegsfuß mit dem Klima,
IMI-Studie 7/2019, imi-online.de, 4.11.2019

[3]           Ebd.

[4]           Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Kathrin Vogler, Andrej Hunko, Heike Hänsel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Drucksache 19/14589,
Militärische Aktivitäten der Bundeswehr und ihre Klimabilanz, 8.1.2020

[5]           Karl-Heinz Peil: Vortragsunterlagen,
frieden-und-zukunft.de, 14.1.2020

[6]           Bundesministerium der Verteidigung: Waffensysteme und
Großgerät, bmvg.de, Oktober 2016

[7]           Drucksache 16/12803, Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann,
Hans-Kurt Hill und der Fraktion DIE LINKE, Neuburger Jagdgeschwader 74,
27. 04. 2009

[8]           Klimakiller Bundeswehr - Material & Infos,
kathrin-vogler.de, 26.11.2019

[9]             Bundesministerium der Verteidigung: Waffensysteme und
Großgerät, bmvg.de, Oktober 2016

[10]         Festrede des Kommandanten der Bayern, FKpt Schwarter,
fregattebayern-freunde.de, 19.2.2010

[11]         Kleine Anfrage der Abgeordneten Bernd Reuther, Frank Sitta,
Christine Aschenberg-Dugnus, u. a. und der Fraktion der FDP betr.:
„Landstrom in der Schifffahrt", BT-Drucksache: 1914740, 31.10.2018

[12]         Marc Wichert: Moorbrand. Mehr als 500.000 Tonnen CO2
freigesetzt, ndr.de, 17.9.2018

[13]         Drucksache 18/3113, Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Inge Höger, Christine Buchholz, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Auswirkungen
der NATO-Übungen auf Sardinien, 07.11.2014

[14]         Key NATO and Allied exercises in 2019, Factsheet,
nato.int/factsheets, Februar 2019

[15]         Yemen Data Project, yemendataproject.org, April 2020

[16]         Airstrikes on Yemen intensify, shatter hope for peace,
al-monitor.com, 4.4.2020

[17]         Fred Pearce: Future looks bleak for Iraq's fragile
environment, newscientist.com, 15.3.2003

[18]         Andreas Frey: Agent Orange. Das Gift, das bleibt,
spektrum.de, 15.6.2019 und Jan Banout, Ondrej Urban, Vojtech Musil,
Jirina Szakova und Jiri Balik: Agent Orange Footprint Still Visible in
Rural Areas of Central Vietnam, J Environ Public Health, 4.2.2014

[19]         Peter Jaeggi: Wissen Agent Orange – Vietnams giftige
Kriegslast, SWR2 Wissen, swr.de, 31.8.2015

[20]         Meghann Myers: Why DoD is still using burn pits, even while
now acknowledging their danger, militarytimes.com, 12.7.2019

[21]         Global military expenditure sees largest annual increase in
a decade, sipri.org, 27.4.2020

[22]         Einzelabschluss Rheinmetall Group 2019, ir.rheinmetall.com,
18.3.2020

[23]         DWT Marineworkshop 2018, atos.net, September 2018

[24]         Ebd.

[25]         ATOS und RAFAEL mit Studie „Gläsernes Gefechtsfeld“
beauftragt, Europäische Sicherheit und Technik, esut.de, 9.12.2019

[26]         Lean ICT. Towards Digital Sobriety, theshiftproject.org,
März 2019
IMI-List - Der Infoverteiler der
Informationsstelle Militarisierung
Hechingerstr. 203
72072 Tübingen
imi@imi-online.de

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