Dossier
„Deutsche Bauern sind besorgt: Helfen ihnen künftig keine Saisonkräfte mehr auf den Spargelfeldern? Dafür gäbe es gute Gründe, sagt der Experte Thomas Hentschel. (…) Die Bedingungen sind vielerorts tatsächlich schlecht. Nehmen wir die Bezahlung. Auf dem Papier zum Beispiel bekommt natürlich jeder Helfer den deutschen Mindestlohn von 8,84 Euro in der Stunde. In der Praxis sieht das ganz anders aus, und das spricht sich früher oder später natürlich auch in den Herkunftsländern herum. (…) Es gibt genug Betriebe, die ihren Leuten umstandslos das zahlen, was ihnen zusteht. Das widerlegt die Behauptung, es ginge nicht ohne Trickserei und Lohndumping. Übrigens klagen französische Bäuerinnen und Bauern, dass die deutschen Landwirte den Markt dort mit billigem Spargel überfluten, weil der Mindestlohn bei uns niedriger ist als auf der anderen Rheinseite. Die französischen Arbeitgeber verlangen inzwischen von den deutschen Gewerkschaften, dass sie für höhere Löhne in der Landwirtschaft sorgen sollen. Das ist doch absurd!“ (…) Bio und Regionales haben überhaupt nichts mit Sozialstandards zu tun. Leider gibt es kaum etwas, was beim Einkauf Orientierung bieten könnte. Unser Institut hatte vor zehn Jahren einmal die Idee, ein Siegel für faire Saisonarbeit zu verleihen. Leider haben kaum Betriebe mitmachen wollen, sodass wir das Projekt schnell beerdigt haben. Die Schutzrechte für das damals von uns entwickelte Siegel laufen dieses Jahr endgültig aus. Wir werden Sie nicht verlängern.“ Interview von Bernd Kramer vom 25.05.2018 in der Zeit online . Thomas Hentschel leitet das gewerkschaftsnahe Peco-Institut in Berlin, das eine Studie über die Situation der Erntehelfer veröffentlicht hat: “Flexible-Insecure. Wanderarbeit in der Landwirtschaft”. Siehe dazu auch:
- [Auch dieses Jahr – aus Gründen] Tschüss, Spargelfeld: Erntehelfer bleiben aus
“Die Spargelernte läuft und die Deutschen kaufen ihr liebstes Frühlingsgemüse fleißig ein. Eigentlich gut für Spargelbauern, doch die klagen über einen zunehmenden Mangel: Die Erntehelfer brechen ihnen weg. (…) Deutsche Kräfte anzuwerben war für die Bauern schon immer schwierig bis unmöglich. Deshalb beschäftigen sie vor allem Spargelstecher aus Polen und Rumänien. Doch auch dort nimmt das Interesse an dem Knochenjob auf dem Spargelfeld spürbar ab. (…) Was für die Bauern ein wachsendes Problem darstellt, ist aus Sicht der Erntehelfer eine gute Nachricht. Denn sie kehren dem Spargelstechen vor allem deshalb den Rücken, weil sich die Lebensbedingungen in ihren Heimatländern verbessert haben. Insbesondere die Zahl der polnischen Erntehelfer ist zurückgegangen. (…) Eine große Zahl der derzeitigen Erntehelfer kommt aus Rumänien. Doch für die Rumänen scheint die Arbeit ebenfalls zusehends weniger attraktiv zu sein. (…) Und nicht nur zu Hause finden die früheren Erntehelfer mittlerweile offenbar besser bezahlte Stellen. Viele zieht es in andere EU-Länder wie die Niederlande. Und in Deutschland öffnen sich ihnen andere Branchen: Saisonarbeiter, die inzwischen gut Deutsch gelernt haben, bekommen Jobs bei Paketdiensten, auf Baustellen oder in Logistikzentren. Spargelbauern müssen ihren Arbeitern mehr bieten als früher, um sie zu halten – neben dem Mindestlohn zum Beispiel kühle Getränke auf dem Feld und besser ausgestattete Unterkünfte. Die Bauern hoffen derweil auf eine andere Lösung: Die Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer fordert, den Arbeitsmarkt auch für Saisonkräfte aus Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine und Weißrussland zu öffnen.” Meldung von und bei NDR 1 Niedersachsen vom 29. April 2019 , siehe auch: Start in die Spargelsaison 2019 – IG BAU: Wer arbeitet hat auch Rechte
- Erntehelfer in Deutschland: Sie wollen hier nicht mehr arbeiten [aus guten Gründen]
“… Gajewski jedes Jahr im Frühsommer nach Deutschland kommt, seit 18 Jahren zum selben Hof im Spreewald. Dieses Jahr wird für ihn das letzte Mal gewesen sein. Nach zwei Wochen auf dem Hof, erzählt Gajewski, sei ihm aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. “Ich weiß doch genau, wie viel Spargel in eine Kiste geht”, sagt er, zwischen 16 und 20 Kilo, an guten Tagen sei er auf bis zu 40 Kilo gekommen. Nun standen auf seiner Abrechnung viel niedrigere Kilowerte, teils nur die Hälfte von dem, was er auf dem Feld gestochen hatte. Im Vertrag mit den Arbeitern hatte der Betrieb notiert, die 50 Cent pro Kilo würden nur für “vermarktungsfähigen Spargel” bezahlt. “Das ist doch Betrug am helllichten Tage”, schimpft Gajewski auf Polnisch. Der Landwirt vom Spargelhof verteidigt sein Vorgehen: Er könne nur bezahlen, was er auch verkaufen könne – und im vergangenen Jahr hätten Erntehelfer versucht, Steine in die Kisten zu legen, um auf einen höheren Lohn zu kommen. Daher entscheide er in diesem Jahr erst an der Sortiermaschine, wie viele Kilo abgerechnet werden. Die Berater der Fachstelle Migration und Gute Arbeit in Brandenburg, die Verträge der Arbeiter eingesehen haben, halten die Praxis für rechtswidrig. Das unternehmerische Risiko wird den Erntehelfern aufgebürdet. Vier Monate später auf einem Feld in Nordrhein-Westfalen: Alexandru Mihai*, 18 Jahre alt, wohnt in einem Dorf in Siebenbürgen. Anfang Juni sind er, sein älterer Bruder und andere Bewohner als Saisonkräfte nach Bad Salzuflen in Nordrhein-Westfalen gekommen, wo sie auf einem Hof Erdbeeren ernten wollten. Als Mihai bei seinem Chef für die Vertragsausfertigung im Büro saß, behielt der direkt den Pass ein. Er habe nach dem Grund gefragt, berichtet Mihai. Eine Erklärung habe ihm der Hofbesitzer nicht gegeben. Die Ausweise einzubehalten ist gravierend. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sieht darin ein Indiz für Zwangsarbeit . Denn ohne ihre Dokumente können die Arbeiter nicht weg. Sie sind gewissermaßen gefangen. (…) Mit den Erntehelfern aus den Nicht-EU-Staaten kommen noch weitere Akteure dazu, die am Erntegeschäft mitverdienen wollen. In der Ukraine gibt es längst Firmen, die ihr Geschäft wittern und Studierende den Weg in die deutsche Landwirtschaft lotsen (…) In Belgien und den Niederlanden liegt der Mindestlohn etwas höher als in Deutschland. So lautet zumindest das Versprechen.“ Artikel von Bernd Kramer vom 14.08.2018 in der Zeit online
- IG BAU: Niedrige Löhne verleiden Saisonkräften die Arbeit
„Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) lehnt Abkommen zur Anwerbung von Erntehelfern mit Nicht-EUStaaten entschieden ab. Derzeit häufen sich Rufe von Bauernvertretern nach mehr billigen Arbeitern aus der Ukraine, weil Landwirte angeblich zu wenig Erntehelfer finden. Die IG BAU warnt davor, EU-Wanderarbeiter gegen solche aus Drittstaaten auszuspielen. „In der Landwirtschaft gibt es ausreichend gute Saisonkräfte aus der EU. Es ist irreführend zu behaupten, Erntehelfer aus östlichen EU-Staaten blieben in ihrer Heimat, weil es dort jetzt wirtschaftlich bergauf gehe. Dahinter steht der leicht zu durchschauende Versuch, das Lohnniveau hierzulande dauerhaft niedrig zu halten“, sagte der Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende Harald Schaum. „Dabei ist es ganz einfach, Erntehelfer dauerhaft an sich zu binden. Man muss sie nur vernünftig bezahlen. Betriebe, die ordentlich mit den Saisonarbeitern umgehen, klagen bezeichnenderweise nicht über zu wenig Erntehelfer. Ihre Beschäftigten kommen jedes Jahr gern wieder. Leider gibt es auch Betriebe, die die Kolleginnen und Kollegen schlecht bezahlen und sich wundern, wenn sich das in deren Heimatländern herumspricht. Ihr Ruf ist dort ruiniert. Deshalb wollen sie nun in anderen Ländern Erntehelfer anwerben.“ Die IG BAU ist in diesem Frühjahr gemeinsam mit anderen Organisationen auf die Felder gefahren und hat mit fast tausend Saisonkräften Kontakt gehabt. Bei der Entlohnung gibt es laut deren Aussage deutliche Unterschiede. Der gezahlte Lohn variiere zwischen fünf und 9,20 Euro die Stunde. Der Tariflohn für Erntehelfer beträgt zzt. 9,10 Euro bzw. 9,25 Euro für Beschäftigte, die länger als vier Monate im Betrieb arbeiten. Viele erhalten aber nur den gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde. Dieser sei im Vergleich zu anderen EU-Staaten sehr niedrig und mache Deutschland als Arbeitsort immer unattraktiver, berichteten einige Saisonkräfte, insbesondere weil zudem die Praxis ungerechtfertigter Abzüge für Kost und Logis oder Arbeitsgeräte und Schutzkleidung immer noch verbreitet sei.“Pressemitteilung der IG BAU vom 13.06.2018
- Erntehelfer: Wer rettet die Erdbeeren?
… “Normale Pflücker gibt es viele, aber die Vorarbeiter fehlen uns”, sagt Simon Schumacher vom Verband VSSE, “die guten Leute, die auch mal einen Trupp anleiten können und die bisher viele Jahre in Folge kamen.” Wo sie geblieben sind? “Viele haben Arbeit bei Paketzustelldiensten gefunden oder auf dem Bau”, so weiß Schumacher von den Mitgliedsbetrieben. “Die guten Arbeiter sind nicht nur mobil in den Beinen, sondern auch im Kopf.” Zum einen zahlen die Paketdienste besser, nämlich zwei bis drei Euro mehr pro Stunde im Vergleich zu den 8,84 Euro Mindestlohn auf dem Feld. Zum anderen bedeuten die Jobs in Logistik oder Baubranche eine dauerhafte Beschäftigung – und nicht bloß drei Monate Einkommen im Jahr, wenn gerade Erdbeerzeit ist. Etliche Saisonhelfer aus Polen, Rumänien oder Bulgarien seien diese Saison gar nicht erst zum Dienst angetreten, obwohl sie früher jahrelang auf bestimmten Höfen mitgeholfen hätten und oft schon im Winter Verträge unterzeichneten. Sie hätten stattdessen in ihrer Heimat Arbeit gefunden, wo neuerdings auch die Wirtschaft floriert, sagt Schumacher: “Dort verdienen sie etwas weniger, aber dafür können sie bei ihren Familien bleiben.” Viele Arbeiter sähen so “nicht mehr die Notwendigkeit”, für mehrere Wochen ihr Land zu verlassen, so glaubt der Geschäftsführer Hans Lehar von der Obst- und Gemüseabsatzgenossenschaft Baden. “Dass es in Osteuropa wirtschaftlich bergauf geht, ist sicherlich auch eine Folge der Saisonarbeit “, sagt Schumacher vom Anbauverband VSSE, “nun können sich die Leute daheim selber etwas aufbauen.” … Artikel von Nadine Oberhuber vom 03.06.2018 in der Zeit online
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