Samstag, 11. Mai 2019

Der 9. Mai im Treptower Park bleibt eine politisch heterogene Veranstaltung

Siegesfeier unter Heimatfreunden

Die Spuren des Farbangriffs an der »Mutter Heimat« sind am Donnerstag verschwunden, der Sockel der Statue ist gesäumt von Blumen. Ihr gegenüber hat seit einigen Jahren die russischsprachige Organisation »Wesen der Zeit« ihre Mini-Ausstellung zum Großen Vaterländischen Krieg aufgebaut. Hier werden die Besucher*innen des »Djen Pobjedi« (Tag des Sieges) traditionell mit russischen Heimatliedern beschallt. Viele kaufen hier auch die sogenannten Georgsbänder und befestigen sie gleich an der Kleidung.
Das im Zuge der Ukraine-Krise immer populärer gewordene Band gilt in Russland, wo es viele Menschen in den Tagen um den 9. Mai am Revers tragen, als Zeichen des nationalen Bekenntnisses. Es ist, so steht es zumindest auf den ausliegenden Informationszetteln auf Deutsch und Russisch, ein »Symbol für den Volkswiderstand und den Kampf gegen den aufstrebenden Faschismus«. Gemeint ist das Unabhängigkeitsstreben der Ukraine.
Fast alle der Tausenden Menschen, die sich hier wie jedes Jahr in den Vormittagsstunden des 9. Mai im Treptower Park versammeln, sprechen Russisch miteinander, die Stimmung ist zu dieser Zeit eher andächtig als ausgelassen. Viele Familien und alte Menschen sind gekommen. Ein junges Paar Anfang 20 läuft vorbei, die Frau trägt ein uniformartiges Kostüm, ihr Begleiter in Camouflage hat sich eine russische Nationalflagge um die Schultern gehängt.
Ottilia Liliental ist 17 Jahre alt. »Ich bin hier, weil ich einen deutsch-russischen Youtube-Kanal betreibe und die Leute mich fragen: Wie feiert man in Berlin den 9. Mai?«, sagt sie. Das junge Mädchen blinzelt in die Sonne, die am 74. Tag des Sieges über den Faschismus zwischen den Regenwolken über dem Treptower Ehrenmal durchbricht. Auch ihre Mutter und ihre kleine Schwester sind mitgekommen, mit beiden spricht sie Russisch. »Das habe ich aber erst in der Schule richtig gelernt.«
Wie auch in den letzten Jahren ist nach der offiziellen Kranzniederlegung der Botschaften Russlands und ehemaliger sowjetischer Teilrepubliken am Morgen eine Demonstration der paramilitärisch erscheinenden Bikergruppierung »Nachtwölfe« über die Anlage des Ehrenmals gezogen. In der Berichterstattung haben die »Nachtwölfe« die Traditionsverbände, die über lange Zeit die Feierlichkeiten durch ihre uniformierten Aufzüge prägten, verdrängt.
Insgesamt fiel die Show der nationalistischen Rocker aber kleiner aus als in den vergangenen Jahren: Etwa 200 von ihnen haben sich am Donnerstag versammelt. Flaggen und Motorradkennzeichen verweisen auf die Beteiligung polnischer und serbischer Nationalisten an der demonstrativen Fahrt »von Moskau nach Berlin«, bei der sich die Gruppen abwechseln. In Polizeibegleitung marschieren zwei Dutzend Männer mit Flaggen, die das Porträt des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow zeigen. Auch eine große Gruppe deutscher Rocker in der Kluft der »Wölfe« zieht vorbei.
»Etliche Personen, die sich hier als Teil einer neuen Friedensbewegung inszenieren, sind dem politischen Querfront-Spektrum zuzuordnen«, gibt ein anwesender Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) Auskunft. Dazu gehören Beteiligte von rechten Gruppen wie BÄRgida und »Merkel muss weg«, die unlängst vom Berliner Verfassungsschutz zum festen muslim- und fremdenfeindlichen Spektrum Berlins erklärt wurden. Der Verein »Staatenlos-Info«, der der Reichsbürgerbewegung nahesteht, war dieses Jahr am Treptower Ehrenmal nicht vertreten. Dafür hatte der Thüringer AfD-Abgeordnete Robby Schlundt am Morgen bei der offiziellen Kranzniederlegung seinen Auftritt. Er versuchte, sich mit einem Kranz der AfD-Bundestagsfraktion neben die Vertreter der russischen Botschaft zu drängen. Auch wenn er vom Sicherheitspersonal abgewiesen wurde, hing sein Gebinde am Ende neben dem der Linksfraktion unterhalb der Statue des Soldaten, der das Kind auf dem Arm trägt. »Der Ort ist ideal, um Kindern zu erklären, was Krieg bedeutet« sagt ein Erzieher eines Treptower Kindergartens. Er verbringt den ganzen Tag mit einer Schar von Vier- bis Fünfjährigen am Ehrenmal. Die Kinder haben sich unterhalb der Skulpturen der knienden Soldaten mit Decken und Verpflegung niedergelassen. Vielleicht werden im nächsten Jahr, wenn der 8. Mai in Berlin gesetzlicher Feiertag ist, ihre Eltern mit ihnen hierherkommen.
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