Gerechtigkeit ist vermutlich eines der Themen, die so alt sind, wie es Menschen gibt. Die Frage nach Recht und Unrecht bewegt uns seit Jahrtausenden. Wer hat sich nicht schon ungerecht behandelt gefühlt oder nach seinem »guten« Recht verlangt? Als gut wird dabei häufig nur empfunden, was die eigene subjektive Auffassung bestätigt. Mancher ist dann schnell enttäuscht, wenn das nicht der Fall ist. Der eine oder andere ist gar der Meinung, er müsse nur so lange suchen, bis er den Anwalt gefunden hat, der ihn in der eigenen Position bestärkt. In mehr als 30 Jahren konnte ich von Berufs wegen hier manches beobachten. Auch heute wird schnell mit dem Begriff Rechtsstaat argumentiert, mitunter sogar Staaten danach beurteilt, ob sie ein solcher oder gar ein »Unrechtsstaat« seien. Dabei ist letzterer in keinem Lexikon oder einer Legaldefinition beschrieben.
Die ARD veranstaltet in regelmäßigen Abständen eine Themenwoche. Hier werden, dem jeweiligen Schwerpunkt entsprechend, Sendungen ausgestrahlt und diskutiert. In diesem Herbst war das Thema »Gerechtigkeit« ausgewählt worden. Fürwahr ein weites Feld mit viel Raum für entsprechende Filme, Talk-Shows und ähnliches. Wie immer wurde in besonderer Weise durch entsprechende Werbetrailer auf die bevorstehende Themenwoche hingewiesen. Der Zuschauer sollte gewissermaßen vorbereitet sein auf das, was da zu erwarten war. Der Auftakt erscheint jedoch irgendwie misslungen. Ihn bildete der Film »Für Janina« aus der beliebten Krimireihe »Polizeiruf 110«. Bereits zu Beginn muss man zur Kenntnis nehmen, dass die beiden Hauptakteure – die später ermittelnden Kommissare, strafrechtlich durch ein Gericht zu Geldstrafen wegen versuchter Strafvereitlung im Amt und Körperverletzung verurteilt werden. Wenn man meinen möchte, dass diese das besonders beeindruckt hätte – immerhin rüttelt so etwas eigentlich an ihrer beruflichen Karriere – der wird schnell eines Besseren belehrt. Der alsbald zu bearbeitende Fall erweist sich als besonders schwierig, da der frühere Tatverdächtige bereits vor Jahren durch ein Gericht freigesprochen worden war, weil die vor 30 Jahren zur Verfügung gestandenen Beweismöglichkeiten nicht ausreichten, um ihn zu überführen. Inzwischen war die Wissenschaft weiter vorangeschritten und DNA-Auswertungen an der Kleidung des einstigen getöteten Tatopfers, einer jungen Frau, noch dazu Tochter einer ehemaligen und jetzt pensionierten Polizeikollegin, waren jetzt qualitativ besser. Trotz des strafrechtlichen Grundsatzes ne bis in idem (nicht zweimal in derselben Sache) beginnt nunmehr eine Fülle von Rechtsbrüchen durch die Ermittler. Man versucht, sich unter falschen Vorgaben eine DNA-Probe vom Freigesprochenen zu erschwindeln, die legal – also durch richterlichen Beschluss – nicht zu bekommen gewesen wäre. Als das verweigert wird, »beschafft man sich diese durch Einstieg in den Keller des Verdächtigen. Man »bestellt« ihn zu einem »Gespräch« außerhalb der Dienststelle und führt die Befragung dann wieder wie eine Vernehmung durch mit dem einzigen Ziel, er solle die damalige Tat gestehen, um damit vielleicht doch noch zu einer Wiederaufnahme des alten Verfahrens zu kommen. Den Gefallen tut ihnen der Befragte nicht, und man sucht weiter in der Annahme, es würde noch andere Tötungsfälle geben, die ihm zugeordnet werden können. Dem Befragten wird damit gedroht, das Ergebnis des zwischenzeitlich vorliegenden DNA-Abgleichs seiner Ehefrau und der Presse zuzuspielen. Der Jurist nennt das Nötigung. Der Mutter des Tatopfers werden datengeschützte Informationen zugeleitet, die diese dann prompt verwendet. Die Ermittler stoßen in völlig voreingenommener hektischer Suche auf einen Fall in Hamburg, wo der Betreffende zu der Zeit auch gewesen ist, aber dort war der Tatverdächtige ein anderer und ist auch schon verstorben. In dieser Sache einst sichergestellte Bekleidung wird trotz allem durch Beweisverfälschung mit der DNA des Freigesprochenen kontaminiert, und auf dieser Grundlage wird er verhaftet. Die Polizisten loben ihren Teamgeist und meinen, Anlass zum Feiern zu haben. Hier endet das Erlebnis des Fernsehzuschauers an diesem Themenabend zur Gerechtigkeit.
Beim besorgten Zuschauer aber dürfte ein Eindruck bleiben: Arbeitet die Polizei wirklich so? Wird wissentlich manipuliert, und heiligt der Zweck die Mittel? Ein Teil der Zuschauer wird sich davon vermutlich nicht beeindrucken lassen, aber der Rest? Wir beobachten seit längerem einen Werteverfall, abnehmenden Respekt vor der Arbeit von Polizei und Justiz. Ursachen und Folgen bedingen einander, mangelndes Vertrauen zur Polizei, aggressives Verhalten den Beamten gegenüber und bei manchem vielleicht auch Angst vor dem, was Polizei leisten kann oder nicht kann. Diese Entwicklung wird immer wieder – auch in den Medien – beklagt. Sendungen wie »Für Janina« tragen jedenfalls – besonders in der Themenwoche »Gerechtigkeit« – nicht dazu bei, dem entgegenzuwirken, obgleich das doch so bitter nötig wäre.
Dabei sei am Rande auch daran erinnert, dass die Reihe »Polizeiruf 110« keineswegs eine Erfindung der ARD ist, sondern bereits seit Anfang der 1970er Jahre bis 1990 erfolgreich im DDR-Fernsehen lief. Niemals wäre in dieser Zeit auch nur ein annähernd kriminelles Verhalten eines Polizeiangehörigen Gegenstand einer Verfilmung gewesen, selbst wenn es auch dort zu Rechtswidrigkeiten gekommen sein mag. Warum wohl? Weil Fernsehen immer auch ein wenig Vorbildwirkung beinhalten sollte. Seit Einführung des Privatfernsehens wissen wir leider nur zu gut, dass dieser Maßstab dort oft nicht gilt und dadurch auch billigstem Klamauk die Tür zum Zuschauer geöffnet wird. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen, wozu die ARD nun einmal zählt, sollte einen höheren Anspruch haben.
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