Es ist ein schreckliches Land. Es bietet »ein verheerendes Bild der Menschenrechte«. »Polizei, Justizvollzugsbeamte und vor allem Sicherheits- und Geheimdienste wenden systematisch Folterpraktiken an, insbesondere gegenüber Oppositionellen oder Menschen, die vom Regime als oppositionell eingestuft werden … Folter macht ... auch vor Kindern nicht halt.« Es sind »zahllose Fälle dokumentiert, bei denen einzelne Familienmitglieder, nicht selten Frauen und Kinder, für vom Regime als feindlich angesehene Aktivitäten anderer Familienmitglieder inhaftiert und gefoltert wurden«. Diese »Sippenhaft« kann »bereits bei bloßem Verdacht auf mögliche Annäherung an die Opposition« wirksam werden. Seit 2011 wurden »13.000 bestätigte Todesfälle nach Folter« registriert. Überdies finden »Vergewaltigungen, Folter und systematische Gewalt gegen Frauen von Seiten des …. Militärs und alliierter Gruppen unter anderem an Grenzübergängen, militärischen Kontrollstellen und in Haftanstalten statt«… »Die Zwangsrekrutierung von Kindern zum Militärdienst ist seit 2014 stetig gestiegen.«
Von welchem alptraumartigen, schauderhaften Land ist die Rede? Doch nicht etwa von Saudi-Arabien oder dem Iran? Nein, das wäre ungerecht. Das Land, das ein so »verheerendes Bild der Menschenrechte« bietet, ist selbstverständlich Syrien unter dem Diktator Baschar al-Assad. Nachzulesen sind die Zitate in Medienbeiträgen über einen aktuellen »Lagebericht des Auswärtigen Amts« zur politischen Situation in dem schwer geprüften nahöstlichen Land. Das 28-seitige Dokument wurde von der Bundesregierung als »vertraulich« eingestuft. Die Bundestagsabgeordneten dürfen es lesen, jedoch nicht weiterverbreiten. Dafür sorgen schon die Medien, denen Auszüge aus dem Bericht – offenbar die schönsten – über das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zugespielt wurden.
Der Bericht war Anfang Dezember 2017 von der Innenministerkonferenz angefordert worden, und mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit liegt er jetzt, nach gerade einmal elf Monaten, vor.
Über den gesamten Inhalt des Lageberichts kann nur spekuliert werden. Aber äußerst fraglich ist es, dass darin die Angaben der syrischen Regierung zu finden sind, wonach 3,5 Millionen Menschen in ihre Städte und Dörfer zurückgekehrt sind. Auch dürfte verschwiegen werden, dass mehr als 500.000 Menschen in das schwer zerstörte Ost-Aleppo zurückkehrten. Auch nach Al-Rakka sind laut al-Satari, dem höchsten UN-Repräsentanten in Syrien, 120.000 Menschen zurückgekommen, obwohl Landminen und andere Sprengkörper dort weiterhin eine Gefahr darstellen. Bei den Rückkehrern handelt es sich in der Mehrzahl um Binnenflüchtlinge. Angesichts der Tatsache, dass in Folge des blutigen Krieges mehr als fünf Millionen Syrer ins Ausland, vor allem in die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien sowie nach Europa, geflohen sind und sechs Millionen innerhalb Syriens flüchteten, ist die Zahl der Rückkehrer beachtlich. Es ist ein Zeichen dafür, dass sich in weiten Gebieten des Landes die Lage zu normalisieren beginnt.
In der Bundesrepublik bilden Syrer die drittgrößte Ausländergruppe. Laut dem Statistischen Bundesamt waren es im vergangenen Jahr 699.000 Frauen, Männer und Kinder. Viele von ihnen wollen zurück in ihre Heimat. Das aber ist wahrlich nicht leicht. Angesichts der katastrophalen Situation, wie sie im eingangs erwähnten Lagebericht geschildert wird, verweigern die zuständigen Organe jegliche Hilfe für eine Rückkehr. Mehr noch: In dem Bericht des Auswärtigen Amtes wird ausdrücklich davor gewarnt. Selbst von Abschiebungen straffällig gewordener syrischer Flüchtlinge wird abgeraten, da es weiterhin Kämpfe gebe und das Land von einer Stabilisierung noch weit entfernt sei.
Letzteres ist offenkundig zutreffend. Ungeachtet dessen forciert Damaskus seine Anstrengungen, Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen. Ein Komitee unter Vorsitz des Umweltministers wurde mit dem Auftrag betraut, die »Kontakte mit befreundeten Staaten zu intensivieren, um die Rückkehr zu erleichtern«. Das Komitee soll laut der Nachrichtenagentur Sana aus Vertretern verschiedener Ministerien und staatlicher Organisationen gebildet worden sein, um zu gewährleisten, dass die Rückkehrer »ein normales Leben führen und ihre Jobs wie vor dem Krieg« ausüben können. Sana wertete die Bildung des Komitees als ein Zeichen für »die Rückkehr der Sicherheit« in das Land.
Die Autoren des AA-Lageberichtes sehen das ein wenig anders. Rückkehrern drohe die »Rache des Assad-Regimes«. Es seien Fälle bekannt, »bei denen zurückkehrende Flüchtlinge befragt, zeitweilig inhaftiert wurden oder dauerhaft verschwunden sind«. Rückkehrer müssten mit Haft und willkürlicher Folter rechnen. Doch damit nicht genug. Laut dem Bericht kommen auf zurückkehrende Flüchtlinge »große Gefahren« zu: »Rückkehrer, vor allem solche, die als oppositionell oder regimekritisch erachtet werden, [sind] erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen bis hin zu Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt«.
Summa summarum: Das Amt des Menschenfreundes Heiko Maas rät syrischen Flüchtlingen von einer Rückkehr nach Syrien ab. Diese Haltung steht in einem deutlichen Gegensatz zu den Anstrengungen der schwarz-roten Regierung, möglichst viele Flüchtlinge abzuschieben. Warum wird im Falle der Syrer eine völlig andere Position eingenommen? Liegt es nur daran, dass sich die syrischen Migranten durch ein relativ hohes Bildungsniveau auszeichnen und damit ein Reservoir darstellen, um den in der Bundesrepublik beklagten Fachkräftemangel zu lindern (siehe Ossietzky 18/2017)? Keineswegs. Die Bundesregierung, die immer noch von einem Regime change in Damaskus träumt, weiß nur allzu gut, dass Assad und seine Anhänger jede Hand für den begonnenen Wiederaufbau des unvorstellbar schwer zerstörten Landes benötigen. Vor allem deshalb erschwert sie die Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihre Heimat. Diese Politik ist der Sache nach nichts anderes als ein Bestandteil der gegen Syrien verhängten und immer noch aufrechterhaltenen würgenden Sanktionen. Während sie Syrien auf jede erdenkliche Weise Schaden zufügt, behauptet die Berliner Koalitionsregierung dreist, rückkehrwillige Syrer vor angeblich drohenden Gefahren und damit vor Schaden bewahren zu wollen. Angesichts des formidablen Lageberichts des Auswärtigen Amtes kann es nicht verwundern, dass die vom 28. bis 30. November in Magdeburg stattgefundene Innenministerkonferenz de facto beschlossen hat, den bisherigen Kurs gegenüber abzuschiebenden und rückkehrwilligen syrischen Flüchtlingen fortzusetzen. Bei geflüchteten Afghanen handelt sie völlig anders. Allen realen Gefahren zum Trotz werden sie abgeschoben.
Die Syrer sollten über die Erschwerung ihrer Rückkehr in die Heimat nicht klagen und jammern. Sie dient ausschließlich dem Schutz ihrer Menschenwürde und ihres Lebens. Sie sollten stattdessen dankbar sein, denn schon im alten Rom wusste man: Wahre Freunde erkennt man in der Not.
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