Seit einer gesetzlichen Neuregelung im Schwerbehindertenrecht zum Ende des Jahres 2016 ist die Schwerbehindertenvertretung bei jeder Kündigung eines schwerbehinderten Menschen zu beteiligen. Fehlt die Beteiligung oder ist sie nicht ordnungsgemäß, ist die Kündigung unwirksam. Das Arbeitsgericht Hamburg hat entschieden, dass die Schwerbehindertenvertretung auch zu unterrichten und anzuhören ist, wenn der Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses kündigt.
Die Arbeitnehmerin (Klägerin) war als Projektmitarbeiterin seit Juli 2017 beschäftigt. Sie ist schwerbehindert. Der Arbeitsvertrag enthielt eine Probezeit von 6 Monaten. Ihre Arbeitgeberin (Beklagte) kündigte das Arbeitsverhältnis während der Probezeit: Sie habe trotz Einarbeitung die Arbeitsanforderungen nicht erfüllt.
Bei der Beklagten besteht ein Personalrat und eine Schwerbehindertenvertretung. Herr W ist sowohl Schwerbehindertenvertreter als auch Mitglied des Personalrats.
Ende November 2017 hörte die Beklagte den Personalrat zur Kündigung der Klägerin an. Der Personalrat äußerte Bedenken. Anfang Dezember erhielt die Klägerin die Kündigung zum Jahresende.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung - neu geregelt
Seit dem 30.12.2016 gilt, dass jede Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam ist.
Da diese Neureglung noch nicht lange in Kraft ist, gibt es bislang nur vereinzelte gerichtliche Entscheidungen. Höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt noch nicht vor.
Wie muss die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ablaufen?
- Der Arbeitgeber muss der Schwerbehindertenvertretung die Kündigungsgründe mitteilen.
- Der Schwerbehindertenvertretung ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dafür muss ihr bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung eine Woche Zeit zur Verfügung stehen.
- Die Schwerbehindertenvertretung ist zu unterrichten und anzuhören, bevor der Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt beantragt.
- Der Arbeitgeber muss der Schwerbehindertenvertretung spätestens vor Ausspruch der Kündigung mitteilen, dass er an seiner Kündigungsabsicht festhalten will.
Welche Kündigungsgründe muss der Arbeitgeber mitteilen?
Das Bundesarbeitsgericht hat dazu noch nicht entschieden. Es werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Manche Autoren sind der Meinung, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung weniger umfassend unterrichten muss als den Personalrat oder Betriebsrat. So soll er ihr nur so viel mitteilen müssen, dass Personalrat oder Betriebsrat in der Lage sind zu prüfen, ob die Kündigung im Zusammenhang mit der Schwerbehinderteneigenschaft steht.
Richtigerweise muss der Arbeitgeber aber die Schwerbehindertenvertretung umfassend informieren. Denn nur dann ist sie in der Lage zu beurteilen, ob die vom Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe mit der Schwerbehinderteneigenschaft zusammenhängen.
Fristen für die Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung
Im Gesetz ist keine Frist enthalten. Überwiegend wird aber die Auffassung vertreten, dass hier die gleichen Fristen wie im Falle der Anhörung von Betriebsrat oder Personalrat maßgeblich sind. Will der Arbeitgeber also eine ordentliche Kündigung aussprechen, muss er eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung von einer Woche abwarten.
Muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung noch vor Einschaltung des Integrationsamtes beteiligen?
Will der Arbeitgeber schwerbehinderte Arbeitnehmer*innen entlassen, muss er zuvor die Zustimmung einer Behörde, des sogenannten Integrationsamts, einholen. Unterlässt er das, ist die Kündigung unwirksam.
Es ist bislang durch das Bundesarbeitsgericht noch nicht geklärt, ob der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung beteiligen muss, bevor er sich an das Integrationsamt wendet. Dazu werden unterschiedliche Meinungen vertreten. Einige Autoren lassen es ausreichen, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung erst vor Ausspruch der Kündigung beteiligt, also erst dann, wenn die Zustimmung des Integrationsamtes bereits vorliegt.
Richtigerweise muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung unterrichten und anhören, bevor er das Integrationsamt einschaltet. Denn der Sinn der Beteiligung besteht darin, dass die Schwerbehindertenvertretung noch Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitgebers nehmen kann. Die Entscheidung des Arbeitgebers zu kündigen, ist aber getroffen, wenn er die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt beantragt. Dieser Auffassung ist auch das Landesarbeitsgericht Sachsen in einer aktuellen Entscheidung vom 8.6.2018 (Aktenzeichen: 5 Sa 458/17) gefolgt. Das Verfahren ist beim BAG anhängig.
Beteiligung kann nicht nachgeholt werden
Hat der Arbeitgeber versäumt, die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, kann er das später nicht nachholen. Die Kündigung bleibt unwirksam. Er muss gegebenenfalls ein neues Beteiligungsverfahren zu einer neuen Kündigung einleiten, wenn er an seiner Kündigungsabsicht festhalten will.
Integrationsamt muss in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses nicht zustimmen
Besteht das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, vor Kündigung schwerbehinderter Beschäftigter die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. In diesem Fall muss er das Integrationsamt lediglich vor Ausspruch der Kündigung informieren.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung auch in den ersten sechs Monaten
Diese Ausnahmeregelung bedeutet aber nicht, dass der Arbeitgeber bei einer Kündigung in den ersten sechs Monaten auch die Schwerbehindertenvertretung außen vorlassen könnte. Die gesetzliche Ausnahmeregelung, nach der das Integrationsamt einer Kündigung in den ersten sechs Monaten nicht zustimmen muss, ist auf die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht übertragbar.
Diese Auffassung hat das Arbeitsgericht Hamburg im Fall der klagenden Projektmitarbeiterin vertreten. Außerdem gilt auch für Betriebsrat und Personalrat, dass sie zu beteiligen sind, wenn Arbeitgeber während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses kündigen wollen.
Beteiligung im Fall des Arbeitsgerichts Hamburg unklar
Die Klägerin hat den Prozess im Fall des Arbeitsgerichts Hamburg gewonnen, weil der Arbeitgeber sich unzureichend zu seiner Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung geäußert hat. Er hatte zwar angegeben, dass er sich mit dem Schwerbehindertenvertreter, Herrn W., über die Kündigung der Klägerin neun Minuten am Telefon unterhalten hat. Er konnte aber wohl nicht angeben, über welche Kündigungsumstände er mit Herrn W. konkret gesprochen hatte.
Das Arbeitsgericht sah sich deshalb außerstande festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung stattgefunden hatte.
Beteiligung des Personalrates reichte dem Arbeitsgericht Hamburg nicht
Die Beteiligung von Personalrat und Betriebsrat sind von der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu trennen. Sie müssen unabhängig voneinander durchgeführt werden.
Im Fall des Arbeitsgerichts Hamburg bestand die Besonderheit, dass der Schwerbehindertenvertreter Herr W. gleichzeitig Mitglied des Personalrates war. Der Arbeitgeber trug deshalb vor, dass Herrn W. die Kündigungsumstände aus dem Personalrat bekannt waren. Aber auch dazu reichten dem Arbeitsgericht die Informationen des Arbeitgebers nicht aus. Nur die Mitgliedschaft des Herrn W. im Personalrat belegt - nach Auffassung des Arbeitsgerichts - noch nicht, dass dieser die Informationen aus dem Anhörungsschreiben des Arbeitgebers an den Personalrat tatsächlich kannte.
Klägerin übersteht Probezeit
Da die Kündigung des Arbeitgebers unwirksam ist, könnte der Arbeitgeber sie nur nach einer erneuten Kündigung entlassen. Hat der Arbeitgeber für eine eventuelle neue Kündigung zunächst den Ausgang des Prozesses abgewartet, besteht das Arbeitsverhältnis inzwischen länger als sechs Monate.
Das hat zur Folge, dass neben der Beteiligung von Personalrat und Schwerbehindertenvertretung nunmehr das Integrationsamt der Kündigung vorab zustimmen muss, damit diese wirksam sein kann.
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