Er könnte die Grundlage für eine sachliche innerparteiliche Debatte zum Thema Migration bilden: Der Antrag an den Bundestag, den die Linksfraktion am Dienstagabend mit großer Mehrheit beschlossen hat. Darin wird die Große Koalition aufgefordert, dem UN-Migrationspakt zuzustimmen - und ihn in nationales Recht umzusetzen. Der »Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration« (Global Compact for Migration, GCM) sei ein erster Schritt zum Schutz von Migranten vor ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen.
Zugleich enthält das Papier, das dem »nd« vorliegt, dezidierte Kritik, zum Beispiel an der unzureichenden Benennung der Ursachen für Migration und Flucht im Vertrag. Weiter wird die fehlende Benennung klarer Ziele zu deren Bekämpfung wie die Schaffung eines »gerechten Welthandels« moniert. Darüber hinaus enthält der Antrag eine lange Aufgabenliste für die Bundesregierung. So soll sie endlich die bereits 1990 von der UN-Generalversammlung beschlossene Internationale Konvention zum Schutz der Rechte der Wanderarbeiter unterzeichnen und ratifizieren.
Vor der Abstimmung berichtete unter anderem »Spiegel Online«, der Antrag sei eine Kampfansage an Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Sie hatte am Dienstag gegenüber dem Nachrichtenportal geäußert, der UN-Pakt »idealisiere« Migration.
Tatsächlich haben die Abgeordneten um die migrationspolitische Sprecherin der Fraktion, Gökay Akbulut, den Konsens mit Wagenknecht und ihren Anhängern - deren Zahl auf zehn bis 15 Abgeordnete geschätzt wird - gesucht. So haben sie in ihren Antrag vor der Abstimmung noch Ergänzungen eingearbeitet, die inhaltlich einem Positionspapier von Sevim Dagdelen und Heike Hänsel entlehnt waren. Beide sind Vertraute von Wagenknecht. So werden in dem Antrag nun gleiche Arbeitsbedingungen und gleiches Entgelt für Migrantinnen und Beschäftigte aus den Aufnahmeländern gefordert. Weiter heißt es, der Abwerbung von Fachkräften zu Lasten der Herkunftsländer und zur Bedienung der ökonomischen Interessen der Zielländer müsse entgegengewirkt werden.
Die Fraktionsvorsitzende hatte zuvor insbesondere das Abwerben von Menschen mit guter Qualifikation aus armen Ländern als »eine neue Art neokolonialer Ausbeutung« kritisiert.
Wie die Abgeordnete Kathrin Vogler am Mittwoch im Gespräch mit »nd« berichtete, wurden während der Sitzung weitere Änderungen akzeptiert. Auf mehrheitliche Ablehnung stieß die im Positionspapier von Dagdelen und Hänsel enthaltene Aussage, die LINKE lehne den GCM so lange ab, wie eine Reihe von Forderungen nicht erfüllt seien. Nach kontroverser Debatte auch über weitere Vorschläge wurde am Ende das nochmals modifizierte Papier von Akbulut und Genossen bei lediglich zwölf Enthaltungen und ohne Gegenstimmen beschlossen. Zu denen, die sich enthielten, gehörte Sahra Wagenknecht. Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der bislang immer Einigkeit mit ihr demonstriert hatte, stimmte dafür.
Vogler, die an der Erarbeitung des ersten Antragsentwurfs beteiligt war, sagte dem »nd«, angesichts der Kampagne der AfD gegen den UN-Pakt müsse die LINKE dazu eine klare Position vertreten. Das sei der Beweggrund der Gruppe um Gökay Akbulut gewesen, die Grundlage für das nun beschlossene Papier zu erarbeiten. Es sei nicht um eine Desavouierung der Fraktionsvorsitzenden gegangen. Der LINKE-Antrag wird in der heutigen Bundestagssitzung gemeinsam mit Anträgen der Regierung, der Grünen und der FDP debattiert.
Am Freitagnachmittag findet unterdessen die auf dem Parteitag im Juni beschlossene Klausur von Bundestagsfraktion und Vorstand der LINKEN zum Thema Migration statt. Die Hoffnung der Parteibasis auf eine »Versöhnung« zwischen Fraktions- und Parteiführung wird vermutlich enttäuscht werden. Denn das Verhältnis zwischen den Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch auf der einen Seite sowie Katja Kipping und Bernd Riexinger auf der anderen ist nach wie vor zerrüttet. Wagenknecht kritisiert nach wie vor öffentlich die Forderung nach »offenen Grenzen für alle« im Parteiprogramm und fordert eine Begrenzung von Arbeitsmigration. Weiter erklärt sie die Arbeit der Parteispitze für unzureichend und wirft den beiden Vorsitzenden Intrigantentum vor.
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