Sonntag, 29. Dezember 2019

Ein rechtes Netzwerk ist bis in Polizei, Geheimdienste und Parlamente verknüpft

IMI-Standpunkt 2019/060 - in: analyse & kritik, Nr. 655/2019

Gibt es eine Schattenarmee in der Bundeswehr?

 

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 19. Dezember 2019

 

Seit 2017 tauchen verstärkt Berichte über rechte Umtriebe in der Bundeswehr auf. Spätestens seit November 2018 ist klar, dass wir es hier nicht mit Einzelfällen zu tun haben, sondern dass ein rechtes Netzwerk dahinter steckt, dessen Ausläufer bis in die Polizei, die Geheimdienste und die Parlamente reichen. In diesem Netzwerk gab es Gruppen, die Waffen-, Munitions- und Treibstofflager und außerdem Feindeslisten anlegten. Sie planten die Ermordung politischer Gegner*innen an einem Tag X.
Das Kommando Spezialkräfte (KSK) steht in diesem Zusammenhang zunehmend im Fokus des Militärischen Abschirmdienstes (MAD): Im Sommer war dort auf Druck der Opposition eine eigene Arbeitsgruppe gegründet worden, um rechten Umtrieben bei der Spezialeinheit nachzugehen. Diese lieferte nun erste Ergebnisse.
Es ist bereits seit längerem bekannt, dass sich das rechte Prepper-Netzwerk um verschiedene Chatgruppen und den Verein Uniter formierte, der von ehemaligen Soldat*innen des KSK gegründet worden war.
Chatgruppen
In den Chatgruppen wurden Planungen für den Katastrophenfall, den Tag X, getroffen. Unter anderem kursierte die rechte Verschwörungstheorie, Deutschland stehe vor einer Invasion durch Geflüchtete. In einer der Chatgruppen, der Gruppe Nordkreuz, war sogar die Bestellung von Leichensäcken und Ätzkalk vorgesehen, womöglich um ein Massengrab möglichst schnell verschwinden zu lassen. Und – zumindest in den Gruppen Süd, Ost und Nord – gab es Personen, denen vorgeworfen wird, Anschläge geplant und Feindeslisten angelegt zu haben. Wie mir nun auch die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage[1] bestätigte, wurde in den Chatgruppen die Errichtung von Munitions- und Treibstoffdepots sowie von sogenannten „Safe Houses“, sicheren Rückzugsorten für den Tag X, geplant. Ausgehoben wurde bislang allerdings nur ein einziges Waffendepot: im Garten des ehemaligen SEK-Polizisten Marco G. in Banzkow. Waffen und Munition wurde jedoch auch bei anderen Uniter-Mitgliedern gefunden. Die Antwort auf die Anfrage enthält auch neue Zahlen über die Größe der Chats: Die Chatgruppe Süd hatte 59 Mitglieder, die Chatgruppe Ost hatte 15 Mitglieder und die Chatgruppe Nord hatte 73 Mitglieder. Die Mitgliederzahlen schwankten jedoch im Laufe der Zeit.
Uniter e.V.
Eng verwoben waren die Chatgruppen mit dem Verein Uniter, der mehrere militärtaktische Trainings organisierte und zwei eigene paramilitärische Einheiten aufbaute: die Medical Response Unit und die Defence Unit. Bindeglied zwischen dem Verein und den Chatgruppen ist André S., ein ehemaliger KSK-Soldat. Er war einerseits unter dem Decknamen „Hannibal“ Administrator der Chatgruppen Nord, Ost, Süd, West, Schweiz und Basis sowie andererseits für lange Zeit Vorstand von Uniter. Er leitete paramilitärische Trainings und gab dabei mutmaßlich auch Wissen aus seiner Ausbildung beim KSK weiter. Neben ihm administrierten jedoch noch weitere Uniter-Mitglieder einzelne Chatgruppen des Netzwerks, z.B. Robert P. (ebenfalls KSK-Soldat, Deckname: „Petrus“) und der bereits erwähnte Ex-Polizist Marco G., der nun vor Gericht steht, weil bei ihm u.a. zehntausende Schuss Munition gefunden wurden, die er mit Kollegen aus Polizeibeständen entwendet hatte. Von den Beteiligten wurden Uniter und die Chatgruppen als ein und dasselbe wahrgenommen.[2]
Schattenarmee in der Bundeswehr?
Auffällig ist, dass ein Großteil der Figuren des Hannibal-Netzwerks ehemalige oder aktive Bundeswehrsoldat*innen sind – die Spezialkräfte sind in besonderem Maße betroffen. So sind bzw. waren zentrale Akteure beim KSK: Neben den bereits erwähnten André S. und Robert P. betrifft dies auch den MAD-Mitarbeiter Peter W., der verdächtigt wird, André S. vor Razzien gewarnt zu haben. Auch er war früher beim KSK. Ein weiterer KSK-Soldat, Robert K., war ebenfalls Mitglied in einer der Chatgruppen.
Auffällig ist, dass mehrere Chatmitglieder zu unterschiedlichen Zeiten die Fallschirmsprungausbildung oder die Einzelkämpferausbildung an der Franz-Josef-Strauß-Kaserne in Altenstadt durchliefen, die Teil des Ausbildungszentrums Infanterie in Hammelburg ist. Neben den genannten KSK-Soldaten, für die diese Ausbildung ebenfalls obligatorisch ist, waren dies mehrere Personen: Marco G., der vor seiner Zeit beim SEK Fernspäher und Präzisionsschütze bei der Bundeswehr war, wurde zeitweise in Altenstadt ausgebildet. Auch Franco A., dem die Vorbereitung eines Anschlags unter einer falschen Identität als Syrer vorgeworfen wird, wurde während seiner Einzelkämpferausbildung in Hammelburg festgenommen. Bis 2015 wurde die Einzelkämpferausbildung noch bei Altenstadt durchgeführt. Gegen A. wurde nun nach längerem Hin und Her das Gerichtsverfahren wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat eröffnet. Zuvor hatte ein Versanden der Ermittlungen gedroht, weil dem Oberlandesgericht Frankfurt zufolge trotz Waffen, Munition und Anschlagsplänen nicht erwiesen gewesen sei, dass er „fest entschlossen“ gewesen sei, einen Terroranschlag zu begehen. Franco A. kennt André S. und war in der Chatgruppe Süd. Auch der Neonazi Tobias L. war bis Mitte 2015 in Hammelburg stationiert. 2017 wurde er wegen seiner rechten Einstellung entlassen. Er wurde immer wieder mit Franco A. und einem möglichen Anschlagsplan auf die ehemalige Verteidigungsministerin von der Leyen in Verbindung gebracht.[3] Eine weitere Person, die in Altenstadt ausgebildet wurde und Teil des Hannibal-Netzwerks ist, ist der Neonazi Gerhard H., ein Arzt aus Essen. Er war Mitglied in der Chatgruppe Westkreuz. Außerdem hat er Kontakt zu Thorsten Heise, dem nachgesagt wird, ein führender Funktionär bei der rechten Terrorgruppe Combat 18 zu sein. Auch die AfD ist in den rechten Sumpf in Altenstadt verwickelt: Fritz Zwicknagl, der 1997 wegen der Häufung rechter Umtriebe in Altenstadt als Kommandeur abgesetzt wurde, arbeitet heute im Fachausschuss Verteidigung der AfD. Auch Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz war nach eigener Aussage mehrere Jahre Ausbilder an der Fallschirmjägerschule in Altenstadt.[4]
Altenstadt und Calw: Rechte Hotspots
Dass sich Akteure des Hannibal-Netzwerks verstärkt in Altenstadt und in Calw finden, wo das KSK stationiert ist, ist wohl kein Zufall. An beiden Standorten kam es schon seit Jahren immer wieder zu rechten Skandalen. Beim KSK reichte dies von Hitlergrüßen auf privaten und dienstlichen Feiern über positive Bezüge zur Wehrmacht bis hin zu rechten Drohbriefen. Wie jüngst bekannt wurde, stufte der MAD erneut zwei Neonazis im KSK auch als solche ein: Einer der beiden soll entlassen werden. Zwei weitere stehen im Verdacht, den Hitlergruß gezeigt zu haben. Die Neonazis hatte der MAD bereits seit längerem auf dem Schirm, bezeichnete diese jedoch verharmlosend als „Verdachtsfälle“. Im September hatte das Ministerium das Geheimdienstkontrollgremium in einer ersten Bilanz unterrichtet, das KSK habe sich aktuell zum „Arbeitsschwerpunkt“ des MAD entwickelt, da es dort besonders viele rechte Verdachtsmomente gegeben habe. In Altenstadt wurde schon in den 1990er Jahren der Geburtstag Adolf Hitlers mit nationalsozialistischen Gesängen und Symbolen gefeiert – und es wurde ein Waffenlager auf dem Dachboden gefunden.

Diebstahl von Waffen und Munition
Wie jüngst die von mir gestellte Kleine Anfrage im Bundestag offenbarte, gehören der Diebstahl und das Horten von Waffen in diesen Kasernen leider nicht der dunklen Vergangenheit der 1990er Jahre an, sondern ziehen sich bis heute durch: 2013 wurden in Altenstadt 60 Schuss Munition gestohlen; der Vorfall konnte jedoch nie aufgeklärt werden. 2017 verschwanden erneut 50 Schuss Munition, die aber laut Verteidigungsministerium auf einen Buchungsfehler zurückzuführen seien. Auch beim KSK in Calw verschwanden in den letzten Jahren immer wieder Ausrüstungsgegenstände: u.a. vier Nachtsichtgeräte und zwei Funkgeräte. Eine Häufung dieser Vorfälle lässt sich im Jahr 2017 erkennen, Uniter mit dem Aufbau der paramilitärischen Einheiten begann. Ob es sich dabei um Zufall handelt, muss dringend weiter aufgeklärt werden.
Gemeinnützige Paramilitärs?
Uniter ist als Verein nach wie vor gemeinnützig, d.h. Mitgliedsbeiträge und Spenden können von der Steuer abgesetzt werden – obwohl Uniter daran arbeitet, eine bewaffnete Einheit aufzubauen. Gerade vor dem Hintergrund, dass der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) im November die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, ist dies ein Skandal! Der militaristische Verein Uniter, der in rechte Machenschaften verstrickt ist, wird mit Steuergeldern unterstützt, während die antifaschistische VVN-BdA nun in ihrer Existenz gefährdet ist.

https://www.imi-online.de/2019/12/19/gibt-es-eine-schattenarmee-in-der-bundeswehr/

[1] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Tobias Pflüger u.a. und der Fraktion DIE LINKE. Aktivitäten des Vereins Uniter e.V., BT-Drucksache 19/13893. 19.11.2019.
[2] Taz: Hannibals Verein. 21.12.2018. https://taz.de/taz-Recherche-zu-rechtem-Netzwerk/!5557397/
[3] Spiegel Online: Zwei rechte Offiziersanwärter fristlos entlassen. 31.5.2017. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-uni-zwei-offiziersanwaerter-wegen-rechter-gesinnung-fristlos-entlassen-a-1150148.html; Infoticker Passau: Tobias Lipski: verhinderter Attentäter, rechtsextremer Burschenschafter, AfD-Jungpolitiker, Passauer Student. 23.7.2019. https://www.infoticker-passau.org/node/407
[4] RND: Die rechtsradikale “Kreuz”-Connection und die Bundeswehr. 10.9.2019. https://www.rnd.de/politik/rnd-exklusiv-die-rechtsradikale-kreuz-connection-KXRLVYAEH5CYDIZOLDY6HMVC7Y.html


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