Freitag, 27. Dezember 2019

Antifaschismus »linksextremistisch«? (Renate Hennecke)

Ein Berliner Finanzamt hat der Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) die Gemeinnützigkeit entzogen. Begründung? Weil das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (als einziges bis heute) in seinen halbjährlich erscheinenden Berichten die VVN-BdA als »linksextremistisch beeinflusst« diffamiert. Und weil das Verwaltungsgericht München am 2. Oktober 2014 nicht genug Mumm hatte, der Klage der bayerischen VVN-BdA stattzugeben und das bayerische Innenministerium zur Streichung der diffamierenden Abschnitte zu verdonnern (Berufung gegen das Urteil wurde nicht zugelassen). Und weil die Nennung im VS-Bericht eines einzigen Bundeslandes seit der Novellierung der Bundesabgabenordnung im Jahre 2009 ausreicht, um der betroffenen Organisation bundesweit die Gemeinnützigkeit entziehen zu können (nicht zu müssen).


Von »echtem« und »unechtem« Antifaschismus
Das Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichts von 2014 umfasst 29 Seiten. Neunundzwanzig Seiten, die Auskunft über die Urteilsfähigkeit der beteiligten Juristen geben. Hier soll von den Seiten 24/25 die Rede sein; darin geht es um den zentralen Vorwurf, die VVN-BdA praktiziere eine »kommunistisch orientierte« Form des Antifaschismus, die »nicht nur der Bekämpfung des Rechtsextremismus [dient]; vielmehr werden alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potentiell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt«. Jahr für Jahr wird dieser Unsinn vom Verfassungsschutz (VS) behauptet, Belege dafür werden nicht geliefert, können nicht geliefert werden, weil es sie nicht gibt. Statt diese Tatsache anzuerkennen, konstruiert das Gericht eine eigene Interpretation. Es befindet, schon die Feststellung, dass bürgerliche Demokratie und Faschismus verschiedene Ausprägungen des Kapitalismus sind und ein Übergang von ersterer zur faschistischen Diktatur möglich ist, sei Kennzeichen einer »kommunistisch orientierten« Faschismus-Theorie und mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. »Folgerichtig« führten nämlich »danach nur die Abschaffung des Kapitalismus und die damit verbundene Überwindung aller Klassengegensätze zur Abschaffung des Faschismus«. Echter Antifaschismus müsse nach dieser Theorie bei der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ansetzen. Wohlgemerkt: Diese Schlussfolgerung hat das Gericht gezogen. Die VVN-BdA unterscheidet nicht zwischen echtem und unechtem Antifaschismus. Sie achtet jedes antifaschistische Engagement.


Der Kalte Krieg noch immer nicht vorbei?
Als Kronzeugen für die vom VS erkannte, angeblich einzig mögliche Konsequenz der unterstellten Theorie führt das Gericht den 2016 verstorbenen Historiker und Ossietzky-Autor Kurt Pätzold an, der beim Bundeskongress 2011 der VVN-BdA in einem Referat ausgeführt habe, die faschistische Diktatur sei »eine der denkbaren, möglichen und verwirklichten Ausprägungen bürgerlicher Herrschaft«. (Wer wollte das bestreiten? Höchstens Erika Steinbach, Chefin der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, die die NSDAP schon mal als linke Partei verkaufen wollte.) Pätzold habe weiter gesagt: »Eine Ausprägung neben anderen: der konstitutionellen Monarchie, der parlamentarischen Republik oder auch dieser oder jener Form autokratischer Herrschaft. In welcher Form die bürgerliche Gesellschaft ihren staatlichen Rahmen findet, hängt nicht in erster Linie von Überzeugungen ab, wiewohl die beim Handeln der Menschen immer im Spiele sind, sondern davon, welche von ihnen den in der Gesellschaft dominierenden Interessen und deren Verfechtern dient, sie fördert und sie womöglich auch sichert.« Warum die Bekämpfung aller Formen der bürgerlichen Herrschaft (einschließlich der parlamentarischen Demokratie) die einzig mögliche Konsequenz aus dieser Analyse sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Das Gericht aber fühlt sich durch dieses »spezifische Verständnis« von »'Antifaschismus' der DKP und in der VVN« an den »'Antifaschismus' als Staatsdoktrin der ehemaligen DDR« erinnert, wonach alle nicht-marxistischen Staaten, also auch die BRD, »faschistisch« gewesen seien. In den Köpfen der Richter ist, so muss man schließen, der Kalte Krieg noch immer nicht vorbei – oder er fängt gerade wieder an ... Auf keinen Fall anerkennen will das Gericht jedenfalls, dass die VVN-BdA eine überparteiliche, überkonfessionelle Organisation ist, in der Menschen mit verschiedenen Auffassungen und Weltanschauungen ihren Platz haben. Dass Kommunisten dabei sind, ergibt sich schon aus der Rolle, die sie im Widerstand während der NS-Zeit gespielt haben.


Eine hanebüchene Diffamierung
Für die VVN-BdA ebenso wie für andere antifaschistische Organisationen mit angeblich demselben »spezifischen Verständnis« sei, so befindet das Gericht mit Blick auf das Engagement vieler Tausend Menschen, »die Bekämpfung des Rechtsextremismus lediglich eine vordergründige Aktivität«. Die Parole »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!« erscheine in diesem Zusammenhang in einem anderen Licht. Sie diene »schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen«. Dabei nähmen die genannten Gruppen »die Deutungshoheit darüber, was unter ›Faschismus‹ zu verstehen ist, … für sich in Anspruch«. Das Gericht schließt sich der Auffassung des bayerischen Innenministeriums an, die Verwendung der Parole »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen« sei Ausdruck »fehlende[r] Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte«.

Das ist so hanebüchen, dass man gegen eine Entscheidung, die auf einem solchen VS-Bericht und einem solchen Urteil basiert, gar nicht laut genug protestieren kann.

Die Petition »Die VVN-BdA muss gemeinnützig bleiben!« kann online unterzeichnet werden. Seit dem 23. November haben bereits 19.922 Personen die Petition unterschrieben (Stand 9.12.). https://www.openpetition.de/petition/online/die-vvn-bda-muss-gemeinnuetzig-bleiben.

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