Dienstag, 27. November 2018

Prozess gegen Vorsitzenden der »Falken« in Bayern, weil er Polizisten bestohlen und verletzt haben soll. Gespräch mit Nico Schreiber

»Schon die Idee ist widersinnig«


Interview: Gitta Düperthal
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Stein des Anstoßes: Demonstration von rund 60 Organisationen gegen das bayerische Integrationsgesetz in München (22.10.16)
Nico Schreiber ist Vorsitzender der SJD (Sozialistische Jugend Deutschlands) – Die Falken in Nürnberg
Prozess am heutigen Dienstag, 9 Uhr, Amtsgericht München, Raum A 224
Am heutigen Dienstag findet vor dem Amtsgericht München der Prozess gegen Simon Mirwald, den Landesvorsitzenden der »Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken« in Bayern, statt. Ihm wird vorgeworfen, bei einer Demo gegen das sogenannte Integrationsgesetz in München schweren Raub und Körperverletzung begangen zu haben. Was geschah damals Ihrer Kenntnis nach?
Knapp 2.000 Menschen hatten am 22. Oktober 2016 gegen den Sonderweg eines eigenen Inte­grationsgesetzes der bayerischen Staatsregierung protestiert. Die Polizei ging dabei gewaltsam gegen Teilnehmer vor und versuchte, unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray Transparente zu beschlagnahmen. Etwa 50 Demons­trierende wurden dabei verletzt. Es gab Festnahmen, unter anderem die von unserem Landesvorsitzenden Simon Mirwald. Später wurde ihm vorgeworfen, das Pfefferspray eines Polizisten geklaut und den Beamten verletzt zu haben. Wir kritisieren diese Anklage als Zeichen der voranschreitenden Kriminalisierung von linkem politischen Engagement. Wer Simon kennt, weiß, wie absurd solch ein Vorwurf gegen seine Person ist. Allein die Idee, unser Landesvorsitzender habe einen nahkampferprobten, gepanzerten Polizisten bestohlen und verletzt, ist widersinnig.
Wie kam es zu dem Vorwurf?
Das fragen wir uns auch. Aus unserer Sicht ist all das völlig unglaubwürdig. Leider häufen sich solche Fälle. Erfahrungsgemäß dienen Anzeigen dieser Art oft dazu, einen unverhältnismäßigen oder schiefgelaufenen Polizeieinsatz im Nachhinein zu rechtfertigen. Häufig decken sich Beamte gegenseitig als Zeugen, um sich so die Deutungshoheit vor Gericht zu sichern. Ein gerechter und fairer Prozess wird damit schwierig, es entsteht ein Ungleichgewicht bei der Beweisführung im Gerichtssaal.
Mir persönlich ist es schon ähnlich ergangen. Bei einer Sitzblockade am 31. Mai 2017 an einer Berufsschule in Nürnberg, mit der die Abschiebung eines jungen Afghanen verhindert werden sollte, wurde ich von Einsatzkräften auf den Boden geworfen und geknebelt. Monate später wurde ich wegen Körperverletzung angeklagt. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte einen Polizisten angegriffen.
Wurde Ihrer Meinung nach der Landesvorsitzende gezielt herausgesucht?
Meiner Einschätzung nach war es keine gezielte Repression gegen unseren Verband, sondern Zufall. Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft hatten wohl auf dem Schirm, dass sie ausgerechnet unseren Landesvorsitzenden im Visier haben. Klar ist in unserem Fall: Wir sind gut organisiert und solidarisch miteinander. Aus unserer Sicht sollen solche Vorwürfe davon abschrecken, Widerstand zu leisten. Der ist aber notwendig, wenn es etwa gegen Gesetze wie das Integrationsgesetz, das Psychiatriehilfegesetz und das Polizeiaufgabengesetz geht. Wir wollen in einer freien und friedlichen Gesellschaft leben.
Was kritisieren Sie an diesen Gesetzen?
Alle drei Gesetze dienen dazu, in Bayern Personen mit Sanktionen zu belegen, die tendenziell kritisch sind oder sich nicht reibungslos in die kapitalistische Gesellschaft einreihen lassen. Beabsichtigt ist, dass damit bei den Menschen ankommt: Psychisch Kranke, Flüchtlinge oder auch Linke sind potentielle Gefährder.
Nehmen wir das Integrationsgesetz in Bayern als Beispiel. Es ist nicht etwa verabschiedet worden, um Integration, so wie wir sie verstehen würden, zu erleichtern. Es richtet sich gegen Flüchtlinge und Migranten. Sogar anerkannte Flüchtlinge unterliegen dadurch weitreichenden Auflagen: von der Beibehaltung des Wohnortes über dessen Zuweisung bis hin zum Verbot, eine Wohnung in einem bestimmten Ort anzumieten. Weiterhin sollen diese Menschen besonders prekär arbeiten. Für Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch läuft, sollen gemeinnützige Jobs geschaffen werden, ähnlich der Ein-Euro-Jobs für Hartz-IV-Bezieher. Sie sollen allerdings nur 80 Cent in der Stunde erhalten.
Meinen Sie, dass der Widerstand insgesamt noch Erfolg haben kann?
Es ist niemals zu spät, sich zu wehren; selbst wenn die Gesetze schon verabschiedet sind. Es wird nur schwerer, dagegen anzugehen. Darauf müssen wir uns vorbereiten.

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