Offen für Geschäfte
Von Knut Mellenthin
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Opfer von US-Aggression: Verwundeter Junge nach Luftangriff in der afghanischen Provinz Helmand (28.11.2018)
Foto: Stringer/REUTERS
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Von der Wirklichkeit eingeholt: Am zweiten Tag einer internationalen Afghanistan-Konferenz in Genf töteten US-amerikanische Kampfflieger am Mittwoch in der Provinz Helmand mindestens 30 Zivilpersonen, darunter 16 Kinder und mehrere Frauen. Die genaue Zahl der Opfer stand zunächst nicht fest, weil einige Tote und Verletzte noch unter Trümmern begraben waren.
Der Vorfall wurde vom Provinzgouverneur bestätigt. Nach seiner Darstellung hatten Regierungstruppen Luftunterstützung angefordert, nachdem sie von mutmaßlichen Aufständischen beschossen worden seien. Sie hätten nicht gewusst, dass sich im Zielgebiet auch Zivilisten befanden. Dass der Bezirk Garmsir, in dem sich das Massaker ereignete, als eine »Hochburg der Taliban« gilt, ist allerdings bekannt. Daher ist davon auszugehen, dass die Regierungstruppen dort nicht zufällig in eine Schießerei gerieten, sondern Teil einer Angriffsoperation waren.
Die USA haben in den vergangenen Jahren ihre Luftangriffe in Afghanistan verstärkt. Nach Angaben der US-Luftwaffe wurden von Januar bis September des laufenden Jahres 5.213 Bomben und Raketen abgeworfen oder abgeschossen. Das waren bereits mehr als im ganzen Vorjahr: 2017 wurden bei Luftangriffen 4.361 Geschosse verschiedener Art eingesetzt. Die Höchstmarke wurde 2011 mit 5.411 erreicht. In den folgenden Jahren war die Zahl kontinuierlich bis auf 947 im Jahre 2015 gesunken und seither sprunghaft wieder angestiegen.
Auf der am Dienstag eröffneten zweitägigen Afghanistan-Konferenz in Genf war von der militärischen Realität nicht die Rede. In Anwesenheit von Hunderten Teilnehmern, die unter anderem 61 Staaten und 35 internationale Organisationen, aber auch private Wirtschaftsinteressen repräsentierten, wurde vor allem über Geld gesprochen. Nach Afghanistan sind in den vergangenen Jahren Milliarden US-Dollar an Zuschüssen geflossen, weitere Milliarden werden für die kommenden Jahre benötigt. Als Voraussetzung dafür muss die Regierung in Kabul jedoch Erfolge vorweisen. Andererseits verstehen alle Beteiligten, dass man nicht an den Hilfsgeldern herumkürzen kann, ohne die Misere noch weiter zu vergrößern. Daraus resultierten die ausgewogenen, bewusst oberflächlich gehaltenen Formulierungen in den Konferenzreden und im gemeinsamen Schlusskommuniqué: Bei der Bekämpfung der Korruption und der Armut, im Ringen um die Stärkung der gesellschaftlichen Stellung der Frauen und bei der Umsetzung diverser anderer »Reformen«, wie etwa der Privatisierung der Wirtschaft, seien bedeutende Fortschritte erreicht worden, aber viel bleibe dennoch zu tun.
Präsident Aschraf Ghani erzählte den Konferenzteilnehmern, was sie hören wollten: Das heutige Afghanistan sei »offen für Geschäfte« und konzentriere sich auf den Aufbau einer freien Marktwirtschaft. Das Land besitze Naturressourcen im Wert von einer Billion US-Dollar. Durch neue Gesetze über den Abbau von Bodenschätzen habe man in Kabul »endlich die stabilen politischen Voraussetzungen geschaffen, die für Investitionen erforderlich sind«. Die geographische Lage des Landes »am Schnittpunkt von Süd-, Mittel- und Westasien mit einem potentiellen Markt von vier Milliarden Menschen« werde in den kommenden 50 Jahren »reines Gold« wert sein.
Ghani gab zudem bekannt, dass seine Regierung ein »Verhandlungsteam« für Gespräche mit den Taliban gebildet habe, unter dessen zwölf Mitgliedern auch Frauen sind. An der Spitze des Teams steht der Büroleiter des Präsidenten, Salam Rahimi. Unterstützt wird er von einer großen Gruppe von »Friedensberatern«, die in neun Ausschüsse gegliedert ist. Praktisch wird damit der »Hohe Friedensrat« bedeutungslos, den Ghanis Vorgänger Hamid Karsai im September 2010 eingerichtet hatte. Ihm gehören auch mehrere ehemalige Taliban-Politiker an.

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