Die
Nachricht vom Tode Helmut Schmidts weckt Erinnerungen. Die früheste:
Ende 1959 in West-Berlin. Studentenkongress gegen atomare Aufrüstung.
Die kluge Ulrike Meinhof begründet unsere Anträge so überzeugend, dass
Helmut Schmidt als Gegenredner immer blasser wird und dann entnervt den
Saal verlässt, die Tür schlagend.
Die eigenste: fast zwei Jahrzehnte später in Bonn, Bundeskanzleramt. Die SPD-geführte Bundesregierung hatte wiederholt die »innere Pressefreiheit« angekündigt, schon 1969 in Willy Brandts erster Regierungserklärung. Kurz gesagt ging es darum, dass wir Journalisten Mitbestimmungsrechte erhalten sollten, die der sogenannte Tendenzparagraph im Betriebsverfassungsgesetz uns wie auch den Beschäftigten kirchlicher Betriebe vorenthielt. Vor allem sollten Verleger uns nicht mehr vorschreiben dürfen, ob und wie wir über einzelne Themen berichten. Bei Einstellung und Entlassung von Chefredakteuren sollte die Redaktion an der Entscheidung beteiligt werden. Das waren bescheidene Reformwünsche gemessen an der revolutionären Forderung »Enteignet Springer!«, für die 1968 auch ich demonstriert hatte.
Doch dann geschah nichts: Weder die Regierung noch die Koalitionsparteien legten einen Gesetzentwurf vor. 1973 wiederholte Brandt in seiner Regierungserklärung die Zusage von 1969, doch er tat weiterhin nichts, um sie zu verwirklichen. Sein Nachfolger Helmut Schmidt sagte in der Regierungserklärung, mit der er sein Amt antrat, die Regierung lasse den Tarifparteien noch zwei Jahre Zeit, selber eine Lösung zu finden. Wenn das nicht gelinge, werde sie für eine gesetzliche Lösung sorgen.
Als die beiden Jahre vergangen waren, ohne dass die Verlegerverbände Zugeständnisse gemacht hätten, lud Kanzler Schmidt beide Seiten an den ovalen Kabinettstisch. Regierungssprecher Klaus Bölling begrüßte mich an der Tür mit solcher Herzlichkeit, wie sie sonst vielleicht einem afrikanischen Gast zuteil wird, dem man für Öl oder Diamanten Glasperlen und Waffen bietet. Geradezu entzückt rief er: »Ah, unser linkes Gewissen von der Leine!«, womit er das Flüsschen meinte, das sich durch meinen damaligen Wohn- und Arbeitsort Hannover schlängelt. Ich entschied mich, Böllings Bemerkung nicht etwa als Kompliment aufzufassen.
Dann hielt Schmidt einen langen Vortrag über alles und nichts, dem mit Mühe zu entnehmen war, dass er nicht im Traum daran dachte, sich bei Springer und anderen Verlegern mit »innerer Pressefreiheit« unbeliebt zu machen. Einige Journalisten-Vertreter waren aber sichtbar stolz, dass sie mal auf Ministersesseln sitzen durften und dass sich der Kanzler viel Zeit für uns nahm. Für uns? Das Gegenteil wäre ihnen niemals in den Sinn gekommen. Diskussion war nicht ernsthaft vorgesehen.
Am folgenden Tag berichtete mir der Geschäftsführer der Deutschen Journalisten-Union (DJU), deren Vorsitzender ich damals war, ein leitender Beamter des Bundespresseamts habe an höherer gewerkschaftlicher Stelle angerufen: Dem Bundeskanzler sei unangenehm aufgefallen, dass ich bei der Zusammenkunft »mokant gelächelt« hätte.
Indem ich das erzähle, frage ich mich plötzlich: Warum habe ich angesichts dieser Inszenierung mit siegessicheren Verlegern, statt nur mokant zu lächeln, nicht auf den berühmten ovalen Tisch gehauen?
Hinzuzufügen ist: Der Tendenzparagraph besteht immer noch; er wurde zudem ins Mitbestimmungsgesetz aufgenommen. In den meisten Stadt- und Landkreisen Deutschlands erscheint jetzt nur mehr eine einzige Tageszeitung. Diese Monopolblätter sind größtenteils im Besitz eines der wenigen verbliebenen, immer mächtiger gewordenen, inzwischen auch ins Radio und Fernsehen eingedrungenen und ins Internet eindringenden Medienkonzerne; ihre Tendenz ist im Wesentlichen die gleiche: für die freie Marktwirtschaft, den freien Wettbewerb (von dem sie selber verschont bleiben wollen), für die Treue zu den USA, für militärische Verantwortung Deutschlands weltweit, für die Verharmlosung des Faschismus, den man gar nicht mehr so nennen, sondern verharmlosen und verschweigen soll, bis es ihn nie gegeben zu haben scheint. Und Springers Bild hetzt und hetzt.
Was kann ein Bundeskanzler gegen diese Macht ausrichten? Er müsste mehr aufbringen als den Mut, mal auf den Tisch zu hauen. Der zeitweilige britische Premierminister Tony Blair sagte später vor einem Parlamentsausschuss, er habe sich bewusst nie mit den Medienkonzernen angelegt – schon aus Sorge um seine Familie.
Die eigenste: fast zwei Jahrzehnte später in Bonn, Bundeskanzleramt. Die SPD-geführte Bundesregierung hatte wiederholt die »innere Pressefreiheit« angekündigt, schon 1969 in Willy Brandts erster Regierungserklärung. Kurz gesagt ging es darum, dass wir Journalisten Mitbestimmungsrechte erhalten sollten, die der sogenannte Tendenzparagraph im Betriebsverfassungsgesetz uns wie auch den Beschäftigten kirchlicher Betriebe vorenthielt. Vor allem sollten Verleger uns nicht mehr vorschreiben dürfen, ob und wie wir über einzelne Themen berichten. Bei Einstellung und Entlassung von Chefredakteuren sollte die Redaktion an der Entscheidung beteiligt werden. Das waren bescheidene Reformwünsche gemessen an der revolutionären Forderung »Enteignet Springer!«, für die 1968 auch ich demonstriert hatte.
Doch dann geschah nichts: Weder die Regierung noch die Koalitionsparteien legten einen Gesetzentwurf vor. 1973 wiederholte Brandt in seiner Regierungserklärung die Zusage von 1969, doch er tat weiterhin nichts, um sie zu verwirklichen. Sein Nachfolger Helmut Schmidt sagte in der Regierungserklärung, mit der er sein Amt antrat, die Regierung lasse den Tarifparteien noch zwei Jahre Zeit, selber eine Lösung zu finden. Wenn das nicht gelinge, werde sie für eine gesetzliche Lösung sorgen.
Als die beiden Jahre vergangen waren, ohne dass die Verlegerverbände Zugeständnisse gemacht hätten, lud Kanzler Schmidt beide Seiten an den ovalen Kabinettstisch. Regierungssprecher Klaus Bölling begrüßte mich an der Tür mit solcher Herzlichkeit, wie sie sonst vielleicht einem afrikanischen Gast zuteil wird, dem man für Öl oder Diamanten Glasperlen und Waffen bietet. Geradezu entzückt rief er: »Ah, unser linkes Gewissen von der Leine!«, womit er das Flüsschen meinte, das sich durch meinen damaligen Wohn- und Arbeitsort Hannover schlängelt. Ich entschied mich, Böllings Bemerkung nicht etwa als Kompliment aufzufassen.
Dann hielt Schmidt einen langen Vortrag über alles und nichts, dem mit Mühe zu entnehmen war, dass er nicht im Traum daran dachte, sich bei Springer und anderen Verlegern mit »innerer Pressefreiheit« unbeliebt zu machen. Einige Journalisten-Vertreter waren aber sichtbar stolz, dass sie mal auf Ministersesseln sitzen durften und dass sich der Kanzler viel Zeit für uns nahm. Für uns? Das Gegenteil wäre ihnen niemals in den Sinn gekommen. Diskussion war nicht ernsthaft vorgesehen.
Am folgenden Tag berichtete mir der Geschäftsführer der Deutschen Journalisten-Union (DJU), deren Vorsitzender ich damals war, ein leitender Beamter des Bundespresseamts habe an höherer gewerkschaftlicher Stelle angerufen: Dem Bundeskanzler sei unangenehm aufgefallen, dass ich bei der Zusammenkunft »mokant gelächelt« hätte.
Indem ich das erzähle, frage ich mich plötzlich: Warum habe ich angesichts dieser Inszenierung mit siegessicheren Verlegern, statt nur mokant zu lächeln, nicht auf den berühmten ovalen Tisch gehauen?
Hinzuzufügen ist: Der Tendenzparagraph besteht immer noch; er wurde zudem ins Mitbestimmungsgesetz aufgenommen. In den meisten Stadt- und Landkreisen Deutschlands erscheint jetzt nur mehr eine einzige Tageszeitung. Diese Monopolblätter sind größtenteils im Besitz eines der wenigen verbliebenen, immer mächtiger gewordenen, inzwischen auch ins Radio und Fernsehen eingedrungenen und ins Internet eindringenden Medienkonzerne; ihre Tendenz ist im Wesentlichen die gleiche: für die freie Marktwirtschaft, den freien Wettbewerb (von dem sie selber verschont bleiben wollen), für die Treue zu den USA, für militärische Verantwortung Deutschlands weltweit, für die Verharmlosung des Faschismus, den man gar nicht mehr so nennen, sondern verharmlosen und verschweigen soll, bis es ihn nie gegeben zu haben scheint. Und Springers Bild hetzt und hetzt.
Was kann ein Bundeskanzler gegen diese Macht ausrichten? Er müsste mehr aufbringen als den Mut, mal auf den Tisch zu hauen. Der zeitweilige britische Premierminister Tony Blair sagte später vor einem Parlamentsausschuss, er habe sich bewusst nie mit den Medienkonzernen angelegt – schon aus Sorge um seine Familie.
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