Repression gegen linke Bewegung
Am frühen Freitag morgen haben bewaffnete »Antiterrorkommandos« in mehreren Städten der Türkei die Wohnungen von Mitgliedern der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP) und der Föderation der sozialistischen Jugendverbände (SGDF) gestürmt. 18 Menschen wurden bei der Razzia festgenommen. Bisher war es den Verhafteten verwehrt, mit ihren Anwälten zu sprechen. Unklar ist, was ihnen vorgeworfen wird.Unter den Verhafteten sind mehrere Überlebende der Anschläge von Suruc und Ankara. Bei dem Attentat in der Grenzstadt Suruc hatte ein Selbstmordattentäter am 20. Juli 33 Mitglieder der SGDF getötet. Die jungen Sozialisten wollten in das nahegelegene Kobane fahren, um dort beim Wiederaufbau des fast vollständig zerstörten Orts zu helfen. Auch bei dem Bombenanschlag am 10. Oktober in Ankara kam ein SGDF-Mitglied ums Leben, andere wurden zum Teil schwer verletzt.
Die Repression des türkischen Staates richtete sich gegen diejenigen Kräfte, die entschieden gegen den in der Türkei und den arabischen Ländern als »Daesch« bezeichneten »Islamischen Staat« vorgehen und die Zusammenarbeit der Terrororganisation mit der Regierung in Ankara öffentlich machen. Vor allem betroffen sind Aktivisten der linken sowie der kurdischen Bewegung. Gezielt werden die oft traumatisierten Überlebenden des Massakers von Suruc kriminalisiert. Die Angehörigen der Opfer vermuten dahinter eine Strategie: »Diejenigen, die sie nicht ermordet haben, werden jetzt verhaftet.«
Unter den am Freitag Verhafteten sind Fethiye Ok und Soner Cicek, zwei führende Mitglieder der ESP in Diyarbakir. Ende Oktober empfingen die beiden Aktivisten im Büro der ESP in der südosttürkischen Stadt eine Delegation, die die Parlamentswahl am 1. November beobachtete. An den Wänden der Räumlichkeiten hingen Portraits der Opfer der Attentate von Suruc und Ankara sowie Bilder von Freiwilligen, die in Kobane an der Seite der kurdischen Guerilla kämpfen.
Fethiye, die selbst in Suruc schwer verletzt worden war und erst seit einem Monat wieder laufen kann, berichtete im Oktober, dass es ihr nicht möglich war, den schrecklichen Anschlag von Suruc zu verarbeiten. Die Ereignisse folgten Schlag auf Schlag. Eine andere Aktivistin, die beide Attentate überlebte, erklärte: »Es ist klar, dass die imperialistischen Mächte nicht wollten, dass wir den Kindern ihrer Feinde – den Kindern Kobanes – ein Lächeln schenken«. Weiter sagte sie, dass die SGDF ihre Arbeit trotz der Anschläge vorgesetzt habe. »Wir planen eine Kampagne, bei der 33 unserer Genossen an Stelle derer, die in Suruc ermordet wurden, nach Kobane gehen, um dort beim Wiederaufbau zu helfen.«
Eine andere Aktivistin sagte bei der Zusammenkunft im Oktober, dass für sie das Überleben des Anschlags einen Auftrag darstelle. Es gehe darum, den Kampf der Ermordeten fortzusetzen und sich dafür einzusetzen, dass die Mörder und ihre Hintermänner zur Rechenschaft gezogen werden. Der türkische Staat versucht dies, mit allen Mittel zu verhindern. Mit der aktuellen Verhaftungswelle geht Ankara unerbittlich gegen die linken Gruppen vor.
Der Hintergrund der Verhaftungen dürfte die angebliche Nähe der ESP zur kommunistischen Untergrundorganisation Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) sein. Die MLKP bekannte sich in der Vergangenheit zu bewaffneten Aktionen. Aktuell kämpfen Anhänger der Partei in Rojava an der Seite der kurdischen Milizen gegen Daesch. Auch internationale Unterstützung wird von der MLKP organisiert. Bekannt wurde unter anderem die im März bei Kämpfen ums Leben gekommene Ivana Hoffmann aus Duisburg.
Der Autor hat für die Rosa-Luxemburg-Sitftung die türkischen Parlamentswahlen beobachtet
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