Dienstag, 1. Januar 2019

Haut echt rein! Philosophisches zum neuen Jahr

Substanz und Importanz


Von Jürgen Roth
Édouard-Henri_Avril_(19) Kopie.jpg
»Warum huldigest du, heiliger Sokrates, / Diesem Jünglinge stets?« Sokrates und Alcibiades,Illustration von Édouard-Henri Avril, 1860
Nachdem die Vorsokratiker, insbesondere Parmenides und sein sehr harter Widersacher Heraklit, der stark zur sprachlichen Verdunkelung und vorauseilend zu möglicherweise fast ähnlichen Meinungen wie jenen eines Botho Strauß und anderer Kracher tendierte, die gängige Ansichten zur planen wie planlosen Verfasstheit der Welt und des Seins insgesamt durch haltloses Gerede zu unterminieren (auch: zu erschüttern) versucht hatten, griff erst mal Platon durch und kam mit dem Höhlengleichnis dahermarschiert und brachte ein wenig Licht in, wir sagten es, die ganze Angelegenheit namens Sein und Welt (Ruhe, Bewegung und so fort).
Soweit, so gut, Hut ab. Keine schlechte Performance.
Daraufhin meinte allerdings Aristoteles, ein überaus überschätzter und wohlgemerkt unzuverlässiger Mann, die Kategorien und/oder Grundbegriffe in ontologischer und metaphysischer Hinsicht in eine windschiefe oder eher windige »Lehre« gießen und dergestalt ein für allemal Ordnung schaffen zu müssen; mithin die ewigen, aus nichts und noch mal nichts ableitbaren Prinzipien des Seins und geradezu aller »Weltheit« (Michael Tetzlaff) schlechthin auf einem Butterbrotpapier notieren zu müssen, auf dem rasch solche Scherze wie »Substanz« und »Quantität«, »Qualität«, »Relation« sowie sechs weitere Akzidenzien zu finden waren.
Ei der Daus! Das saß! Aber hallo!
Ein wahrer Hammer, gewiss. Ein Schock, der echt reinhaute. Daher kam anschließend die Journalistik, Quatsch: die Scholastik überhaupt nicht recht weiter, auch die Kirchenväter und ein wenig später die Empiristen, diese Knallköpfe vom englischen Eilande, und die narrischen Rationalisten aus Frankreich (Paris!) sahen kein Land, Mensch Meier, großer Gott, hilf!
Es war dann aber unser »Star« (Ga la) in Ostpreußen, I. Kant, der Remedur schaffte und wuchtig auf den Putz schlug; dergestalt es sich nämlich fortan bei diesen komischen Kategorien um Denkbestimmungen (man merke sich das Wort »Denkbestimmungen«, es soll zu niemandes Schaden sein!) a priori (vor aller Erfahrung! Geiler Schachzug!) handele. Kurz: um die Messer und Gabeln des Urteilens, die indes (schwierige Einschränkung! Obacht!) keine Existenz haben, sondern allein in einem vermöge der Reflexion (des Denkens) selbst bezeichneten Transzendentalsubjekt – ja, was? Sind? Herumliegen?
Scheiß die Wand an. Jedenfalls haben wir, die offenbar schweinemäßig vernunftbegabten Wesen, seither zwölf, auf einer Kategorientafel versammelte Verstandesbegriffe parat, mit denen wir zwar nicht das Sein (Ding) an sich (eh ein Stuss, leck mich!), aber doch die Welt als ein Irgendwas zu erkennen in der Lage sind; als da etwa, Platon und all die sonstigen Spacken widerlegend und zurechtweisend, »Vielheit«, »Allheit«, »Realität«, »Kausalität«, »Dasein« und »Nichtdasein« wären. Potzblitz. Was für ein Haken! What a punch!
Fürderhin ging folglich gar nichts mehr voran, die hinterherdackelnden Spitzfindig- und Stumpfsinnigkeiten (Peirce: »Erstheit«, »Zweitheit«, »Drittheit«; Dilthey: »Selbigkeit«) fallen nicht ins Gewicht und eiskalt durch. Schmarren in sechster Potenz, so was in der Art. Denn Generalmajor Kant hatte die Sphäre der Intelligibilität dermaßen gut entdeckt und auseinandersortiert (auch: differenziert), dass nunmehr nicht eine einzige blöde Frage nach dem ganzen Schmodder von Sein, Welt, Substanz und Wesen offenblieb, ja offenbleiben konnte! Donnerwetter! (Auch: sogenannte Kopernikanische Wende in der Philosophie.)
Allein, in allerjüngster Zeit tauchte, dem rauschenden Fortschritt sei Dank, gebenedeit sei er!, neben der herrlichen Fungibilität (der Menschen und subalterner Arschlöcher wie Pflanzen, Tiere, Moleküle) endlich die sämtliche Hierheit und Washeit und Soheit final überwölbende Kategorie der Importantibilität auf. Importantibilität. Genau. Die Wichtigkeit von gewisser dringlicher Dingheit im imponderablen Kasualkontext des gefahrengesättigten Hic et Nunc (Bildungskrise, Digitalschrott, Demokratiedoofheit et cetera).
Knapp gefasst: Die Importantibilität desgleichen zum Beispiel des Biertrinkens, des Musikhörens und des Fickens beruht selbstverständlich (Kant sah es nicht! Hätte er es sehen können?) auf der der Importantibilität vorgängigen, von einem Denken, das noch sauber und beieinander ist, notwendig erkannten oder gesetzten Importanz, welche die Bedingung der Möglichkeit der Importantibilität und damit das sich selbst ermöglichende, werdende Wesen ihrer selbst (der Seinswichtigkeit) ist; genauer: die unveränderliche Wichtigkeit von dann konsequenterweise erscheinender, gewordener, das heißt von in die Öffentlichkeit des Darstellungskapitalismus, der nur darauf gewartet hat, von irgendeinem Dösbaddel hinausbehaupteter und -geblökter Importantibilität von diesem und jenem Papperlapapp und zumal Tinnef und anderem Schwachsinn.
Ob dieser Beweis allseitiger Wichtigkeit, bei aller solcherart gewonnenen neuesten Denkkompetenzkompetenz, daher logischerweise ein Ausweis inimportanter Importantibilität des allermeisten Getues und Geschwafels sein könnte – darüber sinnieren Sie im neuen Jahr bitte mit Schärfe und Karacho. Oder Sie lassen es.

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