Was viele Bahnfahrende schon lange wissen, ist jetzt endlich auch bei der Regierung angekommen: Die Bahn steht vor dem Zusammenbruch; ausfallende und verspätete Züge sind dafür nur das nach außen sichtbare Zeichen. 25 Jahre nach der Bahnreform ist ihr Scheitern nicht mehr zu bestreiten.
Der Fehler lag schon in der damaligen Reform selbst, die sich auf die Organisation der Bahn beschränkte und den Verkehrsmarkt nicht antastete. Aus Bundesbahn und Reichsbahn wurde eine Aktiengesellschaft, die seitdem ihr einziges Ziel in der Profitmaximierung sieht, während der Bund jede politische Steuerung mit Verweis auf die angebliche »Eigenwirtschaftlichkeit« ablehnt. Die Gewinne der DB AG sind aber ohnehin nur Theorie, solange gleichzeitig fünf Mal mehr öffentliche Mittel in das System fließen.
Verschärft wurde der fatale Kurs unter Hartmut Mehdorn, der mit dem Ziel des Börsengangs alles diesem scheinbaren Gewinn unterordnete und die DB AG gleichzeitig auf »Global Player« trimmte. Die DB macht inzwischen die Hälfte ihrer Umsätze im Ausland und hat sich dabei massiv überschuldet. Als die Kritikerinnen und Kritiker des Börsengangs damals auf die fatalen Auswirkungen des Sparens an der Substanz hinwiesen, wollte das in der Börseneuphorie niemand hören. Heute sind alle dankbar, dass der Börsengang 2008 gescheitert ist.
Nun müssen die Fehler schleunigst behoben werden, um weiteren Schaden abzuwenden: Die DB muss sich endlich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und von Auslandsgeschäften wie Luft- und Seefracht trennen. Das damit einzunehmende Geld muss in ein Sofortprogramm für die Infrastruktur investiert werden, um Flexibilität im Netz wiederherzustellen und überfällige Sanierungen durchzuführen. Dazu gehört unbedingt ein Stopp des Projekts Stuttgart 21, der weitere Milliarden einsparen und überdies einen zukünftigen Engpass im Streckennetz verhindern würde.
Die Bahn benötigt dafür engagiertes Führungspersonal, das nicht aus der Auto- und Luftfahrtindustrie rekrutiert wird, sondern stattdessen Begeisterung für eine gute Bahn mitbringt und Fehlentscheidungen korrigiert: Zuerst das Sparen an der Substanz und der Instandhaltung, was die Unzuverlässigkeit verursacht hat. Statt der teuren Orientierung alleine auf Hochgeschwindigkeit benötigen wir ein neues InterRegio-System, das wieder alle Regionen gut an den Bahnfernverkehr anbindet und mit dem viele Fahrgäste schneller und komfortabler unterwegs wären. Die Bahnhöfe müssen wieder so ausgestattet werden, dass Fahrgäste nicht abgeschreckt werden, sondern gerne Bahn fahren. Dazu gehört auch ein radikal vereinfachtes und verlässliches Preissystem statt des Dschungels aus limitierten Sondertarifen. Und die Mitarbeitenden müssen wieder als wichtigste Ressource behandelt werden, die das System am Laufen halten und am Besten verstehen.
Und die anderen Bahnunternehmen? Entscheidend ist, dass nicht die Konkurrenz im Mittelpunkt steht, sondern die Kooperation für einen guten Bahnverkehr. In einem solchen Umfeld ließe sich auch ein europäisches Nachtzugnetz wiederherstellen, mit dem die Bahn auch auf langen Strecken eine Alternative werden kann.
Für all das benötigt die Bahn eine andere Organisationsform – zum Beispiel eine Anstalt öffentlichen Rechts – oder zumindest klare gesetzliche Vorgaben, die ihr langfristige volks- statt kurzfristige betriebswirtschaftliche Ziele setzen. Oberstes Ziel muss ein flächendeckender, zuverlässiger und bezahlbarer Bahnverkehr sein, der wesentlich größere Marktanteile im Personen- und Güterverkehr hat – zugunsten von Mensch und Klima. Dazu gehört aber auch eine grundlegende Verkehrsmarktreform, die endlich Schluss macht mit der massiven Bevorzugung von Auto- und Luftverkehr und stattdessen die Bahn als umwelt- und klimafreundlichstes motorisiertes Verkehrsmittel fördert. Und der Verkehrs-Wachstumswahn muss beendet werden, denn auch die beste Bahn hat Kapazitätsgrenzen und benötigt selbst Ressourcen. Kurzum: Wir benötigen endlich eine vernünftige, zukunftsfähige Mobilitätspolitik.
Der Politikwissenschaftler Bernhard Knierim ist Sprecher des Bündnisses Bahn für Alle.
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