Mittwoch, 5. Dezember 2018

Kreuzbandriss, der zweite: Eine Fußballerin kämpft sich zurück ins Team von Turbine Potsdam

Ein dumpfer Knall


Von Oliver Rast
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»Ich fühlte mich richtig fit.« Nina Ehegötz im April (DFB-Pokal gegen Bayern München)
»Viele denken, wenn man als Spielerin verletzt ist, hat man viel Freizeit«, sagt Nina Ehegötz, 21, Offensivkraft beim Bundesligisten 1. FFC Turbine Potsdam. An diesem Mittwoch hat sie drei Reha-Einheiten: vormittags Kraftraum, nachmittags Aquatraining, abends wieder Kraftraum. In den vergangenen zwei Jahren hat sie mehr Zeit in Behandlungszimmern als auf dem Fußballplatz verbracht. Mitleid brauche sie nicht, sagt sie gegenüber jW.
Rückblende: »Ich habe das erste Mal gegen den Ball getreten, als ich gerade laufen konnte, bei uns im Wohnzimmer.« Mit fünf dann der erste Verein: PTSV Dortmund. »Ich wusste sofort, das ist mein Sport.« Bis zum 14. Lebensjahr spielte sie bei den Jungs, anschließend wechselte sie zum FSV Gütersloh 2009 in die Bundesliga der B-Juniorinnen. Ende September 2013 nahm sie im Ligaspiel gegen den FSV Jägersburg einen Flankenball aufreizend lässig mit der rechten Hacke an, düpierte ihre Gegenspielerin mit einem Haken, zog mit links an der Strafraumgrenze ab und traf in den rechten Winkel. Ein Treffer, der sie ins »Aktuelle Sportstudio« des ZDF führte. »Mein damaliger Trainer hatte das zufällig gemachte Video mit dem Tor eingeschickt.« Ehegötzes »Traumtor« setzte sich bei der Publikumsabstimmung durch. Dreimal lochte sie an der legendären Torwand ein: einmal unten, zweimal oben.
Danach ging’s weiter aufwärts: Der DFB kürte sie mit Fritz-Walter-Medaillen zur besten Nationalspielerin in der U17 und der U19. Mit 18 unterschrieb sie 2015 beim 1. FC Köln. Die Dom­städter stiegen ab. Sie wechselte auf die andere Rheinseite zu Bayer 04 Leverkusen. Im Spiel der Werkself gegen den MSV Duisburg folgte am 16. Oktober 2016 der erste Karriereknick: »Es war eine typische Strafraumszene, beim Anlaufen auf die gegnerische Torhüterin«, erinnert sich die Sportstudentin. Ein Laut, fast wie ein dumpfer Knall: Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie, dazu ein Meniskusschaden. Sechs Monate Ausfall, die Saison war gelaufen, auch die Bayer-Frauen stiegen ab. Besonders bitter: Das Ticket für die U-20-WM Ende 2016 in Papua-Neuguinea konnte sie nun nicht mehr einlösen.
Der Riss des vorderen Kreuzbandes ist die häufigste Verletzung des Knies überhaupt. Ein abrupter Richtungswechsel, eine schnelle Drehbewegung im Match – und schon ist es passiert, meist ohne Fremdeinwirkung. Leistungssportler werden fast immer operiert. Beschwerdefrei bleiben sie danach selten: Kniegelenksarthrose und ein hohes Wiederverletzungsrisiko sind üblich.
Ehegötz hatte Glück, stand auf dem Wunschzettel von Turbine-Trainer Matthias Rudolph. Im Juni 2017 unterschrieb sie einen Zweijahresvertrag. Kontakt zu Turbine hatte Ehegötz bereits ein Jahr zuvor: »Da zögerte ich aber noch mit einem Wechsel, bei der zweiten Offerte fackelte ich nicht mehr.«
Im Januar dieses Jahres die nächste Hiobsbotschaft: Der lädierte Meniskus vernarbte nicht richtig, riss beim Training wieder auf. Neuerliche OP, neuerliche Zwangspause. Nah an ihrer Seite ist Jessica Viehweger, die Physiotherapeutin des Klubs. Seit sechs Jahren ist sie im medizinischen Stab von Turbine. Früher selbst Spielerin in unteren Ligen beim Chemnitzer FC. Titel holte sie trotzdem. Nicht auf Naturrasen, im Strandsand. »Als Jux«, sagt sie im Gespräch mit jW, spielte sie Beachsoccer, holte 2011/12 mit ihrem Team den Meistertitel.
Ehegötz kämpfte sich wieder zurück ins Team, absolvierte die Vorbereitung auf die laufende Saison, spielte die erste DFB-Pokalrunde. »Ich fühlte mich zum Ligastart gegen Hoffenheim richtig fit.« 16. September 2018, kurz nach der Halbzeit: »Ich wollte einen Schuss blocken, ein großer Ausfallschritt, plötzlich ist das Knie durchgeschlagen«, erinnert sie sich. Schockiert schrie sie mit schmerzverzerrtem Gesicht: »Nein, nein, nicht wieder mein Knie, mein Knie.« Viehweger sprintete als erste zu Ehegötz. Und dann? »Knie ruhigstellen, Eis rauf, Kompressionsverband rum, Knie hochlagern.« Und Mut zusprechen.
Die Diagnose: vorderer Kreuzbandriss, der zweite, diesmal rechts statt links. Operiert wurde erst Wochen später. »Je länger man wartet, dass die Schwellung zurückgeht, desto besser verlaufen in der Regel die OP und der Heilungsprozess«, erklärt Viehweger. Direkt nach der Operation beginnt die Reha. Schrittweise wird die Gewichtsbelastung erhöht, werden die Unterarmstützen abtrainiert. Oder wie Ehegötz sagt: »Krücken weg!«
Klar, sie habe auch mal schlechte Tage. »Ich denke aber positiv«, betont sie. Ihr Plan für das neue Jahr: Januar – Lauftraining, Februar – Ballkontakt, März – Teamtraining. »Das wäre das Optimum«, mahnt Viehweger zu Realismus. Ja, manchmal müsse Nina »ein bisschen gebremst« werden.
Kennt die Stürmerin Existenzängste? »Ich spüre seitens des Vereins viel Verständnis für meine Situation«, sagt sie. Sie könne sich vorstellen, länger bei den Turbinen zu bleiben. Und außerdem: »Ich bin mutiger als nach dem ersten Kreuzbandriss.« Sie kenne die Prozedur ja schon.

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