Denkwürdiger Streik
Wirksamer Widerstand: Halberg-Guss bleibt – bis auf weiteres
Foto: Oliver Dietze/dpa
|
Die Beschäftigten der Neuen Halberg-Guss GmbH (NHG) haben ein bewegtes Jahr hinter sich. Beinahe wären sie im Streit zwischen der NHG-Muttergesellschaft Prevent und dem Volkswagen-Konzern unter die Räder gekommen. Mit einem wochenlangen Streik hatten die »Halberger« dann den Eigentümerwechsel erzwungen. Ausgestanden ist die Geschichte damit aber noch nicht, auch wenn es vor ein paar Wochen noch danach aussah. Ein Bericht des Magazins Spiegel vom 15. Dezember legt nahe, dass beim Verkauf von NHG an die AVIR Guss Holding nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
Am Vormittag des 7. Dezember sah noch alles gut aus. Die Holding gab gemeinsam mit der auch als Investor auftretenden Münchner Beratungsgesellschaft »One Square Advisors« bekannt, der Kauf der wesentlichen Vermögensgegenstände der NHG sei eingetreten und damit deren Geschäftsbetrieb auf die AVIR-Töchter Gusswerke Saarbrücken GmbH und Gusswerke Leipzig GmbH übergegangen. Am Abend gab es die große Überraschung: Der ehemalige Eigentümer Prevent erklärte, man werde vom »vertraglichen Rücktrittsrecht Gebrauch machen«. Der Grund: Volkswagen hatte die für die Gießereien bezahlte Kaufsumme von 50 Millionen Euro, die bei einem Notar auf einem Treuhandkonto liegen, pfänden lassen. VW verlangte zu dem Zeitpunkt nämlich 42 Millionen Euro Schadenersatz wegen der ihm in Rechnung gestellter »überhöhter Preise«, wie die Leipziger Volkszeitung (Onlineausgabe) am 19. Dezember berichtete. Aus der Sicht von Prevent seien damit wichtige Grundlagen des beschlossenen Verkaufs nicht mehr gegeben.
VW wies diese Interpretation zunächst zurück. »Die Sicherungsmaßnahmen haben keinen Einfluss auf den erfolgten Verkauf der NHG«, hatte eine Sprecherin erklärt. Die strittige Summe beziehe sich auf den Kaufpreis, den Prevent gefordert habe, nicht auf den Gesamtwert des Firmenvermögens. »Die Werke könnten damit sofort unter neuer Führung produzieren, während Volkswagen und Prevent die Ansprüche gerichtlich klären lassen.« Die geplante Rückabwicklung des Verkaufs sei jedenfalls »völlig unverständlich«.
Pikante Widersprüche
Der Spiegel berichtete eine Woche später über Ungereimtheiten, die den Verkauf dennoch scheitern lassen könnten. Es geht dabei um eine eidesstattliche Versicherung einer VW-Managerin, die dem Pfändungsantrag beigefügt war. Aus der gehe hervor, dass Volkswagen ein kleines Zeitfenster genutzt hatte, um Zugriff auf das Treuhandkonto zu bekommen, über das die Kaufsumme übertragen werden sollte. Sie habe die Kontodaten zu dem Verkauf noch vor Abschluss des Geschäfts erhalten, versicherte sie an Eides statt. Erst diese hätte, hieß es im Spiegel-Bericht, VW den Zugriff ermöglicht. Aus Sicht von Prevent mache die Weitergabe der vertraulichen Kontoinformation vor Verkaufsabschluss das Geschäft unwirksam. Wer diese verraten hat, ist derzeit noch unklar. Vertreter von One Square hätten jedenfalls erklärt, die Vertraulichkeitsvereinbarungen eingehalten zu haben.
Pikant seien zudem die Umstände des Pfändungsbeschlusses, so der Spiegel: Volkswagen hätte seit Juni erfolglos versucht, beim Landgericht in Saarbrücken, dem Sitz von NHG, einen solchen zu erwirken. Doch wenige Tage vor Verkaufsabwicklung habe VW dort den Antrag zurückgezogen und sich in Nachbarschaft des VW-Sitzes an das Landgericht Braunschweig gewandt. Dort sei der Antrag binnen 24 Stunden ohne Anhörung der Gegenseite durchgewinkt worden. Prevent hatte dagegen Rechtsmittel eingelegt. Am 19. Dezember kam es zur Verhandlung, die ohne Entscheidung endete. Richterin Maike Block-Cavallaro will nach Angaben der Leipziger Volkszeitung vom 20. Dezember ihr Urteil am 16. Januar verkünden.
Bekannte Masche
Der Konflikt zwischen Prevent und Volkswagen dauert schon seit mehreren Jahren an. Das Beteiligungsimperium Prevent habe sich – wohl wegen seines an Erpressung grenzenden Vorgehens – zu einem »Schreckgespenst der Automobilbranche« entwickelt, wie das Wirtschaftsmagazin Capital in seiner Oktober-Ausgabe schrieb. Verschiedene zu Prevent gehörende Automobilzulieferbetriebe hatten in der Vergangenheit das Liefern wichtiger Bauteile eingestellt, so dass es in Werken der Volkswagen AG teilweise zu Produktionsausfällen kam.
Berater, Gewerkschafter und Vertreter anderer Zulieferer meinen laut Capital, hinter Prevents Vorgehen könnte System stecken. »Das Muster ist kurzfristige Gewinnmaximierung«, habe ein Brancheninsider gesagt. Und das könne schnell auf Kosten des Betriebs und damit auch der Arbeiter gehen. Die angewandte Methode sei laut Capital einfach: Ein Zulieferer, von dem beispielsweise Volkswagen kurzfristig abhänge, werde übernommen. Dann würden deutlich höhere Preise gefordert, die die Abnehmer solange zahlen müssten, bis sie einen anderen Lieferanten aufgebaut hätten. Sobald die Verträge gekündigt würden, geriete der Zulieferer in Bedrängnis und werde im Zweifel abgewickelt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Gewinn aber längst durch Prevent abgeschöpft. Während Volkswagen-Vertreter vom Zehnfachen marktüblicher Preise sprachen, räumte Prevent ein, dass in einigen Fällen das Fünffache verlangt worden sei.
Diese »Prevent-Masche« wurde bereits 2015 in Brasilien mit Tochterfirmen und dem dortigen Ableger von VW durchgezogen. Im darauffolgenden Jahr stellten Car Trim und ES Automobilguss als Prevent-Töchter ihre Lieferungen ein. Dies löste erwartbar einen Produktionsstopp bei Betrieben des Wolfsburger Automobilriesen aus. Volkswagen hat daraus Konsequenzen gezogen und löst sich seitdem sukzessive von sämtlichen Verträgen mit Zulieferern unter Prevents Kontrolle.
Die Gießereien von Neue Halberg-Guss GmbH in Leipzig und Saarbrücken gerieten zum Jahresbeginn ins Kreuzfeuer, als sie von Prevent übernommen wurden. VW wollte deshalb kurzfristig auch hier aus den Lieferverträgen aussteigen. Daraufhin hob Prevent die Preise für die verbliebenen Warenmengen kräftig an. Leidtragende waren die Beschäftigten: Weil Volkswagen als wichtigster NHG-Kunde wegfiel, sollte das Werk in Leipzig mit rund 700 Arbeitsplätzen Ende März 2019 geschlossen werden. In Saarbrücken sollten ebenfalls Hunderte Leute auf die Straße gesetzt werden.
Standhafte Arbeiter
Die Belegschaft reagierte mit einem denkwürdigen Streik. 45 Tage am Stück waren die Arbeiter in Leipzig und Saarbrücken im Ausstand. Ihr Ziel: ein Sozialtarifvertrag, Abfindungen und die Gründung einer Transfergesellschaft. Das Management zog alle Register, um den Arbeitskampf zu unterbinden. Ein Gang vor Gericht oder Prämien für Denunzianten konnten den Durchhaltewillen nicht brechen und die Belegschaft beider Standorte nicht entzweien. Nach einer Schlichtung und zähen Verhandlungen war für die Gewerkschaft IG Metall Anfang Oktober die Sache klar: Nur der Verkauf der Halberg-Guss GmbH bringe eine »zukunftsfähige Lösung«, erklärte sie damals.
Mit dem neuen Eigentümer ist nicht nur neue Hoffnung, sondern scheinbar auch ein neues »Betriebsklima« eingekehrt. Eine Weihnachtsfeier, wie sie am 19. Dezember an beiden Standorten für die gesamte Belegschaft stattfand, hatte es noch nicht gegeben. Die Produktion laufe wieder mit einer Auslastung von 90 Prozent, erklärte der neue Geschäftsführer Thomas Meichsner bei dieser Gelegenheit. Frank Günther, einer der Mitinhaber der AVIR Holding, sagte jedoch laut Saarbrücker Zeitung(Onlineausgabe) vom 17. Dezember, dass vermutlich nicht die volle Belegschaft gehalten werden kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen