Die SPD ist am Ende. Wer ein allerletztes Indiz für diese Erkenntnis benötigte, brauchte nicht das für die Partei erwartbar katastrophale Ergebnis der hessischen Landtagswahl – das schlechteste seit 1946 – abzuwarten. Ein Blick in die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) drei Tage vor der Wahl hätte genügt; darin erschien ein ausführlicher Bericht über eine langjährige Spitzengenossin: Brigitte Zypries.
Aus einer Unternehmerfamilie stammend, zog sie den dort erlebten Unwägbarkeiten der Privatwirtschaft eine Laufbahn in den ruhigeren Gewässern des Öffentlichen Dienstes vor: »Da wollte ich lieber Beamtin werden«, zitiert sie der Autor Falk Heunemann. Nach ihrem Jurastudium verbrachte Zypries 38 Jahre im Öffentlichen Dienst, nebenbei war sie noch zwölf Jahre SPD-Bundestagsabgeordnete und 20 Jahre Mitglied der Bundesregierung. Für Zypries hat es sich ausgezahlt, vermerkt die FAZ anerkennend: »Finanzielle Sorgen muss sich Zypries, nachdem sie als Bundesministerin rund 18.000 Euro monatlich als Gehalt erhielt, Übergangsgeld kassierte und für die Zukunft mit einer Pension von etwa 10.000 Euro rechnen kann, nun wohl nicht mehr machen.«
Trotz des kommoden Ruhestandes pocht noch immer laut und vernehmlich ein sozialdemokratisches Herz in der Brust der SPD-Frau: Sie sorgt sich um finanzielle Sicherheit; nicht um ihre eigene, für die aus Steuermitteln ausreichend gesorgt wird, sondern um die von »Durchschnittsverdienern«, um all die Männer und Frauen, die sich partout zu wenig um ihre Altersvorsorge kümmern.
Frau Zypries ist ein medizinisches Wunder – das nun so stark schlagende sozialdemokratische Herz scheint in den knapp drei Jahren, in welchen sie als Mitglied des Kabinetts von Bundeskanzler Schröder tätig war, ausgesetzt zu haben: Nicht nur wurde während dieser Periode die gesetzliche Rentenversicherung zugunsten privater Banken und Finanzdienstleister demontiert, eine Rentenkürzung inklusive, sondern auch einer »der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt«, wie Schröder sich anlässlich einer Rede vor den notorischen Hungerleidern des World Economic Forums in Davos 2005 rühmte.
Doch nun ist Zypries bestrebt, den von ihr mit zu verantwortenden Schaden wieder wettzumachen. Wie? Durch politischen Einsatz für höhere Löhne und auskömmliche gesetzliche Renten? Zypries wäre nicht Sozialdemokratin, wenn sie nicht statt dieser altmodischen Methoden eine viel bessere und zeitgemäßere Idee in petto hätte; sie möchte endlich das enorme rentenpolitische Potential von Flaschenpfandbons nutzbar machen: »Ihr schwebt eine App auf dem Smartphone vor, mit der man etwa die Strichcodes der Pfandbons direkt einliest und dann der Betrag auf ein Vorsorgekonto übertragen wird.« Ein philanthropisches Meisterstück: Zum einen hätten die Durchschnittsverdiener bereits in jungen Jahren einen Anreiz, sich in der für ihr Rentenalter unabdingbaren Zivilisationstechnik des Flaschensammelns zu üben, zum anderen kann die angesparte Summe auf die im Rentenalter zu erwartende Grundsicherung angerechnet werden und so die Sozialkassen entlasten.
Das letzte Pfund, mit dem die einst sozialdemokratische SPD noch wuchern kann, ist das Flaschenpfand.
Der zitierte Beitrag von Falk Heinemann trägt den Titel »Brigitte Zypries fängt ganz neu an«, FAZ, 25.10.2018, www.faz.net/aktuell/rhein-main/wirtschaft/brigitte-zypries-faengt-ganz-neu-an-15854770.html.
Frank Graf hat Politikwissenschaft studiert und schreibt regelmäßig für die Quartals-Zeitschrift des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), Forum Wissenschaft, zu Themen der politischen Ökonomie.
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