Am 26. November wurde im Bremer Theater am Leibnizplatz die Revolution von 1918/19 »aus den Akten auf die Bühne« gebracht. Über Aufführungen des Dokumentartheater-Projekts »Aus den Akten auf die Bühne« ist schon mehrmals in Ossietzky (8/2012, 13/2015, 24/2016) berichtet worden. Die Bremer Historikerin Eva Schöck-Quinteros stellt in Seminaren mit Studierenden Texte zu Themen der Bremer Geschichte zusammen, aus denen Peter Lüchinger (bremer shakespeare company) für die Bühne eine Auswahl trifft. Die Texte werden nicht einfach vorgetragen, sondern gespielt. Bühnenbild und Requisiten sind aufs Äußerste reduziert. Die Aufführung wird von den Stimmen und Gesten der Ensemble-Mitglieder getragen. Zum Vortrag kommen Flugblätter, Bekanntmachungen, aber auch Sitzungsprotokolle und Tagebuchnotizen. Sie machen das Geschehen lebendig.
Das Projekt setzt nicht nur – und zwar erfolgreich – auf die Bühnenwirksamkeit der ausgewählten Quellen, sondern erhebt zugleich den Anspruch, historisches Neuland zu betreten. Im Fall der Novemberrevolution wurde die Rolle des Bremer Bürgerausschusses zum ersten Mal auf breiter Quellenbasis erforscht. Der Ausschuss, der zwar vom politischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen war, spielte im Hintergrund eine wichtige Rolle, denn er half, die Bremer Räterepublik niederzuschlagen. Der Ausschuss nennt in seinem Tätigkeitsbericht über die Jahre 1918/19 die Novemberrevolution in Bremen eine »unblutige Revolution«. Dies gilt es festzuhalten entgegen Tendenzen der Forschung, die deren Gewalttätigkeit behaupten; die Frage der Gewalt war in den Mittelpunkt der Recherche der Studierenden gestellt worden.
Die Geschichte der Bremer Novemberrevolution musste selbstverständlich auch in den Zusammenhang mit der Geschichte des damaligen Deutschen Reiches gestellt werden. Das geschieht auch; mit großer Bühnenwirksamkeit werden die Republikproklamationen Scheidemanns und Liebknechts vorgetragen. Bremen tritt als selbstständiger Akteur am 6. November 1918 hervor: Unter Mitwirkung von Kieler und Wilhelmshavener Matrosen wird die Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates (AuSR) vorbereitet, der tags darauf aus Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) und Linksradikalen gebildet und am folgenden Tag mit Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) erweitert wird. Am 14. November setzt der AuSR Senat und Bürgerschaft ab. Aber schon tags zuvor hatte sich der bereits erwähnte Bürgerausschuss gegründet. Dessen politische Linie wird immer wieder durch Tagebuchnotizen einer Bremer Bürgerin illustriert.
Aber nicht nur die Hauptkontroverse wird auf der Bühne nachgezeichnet, sondern auch Spaltungen der Linken, die in einer – wieder sehr bühnenwirksamen – turbulenten Sitzung vom 29. November zutage treten.
Am 10. Januar 1919 wird zwar die »sozialistische Republik Bremen« ausgerufen, aber in einer lebhaften Sitzung am 20. Januar zeigt sich das Dilemma der Räterepublik: Der USPD-Mann Alfred Henke bringt es auf den Punkt: »Das ganze Deutsche Reich steht heute gegen uns.« Die Räterepublik ist in der finanziellen Klemme. Einige der Lösungsvorschläge sind Ausdruck der Hilflosigkeit.
Am 25. Januar beginnen die Vorbereitungen Noskes (MSPD), »die Ordnung in Bremen wiederherzustellen«. Es gibt Verhandlungen in Verden, aber schließlich marschiert am 4. Februar die von ihm entsandte Division Gerstenberg in Bremen ein. Eine Woche darauf wird Major von Engelbrechten zum Stadtkommandanten entsandt. (Inzwischen haben die Bremer Banken die Kreditsperre aufgehoben.) Walter Caspari, dessen Freikorps neben der Division Gerstenberg an der Niederschlagung der Räterepublik beteiligt ist, übernimmt die Leitung der neu gegründeten Regierungsschutztruppe der provisorischen Regierung, die nur aus Mehrheitssozialisten besteht und unmittelbar am 4. Februar eingesetzt wird.
In den Großbetrieben organisiert sich die Arbeiterschaft unmittelbar nach dem 4. Februar im 21er-Ausschuss, um die Freilassung der politischen Gefangenen zu erreichen. Im März und April kommt es zum Generalstreik, im April zusätzlich zu einem bürgerlichen Abwehrstreik (»Stacheldraht-Ostern«). Damit ist die heiße Phase der Revolution in Bremen beendet.
»Aus den Akten auf die Bühne« publiziert zu den meisten seiner Aufführungen umfangreiches Begleitmaterial, so auch dieses Mal: Der von Eva Schöck-Quinteros, Ulrich Schröder und Joscha Glanert herausgegebene Band trägt den Titel: »Das ganze Deutsche Reich steht heute gegen uns.« Er enthält Fachaufsätze der am Projekt beteiligten Studierenden sowie umfangreiches Quellenmaterial, von dem nur ein kleiner Teil auf der Bühne vorgetragen werden konnte. Der Band umfasst 384 Seiten und kostet 16 Euro.
Weitere Aufführungen siehe: www.sprechende-akten.de
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